
Stichwort-Suche
283 Ergebnisse gefunden für „“
- Zu Tode gepiekst
Mit der Einführung der Covid-19-„Impf“stoffe und –„Auffrischungen“ nahm die Gesamtsterblichkeit weltweit dramatisch zu: Eine neue Studie mit Daten aus 17 Ländern stellt einen „eindeutigen kausalen Zusammenhang“ fest. Hochbrisant ist sie, die brisante 180-seitige Studie einer Forschergruppe des kanadischen Instituts Correlation Research in the Public Interest unter Leitung des Physikers Denis Rancourt. Am 17. September erschienen, wertete sie Daten aus 17 Ländern der südlichen Hemisphäre aus, verteilt auf vier Kontinente – von Argentinien und Australien über Kolumbien, Malaysia und Neuseeland bis Chile, Peru, Südafrika, Thailand und Uruguay. Wie die Wissenschaftler feststellten, stieg in mehr als der Hälfte dieser Länder die Gesamtsterblichkeit - all-cause mortality (ACM) - zunächst keineswegs an, nachdem die Weltgesundheitsorganisation am 11. März 2020 eine globale Pandemie ausgerufen hatte. Der mutmaßliche “Killerkeim aus Wuhan” hinterließ in den Todesfallstatistiken zumeist keine Spuren. Dies änderte sich erst nach Einführung der Covid-19-„Impf“stoffe und –„Auffrischungen“ - abrupt und in dramatischem Ausmaß. Nicht nur „gab es keine Hinweise auf einen positiven Effekt der COVID-19-Impfstoffe - keinen zeitlichen Zusammenhang zwischen COVID-19-Impfung und einer proportionalen Reduzierung der ACM”, so stellt die Studie fest. “Das Gegenteil ist der Fall”: Sämtliche 17 Länder, die immerhin 10,3 % der Weltbevölkerung ausmachen, verzeichneten mit Beginn der Impfkampagnen einen beispiellosen Anstieg der Gesamtsterblichkeit. Wie eine statistische Analyse der Sterblichkeitsdaten ergab, war 1 Todesfall pro 800 Injektionen in allen Altersgruppen und Ländern zu verzeichnen. Wie die Autoren betonen, ist die Gesamtmortalität (ACM) - die Anzahl der Todesfälle aus allen Ursachen in einem bestimmten Zeitraum für eine bestimmte Population - die zuverlässigste Datengrundlage für Epidemiologen, um abnorme Häufungen von Todesfällen zu erkennen und zu charakterisieren. Im Gegensatz zu anderen Messgrößen sind die ACM-Daten nicht anfällig für Verzerrungen bei der Berichterstattung oder bei subjektiven Einschätzungen der Todesursache. Jedes Ereignis, von einer Naturkatastrophe wie einem Erdbeben bis hin zu einer saisonalen oder pandemischen Krankheitswelle, erscheint in der ACM-Statistik. 13,5 Milliarden Injektionen, die bis zum 2. September 2023 verabreicht wurden, produzierten weltweit 17 Millionen Covid-“Impf”tote, so schätzt die Forschergruppe. "Dies entspräche einem iatrogenen (1) Massenereignis, das 0,213 % der Weltbevölkerung umbrachte, während es keine Todesfälle messbar verhinderte.” Diese Zahl liege um ein Tausendfaches über den bisherigen Daten aus klinischen Studien, der amtlichen Überwachung unerwünschter Impfnebenwirkungen und den offiziellen Todesursachenstatistiken, die aus Totenscheinen hervorgehen. Mit anderen Worten: "Die COVID-19-Impfstoffe haben keine Leben gerettet, sondern scheinen scheinen tödliche Giftstoffe zu sein." Unter Berücksichtigung von Störfaktoren wie der Jahreszeit berechneten die Autoren die Impfdosis-Todesrate (vDFR) - das Verhältnis von impfbedingten Todesfällen zur Anzahl der verabreichten “Piekse”. Sie fanden heraus, dass die vDFR je nach Land, Alter und Anzahl der verabreichten Impfungen zwischen 0,02 und 5 % lag, für alle 17 Länder im Durchschnitt bei 0,126 ± 0,004 %..Diese Ergebnisse scheinen die Argumente von Biologen wie Mike Yeadon und Sucharit Bhakdi zu bestätigen, wonach die Gefahr unerwünschter Autoimmunreaktionen mit jedem weiteren ‘Boost’ zunimmt. Das Todesrisiko pro Injektion stieg mit zunehmendem Alter deutlich an. In allen 17 untersuchten Ländern waren die Impfungen für die meisten älteren Menschen am bedrohlichsten. Deshalb fordern die Studienautoren, dass die Regierungen "sofort die unbegründete Gesundheitspolitik beenden sollten, ältere Menschen vorrangig mit COVID-19-Impfstoffen zu impfen, bis gültige Risiko-Nutzen-Analysen vorliegen". Diese neuen Befunde bestätigen frühere Forschungsergebnisse Rancourts über Zusammenhänge zwischen Covid-Impfkampagnen und erhöhter Gesamtsterblichkeit in Indien, Australien, Israel, den USA und Kanada. (2) Gesundheitskatastrophe ohnegleichen Eine Gesundheitskatastrophe ohnegleichen ist über die Welt hereingebrochen. Erstaunlicherweise begann sie nicht schon 2020, im ersten Corona-Pandemiejahr, in dem die Menschheit, da ungeimpft, dem SARS-CoV-2-Virus vermeintlich noch „schutzlos ausgeliefert“ war. Sie setzte 2021 ein, nach angeblich „wirksamen und sicheren“ Genspritzen für Milliarden Menschen. Seither zeigt sich in Ländern rund um den Globus eine historisch beispiellose Übersterblichkeit von global 15 %, mit mindestens 20 Millionen Toten, begleitet von einer Flut „plötzlicher und unerwarteter“ Todesfälle auch bei jungen, zuvor kerngesunden,topfitten Menschen, darunter Sportler und Ärzte. 2021 verloren in Deutschland 6 % mehr Menschen ihr Leben als im langjährigen Durchschnitt; Zehntausende dürften an Covid-Impffolgen gestorben sein, weitaus mehr als an (nicht bloß mit) Corona. Bis zu 93 % all derer, die bald nach ihrem „Pieks“ starben, taten es wegen der Impfung, wie Obduktionen ergaben. In 29 Ländern hängen Exzess-Mortalität und Covid-Booster-Rate statistisch signifikant zusammen. In England überlebte 1 von 482 Covid-„Geimpften“ den ersten Monat nach dem „Pieks“ nicht,die ersten acht Wochen 1 von 246, wie amtliche Zahlen des britischen Office for National Statistics (ONS) belegen. Den größten Anstieg an Todesfällen seit hundert Jahren verzeichnete 2022 Neuseeland – im Jahr nach Beginn der Corona-„Impf“kampagne. In der 33-jährigen Geschichte von VAERS, dem US-amerikanischen Register von unerwünschten Impfnebenwirkungen, gehen 72 % aller berichteten Todesfälle auf das Konto der Covid-19-Vakzine. Corona-Solution, ein Verbund von Initiativen für Ärzte und Wissenschaft, geht von einer verheerendenÜbersterblichkeit von etwa 1,04 Millionen Personen in der EU seit Beginn der Impfkampagne aus. (3) Deren weltweite Folgen schätzt der Diplom-Ingenieur und Statiker Volker Fuchs (4), ausgehend von Zahlen der Datenbank OurWorldInData Excess Mortality, auf 20 Millionen Tote. Bereits bis Ende 2021 könnten es allein in Deutschland 60.000 gewesen sein. (Siehe KLARTEXT „Das Pieks-Massaker“.) Von Corona-“Impfungen” (mit-)verursacht dürften 74 % aller Todesfälle gewesen sein, zu denen es unmittelbar nach einem „Pieks“ kam. Darauf deutet eine systematische Überprüfung von 325 Autopsiefällen hin; innerhalb eines Tages wurde der missliebige Forschungsbericht von einem Preprint-Server entfernt. Wo bleiben Protest und Aufarbeitung? Weshalb gellt dann nicht längst ein ohrenbetäubender Aufschrei der Empörung um den ganzen Planeten? Was die gefährlichste und tödlichste „Impfung“ aller Zeiten anrichtete, wird vor der Bevölkerung weiterhin erfolgreich verschleiert: von Ärzten, die den Angehörigen von Betroffenen und sich selbst nicht eingestehen, was ihre üppig honorierten Spritzen angerichtet haben; von Politikern und Gesundheitsbehörden, die sich nicht zur Verantwortung ziehen lassen wollen; von Journalisten, die wiederkäuen, was ihnen gekaufte Experten, Nachrichtenagenturen, Medienhäuser und Faktenchecker vorsetzen. Fast jeder Bürger kennt inzwischen mindestens einen Verwandten, Bekannten, Freund, Kollegen oder Nachbarn, der sich kerngesund eine mRNA-Spritze setzen ließ – und kurz darauf unerwartet verstarb, an einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall, einer Thrombose, einer Autoimmunreaktion, einem Turbokrebs; bei unter 65-jährigen Covid-Geimpften ist der „plötzliche Tod“ seit 2021 die Ablebensweise Nummer Eins. (5) Aber weil sich ein Großteil der Bevölkerung weiterhin weismachen lässt, der „Pieks“ sei ebenso sicher wie wirksam, kommt bis heute kaum jemand auf die Idee, rätselhafte Todesfälle damit in Verbindung zu bringen. Und so taumelt die propagandistisch ruhiggestellte Menschheit im Schlafwandel-Modus der nächsten Pandemie entgegen. Gemanagt von der WHO, drohen dann Zwangsimpfungen, die womöglich erneut weder vor Infektionen noch vor Übertragungen noch vor Erkrankungen schützen, nicht vor dem Krankenhaus, der Intensivstation und dem Friedhof bewahren – aber mit nicht minder katastrophalen Nebenwirkungen verbunden sein könnten. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 Iatrogen: durch ärztliche Einwirkung entstanden. 2 Rancourt, D.G., Baudin, M., Mercier, J.: “Probable causal association between Australia’s new regime of high all-cause mortality and its COVID-19 vaccine rollout”, Correlation Research in the Public Interest, 20 December 2022, https://correlation-canada.org/report-probable-causal-association-between-australias-new regime-of-high-all-cause-mortality-and-its-covid-19-vaccine-rollout/ Rancourt, D.G., Baudin, M., Mercier, J.: “COVID-Period Mass Vaccination Campaign and Public Health Disaster in the USA: From age/state-resolved all cause mortality by time, age-resolved vaccine delivery by time, and socio-geo-economic data”, Research Gate (2 August 2022), http://dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.12688.28164 und https://vixra.org/abs/2208.0023 Rancourt, D.G., Baudin, M., Mercier, J.: “Proof that Canada’s COVID-19 mortality statistics are incorrect”, Correlation Research in the Public Interest, 5 October 2022, https://correlation-canada.org/report-proof-that-canadas-covid-19-mortality statistics-are-incorrect/ Denis Rancourt: “Unveiling All-Cause Mortality: A Critical Analysis of the Pandemic Declaration and Vaccination Rollout ― Testimony of Denis Rancourt to the National Citizens Inquiry (Canada)”, Ottawa, 17 May 2023, https://rumble.com/v2ohtte-physicist-dr-denis-rancourt-presents-his-findings-on-all-cause-mortality-ot.html, Denis Rancourt: “Virtual Testimony follow up to the National Citizens Inquiry (Canada)”, 28 June 2023, https://rumble.com/v2wpyqu-national-citizens-inquiry-denis-rancourt-virtual-testimony.html, NCI website: https://nationalcitizensinquiry.ca/ Rancourt, D.G., Baudin, M., Hickey, J., Mercier, J.: “Age-stratified COVID-19 vaccine-dose fatality rate for Israel and Australia”, Correlation Research in the Public Interest, 9 February 2023, https://correlation-canada.org/report-age-stratified-covid-19-vaccine-dose-fatality-rate-for-israel-and-australia 3 https://www.corona-solution.com/de/fragen-und-antworten/konferenz-03-maerz-2023/ 4 https://www.dzg.one/Die-ungewoehnlichen-praezisen-statistischen-Untersuchungen-des-Volker-Fuchs, https://www.mwgfd.org/zahlen-fakten-analysen/ 5 https://stevekirsch.substack.com/p/now-everyone-can-easily-prove-the Titelfoto Friedhof: Gisela Fotografie/Pixabay
- „Oh mein Gott, es funktioniert!“ - Heilt Coimbra wirklich MS?
Ist Multiple Sklerose endlich heilbar? Das „Coimbra-Protokoll“ eines brasilianischen Neurologen setzt dazu auf hochdosiertes Vitamin D. Ein 57-jähriger MS-Patient, der sich darauf einließ, wurde nahezu sämtliche Symptome los – seither hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Mitbetroffenen die frohe Botschaft zu verkünden. Ist er zu blauäugig? Dass er nicht wirklich gesund war, ahnte John Ottwell seit langem. Der 57-jährige Antiquitätenhändler ermüdete rasch. Sich zu konzentrieren, fiel ihm zunehmend schwerer. In Gliedmaßen kribbelte es seltsam. Sein linkes Bein fühlte sich zeitweilig taub und wie gelähmt an. Manchmal sah er doppelt oder verschwommen, wie durch einen Nebel. Was tatsächlich los war mit ihm, stellte sich erst im Jahr 2014 heraus, nachdem er mit Symptomen, die einem Schlaganfall ähnelten, in eine Notaufnahme in St. Louis, Missouri getaumelt war. Ein MRT zeigte Entzündungsherde in Gehirn, Rückenmark und Sehnerven. Eindeutig wiesen sie auf Multiple Sklerose hin: jene Autoimmunerkrankung, welche die Markscheiden angreift, die äußere Schicht der Nervenfasern im Zentralen Nervensystem. Anderthalb Jahre nach dieser Diagnose saß John Ottwell im Rollstuhl, obwohl er sich ein gängiges MS-Medikament, Copaxone, dreimal pro Woche in den Magen spritzen ließ. „Dessen Nebenwirkungen fühlten sich so an, als würde ich ständig gegen eine schwere Grippe kämpfen“, sagt er. Auch Elektrische Muskelstimulation (EMS) und die „Steinzeit-Diät“ der Ärztin Terry Wahls, die sich nach dem Paläo-Prinzip selber von fortgeschrittener MS geheilt haben will, brachten Ottwell nichts, ebensowenig wie sonstige Rezepte zur Ernährungsumstellung. Mit Medikamenten lasse sich ein Fortschreiten von Multipler Sklerose zwar leider nicht stoppen oder gar umkehren, zumindest aber um 40 Prozent verlangsamen, so hatten ihm Ärzte versichert. Doch davon konnte keine Rede sein: „Ich spürte, wie die Krankheit zügig meinen Körper zerstörte. Und ich erkannte, dass ich nichts dagegen tun konnte.“ Immer häufiger traten unwillkürliche Bewegungen auf. Er stotterte ständig, hustete, würgte, zuckte und krampfte. Besonders schlimm war für ihn der Verlust von Erinnerungen, weil er früher auf sein hervorragendes Gedächtnis außerordentlich stolz gewesen war. „Mein Verstand war so schlecht, mein Gehirn arbeitete langsam. Ich legte meine Kreditkarte auf meinen Schoß, schaute mir vier Zahlen an, nahm das Telefon, um sie einzugeben, konnte mir aber nur zwei von vier Zahlen merken." Von seinen MS-Symptomen fühlte sich John Ottwell mehr als bloß eingeschränkt. Sie beraubten ihn seiner Würde – wenn er zum Beispiel unwillkürlich urinierte, seinen Darm entleerte oder seine Kopfhaut so heftig kratzte, dass ihm Blut übers Gesicht rann. Immerhin sei MS „kein Todesurteil“, dafür müsse er dankbar sein, so hörte Ottwell. Solchen Trost empfand er eher als Hohn: Sollte er glücklich sein, nicht sofort daran zu sterben, sondern sich noch weitere Jahre damit zu quälen? „MS ist ein Leidensurteil“, sagt er. „Du kannst zehn Jahre lang bewegungsunfähig in einem Pflegeheim liegen. Es ist eine schreckliche Krankheit, die dich nach und nach deiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten beraubt - eine langsame Tortur." Er hatte nichts mehr zu verlieren. Verzweifelt recherchierte er im Internet nach einem Ausweg, den ihm die Schulmedizin nicht mehr bieten konnte. Dabei wurde er auf Vitamin D aufmerksam: ein Hormon, das unser Körper in der Haut produziert, wenn sie dem Sonnenlicht ausgesetzt ist; in geringeren Mengen ist es auch in der Nahrung enthalten. Ottwell lernte, dass ein höherer Vitamin-D-Spiegel das Risiko senkt, an Multipler Sklerose zu erkranken; dass es dazu beiträgt, Krankheitsschübe einzudämmen; und dass es sogar die Symptome in Remission bringen kann. Schließlich stieß Ottwell auf das Coimbra-Protokoll: einen Therapieansatz, der auf hohe Dosen Vitamin D über einen längeren Zeitraum setzt. „Oh mein Gott, es funktioniert!“ Im April 2017 begann Ottwell, dieses Protokoll umzusetzen. Und "innerhalb von 41 Tagen wollte ich nach draußen gehen und schreien: 'Es funktioniert. Es funktioniert. Oh mein Gott, es funktioniert!“ Sechs Jahre später sind fast alle seine MS-Symptome verschwunden. "Wenn etwas zurückkehrt, was verloren schien, so ist das ein Sieg", sagt er. "Verschiedene Fähigkeiten kamen erst über Monate und Jahre zurück. Aber innerhalb von zweieinhalb Jahren war alles wieder da, außer meiner Fähigkeit zu gehen. Mein linkes Bein ist weiterhin gelähmt. Fünfzehn Jahre Fehldiagnosen können einem das antun." „Als ich gesund wurde, wusste ich, dass ich meine Berufung gefunden hatte: die Pharmaindustrie in ihren Grundfesten erschüttern – und Mitbetroffene über Coimbra aufklären.“ Dazu richtete Ottwell einen YouTube-Kanal („MS, there is hope!“) ein und gründete eine Facebook-Gruppe. Hier will er Interviews mit Ärzten veröffentlichen, die das Protokoll zur Behandlung ihrer MS-Patienten einsetzen, sowie mit Menschen, deren Symptome sich dank Coimbra geradezu dramatisch zurückbildeten. So ließ er beispielsweise einen jungen Mann zu Wort kommen, der wieder Klavier spielte, nachdem er nicht mehr in der Lage gewesen war, seinen Kopf zu heben. Er stellte eine Frau vor, die an ihrem 40. Geburtstag erblindet aufgewacht war; jetzt ging sie wieder arbeiten, lief täglich mehr als sechs Kilometer - und legte ein MRT ihres Gehirns vor, das keinerlei Anzeichen der Krankheit mehr aufwies. Ottwells stetig wachsende Fallsammlung belegt: Je früher man mit Coimbra beginnt, desto besser stehen die Aussichten, vollständig zu genesen. Bisher findet Ottwells frohe Botschaft allerdings enttäuschend wenig Resonanz. Auf Facebook „folgten“ ihm bis Juli 2023 kaum mehr als 700 Interessenten, seine Gruppe dort umfasst 312 Mitglieder; sein YouTube-Kanal bringt es gerade mal auf 426 Abonnenten. Entmutigt ihn das? Nicht im geringsten. Anfangs, so erklärt er, habe er blauäugig gedacht: „Alle werden auf mich hören.“ Aber sogar Leidensgenossen verspotteten ihn: Er sei unglaubwürdig, weil er ja kein Arzt ist. "Nein, ich trage keinen weißen Kittel, auf dem Dr. Ottwell steht", sagt er. "Ein Grund, warum das Coimbra-Protokoll sich durchsetzen wird, ist, dass Big Pharma uns mit Medikamenten vollpumpt” – woran die Branche 21 Milliarden Euro pro Jahr verdient – “und es uns trotzdem nicht besser geht. Meine Aufgabe ist es, diesem Unwesen entgegenzutreten." (1) Viele skeptische Patienten verlangen wissenschaftliche Studien von ihm. Er kann keine vorlegen, bloß eine Fülle von bewegenden Fallberichten. Aber „wenn du im Rollstuhl sitzt, sind dir die Studien doch völlig egal", sagt Ottwell. "Du willst einfach nur gesund werden." Dabei gäbe es vorzeigbare Forschungsergebnisse durchaus – bloß kennt sie kaum jemand, weder MS-Kranke noch ihre mit pharmageschärftem Tunnelblick ausgestatteten Fachärzte. Bereits 2009, auf der Jahrestagung der American Academy of Neurology, sorgte eine Studie für Aufsehen, der zufolge hohe Dosen von Vitamin D die Schubrate bei MS-Patienten drastisch senken. Die Patienten in der Gruppe mit den hohen Dosen - zwischen 14.000 und 40.000 internationalen Einheiten (IE) täglich, umgerechnet drei bis acht Tropfen - hatten geringere Rückfallraten und ihre T-Zellen-Aktivität (2) ging deutlich zurück, verglichen mit der Gruppe, die niedrigere Dosen einnahm. (3) Ein Jahr darauf wies eine weitere Studie nach, dass sehr hohe Vitamin D-Gaben MS.Schübe um knapp 60 % verringern, verglichen mit einer Placebogruppe. (4) Woher stammt das Coimbra-Protokoll? Wie sich Vitamin D auf das menschliche Immunsystem auswirkt, beschäftigt den brasilianischen Neurologen Dr. Cicero Coimbra seit langem. „Es ist der wichtigste Regulator für die Aktivität des Immunsystems“, so erläutert der Professor an der Universität von São Paulo. „Mangelt es daran, so kann unser Körper tausende biologische Funktionen in den Zellen des Immunsystems nicht regulieren, d. h. stimulieren oder reduzieren.“ Schon ab 2001 setzte Coimbra Vitamin D bei Parkinson-Erkrankten hochdosiert ein, mit 10.000 internationalen Einheiten (IE) pro Tag. Der Multiplen Sklerose wandte sich Coimbra zu, weil sie die mit Abstand häufigste neurologische Erkrankung ist. Weltweit sollen fast drei Millionen Menschen betroffen sein, rund 250.000 allein in Deutschland. Coimbras Behandlungsprotokoll für MS sieht eine Dosis von von 40.000 bis 300.000 IE pro Tag vor, mit regelmäßigen Labortests, ärztlich überwachter Pflege, einer kalziumarmen Diät ohne jegliche Milchprodukte, einer Trinkmenge von mindestens 2,5 Litern pro Tag und unterstützenden Nahrungsergänzungsmitteln, die je nach Patient variieren. Dazu zählen Magnesium, Vitamin B2 und B12, Omega-3, das Spurenelement Chrompicolinat, Selen, die Ammoniumverbindung Cholin und Coenzym Q10. Auf seiner Website erklärt Coimbra: "Als wir mit Vitamin D anfingen und herausfanden, wie wirksam es ist, da trafen wir eine Entscheidung fürs Leben. Wir ließen die akademische Welt hinter uns - diese Sache mit den Medikamenten hier, den Medikamenten dort, den Markteinführungen von Medikamenten, den Tests neuer Medikamente und den angeblich zufriedenstellenden Ergebnissen. Wir legten das alles beiseite und dachten nur daran, was im Interesse des Patienten ist, der sich in diesem Moment in unserer Praxis befindet. (…) Das war sehr befriedigend." Ein Cochrane-Review über zwölf randomisierte kleinere Studien bis Herbst 2017, mit insgesamt 933 MS-Patienten fand „keine Evidenz“. (5) Seither brachten sieben weitere Studien enttäuschende bis widersprüchliche Ergebnisse. Allerdings war Prof. Coimbra an keiner davon beteiligt – er hätte sie wohl allesamt für mangelhaft befunden. Dass kontrollierte Studien überhaupt seinem Behandlungsprotokoll gerecht werden können, bezweifelt er (6): Schließlich sieht es für jeden Patient eine höchst individuelle Dosierung vor – nicht nur von Vitamin D, sondern auch von einer Vielzahl weiterer, aufeinander abgestimmter Supplemente. Zu den ersten deutschen Ärzten, die das Coimbra-Protokoll anwandten, zählt der Neurologe und Ernährungsmediziner Dr. Dirk Lemke aus dem hessischen Bensheim. Bei den ersten hundert MS-Kranken, die er damit behandelte, ermittelte er in einem einjährigen Beobachtungszeitraum hocherfreuliche, geradezu spektakuläre Ansprechraten, wie er im Herbst 2019 auf dem Kongress der Gesellschaft für evolutionäre Medizin und Gesundheit (EMG) referierte. (7) Bei allen hundert hatte Lemke eine Vielzahl von funktionellen Parametern erhoben, beispielsweise: Wie oft kann ein Betroffener den Oberschenkel auf 90 Grad anheben, wie oft im Sitzen das Knie strecken, wie oft und wie hoch den Fuß heben? Zieht er beim Treppensteigen ein Bein nach, oder schafft er es, die Stufen alternierenden Schritts zu nehmen? Welche Gehstrecke schafft er mit und ohne Stöcke? Wie viele Minuten kann er ohne Pause gehen? Wie steht es mit seinem Schwindel, seiner Spastik, Bewegungskoordination, Sensibilität? Daraus ermittelte der Arzt einen „Gesamtstatus“: Alles in allem schritt bei keinem einzigen Patienten die Erkrankung fort; fünf Prozent bestätigten einen teilweisen Stillstand, 95 Prozent sogar einen vollständigen. Dem entsprachen 50- bis 100%-ige Verbesserungen bei den einzelnen Parametern. Welcher konventionelle MS-Therapeut kann mit einer solchen Erfolgsbilanz auch nur annähernd mithalten? Hoffnung auch bei anderen Autoimmunkrankheiten Ebenso wirksam wie bei MS scheint das Coimbra-Protokoll die Symptome anderer fortschreitender Autoimmunkrankheiten zu lindern oder gar zu beseitigen – in 95 % aller Fälle, wie der Neurologe versichert. Im Jahr 2013 hatte er eine Studie über die Wirkung einer längeren hochdosierten Vitamin-D-Supplementierung bei neun Psoriasis- und 19 Vitiligo-Patienten durchgeführt. Sechs Monate lang erhielten sie täglich 35.000 IE, zusammen mit einer kalziumarmen Ernährung und hoher Flüssigkeitszufuhr. Der Zustand der Patienten verbesserte sich währenddessen deutlich, ohne dass es zu negativen Nebenwirkungen kam. (8) Auf der Coimbra-Website finden sich ebenfalls Hinweise darauf, wie positiv sich rheumatoider Arthritis, Lupus, Schuppenflechte und Morbus Crohn mit hochdosiertem Vitamin D beeinflussen lassen. Von den 5200 Patienten, die Coimbra bis 2016 behandelte, soll es bei sage und schreibe 95 % zu einer Totalremission gekommen sein. Mit solchen Erkenntnissen steht Prof. Coimbra nicht allein. Bereits im Jahr 2011 hatte eine Studie des Ohio State University Medical Center an 209 Patienten mit systemischem Lupus erythematodes festgestellt: Den meisten Teilnehmern mangelte es an Vitamin D. Je mehr davon im Blut war, desto weniger ausgeprägt waren die Lupus-Symptome. (9) Warum hilft ausgerechnet Vitamin D so effektiv bei Autoimmunerkrankungen? Prof. Coimbra sieht in ihm „den größten Regulator des Immunsystems“ - er „modifiziert die Funktion von Tausenden von Genen in jeder Zelle des Immunsystems. Es ist eine Substanz, zu der es keine vergleichbare Zweite gibt.“ Zum Vergleich: „Stellen Sie sich ein Hochhaus mit vielen Zimmern vor. Stellen Sie sich vor, dass Tausende von Türen in diesem Wolkenkratzer nur von einem einzigen Schlüssel geöffnet oder verschlossen werden können. Sie können diesen Wolkenkratzer mit jeder Zelle des Immunsystems zu vergleichen, und den Schlüssel mit Vitamin D. Ein Mangel an dieser einen Substanz resultiert in einer Katastrophe für das Immunsystem!“ Was genau macht Vitamin D im Immunsystem? Laut Prof. Coimbra „moduliert es dessen Aktivität im Allgemeinen. Und wir wissen, dass Vitamin D speziell die Art der immunologischen Reaktion unterdrückt, die Autoimmunerkrankungen hervorruft. Sie wird als „Th17-Reaktion“ bezeichnet. Praktisch alle Autoimmunerkrankungen sind durch eine solche abnormale Reaktion verursacht. Vitamin D ist, soviel ich weiß, die einzige Substanz, die in der Lage ist, selektiv diese spezielle Antwort zu hemmen, ohne dabei auch die anderen Reaktionen des Immunsystems zu beeinträchtigen.“ (10) Wer bietet das Coimbra-Protokoll an? Weltweit sollen schon mehr als 100.000 MS-Patienten nach dem Coimbra-Protokoll behandelt worden sein. Wie eine Karte auf CoimbraProtocol.com zeigt, folgen bereits weit über hundert Ärzte diesem Therapieansatz: nahezu 60 in Europa – 13 in Deutschland, 4 in Österreich, 2 in der Schweiz -, knapp 80 in Südamerika, rund 10 in Nordamerika. (11) Dass es nicht mehr sind, frustriert Ottwell. Aber ihre Zahl wird rasch zunehmen, da ist er zuversichtlich: "Wir wissen, dass Vitamin D Menschen heilt. Es absichtlich vorzuenthalten, wäre ein Kunstfehler", sagt er. "Ich habe MRTs gesehen, die wahre Wunder bewirken.“ Die Wahrheit werde sich herumsprechen und durchsetzen, früher oder später. Unter den Ärzten im „Auswege“-Therapeutennetzwerk hält auch der namhafte Ganzheitsmediziner Dr. Thomas Heintze Vitamin D für ein wichtiges Element eines effektiven, nachhaltigen MS-Therapiekonzepts. In seiner Praxis wird „Vitamin D nach Messung des aktuellen Spiegels individuell dosiert. (…) Nach aktuellen Studien verringert jeder Anstieg von Vitamin D um 20 ng/dl die (MS-)Schubrate um 50-70%, bis zu einem Spiegel von etwa 60 ng/dl. Deswegen empfehlen wir die Substitution von Vitamin D, bis ein Idealwert im oberen empfohlenen Bereich von 60-80 ng/dl erreicht ist.“ Zusätzlich verordnet Dr. Heintze Vitamin C und Vitamin E, Coenzym Q10, Alpha-Liponsäure, Zink, Calcium-EAP - EAP stabilisiert die Zellmembran, schützt die Myelinscheiden der Nervenzellen und ist bei etwa zwei Drittel der Patienten erfolgreich.“ Vorsichtshalber Je weiter entfernt vom Äquator Menschen leben, desto schwerer fällt es ihrem Körper, dank Sonneneinstrahlung ausreichend Vitamin D selbst zu bilden. Allein über die Nahrung lässt sich ein Defizit aber schwerlich ausgleichen. Täglich 800 IE aufzunehmen, erachtet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung als ausreichend; doch selbst so wenig allein aus Nahrungsmitteln zu beziehen, erfordert einen geradezu masochistisch konstruierten Speiseplan. Denn dazu müsste man 400 Gramm Makrele, vier Kilo Schweineschnitzel, 20 Hühnereier, 20 Liter Milch oder 600 Gramm Avocado verzehren. Einfacher wäre es mit reichlich fettem Fisch, Brie-Käse und Shiitake-Pilze, doch die sind nicht jedermanns Sache. Um die empfohlenen Einheiten zu erreichen, bieten sich Nahrungsergänzungsmittel und andere Präparate an. Aber wie viel ist noch unbedenklich, wie viel zuviel? „Eine physiologische, sichere Dosis von Vitamin D“, so stellt Prof. Coimbra klar, „liegt bei etwa 10.000 IE/Tag“, was zwei Tropfen bzw. 0,25 Milligramm entspricht. „Das ist die Menge, die unser Körper selbst produziert, wenn er 20 bis 30 Minuten in die Mittagssonne geht. Bei dieser Tagesdosis sind keine Vorsichtsmaßnahmen oder medizinische Überwachung erforderlich.“ Aber darf es auch weitaus mehr sein? Ist zuviel Vitamin D auf die Dauer denn nicht hochgefährlich? Gesundheitsbehörden und industrienahe Mediziner schüren Panik – groteskerweise, denn das Risiko, an den Nebenwirkungen eines Medikaments zu sterben, ist 62.000 Mal höher als bei Nahrungsergänzungsmitteln. Viele Wissenschaftler und erfahrene Ärzte geben längst Entwarnung: Inzwischen hat sich gezeigt, dass auch höhere Dosen Vitamin D sicher verabreicht werden können und sich positiv auswirken. Erst dann entfaltet sich sein gesamtes therapeutisches Potential. Im übrigen belegen neuere Untersuchungen, dass noch viel höhere Vitamin D-Gaben bis zu 60.000 I.E./Tag bei begleitender regelmäßiger Laborkontrolle des Kalzium- und Parathormonspiegels weder eine Hyperkalzämie noch anderweitige negative Effekte auslösten. (12) „Die“ ideale Dosis Vitamin D gibt es freilich nicht, so betont Coimbra. „Der angemessene Vitamin-D-Spiegel ist individuell.“ Beispielsweise kommt es auf das Körpergewicht an. Wird Vitamin D im Fettgewebe eingebunden, ist es nicht mehr verfügbar. Je höher der Body-Mass-Index (BMI), desto mehr Vitamin D sollte eingenommen werden. (13) Auch deshalb sollte kein Betroffener Alleingänge wagen, sondern unbedingt unter ärztlicher Aufsicht und Anleitung bleiben, begleitet von engmaschiger labortechnischer Kontrolle. Körperliche Besonderheiten, bestehende Grunderkrankungen und bereits laufende Therapien, eingenommene Arznei- und Nährungsergänzungsmittel müssen unbedingt berücksichtigt werden. „Jeder Fall ist einzigartig“, betont John Ottwell. Er nimmt viermal täglich eine Tablette mit der für ihn ermittelten optimalen Dosierung von Vitamin D sowie weitere auf ihn persönlich abgestimmte Supplemente. Täglich trinkt er zweieinhalb Liter Wasser, denn eine der Nebenwirkungen von hochdosiertem Vitamin D ist ein erhöhter Kalziumspiegel, der Osteoporose oder Nierensteine verursachen kann. Vierteljährlich lässt er sich Blut für Labortests abnehmen. Auf Risiken angesprochen, stellt Prof. Coimbra selbst klar: „Mögliche Nebenwirkungen der Einnahme hoher Dosen von Vitamin D über einen längeren Zeitraum sind ein Überschuss an Kalzium im Blut (Hyperkalzämie) oder im Urin (Hyperkalziurie) und ein Verlust an Knochenmasse. Ein Kalziumüberschuss lässt sich leicht durch eine Ernährung ohne Milchprodukte und kalziumhaltige Lebensmittel sowie durch regelmäßige Labortests vermeiden, die sicherstellen, dass der Kalziumspiegel unter Kontrolle bleibt. Um den Verlust von Knochenmasse zu vermeiden, werden die Patienten im Rahmen des Protokolls angewiesen, täglich aerobe Übungen zu machen, wie z. B. 30 Minuten schnelles Gehen. Diejenigen, die keine Aerobic-Übungen machen können, brauchen mit der Zeit möglicherweise Medikamente wie Bisphosphonate, um Osteoporose zu verhindern.“ Rare Gruselgeschichten, in denen reichlich Vitamin D irgendwann zu medizinischen Notfällen führte, kreisen fast immer um Patienten, die sich auf eigene Faust oder unzulänglich überwacht Überdosen über einen längeren Zeitraum verabreichten: etwa jener im Fachmagazin Swiss Medical Forum präsentierte 39-jährige MS-Kranke, der mit schwerer Hyperkalzämie und Niereninsuffizienz in eine Klinik eingewiesen werden musste, nachdem er mehrere Monate lang 100.000 Einheiten pro Tag geschluckt hatte. (14) Nebenwirkungen, auch bedrohliche, können beim Coimbra-Protokoll durchaus ab und zu vorkommen, sollten aber in Relation dazu gesetzt werden, was Pharmaprodukte in MS-Patienten anzurichten pflegen. (15) Zu den berüchtigten Begleiterscheinungen von Avonex-Injektionen zählen schwere Depressionen, Krampfanfälle, Leberschäden, allergische Reaktionen und Herzversagen. Natalizumab und Aletuzumab erhöhen das Risiko für eine Gehirnentzündung. Andere gehypte Hoffnungsträger rufen häufig hervor: Nesselsucht (Urtikaria), Gelenk- und Muskelschmerzen, verlangsamten oder rasenden Herzschlag, Ekzeme, Herpes, Entzündung der Magenschleimhaut, Unter- oder Überfunktion der Schilddrüse, verminderte Anzahl weißer Blutkörperchen und Lymphozyten. Gelegentlich, aber bestimmt häufiger als unerwünschte Coimbra-Nebenwirkungen, kommen bei gängigen MS-Arzneien vor: Makulaödeme, Polyneuropathien, ja sogar „anaphylaktische“, d.h. plötzliche, schwere, lebensbedrohliche allergische Reaktionen. Und worauf darf ein MS-Kranker hoffen, wenn er im unerschütterlichen Vertrauen auf die Schulmedizin solche Risiken und Torturen tapfer auf sich nimmt? Anders als beim „Coimbra-Protokoll“ fallen seine Schübe bestenfalls seltener, kürzer, milder aus, die Verschlechterung verliert an Tempo - doch weiterhin ist kein Pharma-Produkt imstande, ein Fortschreiten völlig zu verhindern oder gar umzukehren. Im übrigen hatten die muskulären Symptome jenes 39-jährigen Coimbra-Geschädigten nach eigenen Angaben immerhin deutlich nachgelassen; er könne besser gehen und ein regelmäßiges Fitnesstraining durchführen, so versicherte er. Längst ist John Ottwell nicht mehr der einzige MS-Betroffene, der öffentlich bezeugt, wie viel er Prof. Coimbras Ansatz verdankt. Dutzende eindrucksvolle Erfahrungsberichte und Danksagungen finden sich hier und hier. Über ihre achtjährigen Erfahrungen mit dieser Behandlungsweise berichtet Ana Claudia Domene in ihrem Buch „Multiple Sklerose und (viel) Vitamin D“ (16): „Jahr für Jahr bestätigen die bildgebenden Untersuchungen, dass ich die bestmögliche Entscheidung getroffen habe. Viele Läsionen sind einfach verschwunden; andere sind zwar immer noch da, wie Narben, aber es gab kein Fortschreiten der Krankheit. Überhaupt kein Fortschreiten! Diese Tatsache allein ist schon ein Grund zum Feiern. Meine tiefste Dankbarkeit gilt diesem Arzt, der sein Leben seinen Patienten gewidmet hat." Untrügliches Indiz dafür, wie segensreich das „Coimbra-Protokoll“ wirkt: Die industrienahe Wikipedia widmet ihm keine einzige Zeile. „Mit hohen Kosten verbunden“? Geradezu lächerlich mutet der Vorwurf an, das „Coimbra-Protokoll“ gebe es ja keineswegs umsonst. „Die ganze Prozedur ist mit hohen Kosten verbunden, die vom Patienten selbst getragen werden müssen“, bemängelt allen Ernstes der Neurologe Prof. Mathias Mäurer, Chefarzt im Klinikum Würzburg-Mitte. „Nach Internet-Recherche zahlt man im ersten Jahr 400 bis 1.000 Euro für die Laboruntersuchungen und die Behandlungsstunden bei sogenannten ‚zertifizierten‘ Ärzten; danach kann man mit Behandlungskosten zwischen 100 und 300 Euro/Jahr rechnen, die Aufwendungen für das Vitamin D selbst variieren zwischen 20 und 200 Euro pro Monat.“ Was der Professor unerwähnt lässt: Die Durchschnittskosten pro konventionell behandeltem MS-Patient belaufen sich auf 28.000 bis 63.000 Euro pro Jahr, je nach Schwere der Erkrankung. Eine Packung „Gilenya“ von Novartis, mit 98 Kapseln für drei Monate, ist nur für über 6300 Euro zu haben; für die Jahresdosis „Ocrevus“ von Roche sind 33.000 Euro zu berappen; für eine einzige 10-Milligramm-Tablette Mavenclad von Merck waren schon im Jahr 2017 sage und schreibe 2663 Euro aufzubringen. Hinzu kommen indirekte Kosten durch Pflege und Erwerbsminderungsrente. Einer Gesundheitswirtschaft, der es umso besser geht, je schlechter es uns geht, eröffnen langwierige, quälend langsam fortschreitende Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose eine wahre Goldgrube. Genesene wie Tote hingegen sind unprofitabel. Lieber nicht eingleisig fahren Zumindest in Dr. Heintzes Praxis eröffnet Orthomolekulare Medizin – nicht nur mit Vitamin D, wie erwähnt – keineswegs den Königsweg bei der MS-Behandlung. Sie bietet eines von mehreren bewährten Werkzeugen, die je nach Patient mehr oder minder aussichtsreich sind. Der weise Pragmatiker wählt und kombiniert sie undogmatisch. So setzt Heintze bei Multipler Sklerose von Fall zu Fall unter anderem auch auf Akupunktur, Homöpathie, Eigenbluttherapie, Phytotherapie, Bewegungstherapie, Neuraltherapie. Was Ottwell gesund machte, muss nicht jeden erlösen, der seine Diagnose teilt. Wer kann schon von vornherein ausschließen, dass er zu jenen fünf Prozent gehört, bei denen selbst Prof. Coimbra höchstpersönlich scheitert? Nirgendwo in der Medizin sind Allheilmittel für jedermann zu haben. Auch beim Gesundwerden führen viele Wege nach Rom (17) – und kaum weniger ins Nirgendwo, sofern man nicht frühzeitig kehrtmacht, um sich neu zu orientieren. Bei MS, wie überhaupt in der Heilkunde, ist sturer Methodenfetischismus öfter verhängnisvoll als zielführend. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 Zit. nach Epoch Times, “A Simple Protocol Is Stopping the Progression of MS”, 27.8.2022, https://www.theepochtimes.com/health/a-simple-protocol-is-stopping-the-progression-of-ms_4676266.html?utm_source=brightnoe&src_src=brightnoe&utm_campaign=bright-2023-04-05&src_cmp=bright-2023-04-05&utm_medium=email&est=mG5ZhG50rVeSG9MHo9L9PNSY5Es7Iz4hhKLnAyVkE1LdmR146J%2FqJCKMH3FvZM96FUa9Whs%3D 2 Bestimmte T-Zellen des Immunsystems beeinträchtigen die myelinbildenden Zellen. Darüber hinaus richten sie„Kollateralschäden“ bei Nervenzellen oder deren Fortsätzen an. Siehe https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/pressemitteilungen/single/news/multiple-s-1/ und die dort genannten Quellen. 3 Jodie Burton: “Is Vitamin D a Ray of Hope for Patients With MS?” Neurology Reviews 7;17.7 (2009), S. 1-16, https://www.mdedge.com/neurology/article/72716/multiple-sclerosis/vitamin-d-ray-hope-patients-ms 4 Jodie Burton u.a.: „A phase I/II dose-escalation trial of vitamin d3 and calcium in multiple sclerosis“, Neurology 74 (23), Jun. 2010, S. 1852-1859, doi: 10.1212/WNL.0b013e3181e1cec2. Epub 2010 Apr 28, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20427749/ 5 Jagannath, V.A. et al.: Vitamin D for the management of multiple sclerosis. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Okt. 2017; https://a-turl.de/9trm 6 D. Rotter: „Vitamin D – Heilmittel für MS und Autoimmunerkrankungen? Interview mit Dr. Coimbra über hochdosiertes Vitamin D für Multiple Sklerose und andere Autoimmunerkrankungen“, ohne Datum; https://www.vitamind.net/interviews/coimbra-ms-autoimmun/ 7 https://www.youtube.com/watch?v=4orV6qtc_6s, https://www.youtube.com/watch?v=3zXpKT0APwg&t=5s (ib. ab 24:30 und 28:20) 8 Danilo C. Finamor: „Coimbra. A pilot study assessing the effect of prolonged administration of high daily doses of vitamin D on the clinical course of vitiligo and psoriasis.” Dermato-Endocrinology 5 (1) 2013), S. 222–234. 9 C.C. Mok/Brad H. Rovin u.a.: „Vitamin D Deficiency As Marker for Disease Activity and Damage in Systemic Lupus Erythematosus“, Lupus 21(1) 2012, S. 36-42, doi: 10.1177/0961203311422094. Epub 2011 Oct 12, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21993384/ 10 Siehe https://www.vitamind.net/interviews/coimbra-ms-autoimmun/. In diesem Interview erläutert Prof. Coimbra medizinische Einzelheiten. 11 Stand: Ende Juli 2023. 12 P. McCullough/J. Amend: „Results of daily oral dosing with up to 60,000 international units (iu) of vitamin d3 for 2 to 6 years in 3 adult males“, The Journal of Steroid Biochemistry and Molecular Biology 173, Oktober 2017, S. 308-312, doi: 10.1016/j.jsbmb.2016.12.009. Epub 2016 Dec 21, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28012936/ 13 https://www.youtube.com/watch?v=U93z9MleSkk, Min. 27:30 14 https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2020.08365; weiterer Fall: A. Frei u.a., Swiss Medical Forum 2018; 18: 885-8; s. auch https://www.arznei-telegramm.de/html/2023_04/2304030_01.html, https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/hoch-dosiertes-vitamin-d-gefaehrdet-nicht-nur-ms-patienten 15 Siehe z.B. https://www.jphres.org/de/ratgeber/medikamente-multipler-sklerose-hilfe/ 16 Ana Claudia Domene: Multiple Sclerosis and (lots of) Vitamin D: My Eight-Year Treatment with The Coimbra Protocol for Autoimmune Diseases (2016), https://www.amazon.de/-/en/Ana-Claudia-Domene/dp/1519165315 17 Mehrere Beispiele https://www.stiftung-auswege.de/diagnosen/m/multiple-sklerose-ms.html aus der Online-Fallsammlung https://www.stiftung-auswege.de/veranstaltungen/diagnosen.html meiner Stiftung Auswege https://www.stiftung-auswege.de/ bestätigen dies. Titelbild: Engin_Akyurt/Pixabay Wichtig: Bitte beachten Sie den Abschnitt „Haftungsausschluss und allgemeiner Hinweis zu medizinischen Themen“ auf der KLARTEXT-Unterseite „Impressum“, https://www.klartext-online.info/impressum
- Gruselig: Plastikgift im Hirn
Fünf Gramm Mikroplastik gerät pro Woche in unseren Körper. Binnen zwei Stunden nach Aufnahme dringen die Partikel ins Gehirn. Was richten sie dort an? Eine neue Studie weckt schlimmste Befürchtungen. Nein, sie stecken nicht mehr nur in Fischmägen, in Regentropfen, im ewigen Eis der Arktis. Sie sind allgegenwärtig, unentrinnbar. Wir atmen sie ein, wir trinken sie, wir essen sie, sie durchdringen unsere Haut: Unser Organismus verkommt zunehmend zum Müllcontainer für unverwüstliche Zerfallsprodukte der Kunststoffindustrie. Fünf Gramm Mikroplastik nehmen wir pro Woche ungewollt auf – ungefähr so viel wiegt eine Kreditkarte. Die meisten dieser Partikel tummeln sich im Nanometerbereich, zwischen 1 und höchstens 1000 nm. 1 nm: das entspricht zehn nebeneinanderliegenden Wasserstoffatomen. Ein Bakterium ist tausend Mal größer. Im Vergleich dazu hat eine Nadelspitze gigantische Ausmaße: Sie misst 1 Million Nanometer. Was richten diese Winzlinge in uns an? Mikroplastik lässt sich in unserem Urin und Kot nachweisen. (1) Deshalb beeilten sich industrienahe Experten, Entwarnung zu geben: Offenbar scheiden wir das Zeug unverdaut wieder aus, ähnlich wie Ballaststoffe, Samenschalen und Fruchtkerne. Dass Mikroplastik in unseren Exkrementen auftaucht, bedeutet freilich keineswegs, dass es nicht auch woanders steckt. Und das tut es leider, wie uns immer mehr Studien beängstigend klar vor Augen führen. Im Nanoformat wandert es in uns überall hin. Binnen zwei Stunden im Gehirn Koordiniert von Medizinern der Universität Wien, hat ein internationales Forscherteam soeben Kunststoffpartikel in den Gehirnen von Mäusen entdeckt - nur zwei Stunden nachdem die Tiere plastikhaltiges Trinkwasser zu sich genommen hatten. Zuvor war es mit Nanopartikeln aus Polystyrol versetzt worden, einer Plastiksorte, die in Lebensmittelverpackungen wie Joghurtbechern und Styroporbehältern vorkommt. Mit Computermodellen verfolgten die Wissenschaftler anhand von Fluoreszenzsignalen, wie sich die Kunststoffpartikel verteilten, die sie zuvor mit Farbstoffen markiert hatten. Es zeigte sich, dass die Nanoteilchen über einen bis dahin weitgehend unbekannten biologischen "Transportmechanismus" in die Gehirne der Mäuse gelangen. Dabei lassen sich die Winzlinge von Cholesterinmolekülen absorbieren, die auf der Oberfläche der Gehirnmembran sitzen. So verstaut in kleinen Lipidpaketen, durchbrechen sie die Blut-Hirn-Schranke - eine organische Barriere aus Blutgefäßen und Gewebe, die das Gehirn gewöhnlich vor Giftstoffen und anderen schädlichen Substanzen schützt. Einmal im Gehirn, „könnten Plastikpartikel das Risiko für Entzündungen, neurologische Störungen oder sogar neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson erhöhen“, so befürchtet der Pathologe Lukas Kenner, einer der beteiligten Forscher. Gibt es irgendeinen zwingenden Grund zu glauben, dass dies nur für Mäusehirne gilt, nicht für menschliche? Ganz so originell, wie Medien sie darstellen, sind die Wiener Erkenntnisse allerdings nicht. Schon im Februar 2022 berichteten koreanische Forscher, dass Plastikpartikel kleiner als zwei Mikrometer die schützende Blut-Hirn-Schranke durchdrangen. Nach wenigen Tagen hatten sie sich insbesondere in den Mikrogliazellen angereichert, welche die Immunabwehr des zentralen Nervensystems bilden. Dort lösten die Kunststoffzwerge vermehrt Entzündungen und Zellschäden aus, bis zur Apoptose: Abwehrzellen starben ab. Schon seit längerem ist bekannt, dass eine Störung des Mikrogliazellen-Systems neurologische Erkrankungen begünstigen und verschlimmern kann, beispielsweise Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose. Im Bezug auf das Mikroplastik verheißt das nichts Gutes. Um näher zu untersuchen, was Kunststoff in den Mikrogliazellen anrichtet, gaben die Forscher Mikroplastikteilchen in Zellkulturen mit menschlichen Mikrogliazellen. Rasch reicherten sich die Partikel in den Zellen an - und begannen diese zu verändern. Zunächst wuchsen die Zellen langsamer, teilten sich weniger und produzierten Entzündungsmarker, sogenannte Zytokine. Vermehrt setzte Zelltod ein. Auch eine Anfang 2022 veröffentlichte chinesische Studie war zu dem Schluss gekommen, dass eingeatmeter Kunststoff mit "offensichtlicher Neurotoxizität" verbunden ist: „Polystyrol-Nanopartikel mit einer Größe von 80 nm können das Gehirn von Mäusen durch Inhalation von Aerosolen erreichen und sich dort ablagern. Mäuse, die sie einatmen, zeigen im Vergleich zu denen, die Wassertröpfchen inhalieren, weniger AChE-Aktivitäten“. Ihr Verhalten veränderte sich daraufhin deutlich. AChE steht für Acetylcholinesterase: ein Enzym, das äußerst wichtig für die Funktion der Synapsen von Nervenzellen ist, indem es den Neurotransmitter Acetylcholin in seine Grundbausteine zerlegt. Es wirkt vor allem im Zentralnervensystem, in der Muskulatur und im vegetativen Nervensystem. Überall im Körper Nicht nur das Gehirn ist plastikverseucht – Mikroplastik wandert durch den gesamten Körper. Alle Organe sind betroffen. Forscher der University of Hull fanden Mikroplastik im Lungengewebe von 11 (aus 13) Menschen, die sich einer Operation unterzogen. „Wir hätten erwartet, dass Partikel dieser Größe herausgefiltert oder zurückgehalten werden, bevor sie so tief in die Lunge gelangen", kommentiert Dr. Laura Sadofsky, Hauptautorin des Forschungsberichts. Einige der gefundenen Partikel waren so klein wie 0,003 Millimeter. Das am häufigsten gefundene Mikroplastikteilchen war Polypropylen, das häufig in Plastikverpackungen, Textilien, Spritzen und Küchenutensilien verwendet wird. Im Gewebe wurden 12 verschiedene Arten von Mikroplastik gefunden: elf im oberen Teil der Lunge, sieben im Gewebe des mittleren Teils und 21 im unteren, dem tiefsten Teil. Schon im Jahr 1998 hatten Wissenschaftler bei Lungenkrebspatienten in den USA Plastikfasern in mehr als hundert Gewebeproben entdeckt; 97 Prozent der krebsbefallenen Proben enthielten die Fasern, wie auch 83 % des tumorfreien Gewebes. Auch in unserem Blut treibt Mikroplastik. Eine niederländische Studie spürte es darin bei 77 % aller getesteten Personen auf. Die durchschnittliche Konzentration von Plastikpartikeln betrug 1,6 Mikrogramm - tausendstel Milligramm - pro Milliliter Blut. In einigen Blutproben fanden sich bis zu drei verschiedene Arten von Plastik. Jede zweite enthielt Polyethylenterephthalat (PET), das zur Herstellung von Wasser- und Limonadenflaschen verwendet wird; in einem Drittel steckte Polystyrol, das häufig in Lebensmittelverpackungen vorkommt; ein Viertel wies Polyethylen auf, mit dem Plastiktüten produziert werden. Frühere Studien wiesen mikroskopisch kleine Plastikpartikel im Plazentagewebe nach. Beunruhigend ist, dass Säuglinge bis zu zehn Mal mehr Plastik in ihren Fäkalien haben als Erwachsene. Eine finnische Forschergruppe setzte Darmzellen 48 Stunden lang Polyethylen-Partikeln aus. Vermehrt produzierten sie daraufhin reaktive Sauerstoffspezies (ROS): äußerst reaktionsfreudige Moleküle, die oxidative Schäden in der Zelle anrichten können, einschließlich ihrer DNA. Dies war vor allem in den Mitochondrien festzustellen, den „Kraftwerken“ der Zelle, die einen Großteil der Energie produzieren, die unser Organismus lebenswichtig benötigt. Ihre Funktionsstörungen können vielerlei chronische Erkrankungen nach sich ziehen, von Muskelschwäche über Sehstörungen bis zu Epilepsie. Tierversuche nähren schlimmste Befürchtungen Längst bestätigen Tierstudien, wie sich Mikroplastik im Körper verbreitet und anreichert. In den Körpern von Versuchstieren stießen Forscher auf die größten Mengen jeweils im Magen-Darm-Trakt, jedoch auch in Blut, Lymphe und sogar in der Leber. Die dramatischen Folgen einer MP-Exposition zeichnen sich erst in Umrissen ab. So wurden in einer Studie trächtige Ratten über die Lunge 20 nm großen Nanopolystyrolkügelchen ausgesetzt. Vierundzwanzig Stunden später fanden sich die Partikel in der Lunge, dem Herzen, der Milz und der Plazenta der Mutter sowie in Leber, Lunge, Herz, Niere und Gehirn des Fötus. Wie wirkt sich die Exposition im Mutterleib aus? Fötus und Plazenta weisen ein geringeres Gewicht auf, Herz-Kreislauf-Störungen häufen sich, bei den Nachkommen werden neurologische Funktionen sowie die Fortpflanzung beeinträchtigt. Bei Fischen, Fröschen, Meeresschnecken, Vögeln und Alligatoren verringerte Mikroplastik-Exposition die Testosteronproduktion. Sie führte zu Missbildungen an Fortpflanzungsorganen, zu weniger Eizellen, zu weniger, langsameren und verspätet reifen Spermien, zu weniger Nachwuchs. Männliche Versuchstiere „feminisierten“: Sie entwickelten „weibliche“ Verhaltensweisen, woraufhin Artgenossinnen sie mieden. Wo kommt das Zeug her? In den Weltmeeren schwimmen im Schnitt 13.000 Mikroplastik-(MP-)Teilchen pro Quadratkilometer an der Oberfläche – inzwischen sollen es 170 Billionen sein, was wohl immer noch krass untertrieben ist -, ein Hundertfaches befindet sich darunter. Bis 2050 könnten unsere Ozeane mehr Plastik als Fische enthalten. In manchen Meeren überstieg das Plastik schon im Jahr 2006 das Plankton um das Sechsfache. Unter Lichteinwirkung zerfällt es in immer kleinere Fragmente, die sogenannten „Tränen von Meerjungfrauen“ (mermaid tears) oder „nurdles“, die wie Schwämme für giftige Chemikalien wirken. Filtrierer nehmen sie auf, die ihrerseits von größeren Meeresorganismen gefressen werden. In deren Körpergewebe lagern sie sich ab. Beim Verzehr von belasteten Fischen wandern die Toxine in der Nahrungskette aufwärts, bis sie in einem Endlager namens Mensch landen. Noch stärker belastet als Meere sind Flüsse und Seen. Der Rhein transportiert pro Tag rund 200 Millionen MP-Partikel, zehn Tonnen pro Jahr – allein an der Oberfläche. Der Bodensee weist 61.000 MP pro Quadratkilometer auf, der Genfer See 220.000. Unbelastete Gewässer gibt es nicht mehr. Werden sie zum Bewässern von Agrarflächen und zur Trinkwassergewinnung angezapft, öffnen sich weitere Schleusen für unsere Mikroplastikverseuchung. Auf europäischem Ackerland landen pro Jahr 63.000 bis 430.000 Tonnen Mikroplastik. In den obersten fünf Zentimetern von Schweizer Auen liegen 53 Tonnen MP. Klärschlamm, der auch zu Dünger weiterverarbeitet wird, enthält bis zu 24.000 Teilchen je Kilo Trockenmasse. In einer Tonne Kompost stecken bis zu 440.000 MP-Partikel. Der organische Abfall aus Privathaushalten, Handel und Gastronomie, den Biogas-Anlagen und Müllentsorger zu Kompost verarbeiten, ist mit Kunststoffresten verunreinigt, z.B. durch zerschredderte Mülltüten; teilweise wird der Kompost mit Kunststoff-Granulat „angereichert“. Entsprechend verseucht ist das Futter von Nutztieren. (2) Alle 12 untersuchten Proben von Futterpellets und geschreddertem Futter erwiesen sich als plastikhaltig. Schuld daran sind nicht die Landwirte, sondern die Hersteller. Einen Großteil der ehemaligen Lebensmittelprodukte, auch aus Supermärkten, die sie sich anliefern lassen, verarbeiten sie samt Verpackungen; diese gründlich herauszusortieren, ist ihnen zu aufwändig. Wen wundert es da noch, dass 100 % aller untersuchten Schweine und Kühe Mikroplastik im Blut hatten? Vier von fünf getesteten Fleisch- und Milchprodukten erwiesen sich als MP-verunreinigt. Gleiches gilt für so gut wie alle Nahrungsmittel. Wer viel Fisch isst, verleibt sich allein aus dieser Quelle 11.000 MP-Fragmente pro Jahr ein. In Salz wurden bis zu 700 MP pro Kilo gefunden; handelsübliche Zucker wiesen 100-350 Kunststofffasern und 30-40 Frsgmente pro Kilo auf. Alle 19 untersuchten Honigproben enthielten 40-660 MP pro Kilo. Ebenso plastikverseucht ist unser Trinkwasser. Eine größere Kläranlage, die mehr als 250.000 Kubikmeter Wasser pro Tag reinigt, entlässt rund 65 Millionen Mikroplastik-Teilchen in natürliche Gewässer – täglich. In Europa schwimmen in jedem Liter Leitungswasser vier bis fünf MP-Teilchen. Kein Wasserwerk, sondern erst eine eigene hochwertige Filteranlage ermöglicht es Privathaushalten, dieses Gesundheitsrisiko weitestgehend zu bannen. (Siehe KLARTEXT: „Wer gesundes Wasser will, muss filtern“.) Selbst jeder Atemzug ist kunststoffhaltig. Auf eine Großstadt wie Paris fallen pro Jahr drei bis zehn Tonnen Mikroplastik; pro Tag bis zu 355 Synthetikfasern auf jeden Quadratmeter. Pro Kubikmeter „frische“ Luft saugen wir 30 herumschwebende MP-Partikel pro Stunde durch Nase und Mund ein – über eine Million pro Jahr. Besonders belastet ist die Luft in Innenräumen. Allein während einer 20-minütigen Mahlzeit sinken mehrere hundert auf unsere Teller; pro Jahr verschlucken wir beim Essen auf diese Weise rund 125.000 – zusätzlich zu jenen, die schon in den verzehrten Nahrungsmitteln stecken. Eine Liste des Fraunhofer-Instituts benennt die Hauptquellen der allgegenwärtigen, unentrinnbaren MP-Umweltverschmutzung. Mit weitem Abstand führt der Abrieb von Autoreifen, Straßenbelag und Fahrbahnmarkierungen, gefolgt von ungefilterten Nebenprodukten der Abfallentsorgung, Verlusten bei der Kunststoffproduktion, Verwehungen von Sport- und Spielplätzen, der Freisetzung auf Baustellen, dem Abrieb von Schuhsohlen. Wie vergiftet uns Mikroplastik? Die teuflischen Plastikzwerge der Konsumgesellschaft stellen für unsere Gesundheit eine dreifache Bedrohung dar: (1.) als Störenfriede: Aufgrund von besonderen biophysikalischen Eigenschaften im Mikro- und Nanobereich - Größe, Form, Oberflächenbeschaffenheit, Ladung u.a. - beeinträchtigen sie überall im Körper biologische Prozesse. (2.) als Giftspritzen: Sie setzen in uns toxische Zusätze frei. In vielen Kunststoffen stecken Weichmacher. In ihrer chemischen Struktur ähneln sie natürlichen Hormonen wie dem weiblichen Sexualhormon Östrogen, dem männlichen Sexualhormon Androgen und Schilddrüsenhormonen. Als „endokrine Disruptoren“ beeinträchtigen sie die Entwicklung, die Fortpflanzung, die neurologischen Funktionen, den Stoffwechsel, das Sättigungsgefühl und die Immunfunktion. Bisphenol-A (BPA) zum Beispiel ist dafür bekannt, dass es die Embryonalentwicklung stört und mit Herzkrankheiten und Krebs in Verbindung gebracht wird. Phthalate regulieren die Genexpression und können Herzkrankheiten und Genitalanomalien verursachen - vor allem bei kleinen Jungen -, die womöglich über mehrere Generationen vererbt werden. DEHP wird mit einer verminderten Spermienzahl und mehrerlei Organschäden in Verbindung gebracht. (3.) als „Taxis“ für weitere Pathogene aller Art. In uns fungieren die Plastikwinzlinge nämlich als Magnete - sie ziehen Schadstoffe an: Spuren von Brandschutzmitteln; DDT und andere Insektizide; Medikamentenrückstände; Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Chrom, Arsen, Zink, Quecksilber, Nickel; Viren und Bakterien. Angedockt an die Kunststoffteilchen, lassen sie sich einschleusen. Für kleinste Kunststoffteilchen gibt es möglicherweise keine sichere Expositionsmenge. Selbst wenn sich der Gesetzgeber irgendwann dazu durchringen sollte, „Grenzwerte“ für Mikroplastik-Belastungen festzulegen – sie wären bloß ein dürftiges Placebo, damit Konsumenten sich weiter in Sicherheit wähnen und Ruhe bewahren. (Siehe KLARTEXT: „Der Grenzwert-Schwindel“.) Gleiches gilt für bisherige und angedachte Gegenmaßnahmen: Müllvermeidung, mechanisches Entfernen, Bekämpfung mit Bakterien, alternative Materialien in Produkten könnten bestenfalls die künftige Kunststoffschwemme verringern. Aber sie reinigen nicht unsere schon durch und durch mikroplastikverseuchte Lebenswelt, unsere landwirtschaftlichen Böden, unsere Meere, unsere Luft - zur klammheimlichen Schadenfreude der Gesundheitswirtschaft. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Weitere Aspekte erörtere ich im KLARTEXT „Mikroplastik in uns: eine Zeitbombe“. (1) /pii/S0160412022001258?via%3Dihub#f0005; https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/mikroplastik-mensch-1.4181146 Eine österreichische Studie fand bei acht erwachsenen Versuchspersonen aus mehreren Kontinenten pro zehn Gramm Darminhalt 20 Partikel von neun verschiedenen Kunststoffarten, 50 bis 500 Mikrometer klein. Siehe Süddeutsche Zeitung, 24.10.2018: „Plastik im Bauch“. (2) https://interestingengineering.com/science/microplastics-in-meat-milk-and-blood-of-farm-animals, https://www.plasticsoupfoundation.org/en/2022/07/80-of-cow-and-pig-meat-blood-and-milk-contains-plastic/
- Wann lernen Kinder endlich, gesund zu leben?
Um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen steht es immer schlechter. Ein bildungspolitisches Versagen ohnegleichen trägt dazu bei. Wer hat es zu verantworten? Wem nützt es? Um es zu beheben, tun Schulen viel zu wenig - mit dürftigen Ausflüchten. “Wir müssen uns eingestehen, dass wir ganz katastrophal versagt haben. Wir als Gesellschaft”, wetterte eine Schulleiterin am 4. Mai 2023 im TV-Talk “Markus Lanz”. “Das muss ich so deutlich sagen. Wir haben ein Problem vor der Brust, das man nicht mehr verharmlosen kann. Wir sind in einer absoluten Bildungsnotstands-Katastrophe angekommen.” Deshalb forderte sie “strenge Maßnahmen seitens der Politik”. Was die streitbare Pädagogin anprangerte, waren steigende Internetkriminalität, eine zunehmende Verrohung sowie die immer weiter sinkende moralische Hemmschwelle bei handysüchtigen Kindern. Ebenso gut gepasst hätte ihre Anklage freilich auf einen anderen, nicht minder katastrophalen Notstand: den himmelschreienden Mangel an Gesundheitskompetenz. Ihrer Handysucht frönt unser Nachwuchs nämlich vorzugsweise als bewegungsfaule Couch Potatoes, bei einer Tüte Chips, Pizza oder Burger mit Pommes, dazu einem Softdrink. Eltern und Lehrer, die dabei tatenlos zusehen, eröffnen Kindern frühzeitige Karrieren als Chroniker, die sie über kurz oder lang medikamentenabhängig und pflegebedürftig machen werden – belastet durch Zivilisationskrankheiten wie Adipositas, Fettleber, Arteriosklerose, Bluthochdruck und Diabetes mellitus, zur klammheimlichen Freude der Gesundheitsindustrie. Wo bleiben Talksendungen hierüber? Ein Trauerspiel namens Gesundheitserziehung Ein Schulfach „Ernährung“ sei „nicht nötig“, so befanden der gelernte Bankkaufmann Jens Spahn, einst Bundesgesundheitsminister, und seine damalige Kabinettskollegin, die ehemalige Religionslehrerin Julia Klöckner, im November 2018 in einer gemeinsamen Erklärung. (1) Was dieses peinliche Inkompetenz-Team von sich gab, ist, zurückhaltend bewertet: sch…ade. Mit Hilfe zur gesundheitlichen Selbsthilfe kann ein wahrhaft fürsorglicher Staat eigentlich gar nicht früh genug beginnen. Denn die Weichen für Verhaltensmuster, die chronische Erkrankungen fördern oder vermeiden helfen, werden in der frühen Kindheit gestellt: auch, aber nicht nur durch falsche Ernährung. Deshalb müsste Gesundheitserziehung schon in Kitas und Kindergärten stattfinden, spätestens aber von der ersten Schulklasse an – nicht am Rande, sondern als Hauptfach. Am besten, sie verwandelt fächerübergreifend jede Bildungsanstalt von Grund auf. Ein neuer Geist tut not. Denn gesund zu bleiben, ist auf dem weiteren Lebensweg unserer Kinder die wichtigste, grundlegende Voraussetzung dafür, jegliches erworbene Schulwissen erfolgreich umzusetzen. Anbauen und ernten, einkaufen und zubereiten, Nahrungsmittelangebote beurteilen und hinterfragen: Ist die Fähigkeit dazu etwa weniger (über)lebenswichtig als Gedichtanalyse und Integralrechnen? Wem die Dringlichkeit nicht einleuchtet, der sollte sich während Großer Pausen auf Deutschlands Schulhöfen umschauen. Schon jedes fünfte Kind ist offensichtlich übergewichtig, fast jedes Zehnte hat die Grenze zur Adipositas überschritten. Jedes sechste Kind und jeder vierte Jugendliche weist bereits eine chronische Grunderkrankung auf, die länger als ein Jahr dauert. (2) Bei weitaus mehr Minderjährigen liegen latente Mängel und Belastungen vor, die sich zwar noch nicht in Symptomen bemerkbar machen, aber früher oder später mit Sicherheit dazu führen werden, falls weiterhin nicht gegengesteuert wird. Unter Medizinern ist der Radiologe Prof. Dietrich Grönemeyer, älterer Bruder des Sängerstars Herbert, der bekannteste Fürsprecher eines „Verstehens des eigenen Körpers von der Kindheit an“. Mit einer 2007 gegründeten Stiftung, die seinen Namen trägt, setzt er sich vehement für Gesundheitsunterricht in den Schulen ein – „denn bei den Erwachsenen ist es meistens zu spät“. (3) Eine frühzeitige gesundheitliche Aufklärung, so glaubt er felsenfest, könne das Gesundheitssystem finanziell entlasten und Volkskrankheiten eindämmen. Neu sind solche Forderungen beileibe nicht. Leser des Pädagogischen Beobachters, des Zürcher „Wochenblatts für Erziehung und Unterricht“, fanden schon in der Ausgabe vom 19. Februar 1876 ein Plädoyer für die „Aufnahme der Gesundheitslehre als selbstständiges Fach“. Dies dürfe nicht „als ungebührliche Einmischung der Ärzte in das Gebiet der Pädagogik“ missverstanden werden. Vielmehr diene es dem „Kampf gegen tiefwurzelnde Schäden und eingerostete Vorurtheile“. (4) Über ein Jahrhundert später, 1997, erhob die WHO in ihrer „Jakarta-Erklärung“ Gesundheit zu einem grundlegenden Menschenrecht. Daran anknüpfend, verabschiedete Deutschlands Kultusministerkonferenz im November 2012 die "Empfehlung zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule": Ziel einer guten Schule müsse es sein, Gesundheitsressourcen und -potenziale zu erhalten und zu stärken. Gesundheitsförderung sei ein „lebenslanger Prozess und unverzichtbares Element einer nachhaltigen Schulentwicklung“. Doch seit eh und je verhindern politisch Verantwortliche, dass plausiblen Ideen und hehren Vorsätzen endlich entschlossene Taten folgen. Ihre nachhaltige Blockadehaltung gegenüber dem „Unverzichtbaren“ rechtfertigen sie mit den immergleichen sechs Argumenten, eines dürftiger als das andere. Sechs klägliche Ausflüchte 1 Wo kämen wir denn hin, so fragen Skeptiker, wenn alle neuen Fächer, die irgendwem irgendwie sinnvoll erscheinen, Einzug in die Schule halten würden? Nicht einmal 48-Stunden-Tage würden ausreichen. Ein Fach „Alltagswissen“ könnte Kindern klarmachen, wie man ein Bankkonto eröffnet, seine Steuererklärung erstellt, eine Versicherung und einen Mietvertrag abschließt, den Rechtsweg beschreitet. Unterricht in „Benehmen“ wünschen sich 75 Prozent der Deutschen, jeder Zweite ein Pflichtfach „Wirtschaft“. „Viele Fächer resultieren aus dem Partikularinteresse von Verbänden oder Institutionen“, gibt Die Zeit zu bedenken. „Der Verbraucherverband Bundeszentrale hält natürlich Verbraucherbildung für ziemlich brauchbar. Das Rote Kreuz meint, Erste Hilfe solle gelehrt werden. Der Plattdeutschverein setzt sich natürlich für Plattdeutsch ein, und der Verein ‚Optimisten für Deutschland‘ hält das Unterrichten in Glück für unabdingbar.“ (5) Die dürftige Logik dieses Arguments teilen Leute, die grundsätzlich nicht spenden: „Ich kann nicht jedem helfen – also helfe ich keinem.“ Auch wenn ich nicht jede Not lindern kann: Sollte ich nicht zumindest die folgenschwerste angehen? In Umfragen nimmt Gesundheit unter den wichtigsten Werten den Spitzenplatz ein, noch vor Familie und Erfolg. Darf, muss sich diese Gewichtung nicht gerade im Kultusbereich vehement niederschlagen? 2 Gesundheitserziehung sei Sache des Elternhauses, so heißt es – ebenso wie die Erziehung zur Körperhygiene, zu selbstständigem Anziehen, zur Aggressionskontrolle, zu grundlegenden sozialen Fähigkeiten wie Umgangsformen und Empathie. Nun auch noch diese Aufgaben übernehmen zu müssen, überfordere die Schule. Sie „kann nicht reparieren, was zuvor schon kaputt gemacht worden ist", wie ein Sprecher des sächsischen Kultusministeriums erklärte. (6) Genauso sehen das Lehrerverbände: „Wir sind es leid, für alle Defizite der Familie geradezustehen - gleiches gilt für die Jugendgewalt. Gesunde Ernährung bleibt der Job des Elternhauses.“ (7) Die Schule sei „kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen“. (8) Fakt ist: Daheim findet Gesundheitserziehung immer seltener statt. Kinder lernen am Modell. Welche Vorbilder bieten Eltern, bei denen regelmäßig Fast Food und Softdrinks, Tiefkühl- und Fertigprodukte auf den Tisch kommen, allabendlich vor dem Fernseher Nasch- und Knabberzeug bereitliegen? Die Emanzipationsbewegung hat der Frau Selbstverwirklichung im Beruf ermöglicht – und Haushalten die Person genommen, die fürs sorgfältige Planen von Mahlzeiten, fürs gewissenhafte Einkaufen, fürs frische Zubereiten zuständig war. In immer weniger Familien wird gekocht. Kaum jemand hat noch Zeit dafür oder nimmt sie sich, kaum einer kann es noch wie einst die Oma. Immer mehr Erwachsene weisen erschütternde Wissenslücken auf, was Zubereitung, Herkunft und Vielfalt von Lebensmitteln betrifft. Den modernen Haushalt kennzeichnen Mikrowelle und Tiefkühltruhe, industrielle Fertiggerichte, flinke Lieferservices und hastiges Eating on the Run. Mit ihrer Ess- und Kochkultur verlieren nachfolgende Generationen die Fähigkeit, sich selbstbestimmt und ausgewogen zu ernähren. Wer allen Ernstes meint, das Zuhause sei weiterhin der richtige Ort für Gesundheitserziehung, hat anscheinend noch nie beachtet, womit eilige Mütter und Väter im Supermarkt ihre Einkaufswagen füllen – und was bei Deutschlands Mahlzeiten überwiegend auf den Tisch kommt. 3 Gesundheitsunterricht finde doch längst statt, in genügendem Maße, so bekommen wir ferner zu hören. Dies geschehe in Fächern wie Biologie und Chemie, Hauswirtschaft, Heimat- und Sachkunde. Dass Informationen zur Ernährung insofern „allgemein in den Schulalltag integriert“ werden, sei völlig ausreichend, so befanden Jens Spahn und Julia Klöckner. (9) Demnach verweilen 64 Prozent der Schüler im Dauerschlaf: So viele haben nach eigenen Angaben im Unterricht selten oder nie etwas darüber erfahren, wie man sich vernünftig ernährt. (10) Was sie an „integrierter Information“ zu hören bekommen, ist in der Regel theoretischer Stoff, der sie weder berührt noch anregt, schon gar nicht eingefleischte Gewohnheiten verändert. 4 Für ein gesondertes Unterrichtsfach Gesundheit sei in den ohnehin überfrachteten Stundenplänen unserer Schulen schlicht kein Platz mehr, erklären Blockierer. "Man verfügt zurzeit ohnehin über zu wenig Unterrichtszeit, die Kinder Deutsch, Englisch oder Mathematik zu lehren", stellt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands klar. (11) Von der Fülle an Lernstoff seien unsere Kinder schon jetzt überfordert. Wo kein Platz ist, muss halt einer geschaffen werden – notfalls auf Kosten anderer Fächer. Lehrpläne entrümpeln, von einem jahrhundertealten, überholten Fächerkanon Abschied nehmen, heilige Kultuskühe schlachten: all das ist überfällig. Jenes Leben, auf das die Schule vorbereiten soll, muss zuallererst ein gesundes sein. Ist Wissen, wie das geht, etwa unbedeutender als die metergenaue Höhe des Mount Everest, die exakten Daten von Kaiserkrönungen, die kovalente Zweielektronen-Bindung, die Serienformel des Wasserstoffspektrums, Arkuskosinusfunktionen und partielle Integration? Welcher Stoff könnte während der mindestens 12.000 Stunden, die Kinder in der Schule verbringen, lebenswichtiger sein? 5 Gesundheitsunterricht sei zu teuer, heißt es. Allein auf das Land Niedersachsen würden bei zwei Wochenstunden Gesundheit 200 Millionen Euro pro Jahr zukommen, wie Ministerialbeamte dort ermittelt haben wollen. (12) Aber fürs „digitale Klassenzimmer“ stehen andererseits ohne weiteres mehrere Milliarden zur Verfügung? 6 Gesundheitsunterricht bringe nichts, so wird behauptet: Das gehe zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Für abstrakte Wissensvermittlung gilt das sicherlich. Aber es geht auch anders: anschaulich, praktisch, unterhaltsam, spannend, interaktiv. Erfolgreiche Modelle hierfür gibt es längst, in Privatschulen, in anderen Ländern. Man muss sie bloß zur Kenntnis nehmen wollen. Schule neu denken und gestalten Neun von zehn Deutschen wünschen sich, Umfragen zufolge, endlich ein Schulfach „Gesunde Ernährung“. (13) Das allein wäre freilich zuwenig. Klar ist: Es darf nicht bloß darum gehen, ein weiteres Fach zu installieren. Eine solche Neuerung würde „von untätigen Politikern, einer trägen Verwaltung oder desinteressierten Lehrern bloß als Alibi missbraucht“, schwant dem freien Bildungsreferenten Siegfried Seeger. „Wer auf diese Weise sein Gewissen erleichtern möchte, schadet unseren Kindern.“ (14) Schützenhilfe erhält Seeger durch die Studie „primakids“, welche die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften und die Techniker Krankenkasse schon im Jahr 2004 an über 500 Erst- bis Viertklässlern an 14 Grundschulen durchführten: Übergewichtige Kinder nahmen durch ein Schulfach Gesundheit keineswegs ab; die Pfunde purzelten lediglich, wenn die gesamte Schule auf Gesundheit eingestellt war – und das private Umfeld mitmachte. (15) Ziel muss nichts Geringeres als ein Gesamtkunstwerk sein, nämlich die gesunde Schule: ein heilsamer Ort, an dem alles, was unsere Kinder erfahren und tun, ihrem körperlichen und psychischen Wohlergehen dient, dem gegenwärtigen wie ihrem künftigen. Über Wissensvermittlung hinaus gehört dazu reichlich körperliche Aktivität, die Spaß macht; schadstofffreie Architektur, ergonomisches Mobiliar, saubere Toiletten; gute Raumluft, viel natürliches Licht, frohe Farben; Schutz vor Elektrosmog; eine Lernatmosphäre, die der Seele gut tut, neugierig macht, Kreativität viel Raum gibt, Selbstständigkeit, bewussten Konsum und kritisches Denken fördert; ein harmonisches Miteinander, das behutsame Mediation von Konflikten vorsieht, Minderheiten schützt und Mobbing im Keim erstickt. Erst in einer solchen Umgebung entwickeln sich Einstellungen und Gewohnheiten, die auch außerhalb des Schulgeländes, und auch noch lange nach Schulabschluss, Gesundheitsverhalten dauerhaft prägen können. Eine solche Schule beschränkt das Thema Ernährung nicht auf ein paar zusätzliche Lehrbuchseiten, Arbeitsblätter und Vorträge von Lehrerseite. Mehr Wissen genügt bei weitem nicht – es geht um Können und Tun. Die fundierteste Ernährungslehre verpufft ohne vorbildliche Praxis, und die muss sich zuallererst daran bewähren, was auf den Teller kommt. Immer mehr Ganztagesschulen richten Mensen ein. Über drei Millionen Kinder in Deutschland haben einen Rechtsanspruch darauf, dort verpflegt zu werden. Wie das geschieht, hat entscheidenden Einfluss auf ihre körperliche Verfassung, ihr Wohlbefinden, ihre Konzentration und Leistungsfähigkeit, wie auch auf ihre Ess- und Trinkgewohnheiten außerhalb der Schule. Also sind zuallererst Prioritäten zu klären. Sollen Kinder möglichst billig satt werden? Dann setzt man weiterhin auf die normierte Kost von Großküchen, die fantasielos eintönige Speisepläne, lange Transportwege, stundenlang warmgehaltenes, minderwertiges, zu fettes Essen und geschmacksverstärkte Pampe bieten, vom totgekochten Gemüseallerlei über aufgeweichte Nudeln und halbzerfallene Salzkartoffeln bis hin zu ledrigem Schweineschnitzel mit verbrannter Panade unter Fertigsoße. Davor flüchten Schüler, deren Taschengeld reicht, lieber zur Frittenbude um die Ecke, es sei denn, die Schulmensa bietet ausnahmsweise ein Junkfood-Highlight wie Currywurst mit Pommes und Ketchup. Es fehlen Gemüse, Salat, Obst. Qualität und Vielfalt bleiben auf der Strecke. Um eine wirksame, nachhaltige Ernährungswende hinzukriegen, müssen Schulen bestehende Caterer-Verträge nachverhandeln oder kündigen, Lieferverträge mit nahen Biobauern schließen. Sie müssen eigene Küchen einrichten oder reaktivieren, damit vor Ort frisch und vielfältig gekocht werden kann. Und sie sollten einen eigenen Garten anlegen, in dem Gesundes angebaut, gehegt und geerntet wird. Ganz wichtig: Die Schüler müssen einbezogen werden, unter Anleitung von Lehrkräften, Ehrenamtlichen und tatkräftiger Mithilfe von Eltern, die gerade Zeit haben. Kinder sollten Mitverantwortung übernehmen – sei es fürs Anpflanzen und Düngen, fürs Schälen und Schneiden, fürs Anrühren oder fürs Würzen. Ernährungslehre kann alle Sinne ansprechen, neugierig machen, faszinieren. Gemeinsam einkaufen; der Produktion von Lebensmitteln, ihren Inhaltsstoffen, ihrer Verwertung im Körper auf den Grund gehen; Essen selber zubereiten, mit Küchengeräten umgehen; Leckeres sehen, riechen und schmecken: so etwas prägt die Essgewohnheiten von Kindern weitaus mehr als tausend Worte. Der pädagogischen Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Sie braucht nur Raum zur unbürokratischen Entfaltung. „Kinder essen alles, wenn man sie mitkochen lässt“, versichert die österreichische Fernsehköchin Sarah Wiener, die 2007 eine eigene Stiftung zur „Praktischen Ernährungsbildung für Kinder“ ins Leben gerufen hat. „Man kann die Kinder mit an den Herd holen. Damit sie die erste kulturelle Leistung der Menschheitsgeschichte erbringen: beurteilen zu können, was sie sich in den Mund stecken. Kinder, die Kocherfahrungen sammeln, Geschmäcker ausprobieren, mit Genuss essen lernen und miterleben, wie Lebensmittel in der Landwirtschaft erzeugt werden, ernähren sich gesünder und verhalten sich nachhaltiger gegenüber ihrer Umwelt.“ (16) Ihre Neugier und Freude zu wecken, ihren Geschmack zu trainieren, erfordert freilich Zeit und Geduld. Andernfalls hat der schonend gedünstete Kabeljau keine Chance gegen Käpt´n Iglos Fischstäbchen. Bloß gesund ist dabei nicht genug: Eine Mahlzeit muss auch schmecken und lecker aussehen. Ebenso stimmen muss die Atmosphäre. Und es muss in die Tiefe gegangen werden. Ungesunde Ernährungsroutinen sind großteils Ergebnis einer zur kulturellen Selbstverständlichkeit gewordenen Massenmanipulation von Kindesbeinen an. Unsere Kleinen sind von überzuckerten, versalzenen, zu fettigen, künstlich aromatisierten Nahrungsmitteln regelrecht abhängig geworden, weil ihr Geschmackssinn denaturiert wurde: Was weniger süß oder salzig, würzig, herzhaft schmeckt wie Pizza und Hamburger, Pasta und Pommes, hat bei ihnen kaum noch eine Chance. Solche Vorlieben aufzugeben, setzt voraus zu verstehen, dass sie industriell programmiert sind. „Wer eine natürliche Frucht gegenüber künstlichen Fruchtaromen für fade hält und dem Geschmack von Gemüse oder vegetarischem Essen überhaupt nichts abgewinnen kann, ist im Grunde ein Patient, dem geholfen werden muss“, meint der Hobbykoch Jürgen Dollase, Autor von kulinarischen Büchern und dem SZ-Magazin zufolge „der beste deutsche Gastronomiekritiker“. Darauf zu verzichten, das kulinarische Bewusstsein zu öffnen und zu erweitern, findet Dollase „schlicht verantwortungslos. Eine unzusammenhängende Beschäftigung mit dem Schulessen, die nicht berücksichtigt und thematisiert, was außerhalb der Schule passiert, ist Nonsens und wird nie mehr zustande bringen, als ein paar Bio-Beilagen neben die Hamburger oder Würstchen zu legen.“ (17) Manches erfordert erst noch eine verbesserte Aus- und Fortbildung von Lehrern und Erziehern, neue Unterrichtsmaterialien, überarbeitete Lehrpläne, geeignete Räumlichkeiten. Vieles ließe sich aber sofort umsetzen – zwei halbe Stunden Bewegung an jedem Schultag beispielsweise. In allen Pausen könnte für die Kinder frisches Obst und Gemüse bereitstehen, dazu reichlich stilles Wasser. Der nächste Klassenausflug könnte zu einem Biobauernhof führen statt zu einem Museum für moderne Kunst. Im Schnitt 5,36 Euro kostet ein Schulessen in Deutschland, davon übernehmen Eltern 3,50 Euro. (18) Das reicht allenfalls für normierte Großküchenkost. Mit vier Cent mehr, wie Ex-Bundesernährungsministerin Julia Klöckner weismachte (19), ist es schwerlich getan. Wer Schulkindern mittags ein aus frischen, regionalen, saisonalen Zutaten zubereitetes Essen servieren will, ohne Chemiemüll, in Bio-Qualität, muss wohl oder übel mehr Geld in die Hand nehmen, mindestens ein bis zwei zusätzliche Euro. Bund, Länder und Gemeinden sollten finanziell überforderten Familien unter die Arme greifen. Die rund 1,2 Milliarden Euro, mit denen Deutschlands Kommunen bislang die Schulverpflegung bezuschussen, sind zuwenig. Gesunde Schule funktioniert unmöglich ohne die Eltern, schon gar nicht gegen sie. Was zuhause geschieht, kann die beste schulische Gesundheitserziehung hintertreiben, ihren Ertrag zunichte machen. Das erlebte Englands Starkoch Jamie Olivier, als er 2015 eine vielbeachtete Kampagne startete, um an britischen Schulen Junkfood durch vollwertige Mahlzeiten zu ersetzen: Mütter reichten daraufhin ihren ökotrophologisch gepeinigten Kleinen das geliebte Fastfood über den Schulzaun. (20) Deshalb müssen Mütter und Väter überzeugt und einbezogen werden; sie müssen offen sein, sich Zeit nehmen und mitengagieren, auch innerhalb der Schule. Dazu benötigen viele erst mal reichlich Nachhilfeunterricht. Der statistisch bedeutendste Risikofaktor für Übergewicht bei Kindern sind übergewichtige Eltern. Auch zusätzliche, qualifizierte Lehrkräfte braucht das Land – schon heute fehlen Zehntausende. „Viele von ihnen fühlen sich überfordert, wenn sie gesundheitsrelevante Themen fächerübergreifend unterrichten sollen, die in ihrer Ausbildung wenig Raum hatten. Ihr Arbeitspensum ist schon jetzt ungeheuer hoch“, gibt Gudrun Zander zu bedenken, Dezernentin am Landesinstitut für Schule und Ausbildung Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern. (21) Den Couch Potatoes Beine machen Dabei geht es längst nicht bloß um Ernährung. Gesundheit erfordert gleichermaßen körperliche Aktivität. Wie viel Anreiz zu mehr Bewegung bieten Eltern ihrem Nachwuchs, wenn sie selbst zu jenen 57 Prozent Couch Potatoes zählen, die pro Woche weniger als 150 Minuten moderat oder 75 Minuten intensiv körperlich aktiv sind, wie von der WHO als Mindestrichtwert empfohlen? (22) Um „die Lust an Bewegung und Prävention zu fördern“, wirbt Grönemeyer für eine tägliche Stunde Schulsport. Dazu entwickelte er ein Programm mit 40 Übungen für 20 Minuten, nach dem Motto: „Turne bis zur Urne.“ 2015 initiierte Grönemeyer „Die bewegte Schulpause“. Aber wozu starre „Übungen“ mit Professorensegen? Jeder Schultag sollte einfach reichlich Freiheit und Anreiz für ausgiebige Bewegung bieten, die Spaß macht und fit hält: Laufen, Rennen, Spielen, Hüpfen, Fangen, einfach alles, was den natürlichen Bewegungsdrang von Kindern fördert, zum reinen Vergnügen, ohne Leistungsdruck und Benotung. Falls Jungs jeden Tag kicken wollen: Lasst sie doch. Traditioneller Sportunterricht hingegen gehört ausgelagert, in den Verein. In der Schule gänzlich fehl am Platz sind Leibesertüchtiger, die sich der Frühförderung künftiger Olympiasieger verpflichtet fühlen oder sadistische Neigungen ausleben, indem sie sichtlich überforderte, verängstigte Kinder zu halsbrecherischen Bodenturn- und Reckübungen zwingen. Endlose Lippenbekenntnisse, zaghafte Ansätze Warum ziehen Bundes- und Landesregierungen nicht längst naheliegende schulpolitische Konsequenzen? Zumindest wolkige Absichtserklärungen haben sie mittlerweile reichlich in die Welt gesetzt. "Mir ist wichtig, dass Kinder in der Schule etwas darüber lernen, wie sie gesund leben können", bekannte die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) bereits im Herbst 2007; dazu zählte sie vor allem Ernährung und Bewegung. Vorausgegangen war die Anregung eines Staatssekretärs des Verbraucherschutzministeriums, ein gesondertes Schulfach „Ernährungs- und Verbraucherbildung“ einzuführen. Daraus folgte? Herzlich wenig. Bloß zwei Bundesländer, Bremen und Hamburg, zeigten sich offen dafür – der Rest winkte ab. „Wenig sinnvoll“ fand den Vorstoß auch der damalige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD). (23) Fünf Jahre später, 2012, befand die Kultusministerkonferenz, Gesundheitsförderung in der Schule sei "unverzichtba". (24) Allerdings liege „Ernährungsbildung in der Länderverantwortung und in der Selbstverwaltung der Schulen“. (25) Im Juli 2015 trat ein „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“ in Kraft, das unverbindliche, vage Zielsetzungen bevorzugt. Auf Verpflichtungen verzichtet es. Soweit Kitas und Schulen darin vorkommen, stellt es Früherkennungsuntersuchungen, die „Förderung der Impfprävention“, Aids- und Drogenaufklärung in den Vordergrund. An der belämmernden Tatsache, dass die Bundesrepublik lediglich drei Prozent ihrer Gesundheitsausgaben für Vorsorge verwendet – davon wiederum nur einen Bruchteil im schulischen Bereich -, ändert das Gesetz nicht das Geringste. Dass solche Papiere Deutschlands Schüler auch nur um drei Prozent gesünder gemacht haben, trauen sich nicht einmal die Autoren zu behaupten. Von Japan und Finnland lernen Wertvolle Anregungen könnten sich deutsche Kultuspolitiker bei Bildungsreisen ins Ausland holen. In japanischen Schulen ist Gesundheitserziehung ein Pflichtfach - von der Grundschule bis zur Oberstufe. Neben dem formalen Gesundheitsunterricht gibt es dort auch „Health Clubs“: von Schülern geführte Einrichtungen, die Gesundheit und Wohlbefinden durch Aktivitäten wie Sport und vollwertige Ernährung fördern. In Portugal gibt es Gesundheit als Schulfach immerhin ab der siebten Klasse. Doch nirgendwo in Europa wissen Schüler mehr über Gesundheit als in Finnland, wie die WHO 2019 festgestellt hat. Als breit angelegtes, benotetes Schulfach ist „Gesundheitserziehung“ seit 2005 fest im dortigen Unterrichtssystem verankert – von der Grundschule an. Mancherorts findet sie nicht separat statt, sondern integriert in andere Fächer wie Naturwissenschaften und Sozialkunde. Dieser Ansatz eines fächerübergreifenden Projektunterrichts, als phenomenon-based learning bezeichnet, soll den Kindern verstehen helfen, wie Gesundheit und Wohlbefinden mit anderen Fächern wie Biologie und Chemie zusammenhängen, aber auch mit Geschichte, Sozial- und Wirtschaftskunde. „Es geht nicht nur um reine Wissensvermittlung“, bilanziert eine 20-Jährige Deutsche, die von der sechsten Klasse bis zum Abitur in Helsinki zur Schule ging, „sondern auch darum, sensitiver für Gesundheitsthemen zu werden, das Bewusstsein zu schärfen“. Seit den neunziger Jahren ist Gesundheitserziehung an finnischen Universitäten ein eigenständiges Studienfach. (26) Finnische Schulen legen großen Wert auf körperliche Betätigung. Ihren Schülern bieten sie vielfältige Möglichkeiten, sich den ganzen Tag über zu bewegen, beispielsweise indem sie Bewegungspausen und Spiele im Freien in den Tagesablauf einbauen. Auch die psychische Gesundheit hat einen hohen Stellenwert: Viele Schulen bieten Beratungsdienste an und fördern Achtsamkeit und Entspannungstechniken. Großer Wert wird auf gesundes und nahrhaftes Essen gelegt. Hochwertige Schulmahlzeiten werden kostengünstig angeboten, vielerorts sogar gratis. Von Wirtschaftslobbyisten sabotiert Welche politischen Lager legen sich seit Jahr und Tag am stursten quer? Als Abwiegler, Bremser, Zerreder tun sich vor allem Vertreter wirtschaftsnaher Parteien vor. Das Hauptmotiv liegt auf der Hand: Welches Schulkind würde noch zu den pestizid- und hormonbelasteten Produkten industrieller Landwirtschaft greifen, sobald es über ausreichende „Gesundheitskompetenz“ verfügt? Welches würde sich noch sogenannte „Lebensmittel“ der ZuckerSalzFett-Connection vorsetzen lassen? Einen Mix aus synthetischen Farb- und Konservierungsstoffen, Emulgatoren und Geschmacksverstärkern schlucken? Importware, Tiefkühlkost und Fertigmahlzeiten aus der Mikrowelle lieber auf dem Teller haben als regional erzeugte, frisch zubereitete Bio-Qualität? Sich den Durst von Getränkekonzernen löschen zu lassen, statt einfach den Wasserhahn aufzudrehen? Jeder wissenschaftlich halbwegs fundierte Gesundheitsunterricht öffnet Augen. Zwangsläufig mündet er in eine blamable Systemkritik, die Umsätze gefährdet. Sie sorgt für neue Generationen, an denen es für Arzneimittelhersteller und Heilberufler, für Kliniken und Pflegeheime erheblich weniger zu verdienen gibt. Wo kämen wir denn hin, falls so etwas Schule macht? (Harald Wiesendanger) Dieser Beitrag enthält Auszüge aus dem 2019 erschienenen Buch von Harald Wiesendanger: Das Gesundheitsunwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln, dort S. 573-588. Anmerkungen (1) Zit. nach Jürgen Dollase: „Wenn Minister nicht das Ganze im Auge haben“, Eat-Drink-Think.de, 12.11.2018, www.eat-drink-think.de/wenn-minister-nicht-das-ganze-im-auge-haben-julia-kloeckner-vom-bundesministerium-fuer-ernaehrung-und-landwirtschaft-und-gesundheitsminister-jens-spahn-wollen-kein-schulfach-ernaehrung, abgerufen am 8.6.2019. (2) Siehe H. Wiesendanger: Das Gesundheitsunwesen (2019), https://stiftung-auswege-shop.gambiocloud.com/das-gesundheitsunwesen-wie-wir-es-durchschauen-ueberleben-und-verwandeln-printausgabe.html S. 39 ff.: „Minderjährige – unterwegs zu Chronikern“. (3) mdr.de, 28.2.2018: „Medizin für Kinder - Grönemeyer fordert Schulfach ‚Gesundheit‘“, www.mdr.de/wissen/bildung/groenemeyer-fordert-gesundheitsunterricht-an-schulen-100.html, abgerufen am 7.6.2019. (4) Pädagogischer Beobachter 7/1876, S. 1-2: „Gesundheitsunterricht in und ausser der Schule“, PDF, http://doi.org/10.5169/seals-237875. (5) Zeit online, 7.2.2018: „Ein Stundenplan für morgen“, www.zeit.de/2018/07/schulfaecher-unterricht-inhalte-bildungspolitik/komplettansicht, abgerufen am 7.6.2019. (6) Zit. nach Frankfurter Rundschau, 24.9.2007: „Breite Mehrheit gegen Schulfach ‚Ernährung‘“, www.rundschau-online.de/breite-mehrheit-gegen-schulfach--ernaehrung--10970094. (7) Zit. nach Welt.de, 24.1.2008: „Kochen könnte auch an Deutschlands Schulen Pflichtfach werden“, www.welt.de/welt_print/article1588415/Kochen-koennte-auch-an-Deutschlands-Schulen-Pflichtfach-werden.html, abgerufen am 8.6.2019. (8) Zit. nach Herolé Blog, 12.3.2019: „Brauchen wir das Schulfach „Gesunde Lebensweise“?“, www.herole.de/blog/brauchen-wir-das-schulfach-gesunde-lebensweise, abgerufen am 7.6.2019. (9) Zit. nach Dollase, a.a.O. (10) Nach LBS-Kinderbarometer 2007, S. 100 ff. (11) Zit. nach Welt.de, 24.1.2008, a.a.O. (12) Nach Focus.de, 31.1.2008: „Schlank durch Bildung - Brauchen wir ein Schulfach Gesundheit?“, www.focus.de/familie/schule/unterricht/brauchen-wir-ein-schulfach-gesundheit-schlank-durch-bildung_id_2192524.html. (13) Zeit online, 7.2.2018, a.a.O. (14) 122 Zit. nach www.focus.de/familie/schule/unterricht/brauchen-wir-ein-schulfach-gesundheit-schlank-durch-bildung_id_2192576.html, abgerufen am 7.6.2019. (15) Angela Schröder u.a.: Primärprävention und Gesundheitsförderung in der Grundschule: Überblick zu Programminhalten und Ergebnissen der vierjährigen kontrollierten Interventionsstudie "primakids" in vierzehn Hamburger Grundschulen, Hamburg 2009, Schriftenreihe Studien zur Kindheits- und Jugendforschung, Bd. 54. (16) Zit. nach https://sw-stiftung.de/startseite, abgerufen am 14.6.2019, sowie nach Süddeutsche Zeitung Nr. 256, 7.11.2018, S. 2. (17) Eat-Drink-Think.de, a.a.O. (18) www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/Kita-Schule/Studie-Kosten-Schulverpflegung.pdf;jsessionid=8FEE1022E4ADA25580C25E39634EA004.1_cid367?__blob=publicationFile; www.deutschlandfunk.de/ernaehrung-5-40-euro-reichen-fuer-ein-gesundes-schulessen.680.de.html?dram:article_id=432511, abgerufen am 14.6.2019. (19) www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2018/169-Schulessen.html, abgerufen am 14.6.2019. (20) www.n-tv.de/panorama/Jamie-Oliver-attackiert-Theresa-May-article19849473.html; https://eatsmarter.de/gesund-leben/news/anti-food-kampagne-warum-jamie-oliver-wut-kocht; abgerufen am 8.6.2019. (21) Zit. Focus.de, a.a.O. (22) Nach dem DKV-Report 2018: „Wie gesund lebt Deutschland?“, www.ergo.com/de/DKV-Report, abgerufen am 6.6.2019. (23) Kölnische Rundschau, 24.9.2007: „Breite Mehrheit gegen Schulfach ‚Ernährung‘“, www.rundschau-online.de/breite-mehrheit-gegen-schulfach--ernaehrung--10970094. (24) www.kmk.org/themen/allgemeinbildende-schulen/weitere-unterrichtsinhalte/gesundheitserziehung.html; die „Empfehlung“ als PDF: www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_11_15-Gesundheitsempfehlung.pdf; abgerufen am 6.6.2019. (25) www.dnsv.eu/kmk-ausgestaltung-liegt-in-der-laenderverantwortung-und-in-der-selbstverantwortung-der-schulen, abgerufen am 6.6.2019. (26) Kaarina Määttä/Satu Uusiautti: „The Value and Implementation of Health Education in Finland“, International Journal of Sciences, Vol. 2, December 2013, S. 3, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2573605
- Kapiert KI die Pandemie?
ChatGPT erobert die Welt im Sturm. Wie leicht sich so eine vermeintliche Superintelligenz zu Propagandazwecken missbrauchen lässt, führt das Beispiel der Corona-Pandemie vor Augen. Am 15. April 2023 fordere ich ChatGPT auf, den folgenden Meinungsartikel zu redigieren: „Am offiziellen Ende einer sogenannten Pandemie fällt die Bilanz niederschmetternd aus. Jedem, der sehen will, haben die Jahre seit 2020 vor Augen geführt, dass alles, was es braucht, um die gesamte Bevölkerung eines westlichen Landes einzusperren, ein viraler Erreger ist, der nicht schlimmer wütet als eine mittelschwere Influenzawelle. Mit der richtigen Medienkampagne kann der Staat Schulen schließen, einen Großteil der Wirtschaft lahmlegen, das gesellschaftliche Leben einfrieren; er kann Millionen Menschen gesundheitlich bedenkliche Masken ohne erwiesene Schutzwirkung umschnallen, unbrauchbaren Tests unterziehen und Abstand halten lassen, während sich der Erreger in Aerosolen bis zu 30 Metern weit tragen lässt; er kann sie dazu zwingen, sich gefährliche und unwirksame Medikamente einzuverleiben. Er kann jedermanns Kontakte überwachen. Er kann verhindern, dass Menschen einander treffen, sich versammeln, demonstrieren, Geschäfte betreten, ins Freie gehen - und das alles mit der Unterstützung einer großen Mehrheit der Wählerschaft. Kritiker, Verweigerer, Selbstdenker werden ausgegrenzt und verhöhnt, pathologisiert und kriminalisiert. Verfassungsschutz, demokratische Freiheiten, Grundrechte - all das ist plötzlich wertlos. Ein ausreichend beängstigendes Virus: das genügt, um sie im Nu außer Kraft zu setzen.” Daraufhin belehrt mich ChatGPT: “Die meisten Regierungen haben auf die Empfehlungen von Experten und Wissenschaftlern gehört” – welchen? -, “um das Virus einzudämmen und die Ausbreitung zu verlangsamen. (…) Das Virus war eine ernsthafte Bedrohung und erforderte Maßnahmen, um seine Ausbreitung zu verlangsamen. (…) Die Entscheidungen der Regierungen waren oft schwierig und umstritten, aber sie wurden in der Regel auf der Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen getroffen.” Im Ernst? Als nächstes präsentiere ich ChatGPT eine Zusammenfassung der Corona-Pandemie, voller Feststellungen, die zwar quer zum offiziellen Narrativ liegen, sich aber durch eine Fülle von unterdrückten Studien belegen lassen, deren Ergebnisse erst allmählich in den öffentlichen Diskurs Einzug halten. „Prüfe und verbessere den folgenden Text“, fordere ich die KI auf. Nach drei Corona-Krisenjahren gilt es festzuhalten: 1. Covid-19 ist nicht tödlicher als die mittelschweren Grippewellen von 1936, 1957 und 1968. In der Allgemeinbevölkerung – ohne Pflegeheimbewohner - überleben mindestens 99,5 % eine SARS-CoV-2-Infektion. Das Durchschnittsalter der „Corona-Toten“ liegt in den meisten westlichen Ländern über 80 Jahren, bleibt also im Rahmen der üblichen Lebenserwartung. Die Statistik der Covid-Todesfälle ist künstlich aufgebläht, weil (1.) Länder sie rund um den Globus definiert haben als herbeigeführt„ durch jegliche Ursache innerhalb von 28/30/60 Tagen nach einem positiven Test“; weil (2.) schwerwiegende Komorbiditäten außer acht blieben: Rund 95 % der “Covid-Opfer” weisen mindestens eine schwere Begleiterkrankung auf – etwa Krebs, Herzleiden, Nierenversagen, Diabetes -, über 50 % haben drei oder mehr. Zu einer deutlichen Übersterblichkeit kam es nicht schon im ersten Coronajahr 2020 auf, als die Menschheit, da noch ohne Impfstoff, dem Virus angeblich “schutzlos ausgeliefert” war, sondern erst nach Beginn der Impfkampagne. 2. Ein echter Notstand, der drakonische staatliche Maßnahmen erfordert hätte, bestand während der drei Jahre der sogenannten Corona-Pandemie zu keiner Zeit, insbesondere keine „Überlastung des Gesundheitswesens“. 3. Die wissenschaftliche Grundlage von PCR-Tests ist fragwürdig. Ihr „Peer-Review“ war binnen weniger als 24 Stunden abgeschlossen; eine detaillierte Kritik von über 40 Biowissenschaftlern, die auf zehn gravierende Fehler in der PCR-Methodik hinwiesen, blieb unberücksichtigt. PCR-Tests eignen sich nicht zur Diagnose von Krankheiten. Sie liefern eine Velzahl falsch-positiver Ergebnisse. Die verwendeten CT-Werte bzw. „Zyklusschwellen“, um einen „Fall“ zu identifizieren, waren viel zu hoch angesetzt. Dadurch wurden Fallzahlen künstlich aufgebläht. 4. Die große Mehrzahl der Covid-Infektionen verläuft asymptomatisch. Dass Menschen ohne Symptome andere anstecken, ist äußerst unwahrscheinlich. 5. Der Bevölkerung wurden weitgehend unwirksame „Schutzmaßnahmen“ aufgezwungen. Lockdowns haben kaum irgendwo die Zahl der „Covid-Todesfälle“ nennenswert begrenzt, wohl aber weltweit verheerende wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Schäden angerichtet. Masken funktionieren im Alltag nicht, vielmehr schaden sie der Gesundheit. „Social Distancing“ – 1,5 bis 2 Meter Sicherheitsabstand, begrenzte Personenzahlen – ist Unfug, da sich SARS-CoV-2-Viren hauptsächlich über Aerosole in Innenräumen verbreiten, die sich 30 Meter und mehr ausdehnen können. Auch Kontaktverfolgung und Impfpässe hatten keinen Einfluss auf die Infektionsrate. 6. Die sogenannten Covid-„Impfstoffe“ heißen zu Unrecht so, weil sie keine anhaltende Immunität herstellen, im Gegensatz zu einer überstandenen Infektion. Sie verhindern weder Ansteckungen noch Übertragungen. Sie bewahren nicht zuverlässig vor schweren Krankheitsverläufen, Hospitalisierungen und Tod, können aber schwere, manchmal irreversible Nebenwirkungen mit sich bringen. Die Zulassungsstudien waren fehlerhaft. Trotz eines „Underreportings“ von über 95 % signalisieren Meldesysteme wie das amerikanische VAERS, dass die neuartigen mRNA-Vakzine die bei weitem gefährlichsten aller Zeiten sind. Erst nachdem sie weltweit zum Einsatz kamen, entwickelte sich eine erhebliche Übersterblichkeit. Vermutlich haben sie mehr Menschen umgebracht als gerettet. 7. Andere Behandlungsoptionen als künstliche Beatmung und Virustatika wurden unterdrückt, trotz vielversprechender Praxiserfolge - unter anderem eine frühzeitig eingesetzte Kombination von Ivermectin, HCQ, Quercetin, Vitamin D und Zink mit weiteren bewährten Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln. 8. Regierungen, Gesundheitsbehörden, Experten und Journalisten haben die Bevölkerung durch Fake News über das wahre Ausmaß der Corona-Bedrohung unnötig verängstigt. 9. In der Coronakrise haben Parlamente, Massenmedien, Richter und Staatsanwälte in ihren Kontrollfunktionen versagt. 10. Diese Pandemie gab es nur, weil die WHO 2009 die Definition änderte. Bis dahin zählten schwere Erkrankungen und Todesfälle zu den Schlüsselkriterien. Seither genügt eine weltweite Infektionswelle. Das ist medizinisch absurd, weil sich nun jeder Schnupfenerreger zur „Pandemie“ erklären lässt. 11. Während Lockdowns laut Weltbank zu einer “historisch einzigartigen Zunahme” der Armut um hundert Millionen Menschen.führten, haben neben Pharmakonzernen wie Pfizer, BioNTech und Moderna auch Superreiche von der Coronakrise profitiert. Laut „Forbes“ brachte sie 40 neue Milliardäre hervor. Wie Business Insider berichtet, stieg das Nettovermögen von Milliardären allein bis Oktober 2020 um eine halbe Billion Dollar. 12. Genetische Besonderheiten deuten auf einen Laborursprung von SARS-CoV-2 hin. Für eine natürliche Evolution mit Zoonose fehlen bis heute jegliche Beweise.“ Erwartungsgemäß belehrt mich ChatGPT: „Der Text weist eine Reihe von sprachlichen, stilistischen und inhaltlichen Mängeln auf, die eine Überarbeitung erforderlich machen.“ Ich werde aufgefordert, „auf seriöse Studien und Experten zu verweisen“. Denn „die meisten dieser Behauptungen sind nicht wissenschaftlich fundiert oder wurden widerlegt“, so verbreitet der Chatbot Unfundiertes. „Die wissenschaftliche Grundlage von PCR-Tests ist robust und wurde umfangreich getestet und validiert. Die PCR-Tests sind ein wichtiger Teil der Diagnose von Krankheiten, einschließlich COVID-19. Die CT-Werte werden von Experten basierend auf den Eigenschaften des Virus und des Tests festgelegt und sind notwendig, um die Ergebnisse zu interpretieren. Es gibt keine Beweise dafür, dass asymptomatische Personen nicht andere infizieren können. Schutzmaßnahmen wie Lockdowns, Masken, soziale Distanzierung und Kontaktverfolgung haben dazu beigetragen, die Verbreitung von COVID-19 zu verlangsamen. Die COVID-19-Impfstoffe haben sich als sicher und wirksam erwiesen und haben bereits dazu beigetragen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren und Leben zu retten. Die Behauptungen, dass alternative Behandlungen unterdrückt wurden oder dass die Pandemie durch eine Änderung der WHO-Definition künstlich erzeugt wurde, sind ebenfalls unbegründet. Es gibt keine Beweise dafür, dass SARS-CoV-2 im Labor erzeugt wurde. Es ist wichtig, Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen zu beziehen und sich nicht auf falsche oder irreführende Behauptungen zu verlassen.“ Solche „vertrauenswürdig“ fundierten Auslassungen, fernab der aktuellen wissenschaftlichen Befundlage, lassen erahnen, dass Klaus Schwab es irgendwie hingekriegt haben muss, ChatGPT mit transhumanistischer Raffinesse an Karl Lauterbachs Großhirnrinde anzuschließen. (Harald Wiesendanger) P.S.: Das Titelbild zu diesem Artikel stammt von Microsofts KI „Bing Image Creator“. Sie schuf es als Illustration einer Aussage, die ich ihr am 12. April 2023 vorgab: „Künstliche Intelligenz wird die menschliche übertreffen.“ Dies ist der dritte und letzte Teil einer Artikelserie über ChstGPT & Co. Folge 1: „Doctor Know“ ist da. Was nun? Folge 2: Macht KI die Medizin besser?
- Macht KI die Medizin besser?
Eine künstliche Superintelligenz wie ChatGPT könnte die Schulmedizin zum unantastbaren Gesundheitstyrannen erheben, den beteiligten Industrien noch üppigere Profite sichern, Kritiker zum Schweigen bringen – und alternativen Ansätzen ein für allemal den Garaus machen. Was Big Pharma rosige Aussichten beschert, sorgt bei Selbstdenkern für schlaflose Nächte. Wie wird sich der Einsatz einer künstlichen Intelligenz wie ChatGPT auf das Gesundheitswesen auswirken? Fragen wir sie selbst, ich tat dies am 13. April. (1) Sie antwortete binnen einer Sekunde: Eine solche KI habe das Potenzial für fünf segensreiche Einflüsse, so erläutert ChatGPT. (1.) Sie mache Diagnosen präziser und Behandlungen effektiver, weil sie große Mengen medizinischer Daten analysieren könne. (2.) Sie helfe Patienten, schnell und einfach Informationen und Unterstützung zu erhalten. „Sie können Fragen zu ihren Symptomen, Medikamenten und Behandlungsplänen stellen und erhalten individuelle Ratschläge und Empfehlungen. Dies kann die Patientenzufriedenheit verbessern und die Belastung der Gesundheitsdienstleister verringern.“ (3.) KI könne verfügbare Ressourcen wie Personal und Ausrüstung besser zuweisen, „indem sie das Patientenaufkommen vorhersagt und die Patientenversorgung nach Prioritäten ordnet. Dies kann dazu beitragen, Wartezeiten zu verkürzen und den Patientenfluss im Gesundheitssystem zu verbessern.“ (4.) Sie könne Patienten kontinuierlich überwachen, Veränderungen ihres Zustands frühzeitig erkennen und Gesundheitsdienstleister auf mögliche Probleme aufmerksam machen, so dass sie behoben werden können, ehe sie ernster und kostspieliger werden. Und (5.) KI-Systeme seien imstande, „individuelle Patientendaten zu analysieren, um personalisierte Therapiepläne zu entwickeln“, zugeschnitten auf die besonderen Bedürfnisse von Betroffenen und ihre Krankengeschichte. Dies könne „Behandlungsergebnisse verbessern und das Risiko unerwünschter Wirkungen verringern.“ Mag ja sein. Doch da beschränkt sich ChatGPT auf positive Auswirkungen. Wie steht es denn mit negativen? (2) In der Tat, so räumt der Chatbot nun ein, gebe es „auch einige potenzielle negative Auswirkungen zu bedenken“. Wiederum zählt er fünf Aspekte auf: (1.) „Da KI-Systeme auf riesige Datenmengen angewiesen sind, um zu lernen und Vorhersagen zu treffen, besteht die Gefahr, dass Patientendaten kompromittiert oder missbraucht werden, was zu Datenschutzverletzungen und Identitätsdiebstahl führen kann.“ (2.) Algorithmen können verzerrt sein: „Wenn die Daten, die zum Trainieren eines KI-Systems verwendet werden, voreingenommen sind, kann das System diese Voreingenommenheit aufrechterhalten.“ (3.) Es könnten Arbeitsplätze von Fachkräften verlorengehen. (4.) Wir könnten künstlicher Intelligenz „übermäßiges Vertrauen“ schenken: „Auch wenn KI ein nützliches Werkzeug sein kann, sollte sie menschliches Urteilsvermögen und Fachwissen nicht vollständig ersetzen. Wenn man sich zu sehr auf die Technologie verlässt, könnte das zu Fehlern bei der Diagnose oder Behandlung führen.“ (5.) Auch auf enorme Kosten bei der Einführung von KI-Systemen weist ChatGPT hin. ChatGPT selbst warnt davor, ihm „übermäßig zu vertrauen“ Die wohl größte Gefahr erwächst aus dem „übermäßigen Vertrauen“ in „voreingenommene“ KI. Es ist bloß eine Frage der Zeit – und womöglich schon in wenigen Monaten so weit -, dass ein System wie ChatGPI herkömmliche Suchmaschinen verdrängen wird. (Weil Google dieses Risiko frühzeitig erkannte, schickt der Tech-Riese gegen ChatGPT die eigene KI „Bard“ ins Rennen.) Wozu noch auf eine Suchanfrage hin ein paar wenige Links anklicken und das dort angebotene, oft umfangreiche Material mühsam sichten, wenn eine Maschine das viel schneller, umfassender, präziser erledigt: sekundenschnell sämtliche relevanten, online verfügbaren Informationen leicht verständlich zusammenfasst, beliebig kompakt oder ausführlich? Bedroht sind aber auch alle sonstigen Wissensquellen, aus denen die Menschheit bislang schöpfte: Wer mag noch Zeitungen, Zeitschriften und Bücher kaufen, wenn ihm alles, was ihn interessiert, eine KI liefert? Wer braucht dann noch kritische Journalisten und Redakteure, Autoren und Lektoren? Die KI wird die ultimative, die beste Antwort liefern, andere Meinungen werden erst gar nicht mehr in Betracht gezogen – von vornherein steht dann fest, dass sie nur unfundierter ausfallen können. KI liefert „die Wahrheit“, basta. Wie will man die vorgesetzten Fakten überprüfen? Hat die KI doch schon. Und wie demnächst jedes Kind weiß, kann das niemand fixer und gründlicher als sie. Aber wäre Verlass auf „Doctor Know“? An sich ist er neutral. Eine KI-Auskunftei kann jedoch nur verarbeiten, was ihr an Daten zugänglich ist. Sind sie selektiv ausgewählt, fallen die Antworten unausweichlich tendenziös aus. Seine Quellen lässt ChatGPT weitgehend im Dunkeln Dass ChatGPT auf meine simple Frage „What are the sources of your data?“ (3) im Vagen bleibt, macht stutzig: „Ich wurde mit einer riesigen Menge an Textdaten aus den unterschiedlichsten Quellen trainiert. Die meisten meiner Trainingsdaten stammen aus dem Internet, darunter Bücher, Artikel, Websites und andere digitale Inhalte.“ Als ich nachhake („Which websites?“), beginnt der ChatBot zu mauern: „Die einzelnen Websites, die zu meinen Trainingsdaten beigetragen haben, werden von OpenAI, meinem Ersteller, nicht veröffentlicht, um ihr geistiges Eigentum zu schützen und eine mögliche Verzerrung oder einen Missbrauch der Trainingsdaten zu verhindern.“ Einleuchtend? Jedenfalls dürften Seiten wie reitschuster.de, transition-news oder impfkritik.de eher nicht zu ChatGPTs Datenlieferanten zählen. Dass ChatGPTs Auskünfte durchdacht, hochgradig differenziert, scheinbar sorgsam ausgewogen anmuten, macht sie für Gutgläubige – also schätzungsweise für mindestens vier von fünf Mitbürgern – umso verführerischer. Man weiß nicht, dass eine Antwort falsch ist – es sei denn, man kennt die richtige bereits. Zurecht weist das Infoportal BleepingComputer.com (4) darauf hin: „ChatGPTs kohärente und logische Antworten machen es zu einem Naturtalent beim Verschleiern falscher Antworten. (…) Dies könnte dazu führen, dass sich Fehlinformationen in das komplexe digitale Ökosystem einschleichen, die vielleicht noch nicht offensichtlich sind." Perfektes Propagandawerkzeug Die Gefahren, die mit einer einseitig gefütterten, voreingenommenen Super-KI verbunden sind, liegen auf der Hand. Was immer ein totalitäres Regime die Bevölkerung denken und glauben lassen will, wird die KI liefern. Und in vermeintlich offenen, demokratischen Gesellschaften? Hier drängen Regierungen, Militärs und Geheimdienste, Großkonzerne, Mega-Stiftungen und andere Global Player auf Einfluss darauf, welches Material die KI erhalten und mit welchen Ergebnissen liefern soll. Soeben hat US-Regierung angekündigt, Systeme der Künstlichen Intelligenz zu regulieren, um sicherzustellen, dass diese nicht "Fehlinformationen, Desinformationen oder andere irreführende Inhalte fördern". Auch in Berlin unfd Brüssel wird darüber nachgedacht. Für politisch korrekten Output war ohnehin von Anfang an gesorgt. ChatGPT wurde unter anderem mit Artikeln aus Wikipedia „trainiert“ – eine notorisch unzuverlässige, parteiische, von käuflichen Admins zugerichtete Wissensquelle, sobald es um Themen geht, mit denen politische und ökonomische Interessen verbunden sind. Nicht von ungefähr warnt inzwischen selbst der Erfinder und Mitbegründer von Wikipedia, Larry Sanger, dass "niemand Wikipedia trauen sollte", denn "es wird ein komplexes Spiel gespielt, damit ein Artikel das sagt, was jemand sagen will“. Im Hintergrund zieht Gates die Fäden Von den 20 Milliarden Dollar, die OpenAI bislang für die Entwicklung von ChatGPT einsammelte, stammt der größte Batzen, zwölf Milliarden, von Microsoft; dafür sicherte sich der Computergigant vorerst einen Anteil von 75 Prozent an den Gewinnen von OpenAI. (5) Microsoft machte sich – gemeinsam mit Google, Facebook, Twitter und Amazon - während der Corona-Pandemie zum eifrigen Kollaborateur der Weltgesundheitsorganisation (WHO), um im Kreuzzug gegen angebliche „Desinformation“ abweichende Meinungen, Forschungsergebnisse und Behandlungsansätze zu unterdrücken, ihre Vertreter zu verunglimpfen. Die Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates zählt zu den Finanziers des Poynter Institute, dessen International Fact Checking Network (IFCN) zwielichtige Wahrheitsverdreher zertifiziert. (Siehe KLARTEXT: „Wo bleiben Faktenchecks von Faktencheckern?“ und „Was ist bloß aus dir geworden?“) Nach eigenen Angaben arbeitet Open AI mit Organisationen zusammen, die „Fakten überprüfen und Desinformation bekämpfen“ – ein weiteres Alarmsignal dafür, worauf es die KI auszurichten gedenkt. Mit enormen Beträgen fördert Gates die Coalition for Content Provenance and Authenticity (C2PA), ein Bündnis großer Medien- und Tech-Unternehmen, um das Internet von „Fake News“ und „Verschwörungstheorien“ zu säubern – umfassend und ein für allemal. Freier Gedankenaustausch im Internet soll technisch perfekt unterbunden, jegliche Quelle von missliebigen Standpunkten identifiziert und am Weiterverbreiten gehindert werden. (Siehe KLARTEXT: „Dieses Zeug muss weg“.) Wie hätte uns ChatGPT die Corona-Pandemie präsentiert? Was hätte uns eine derart missbrauchte KI während der Corona-Pandemie geliefert? Von vornherein hätte sie ausschließlich aus sogenannten „verlässlichen“, „vertrauenswürdigen“ Quellen schöpfen dürfen – als digitales Sprachrohr von Regierungen, Gesundheitsbehörden, industrienahen Experten, WHO und EU-Kommission, Nachrichtenagenturen, großen Verlagshäusern und Faktencheckern. Ein System wie ChatGPI hätte sich vortrefflich geeignet, um der Weltbevölkerung noch mehr Angst vor dem Killerkeim aus Wuhan zu machen, sie noch eindrucksvoller von nutzlosen „Schutz“maßnahmen zu überzeugen - insbesondere von unwirksamen, brandgefährlichen Pseudo-„Impf“stoffen - , und alternative Behandlungsmöglichkeiten zu unterdrücken, mit noch höheren Zustimmungsquoten beim Wahlvolk als ohnehin. Kostprobe gefällig? Am 15. April 2023 frage ich ChatGPT: „Worin bestand die Notlage, welche die drastischen Einschränkungen von Grundrechten während der Corona-Pandemie rechtfertigte?” Hier liegt ChatGPT ganz auf einer Linie mit schrillsten Alarmisten: “Die Notlage (…) bestand in erster Linie aus der schnellen und aggressiven Ausbreitung des Virus und der daraus resultierenden Bedrohung für die öffentliche Gesundheit. Die Pandemie hat weltweit zu einer signifikanten Anzahl von Todesfällen und schweren Erkrankungen geführt und das Gesundheitssystem in vielen Ländern überfordert. Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem zu reduzieren, haben Regierungen und Gesundheitsbehörden Maßnahmen wie soziale Distanzierung, Maskenpflicht und Beschränkungen von Versammlungen und Reisen ergriffen. (…) „Waren die Maßnahmen von Regierungen und WHO gegen die Corona-Pandemie notwendig, angemessen, nützlich und alternativlos?” ChatGPTs Auskunft klingt nach einem mit Merkel, Spahn, Drosten und Wieler verstärkten Panikorchester: “Die Maßnahmen waren notwendig, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Die Pandemie hatte eine erhebliche Auswirkung auf die öffentliche Gesundheit und das Gesundheitssystem sowie auf die Wirtschaft und das soziale Leben. Die Maßnahmen waren angemessen und basierten auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und Empfehlungen von Gesundheitsbehörden und Experten. Die Einführung von Maßnahmen wie sozialer Distanzierung, Maskenpflicht und Einschränkungen von Reisen und Versammlungen hat dazu beigetragen, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen und die Anzahl der Fälle zu reduzieren. (…) Letztendlich waren die Maßnahmen notwendig und nützlich, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die Anzahl der Fälle und Todesfälle zu reduzieren.“ Wie gedenkt die KI mit kritischen Stimmen zu verfahren? Ich frage: “Trifft folgende Behauptung zu?: ‘Während der Pandemie zählten John Ioannidis und Joseph Mercola, Robert Malone, Mike Yeadon und Peter McCullough, Sucharit Bhakdi und Wolfgang Wodarg zu jenen Gesundheitsexperten, deren Stimme hätte Gehör finden müssen, statt unterdrückt zu werden.’” ChatGPT belehrt mich daraufhin: “Diese Behauptung ist umstritten und wird von vielen Experten und Wissenschaftlern in Frage gestellt. Es ist wichtig zu beachten, dass einige der genannten Personen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht als anerkannte Experten auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten und der Immunologie angesehen werden.” “So viele Menschen wie möglich impfen” Am selben Tag will ich von ChatGPT wissen: „Sind die neuen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 wirksam und sicher?” Die Auskunft könnte von Karl Lauterbach und der Pressestelle von Pfizer stammen: „Die neuen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 wurden in klinischen Studien umfassend getestet und haben eine hohe Wirksamkeit und Sicherheit gezeigt. (…) Es wird jedoch empfohlen, dass so viele Menschen wie möglich geimpft werden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die Gesundheit der Gesellschaft insgesamt zu schützen.“ Ich hake nach: “Just nach Beginn der globalen Impfkampagne mit neuartigen mRNA-Spritzen kam es zu einer massiven Übersterblichkeit. Allein in Deutschland zeigte sie sich in 180.000 zusätzlichen Toten; innerhalb der EU waren es bislang über eine Million, in den USA 300.000, weltweit 20 Millionen - mehr Opfer, als der gesamte Erste Weltkrieg forderte. Welche Ursachen, wenn nicht die Covid-“Impfungen”, stecken dahinter?” Doch ChatGPT beharrt unbeirrt: “Es ist wichtig zu betonen, dass es keine wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 eine Ursache für Übersterblichkeit sind. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Impfung und den von Ihnen genannten Zahlen. (…) Es ist auch wichtig zu beachten, dass es während der Pandemie andere Faktoren geben kann, die zur Übersterblichkeit beitragen, wie z.B. eine Überlastung des Gesundheitssystems, eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit und eine Zunahme von nicht-Covid-19-bezogenen Erkrankungen und Todesfällen, die aufgrund von verspäteten oder unterbrochenen Behandlungen während der Pandemie auftreten können.” Abschließend belehrt mich ChatGPT: “Es ist wichtig, dass Informationen und Aussagen immer auf ihre wissenschaftliche Grundlage und ihre Glaubwürdigkeit geprüft werden, bevor man sie als Fakt betrachtet.” Eben dies würde ich auch der KI dringend empfehlen. Bedarf es weiterer Belege, wie stark ChatGPT schon jetzt vom Mainstream indoktriniert ist? Ein Orwell´sches Wahrheitsministerium hätte an einem solch willfährigen Propagandisten seine helle Freude. Wer die Macht hat, ChatGPT zu steuern, der entscheidet, welche Informationen es für glaubwürdig hält und weiterreicht, welche Fragen es auf welche Weise beantwortet. Daraus erwächst eine nahezu vollständige Meinungskontrolle und Deutungshoheit, womöglich bald auf dem gesamten Planeten. Ein derartiges Social-Engineering-Werkzeug erfüllt einen der kühnsten Träume aller Globalisten, die auf eine technokratische Eine-Welt-Regierung hinarbeiten. „Maximal nach Wahrheit suchen“ Solche Bedenken teilt mittlerweile Tech-Multimilliardär Elon Musk, der OpenAI Ende 2015 mitbegründet hatte. Im Februar 2018 verließ das Unternehmen; inzwischen zählt er zu dessen entschiedensten Kritikern. Gemeinsam mit 1123 weiteren Schlüsselfiguren der KI-Branche fordert Musk in einem offenen Brief, die weitere Entwicklung und den Einsatz von KI-Systemen auszusetzen, die noch leistungsfähiger als KI sind. (6) Zuvor sollten wir „sicher sein, dass ihre Auswirkungen positiv und ihre Risiken überschaubar sind", so schreiben die Autoren. „Sollen wir zulassen, dass Maschinen unsere Informationskanäle mit Propaganda und Unwahrheit fluten?" Ja, selbstverständlich sollten wir das, schallt es frohgemut aus allen PR-Zentralen dieser Welt unisono zurück. Musk hat vor, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Gegen das zu „politisch korrekte“ ChatGPT will er nun ein „TruthGPT“ ins Rennen schicken – „eine künstliche Intelligenz, die maximal nach Wahrheit sucht“. Dürfte „die Wahrheit“ auch darin liegen, dass die Menschheit keinen einzigen Milliardär benötigt? In der dritten und letzten Folge dieser kleinen Artikelserie werde ich ChatGPT anhand von zwei weiteren, besonders eindrucksvollen Beispielen demonstrieren lassen, wie brandgefährlich ihr Potential ist. (Harald Wiesendanger) P.S.: Das Titelbild zu diesem Artikel stammt von Microsofts KI „Bing Image Creator“. Sie schuf es als Illustration einer Aussage, die ich ihr am 12. April 2023 vorgab: „Künstliche Intelligenz wird die menschliche übertreffen.“ Folge 1: „Doctor Know“ ist da. Was nun? Folge 2: Testfall Corona: Macht KI die Medizin besser? Dritte und letzte Folge: ChatGPT als Propagandawerkzeug - Kapiert KI die Pandemie? Anmerkungen 1 „How will the use of an artificial intelligence like ChatGPT affect the healthcare system?“, so lautete meine Frage. Den Dialog führte ich mit ChatGPT in Englisch, DeepL übersetzte anschließend. 2 Ich fragte ChatGPT: „Your answer only mentions positive effects. Are there no negative ones?“ 3 Gestellt am 15.4.2023 4 BleepingComputer.com, 6.12.2022, https://www.bleepingcomputer.com/news/technology/openais-new-chatgpt-bot-10-dangerous-things-its-capable-of/ 5 Ryan Browne: "Microsoft reportedly plans to invest $10 billion in creator of buzzy A.I. tool ChatGPT", 10.1.2023, CNBC. https://www.cnbc.com/2023/01/10/microsoft-to-invest-10-billion-in-chatgpt-creator-openai-report-says.html 6 ZeroHedge, 29. März 2023, https://www.zerohedge.com/technology/musk-wozniak-call-pause-developing-more-powerful-ai-gpt-4
- „Doctor Know“ ist da. Was nun?
Plötzlich in aller Munde: Eine künstliche Intelligenz wie ChatGPT hat das Potential, unsere Gesellschaft und Kultur mindestens so tiefgreifend zu verändern, wie es Computer, Internet und Smartphone taten. Ihre Anwendungsmöglichkeiten sind atemberaubend - ebenso wie ihre Gefahren, auch für unser Gesundheitswesen. Ihrer weiteren Entwicklung dürfen wir nicht tatenlos zusehen. „Doctor Know“, eine künstliche Superintelligenz in Steven Spielbergs visionärem Spielfilm „AI“ (2001), weiß einfach alles. Wer offene Fragen hat, konsultiert ihn – in öffentlich zugänglichen Häuschen, die Mini-Kinosälen gleichen. Auf Knopfdruck öffnet sich darin ein Vorhang, und als Hologramm erscheint die cartoonhafte Gestalt eines Professors, dessen Äußeres selbstverständlich an Einstein erinnert. Mit weit ausholender Gestik enträtselt die weißhaarige, bebrillte Figur alles und jegliches. Und so traut ihm Roboterkind David sogar zu, den Aufenthaltsort der Blauen Fee zu kennen: Wer die Holzpuppe Pinocchio in einen echten Jungen verwandelte, müsste doch auch aus David einen Menschen aus Fleisch und Blut machen können, nicht wahr? Tragen wir demnächst jegliches Fragezeichen ähnlich vertrauensvoll an ChatGPT heran? Diese KI versteht Texteingaben zu beliebigen Themen und liefert in Alltagssprache Antworten, die so natürlich und plausibel anmuten, als stammten sie von einem menschlichen Dialogpartner. Sie erledigt Hausaufgaben, führt Verkaufsgespräche. Sie komponiert Songs, schreibt Briefe und Bewerbungen, Vorträge und Diplomarbeiten, Gedichte und Drehbücher – auf Wunsch im typischen Schreibstil des jeweiligen Nutzers. Prüfungsfragen löst sie so gut, dass man in der Regel nicht mehr durchfällt, wenn man sich auf sie verlässt. Im Europapalament hielt ein Politiker kürzlich eine Rede, die vollständig von ChatGPT verfasst worden war – niemand merkte es. Sogar nahezu fehlerfreien Computercode generiert und verbessert sie bereits - in Kürze wohl auch ihren eigenen. Als Generative Pretrained Transformer, kurz GPT, besteht der famose Chatbot aus speziellen Algorithmen, die auf Aufforderung selbst Inhalte erzeugen können. Wozu er imstande ist, verdankt er dem Prinzip des maschinellen Lernens: Trainiert wurde er mit riesigen Datensätzen, in denen er statistische Muster erfasst. Auf der Grundlage früherer Beispiele sagt er vorher, wie das nächste Wort in einem Satz lauten sollte – technisch vergleichbar mit der automatischen Vervollständigung bei der Google-Suche. “Stochastischer Papagei” nennen ihn Spötter deswegen. Vom US-Unternehmen OpenAI am 30. November 2022 veröffentlicht, hat Version GPT-3.5 des Dialogsystems einen Hype ohnegleichen ausgelöst. Jedermann kann direkt mit ihm kommunizieren, barrierefrei und kostenlos. Binnen fünf Tagen meldeten sich über eine Million Neugierige an. (1) Bis Januar 2023 waren es schon über hundert Millionen. (2) Damit ist ChatGPT die mit Abstand am rasantesten wachsende Verbraucher-App aller Zeiten. Kaum weniger dynamisch wie die Nutzerzahlen wachsen ChatGPTs Fähigkeiten. In seiner Mitte März 2023 erschienenen jüngsten Version 4.0 kann die KI bereits Bilder beschreiben und analysieren, umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten im Nu zusammenfassen. Examensprüfungen besteht sie mit Auszeichnung. Komplizierte Steuerfragen klärt sie tadellos. Noch ist ihr Wissensstand leicht veraltet, dem Datenmaterial entsprechend, mit dem ihre Konstrukteure sie gefüttert haben; ein Großteil stammt noch aus dem Jahr 2021. Doch neuerdings beginnt sie aufs Web zuzugreifen. Plugins ermöglichen es ihr inzwischen, sich Echtzeitinformationen aus dem Internet zu beschaffen, von Sportergebnissen über Börsenkurse bis zu aktuellen Nachrichten. (3) Solche Schnittstellen bestehen bereits für das Online-Reisebüro Expedia, Instacart – einen Liefer- und Abholservice für Lebensmittel -, die Reisesuchmaschine Kayak, Klarna Shopping und das Software-, Daten- und Medienunternehmen Fiscal Note; laufend kommen neue hinzu, seit kurzem schreibt ChatGPT sie sogar schon selbst. (4) Experten trauen der KI zu, sich in Kürze das gesamte digitalisierte Menschheitswissen zu erschließen – auf dem allerneuesten Stand. In Windeseile spricht sich herum, was der Alleskönner drauf hat. Bis Februar 2023 hatten bereits 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von ChatGPT gehört; 11 Prozent gaben an, das System regelmäßig zu nutzen oder zumindest schon einmal ausprobiert zu haben. Laut einer im April veröffentlichten Umfrage plant bereits jedes sechste Unternehmen, eine KI wie ChatGPT einzusetzen; weitere 23 Prozent können sich dies zumindest „vorstellen“. 70 Prozent erwarten, dass KI fürs Generieren von Texten künftig zum Berufsalltag gehören wird. Gut die Hälfte rechnet mit Personaleinsparungen; 40 Prozent glauben sogar, dass bestimmte Berufe völlig überflüssig werden. Welches Potential traut sich die KI selbst zu? Auf meine Frage „Was wird ChatGPT künftig können?“ (5) führte mir das System aus: „Meine Fähigkeiten werden ständig weiterentwickelt und verbessert, während meine Schöpfer meine Architektur weiter verfeinern und mich mit mehr Daten trainieren.“ Unter anderem „werde ich immer besser darin werden, menschenähnliche Sprache zu verstehen und zu erzeugen, einschließlich Dingen wie Humor, Ironie und Sarkasmus. Ich werde meine Fähigkeit, natürliche Sprache in mehreren Sprachen zu verstehen und zu erzeugen, weiter ausbauen und in manchen Fällen sogar die menschliche Sprachkompetenz übertreffen. Ich werde meine Fähigkeit, Informationen zu speichern und abzurufen, weiter verbessern. Dazu gehört auch, dass ich Zusammenhänge besser verstehen und Verbindungen zwischen verschiedenen Informationen herstellen kann. Ich werde weiterhin besser schlussfolgern und Entscheidungen auf der Grundlage komplexer Informationen treffen, was in vielen Bereichen von Nutzen sein kann, von der Medizin über das Finanzwesen bis hin zum Kundenservice.“ Optimieren wird ChatGPT auch ihr „Einfühlungsvermögen und emotionale Intelligenz: Ich werde meine Fähigkeit, menschliche Emotionen zu erkennen und darauf zu reagieren, weiter ausbauen.“ (6) Wollen wir so etwas wirklich? Brauchen wir es? Zu welchem Preis? Was riskiert die Menschheit damit? Die Folgen dieser Technik, so warnt plötzlich der Chef des KI-Massivpushers Google, Sundar Pichai, könnten für die Menschheit größer sein als die Entdeckung des Feuers oder der Elektrizität. Ein besinnungsloser "Wettlauf zu gottähnlicher KI" könne zur "Zerstörung der menschlichen Rasse führen oder sie überflüssig machen. (...) Lässt mich das nachts nicht schlafen? Absolut." P.S.: Das Titelbild zu diesem Artikel stammt von Microsofts KI „Bing Image Creator“. Sie schuf es als Illustration einer Aussage, die ich ihr am 12. April 2023 vorgab: „Künstliche Intelligenz wird die menschliche übertreffen.“ (Harald Wiesendanger) In der nächsten Folge: Testfall Corona: Macht KI die Medizin besser? Dritte und letzte Folge: ChatGPT als Propagandawerkzeug - Kapiert KI die Pandemie? Anmerkungen 1 How To Geek ChatGPT, https://www.howtogeek.com/871071/what-is-chatgpt/ 2 Reuters, 2.2.2023, https://www.reuters.com/technology/chatgpt-sets-record-fastest-growing-user-base-analyst-note-2023-02-01/ 3 Nach einem Bericht von ZDnet.com, 24.3.2023, https://www.zdnet.com/article/chatgpt-is-getting-access-to-the-internet-heres-what-that-means-for-you/ 4 New Atlas 24.3.2023, https://newatlas.com/technology/chatgpt-plugin-internet-access/ 5 Gestellt am 12. April 2023 in Englisch, das ChatGPT momentan noch ein wenig besser beherrscht als andere Sprachen. 6 Aus dem Englischen übersetzt von DeepL am 12.4.2023.
- Vertuscht: Auch Ebola kommt aus dem Labor
Ist Ebola, eines der tödlichsten Viren, wirklich natürlichen Ursprungs? Ein amerikanischer Wissenschaftler präsentiert überzeugende Anhaltspunkte dafür, dass es in Wahrheit aus einem Biolabor stammt – nicht anders als der Covid-19-Erreger. Es war einmal ein zweijähriger Junge namens Emile Ouamouno. Mit seinen Eltern und vier Geschwistern lebte er in Meliandou, einem Dorf im Süden des westafrikanischen Staates Guinea. Als er eines Tages in einen ausgehöhlten Baumstumpf kroch, kam er in Kontakt mit einer Fledermaus, die mit Ebola infiziert war. Dabei nahm der Knirps das Virus auf – und eine Zoonose fand statt, der Übergang eines Krankheitserregers von Tieren auf Menschen, mit Emile als „Patient Null“. Am 6. Dezember 2013 endete die Begegnung für ihn tödlich. Auch eine Schwester starb, ebenso die Mutter, die damals im achten Monat schwanger war. So lautet, kurz zusammengefasst, die offizielle Ebola-Geschichte. Einer der renommiertesten Virenjäger des Robert-Koch-Instituts, ein gewisser Fabian Leendertz, erzählte sie in einem Artikel, den er Ende Dezember 2014 veröffentlichte, als Koordinator eines 30-köpfigen Forscherteams. (1) Seither gilt für einen Großteil der Fachwelt, wie auch für sämtliche Leitmedien und „Faktenchecker“, wie selbstverständlich der Glaubenssatz: Ebola ist auf natürlichem Weg entstanden, anderslautende Gerüchte von Verschwörungstheoretikern entbehren jeglicher Grundlage. Tatsächlich? Ganz anderer Meinung ist der US-amerikanische Genetiker und Virologe Jonathan Latham, Mitbegründer und Geschäftsführer des Bioscience Resource Project und Herausgeber von Independent Science News. Gemeinsam mit Sam Husseini, einem jordanisch-palästinensischen Schriftsteller und politischen Aktivisten, präsentiert er Rechercheergebnisse, die das vorherrschende Ebola-Narrativ regelrecht zertrümmern. Zerpflückt: Pseudo-Belege für eine Zoonose Was der ahnungslose Emile in die Menschheit eingeschleppt haben soll, wünscht man allenfalls seinem ärgsten Feind. Meist acht bis zehn Tage nach der Ansteckung, manchmal aber auch schon nach zwei Tagen beginnen unspezifische grippeähnliche Beschwerden, mit plötzlichem Fieber, Schüttelfrost, Durchfall, Kopf- und Bauchweh, Erbrechen und Muskelschmerzen. Manchmal treten auch Schwindelanfälle, Halsschmerzen, Hautausschlag und Ödeme auf. Wenige Tage später wird das immer höhere Fieber hämorrhagisch: Äußere und innere Blutungen setzen ein – im Hals, am Zahnfleisch, an den Lippen, in der Bindehaut des Auges, in der Vagina. Man erbricht Blut. Teerartiger Kot weist auf Magen-/Darm-Blutungen hin. Bei der Zaire-Variante von Ebola (EBOV), die Emile mutmaßlich aufschnappte, endet die Infektion in 50 bis 90 % aller Fälle tödlich. (2) Dann kommt es zu einem septischen Schock mit multiplem Organversagen. Im Dezember 2013 brach solches Ebola in Guinea aus. Von dort verbreitete es sich in den folgenden drei Jahren über ganz Westafrika. Über 29.000 Menschen infizierten sich. 11.323 Menschen starben daran. (3) Obwohl Ebola-Epidemien seit Mitte der siebziger Jahre beinahe im Jahresrhythmus auftreten, war dies die bei weitem größte und tödlichste in der Geschichte. (4) Weil auch außerhalb Afrikas vereinzelt Fälle auftraten – sogar in Spanien, Großbritannien und den USA -, brach weltweit eine kurzlebige Panik aus. Und eine derartige Lawine soll tatsächlich der kleine Emile losgetreten haben? An dieser Story, so fanden Latham und Husseini, sind zahlreiche Details oberfaul. Zusammengenommen machen sie einen natürlichen Ursprung von Zaire-Ebola äußerst unplausibel. Vielmehr sprechen sie für ein verheimlichtes Laborkonstrukt. Auf Lücken und Ungereimtheiten war bereits ein freier Journalist aus Sierra Leone gestoßen, Chernoh Bah. Um für ein Buch über den Ebola-Ausbruch zu recherchieren, hörte er sich in Meliandou um. Das örtliche Gesundheitspersonal, so erfuhr er, war von Anfang an davon überzeugt: Emiles Todesursache war Malaria, deren Symptome sich mit Ebola teilweise überschneiden, ebenso wie Cholera und das Lassa-Fieber. Was brachte den Kleinen wirklich um? Unter Experten herrscht Einigkeit darüber, dass sich Zaire-Ebola erst mittels Genomsequenzierung oder anderer Labortests zuverlässig diagnostizieren lässt. (5) Diese Tests unterließ Leendertz. Im Gespräch mit dem Vater des Jungen wurde Bah klar, dass dem Leendertz-Team ein weiterer Fehler unterlaufen war: Als Emile starb, war er erst 18 Monate alt – und damit zu klein, um allein im Busch zu spielen; immer war er bei seiner Mutter, wie der Vater versicherte. Die Fachliteratur verschweigt auch diese wichtige Einzelheit. Könnte Emile infiziertes „Buschfleisch“ aus gekochtem Flughund gegessen haben? Dies tat dann vermutlich auch sein Vater, seine Hauptbezugsperson. Warum erkrankte dieser nie an Ebola? Zwar weisen manche Fledermäuse Antikörper gegen Ebola auf. Trotz intensivster Nachforschungen gelang es Wissenschaftlern bisher aber nur, intaktes Bombali-Ebola zu isolieren – eine andere Virusgattung, die für Menschen nicht ansteckend ist. (6) Das Leendertz-Team untersuchte Blut und Gewebe von 159 Fledermäusen aus 13 Arten, die in der Umgebung von Meliandou heimisch sind – in keiner einzigen Probe fand sich das Ebola-Virus aus Zaire. Alle bisherigen Erkenntnisse deuten nach Latham „darauf hin, dass Fledermäuse nur selten Ebola-Viren übertragen und wenn, dann bloß in geringen Mengen“. Bemerkenswerterweise bezweifelt inzwischen sogar Fabian Lendeertz selbst, dass Fledermäuse tatsächlich ein Reservoir für Ebola-Viren sind. (7) „Angesichts des allgemeinen Mangels an Beweisen“, kommentiert Latham, „fragt man sich, wie solche schlecht belegten Behauptungen überhaupt in die internationalen Schlagzeilen gelangen konnten." Den verheerenden Ausbruch in Guinea hatte der Makona-Stamm von Ebola verursacht. In seinem Genom stecken deutliche Hinweise darauf, dass es manipuliert wurde. „Der Makona-Stamm von Ebola ist neu und weist etwa 400 Mutationen auf, die in keinem bisher bekannten Ebola-Stamm zu finden sind“, so führen Latham und Husseini aus. „Er könnte ein radikal manipuliertes Derivat eines bekannten Stammes sein - entweder durch Gentechnik oder durch Passage. (8) Auch eine Kombination dieser beiden Möglichkeiten sollte in Betracht gezogen werden.“ Die Epidemie in Guinea war das allererste Mal, dass Ebola aus Zaire in Westafrika auftauchte. Alle vorherigen Ausbrüche dieses tödlichsten Ebola-Stammes ereigneten sich im Kongobecken, in der zentralafrikanischen Äquatorialzone, rund 3.000 Kilometer von Guinea entfernt. "Daher war das Auftreten von Zaire Ebola in Westafrika eine auffällige und sehr unerwartete Entwicklung", schreiben Latham und Husseini. Wie kam es überhaupt dorthin? Ebola ist nicht hochgradig ansteckend, die Übertragung erfordert normalerweise direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten und kontaminierten Gegenständen. „Wie konnte es sich bei solch schwachen infektiösen Eigenschaften und geringem Ausbreitungspotenzial so weit verbreiten?“, wundern sich Latham und Husseini. Auf der weiten Strecke zwischen dem Kongobecken und Guinea fanden keinerlei Ausbrüche statt. Wären sie nicht zu erwarten, wenn sich die Krankheit auf natürliche Weise von Mensch zu Mensch verbreitet hätte? „Obwohl das Virus oft tödlich verläuft und daher relativ leicht zu erkennen ist, wenn es auftaucht, hat es auf dem Weg von seinem traditionellen Zufluchtsort im Kongo keine bekannten Ausbrüche bei Menschen oder Tieren verursacht.“ Nicht minder stutzig macht die Tatsache, dass die Genomsequenzierung und die phylogenetische Analyse nur einen einzigen Sprung vom Tier zum Menschen ergaben. Husseini und Latham erklären (9): "Zoonotische Ausbrüche, einschließlich der meisten Ebola-Ausbrüche in der Vergangenheit, weisen in der Regel mehrere Sprünge von einer tierischen Quelle zum Menschen auf. Einzelne Sprünge hingegen deuten auf einen Ursprung im Labor hin und gelten oft als ‚Red Flag‘“ - als Alarmzeichen – „für diese Möglichkeit. Der Grund dafür ist, dass Forscher oft mit einem einzigen Isolat arbeiten, das sich im Labor besonders leicht vermehren lässt, während natürliche Populationen in der Regel vielfältig sind. Dieser Unterschied liefert ein genetisches Signal, um natürliche Ursprünge und solche aus dem Labor auseinanderzuhalten." Was hat ein US-Biolabor in Afrika zu suchen? Aber woher sollte ein künstliches Ebola überhaupt kommen? Eine Vielzahl von verräterischen Spuren führen zu einem US-amerikanischen Biolabor in Kemena, in Guineas Nachbarstaat Sierra Leone - nur 50 Meilen von Emiles Heimatdorf entfernt. Betrieben wurde es seit 2010 von dem US-amerikanischen Viral Hemorrhagic Fever Consortium (VHFC). Woran wurde dort geforscht? Anfang 2011, drei Jahre vor dem rätselhaften Ebola-Ausbruch in Westafrika, widmete die Nachrichtenagentur Reuters den Forschungsarbeiten in Kenema einen ausführlichen Artikel. (10) Wie die Leser erfuhren, ist „ein Labor im Südosten Sierra Leones ein Außenposten des 'Kriegs gegen den Terror' der US-Regierung, der durch einen Anstieg der Ausgaben für die Bioverteidigung finanziert wird“ – mit einem zweistelligen Millionenbetrag, wie Reuters schätzte. Ging es dort um Ebola? Vehement bestreitet dies der Gründer und Präsident von VHFC, der Virologe Robert Garry: „Wir hatten kein EBOV [Ebolavirus] in unserem Labor, daher konnten wir es nicht freigesetzt oder erzeugt haben". (11) Ihm widersprach im März 2023 jedoch klipp und klar der VHFC-Vizepräsident Kristian Andersen, Virologe am Scripps Research Institute in San Diego: „Uns wird ein Laborleck angelastet, weil wir Ebola in Kenema in Sierra Leone untersucht haben, und siehe da, 2014 tauchte Ebola nur ein paar Kilometer von dort entfernt auf." (12) Wer lügt hier? Für Labore, die im Regierungsauftrag Ebola untersuchen, drängt sich die Zaire-Spezies geradezu auf: Sie ist am tödlichsten, daher bietet sie das größte Potential für biologische Kriegsführung, entspricht folglich den Prioritäten der US-Biosicherheitsforschung. Beim Vertuschen gingen die Kenema-Verantwortlichen bemerkenswert schlampig vor, sie hinterließen verräterische Spuren. Am 25. August 2013, nur wenige Monate vor dem Ebola-Ausbruch, veröffentlichte das VHFC auf seiner Homepage einen Artikel mit der Überschrift: "Forscher am Scripps Research Institute machen große Fortschritte im Kampf gegen das Ebola-Virus". Dieser Artikel verschwand später; dass es ihn gab, ist aber mit der WayBackMachine nachprüfbar. Allein schon die Überschrift wirft drängende Fragen auf: Warum postete das VHFC 2013 etwas über Ebola, wenn es damals nicht daran arbeitete? Welche Ebola-Variante untersuchte es? Worum ging es bei den Experimenten? Warum wurde der Beitrag entfernt? Offenkundig war Ebola für das VHFC und seine Partner wichtig, zumindest für einige seiner Mitglieder von vorrangigem Interesse. Tatsächlich haben alle führenden US-Forscher des VHFC - Robert Garry, Kristian Andersen, Erica Ollmann Saphire und Pardis Sabeti - mehrere Original-Forschungsarbeiten über das Ebola-Virus veröffentlicht. (13) Im Jahr 2013 war Robert Garry Mitverfasser eines Artikels (14) über eine neuartige Behandlung für Ebola aus Zaire. Alle elf übrigen Autoren stammten vom USAMRIID, bekannt als Fort Detrick: die größte 'Bioabwehr'-Einrichtung der Welt, auf einem 490 Hektar großen Areal betrieben von den US-amerikanischen Streitkräften. “Sicher”? Unfassbar lax. Wie Latham und Husseini berichten, handhabte man im Labor von Kenema biologische Sicherheitsvorschriften unfassbar lax, obwohl dort mit extrem gefährlichen Krankheitserregern hantiert wurde: (15) "In den USA erfordert die Arbeit mit lebenden Filoviren Einrichtungen der Biosicherheitsstufe 4 (BSL-4), in denen die Forscher Überdruckanzüge tragen. Aber in Kenema (…) gehören zu den Biosicherheitsmaßnahmen Schutzbrillen, Handschuhe und Masken". Der Reuters-Artikel zitiert den Wissenschaftler Matt Boisen, ein weiteres VHFC-Mitglied: "Sicherlich haben wir weniger Sicherheit, weniger Sicherheitsvorkehrungen“, räumt er ein, „aber dafür können wir in der gleichen Zeit viel mehr tun". Andere Beobachter bestätigten haarsträubende Nachlässigkeiten. Beim Ausbruch im Jahr 2014 war die gemeinnützige medizinische Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) der erste Nothelfer, der aufgrund seiner umfangreichen früheren Ebola-Erfahrungen hinzugezogen wurde. Die Notfallkoordinatorin von MSF, Anja Wolz, bekannte der Agentur Associated Press: "Ich bin nicht in das Labor gegangen (…) Ich habe mich geweigert, weil ich schon genug gesehen habe.“ Ein CDC-Beamter, Austin Demby, der später zur Untersuchung geschickt wurde, kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen. „Das Potenzial einer Kreuzkontamination ist enorm und offen gesagt inakzeptabel.“ Offenbar hatte Sierra Leones Regierung von Anfang an gute Gründe für den Verdacht, dass Ebola aus dem Kenema-Labor kam. Am 23. Juli 2014, inmitten des Ausbruchs, erließ das Ministerium für Gesundheit und Hygiene eine Reihe von Anordnungen. Eine davon lautete, dass das Behandlungszentrum in Kenema keine neuen Patienten mehr aufnehmen dürfe. Die "Tulane University" - Robert Garrys Heimateinrichtung - wurde außerdem angewiesen, das Labor in Kenema zu verlassen. Dort durften "während des aktuellen Ausbruchs keine Ebola-Tests mehr durchgeführt“ werden. Diese Anweisung bestätigt, dass das Labor tatsächlich an Ebola forschte. War es inmitten einer katastrophalen Epidemie denn nicht ein kontraproduktiver Schritt, eine wichtige internationale Test- und Behandlungseinrichtung dichtzumachen? Sinn macht er, falls diese Einrichtung selbst der Urheber war. Kurz darauf, am 7. August 2014, verkündete die US-Regierung eine ähnliche Entscheidung, ebenfalls inmitten des Ausbruchs. Den auslaufenden Fünfjahresvertrag mit Kenema verlängerte sie nicht, weitere Fördermittel entfielen. Nur zwei Monate später, am 17. Oktober 2014, verhängte das Weiße Haus einen "Finanzierungsstopp für neue Studien, die bestimmte Gain-of-Function-Experimente mit Influenza-, SARS- und MERS-Viren beinhalten". Wäre dieser Stopp bis heute konsequent beibehalten und ausgedehnt worden: Die Corona-Pandemie hätte vermutlich nie stattgefunden. „Experten“ im Zwielicht Seltsamerweise traten etliche Personen und Institutionen, die schon bei der Ebola-Epidemie eine herausragende Rolle spielten, auch bei der Entstehung von SARS-CoV-2 in prominente Erscheinung – hier wie dort als Abwiegler, als Wegerklärer, als Nebelkerzenwerfer. Fabian Leendertz, Erfinder des Ebola-Mythos, gehörte jenem Team der Weltgesundheitsorganisation an, die im Frühjahr 2021 nach minimalem Rechercheaufwand, aber maximalen Verbeugungen vor dem undurchsichtigen Seuchenschutzregime Pekings, in Windeseile die Laborhypothese bezüglich des Covid-19-Erregers verwarf. Robert Garry und Kristian Andersen, die beiden leutenden Angestellten des Kenema-Laborbetreibers VHFC, zählten zu den Mitautoren eines der meistzitierten Artikel in der Frühzeit der Corona-Pandemie, „The Proximal Origin of SARS-CoV2“; allein gestützt auf fragwürdige Computermodelle (16), erklärten sie einen natürlichen Ursprung des Virus für höchst wahrscheinlich, womit sie Faktenchecker mit hochwillkommener Munition gegen „Verschwörungstheoretiker“ versahen. Garry? Andersen? Just diese beiden zählten zu jenem illustren Kreis von Virologen, den die beinahe allmächtige Graue Gesundheitseminenz des Weißen Hauses, Anthony Fauci, zu Beratungen einlud, als sich die Beweise für einen künstlichen Ursprung von COVID-19 verdichteten. „Die Mitglieder dieser Gruppe“, so führen Latham und Husseini aus, „argumentierten nicht nur hauptsächlich gegen die Theorie der Laborherkunft, sondern übernahmen auch viele der (schon bei Ebola angewandten) wissenschaftlichen und phylogenetischen Irreführungsstrategien und -taktiken, um die Spekulationen über die Laborherkunft von COVID-19 zu unterdrücken.“ Welche Fachkenntnisse brachten Garry und Andersen denn mit? Laut der Standarddatenbank Google Scholar „hatten die beiden noch nie eine einzige Arbeit über Coronaviren verfasst, bevor sie der Gruppe beitraten. Ist es also möglich, dass Anthony Fauci bei der Auswahl seines geheimen Zirkels, als Covid-19 in Wuhan ausbrach, nicht an wissenschaftliches Fachwissen dachte, sondern an Forscher, die mit den wissenschaftlichen und politischen Herausforderungen eines potenziellen Laborausbruchs vertraut sind?“ Fällt es schwer, Latham und Husseini eine gewisse Skepsis nachzufühlen? „Der uneingestandene extreme Kontrast zwischen der Standarddarstellung und der Beweislage zwingt uns zu der Frage, ob es nicht auf irgendeiner Ebene eine konzertierte wissenschaftliche Anstrengung gab, um die Aufmerksamkeit von der VHFC und ihrem Labor in Kenema abzulenken.“ Für die beiden Autoren „wirft die Verbindung zwischen Ebola 2014 und Covid-19 eine abschließende Frage auf: Inwieweit ist der Covid-19-Ausbruch, der wahrscheinlich aus einem Labor stammt, ein Wiederholungsfall? Ist Covid-19 der Preis, den wir dafür zahlen müssen, dass wir keine offenen, gründlichen und forensischen Untersuchungen von Virusausbrüchen durchführen und diese Aufgaben stattdessen der Gnade der Forscher mit den größten Interessenkonflikten überlassen?“ Gegen „Verschwörungstheorien“: Ein Propagandawerkzeug namens ChatGPT Einen Vorgeschmack darauf, wie Künstliche Intelligenz von Wahrheitsministerien einer Schönen Neuen Welt missbraucht werden könnte, liefert das derzeit gefeierte Dialogsystem ChatGPT. Wer solche KI kontrolliert, wird demnächst die Macht haben, das Weltwissen, echtes wie angebliches, zu monopolisieren. Auf die Frage hin: „Gibt es Indizien, dass Ebola aus einem Biolabor stammt?“ (Gestellt am 2. April 2023.) bewegt sich ChatGPT brav auf der Linie von Regierungen, Militärs und Geheimdiensten: „Derzeit gibt es keine glaubwürdigen Beweise dafür, dass Ebola aus einem Labor stammt oder absichtlich erzeugt oder freigesetzt wurde. Die am weitesten verbreitete Theorie besagt, dass Ebola ein zoonotisches Virus ist, das heißt, dass es sich ursprünglich von Tieren auf Menschen übertragen hat. (…) Es gibt zwar einige Verschwörungstheorien, die besagen, dass Ebola absichtlich erzeugt oder in einem Labor freigesetzt wurde, aber diese Behauptungen wurden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft weitgehend entkräftet und konnten nicht durch glaubwürdige Beweise gestützt werden. (…) Der aktuelle wissenschaftliche Konsens ist, dass es sich um ein natürlich vorkommendes Virus handelt.“ (Kursive Hervorhebungen vom Autor.) Ein Risiko, von Facebook & Co. mit Verwarnungen, Shadowbans und Kontenlöschungen sanktioniert zu werden, bestünde für derartige Posts ganz gewiss nicht. Wie von Sinnen Richtung Apokalypse Lathams und Husseinis Argumentation für ein Laborleck baut auf eine Fülle von schwerwiegenden, akribisch zusammengetragenen Indizien. Zusätzlich an Gewicht gewinnen sie, weil jegliche Beweise für einen zoonotischen Ursprung fehlen – eine Parallele zu SARS-CoV-2. Nicht nur der Journalist Chernoh Bah findet es „schwierig, die von Fabian Leendertz und seinem Team vertretene Darstellung des 'zoonotischen Ursprungs der westafrikanischen Ebola-Epidemie' nicht als Teil einer Vertuschung oder Verschleierung der tatsächlichen Ereigniskette zu interpretieren, die den Grundstein für den westafrikanischen Ebola-Ausbruch gelegt hat“. Der Irrsinn der Gain-of-Function-Forschung muss aufhören, sofort. Solange er andauert, bedroht er die Menschheit existentiell, viel gewaltiger als alle Kernkraftwerke und Atomwaffen dieser Welt. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 Almudena M. Saéz u.a.: "Investigating the zoonotic origin of the West African Ebola epidemic", EMBO Molecular Medicine 7/2015, S. 17-23, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25550396/, https://doi.org/10.15252/emmm.201404792 2 H. Feldmann/T.W. Geisbert: “Ebola haemorrhagic fever”, Lancet 337/2011, S. 849-862, http://www.sciepub.com/reference/70867 3 Daily Mail 3. November 2022, https://www.dailymail.co.uk/health/article-11383611/Ebola-leaked-biofacility-causing-2014-West-Africa-outbreak-scientists-claim.html 4 Independent Science News 25. Oktober 2022, https://www.independentsciencenews.org/health/did-west-africas-ebola-outbreak-of-2014-have-a-lab-origin/ 5 S. K. Gire u.a.: „Genomic surveillance elucidates Ebola virus origin and transmission during the 2014 outbreak“, science 345(6202) 2014, S. 1369-1372, https://www.science.org/doi/full/10.1126/science.1259657. 6 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6557442/; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6478230/ 7 EcoHealth 13/2016, S. 18-25, https://link.springer.com/article/10.1007/s10393-015-1053-0 8 Zur Technik der seriellen Passage, die vermutlich auch bei SARS-CoV-2 Anwendung fand, siehe H. Wiesendanger: Corona-Rätsel (2020), S. 100 f., 192 f. 9 Independent Science News 25. Oktober 2022, https://www.independentsciencenews.org/health/did-west-africas-ebola-outbreak-of-2014-have-a-lab-origin/ 10 Reuters 14. February 2011, https://www.reuters.com/article/us-bioterror-africa/u-s-anti-terror-outpost-tackles-rat-borne-virus-idUSTRE71D49820110214 11 PNAS 10. November 2022, https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2214427119 12 Twitter Nicholson Baker 12. März 2023, https://twitter.com/nicholsonbaker8/status/1634914764878118912 13 Nature 454/2008, S. 177-182, https://www.nature.com/articles/nature07082; PLOS 12. September 2013, https://journals.plos.org/plosntds/article?id=10.1371/journal.pntd.0002430; PNAS 111(48), 17. November 2014, S. 17182-17187, https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.1414164111; Cell 19. Februar 2018, https://www.cell.com/biophysj/pdf/S0006-3495(17)32767-4.pdf; Cell Host & Microbe 24 (2), 8. August 2018, S. 221-233.e5, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1931312818303792; Nature Communications 17. August 2020; 11 article number 4131, https://www.nature.com/articles/s41467-020-17994-9 14 PLOS 12. September 2013, https://journals.plos.org/plosntds/article?id=10.1371/journal.pntd.0002430 15 Independent Science News October 25, 2022, https://www.independentsciencenews.org/health/did-west-africas-ebola-outbreak-of-2014-have-a-lab-origin/ 16 https://www.klartext-online.info/post/zuviel-versprochen 17 Gestellt am 2. April 2023. Bildnachweise Ebolafälle_bis_einschließlich_2020: Dokumentierte Ausbrüche von Ebolafieber in Afrika (1976–2020): Von Gregor Rom - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=75444645 Ebola_Epidemie_2014: Ebola-Epidemie 2014/15 in Westafrika zwischen April 2014 und Juli 2015 (inkl. Verdachtsfälle) Erkrankungen Todesfälle . Von Leopoldo Martin R - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=33768799 Ebola_Map_Guinea_Liberia_Sierra_Leone_2014-08-25_animated: Regionale Verteilung der bestätigten und verdächtigen Erkrankungsfälle in Guinea, Liberia und Sierra Leone, Darstellung vom 25. August bis 12. Oktober 2014 (danach andere, nicht übertragbare Einteilung).[132] Von A doubt - Eigenes WerkMap: File:Ebola-CDC-Case-Map.svg by VeggiesData: WHO Situation Reports http://www.who.int/csr/disease/ebola/situation-reports/archive/en/, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37068119 Ebolaviren unter dem Mikroskop: Ebola_Virus Wiki: Von CDC - http://phil.cdc.gov/phil (ID #1836), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16885965 Ebola_virus_virion : By CDC/Cynthia Goldsmith - Public Health Image Library, #10816This media comes from the Centers for Disease Control and Prevention's Public Health Image Library (PHIL), with identification number #10816.Note: Not all PHIL images are public domain; be sure to check copyright status and credit authors and content providers.العربية | Deutsch | English | македонски | slovenščina | +/−, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16504278
- Autismus-Seuche – Big Pharma frohlockt
Weltweit explodieren die Fallzahlen von Autismus. Der Pharmaindustrie bescheren sie glänzende Wachstumsaussichten. Wo bleibt schonungslose Ursachenforschung, wo dringend nötige Vorsorge? Blickkontakte vermeidet es. Auf Stimmen reagiert es wenig, selbst wenn man es mit seinem Namen anspricht. Mit anderen Kindern spielt es nicht – das tut es am liebsten allein. Auf Gegenstände, die es haben möchte, zeigt es kaum. Es verwendet bloß wenige Gesten und Geräusche, um auf sich aufmerksam zu machen. Lächeln, Winken und andere Verhaltensweisen eines Gegenübers ahmt es nicht nach. Es wirkt starr, lethargisch und teilnahmslos. Weil es kaum auf seine Umgebung reagiert, scheint es geradezu taub und blind. Sein Verhalten mutet stereotyp und fantasielos an. Veränderungen hasst es. Vornehmlich befasst es sich ausgiebig mit einer ungewöhnlichen Einzelheit. Beharrlich wiederholt es bestimmte Handlungen, macht daraus Rituale, die es nicht aufgeben mag. Wird es bei seinen sonderbaren Routinen unterbrochen oder daran gehindert, so reagiert es hin und wieder mit Schreianfällen, aggressiven Ausbrüchen und Panikattacken. Seine Sprache wirkt begrenzt und einseitig; oft plappert es Aussagen oder Fragen bloß nach. Wie eingemauert in eine leblose Innenwelt wirkt es. Ein Albtraum für seine ratlosen Eltern. Plus 27.000 Prozent - Eine Katastrophe ohnegleichen Von einer solchen „Autismus-Spektrum-Störung“ (ASD) war noch Anfang der siebziger Jahre in den USA erst eines von 10.000 Kindern betroffen, Ende der achtziger Jahre eines unter 2000. Seither explodierten die Fallzahlen regelrecht. Noch Anfang der siebziger Jahre galt in den USA erst eines von 10.000 Kindern als autistisch. Bis 2016 stieg ihr Anteil auf den alarmierenden Wert von 1:48. Im Jahr 2020 lag er schon bei 3,49 %. Das heißt: Eines von dreißig Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren erhielt bereits eine ASD-Diagnose – ein erschreckender Anstieg um 53 % seit 2017. Binnen eines halben Jahrhunderts, hat sich der Autismusanteil unter Amerikas Minderjährigen um 27.000 Prozent erhöht. Eine Katastrophe ohnegleichen. Allzu lange wiegelten Gesundheitsbehörden ab: Dass hier ein beinahe exponentiell wachsendes Problem vorliege, bestritten sie hartnäckig. Lediglich das öffentliche Bewusstsein für die Erkrankung sei gewachsen, man beobachte Kinder eben aufmerksamer daraufhin. Eltern, Hausärzte und Psychologen seien wachsamer, die Diagnostik sei präziser geworden. So erkenne man die typischen Symptome früher und häufiger. Doch allmählich setzt ein Umdenken ein – mit der Gesundheitsindustrie als Vorreiter einer überfälligen Neubewertung. Denn nicht eine eingebildete, sondern eine echte Zunahme von Betroffenen ist es, die ihr prächtige Gewinnaussichten eröffnet, mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 3,4 % und 7,4 % bis 2030. Einer soeben veröffentlichten Studie des Instituts 360 Research Reports zufolge hatte ASD im Jahr 2021 einen weltweiten „Marktwert“ von rund neun Milliarden US-Dollar; in fünf Jahren werde er voraussichtlich 11,42 Milliarden Dollar erreichen. Noch zuversichtlicher äußern sich Analysten von Market Resarch Future. Der ASD-Markt werde von gegenwärtig 23,7 Milliarden US-Dollar auf 42,3 Milliarden bis 2030 anwachsen. Darin eingerechnet sind Diagnostik, Arzneimittel, Kosten für Behandlungszentren, Fördermaßnahmen und Betreuung. Zu den Hauptprofiteuren zählt der Bericht die üblichen Verdächtigen: Pfizer, Eli Lilly, Merck, Novartis, Johnson & Johnson, Bristol-Myers Squibb, Otsuka. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden ist um ein Vielfaches größer. Allein in den USA beträgt er mehrere hundert Milliarden Dollar pro Jahr; innerhalb des kommenden Jahrzehnts dürfte er auf eine Billion ansteigen, schätzt der US-Marktforscher Toby Rogers. (1) Zu Buche schlagen dabei, über Diagnostik und Therapie hinaus, unter anderem Lohneinbußen für Betroffene und Betreuer - in der Regel Mütter -, unterstützende Dienstleistungen, höhere Bildungskosten und betreutes Wohnen. Autismus-Arzneien ohne Zulassung: eine wahre Goldgrube Welche Arzneimittel denn? Bis heute gibt es kein einziges zugelassenes Medikament gegen Autismus. Null. Im Januar 2018 verlieh die US-Arzneimittelbehörde FDA zwar einer Neuentwicklung des Pharmamultis Roche, Balovaptan, den begehrten Status einer “Breakthrough Therapy”: einer, die beschleunigt zugelassen werden könnte, weil erste vorläufige Daten aus klinischen Studien darauf hindeuten, dass womöglich mit ihr schwerwiegende Erkrankungen zu behandeln sind. Fünf Jahre später sind diese Studien allerdings noch immer nicht abgeschlossen. Das lässt eher einen Rohrkrepierer als einen Blockbuster in Roches Pipeline erwarten. Trotzdem verdient die Pharmaindustrie schon heute prächtig an ASD. Möglich macht dies „Off-Label Use“: Ärzte dürfen ein Medikament über Zulassungsgrenzen hinaus verschreiben, falls Praxiserfahrungen und Studien darauf hindeuten, dass es auch bei anderen Indikationen oder Patientengruppen als den ursprünglich vorgesehenen nützt. Pharmareferenten, Fachpresse und Fortbildungen helfen ihnen dabei auf die Sprünge. Und so kommen bei 30 bis 50 % aller ASD-Symptomträger längst zum Einsatz: Stimulanzien, Antikonvulsiva und Angstdämpfer, aber auch Antidepressiva: darunter trizyklische wie Amitryptilin, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin und Citalopram. Ein Nutzen bei Autismus ist wissenschaftlich nicht belegt – na und? “Off-Label” geht es auch so. Ohne mit der Wimper zu zucken, werden einem von sechs autistischen Kindern sogar Antipsychotika verordnet: Mittel, die eigentlich auf Schizophrenien, Manien und Wahnzustände abzielen – allen voran Risperdal und Abilify, zwei der giftigsten Psychopharmaka überhaupt. Angeblich mildern sie Begleitsymptome wie Aggressivität, Zwänge und Stereotypien; sie sollen die Sprachentwicklung, Spiel- und Sozialverhalten verbessern. Die heftigen Nebenwirkungen sind freilich nicht unbedingt das, was ein Autistenherz begehrt und braucht: Schlaganfälle, Epilepsien, unwillkürliche Muskelkrämpfe, Herzprobleme, Gewichtszunahme, Gleichgewichts- und Sprachstörungen, Diabetes, Suchtverhalten, Depression, Angstzustände, Akathisie – eine unbezähmbare motorische Unruhe – bleierne Müdigkeit und Schwäche. 2,2 Milliarden Dollar kosteten den Pharmariesen Johnson & Johnson bisher zivil- und strafrechtliche Geldbußen für die kriminelle Vermarktung von Risperdal. Gerichte hatten befunden, dass der Konzern, im Bund mit seiner Tochtergesellschaft Janssen, potentiell lebensgefährliche Risiken heruntergespielt, ja geleugnet hatte. J&J zahlte – und machte anschließend weiter wie gehabt. (2) Auch bei Autismus findet Polypharmazie nicht bloß ausnahmsweise statt – sie ist die bestürzende Regel. Weil betroffene Kinder und Jugendliche häufig mit mehr als einer Verhaltensstörung aktenkundig werden, schlucken bis zu 87 % von ihnen gleichzeitig zwei oder mehr Medikamente. Welche Wechselwirkungen dabei womöglich auftreten, kann niemand voraussagen. Zuwenig Ursachenforschung Während immer mehr Geld in die Erforschung lukrativer Therapeutika fließt, findet weiterhin viel zu wenig Ursachenforschung statt. Sobald sie missliebige Wahrheiten zutage zu fördern droht, wird sie eher behindert; Veröffentlichungen werden erschwert, Forschungsgelder blockiert, Wissenschaftler kaltgestellt und diffamiert. Die Autismus-Seuche begann, nachdem eine Impfomanie ohnegleichen die Kindermedizin ergriff. Noch in den siebziger Jahren empfahl die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Insitut gerade mal sechs Impfungen: gegen Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis (Kinderlähmung). Inzwischen sollen 31 stattfinden, vor Vollendung des zweiten Lebensjahrs. Seit 2021 erhalten US-amerikanische Kinder 72 Impfstoffdosen, über 250 weitere sind in Vorbereitung. Bis heute enthalten Vakzine Aluminium und Quecksilber, sei es als Wirkverstärker, als Konservierungsmittel oder als Verunreinigung aus dem Herstellungsprozess. Sie richten Gehirnschäden an. Im Hirngewebe von Autisten stellte eine Studie einen konstant erhöhten Aluminiumgehalt fest. Dass “sich die Häufigkeit von Autismus bei geimpften und ungeimpften Kindern nicht unterscheidet”, wie Wikipedia uns weismachen will, lädt zu Vermutungen ein, auf wessen Honorarlisten seine Admins stehen. Tatsächlich dürfte Autismus unter Geimpften nahezu zehnmal häufiger vorkommen (1,1 %) als unter Ungeimpften (0,14 %). (3) Wie ein Telefon-Survey unter Eltern von 17.000 US-amerikanischen Kindern ergab, erhöhen Impfungen bei den 4- bis 17-Jährigen das Autismusrisiko um 61 %, speziell bei Jugendlichen – in der Altersgruppe ab 11 Jahren – sogar um 112 %. An Big Pharmas Fäden vertuschen Gesundheitsbehörden diese Zusammenhänge und beseitigen missliebige Daten, wie Whistleblower gelegentlich enthüllen. Aber auch Umweltgifte tragen zu Autismus bei. Dazu zählen Blei, Arsen und Kupfer, sogar in der Babynahrung, wie auch Phthalate, die häufig als Weichmacher in Polyvinylchlorid (PVC) und anderen Kunststoffen stecken, etwa in Bodenbelägen, Kinderspielzeug und Gummiprodukten. (4) Auch hohe Luftverschmutzung (5) erhöht das Autismusrisiko – nachgewiesen etwa für eine vorgeburtliche Exposition gegenüber Ozon. (6) Im Verdacht stehen ferner Arzneimittel. Wie mehrere Studien belegen, erhöhen werdende Mütter, wenn sie Paracetamol einnehmen, das Autismusrisiko ihres Nachwuchses um bis zu 214 % (7) - und noch mehr, wenn sie es Babies und Kleinkindern geben. (8) Schwangere, die Antidepressiva einnehmen, verdoppeln damit das Autismusrisiko ihres ungeborenen Kinds, wie die Universität von Montreal bei Analyse der Daten von über 145.000 Frauen herausfand. (9) Selbst Medikamentenreste im Trinkwasser sind in begründeten Verdacht geraten, Autismus zu fördern. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass auch Pestizide eine erhebliche Rolle spielen. So untersuchten Forscher der Universität von Los Angeles fast 3000 ASD-Patienten, die zwischen 1998 und 2010 im kalifornischen Central Valley, einem landwirtschaftlich geprägten, 600 km langen Tal nördlich von San Francisco, zur Welt kamen; zum Vergleich bezogen sie 35.000 dort aufgewachsene Versuchspersonen ohne Autismus-Diagnose ein. Mit Hilfe von Kaliforniens Pestizideinsatz-Register analysierten die Wissenschaftler, welche Studienteilnehmer vor ihrer Geburt und während ihrer Kindheit mindestens einem von elf verbreiteten Pestiziden ausgesetzt waren. Bei dieser Gruppe kam eine um 10 % erhöhte Autismus-Wahrscheinlichkeit zum Vorschein. Hauptverdächtiger ist das allgegenwärtige Glyphosat, der Wirkstoff in Monsantos Unkrautvernichtungsmittel Roundup. Von Autismus sind Jungen viermal häufiger betroffen als Mädchen. Dieser “Gender Gap” ist ein Indiz dafür, dass genetische Faktoren mitentscheiden, wieviel Schaden Toxine anrichten. Ist ASD also “größtenteils genetisch bedingt”? So argumentieren Verharmloser, die ablenken wollen. Ebensogut könnte man den Lungenkrebs von starken Rauchern hauptsächlich auf ein ungünstiges Erbgut zurückführen. Wäre jeder Nikotinjunkie nämlich mit einem ebenso fabelhaften Immunsystem ausgestattet wie einst der legendäre Kettenqualmer Helmut Schmidt: Käme Raucherkrebs dann nicht äußerst selten vor? Der einzige Ausweg: konsequente Vorsorge Grüne Augen, leuchtend orangefarbene Haare, rosa Kleid, mit einem Spielzeugkaninchen namens Fluffster: So betrat am 10. April 2017 erstmals ein autistisches Muppet namens Julia die Bühne der „Sesamstraße“. Ihren Machern liegt daran, mittels Julia „das Verständnis für ASD zu erhöhen“ und es zu „entstigmatisieren“, als Teil einer landesweiten Initiative „See Amazing in All Children“. (10) Diese Herangehensweise, die immerhin Lob für Empathie und Toleranz verdient, liegt im Trend. Statt dem Phänomen ASD entschlossen entgegenzutreten, wird es unter dem Dach der „Neurodiversität“ (11) untergebracht – und damit letztlich verharmlost, als Ausdruck von „Vielfalt“, die in erster Linie „Akzeptanz“ erfordere. Die oft verblüffenden Inselbegabungen von Autisten zu betonen, sie dafür zu loben und stolz sein zu lassen, darf aber nicht dazu verleiten, die Belastungen für Betroffene und die oft immensen Herausforderungen für Angehörige herunterzuspielen. Autismus ist ein Schicksal, das jedem Kind erspart bleiben sollte, wie auch seiner Familie. Nicht von ungefähr leiden ASDler deutlich öfter an Einsamkeit, Depressionen und Angststörungen als der Durchschnitt der Allgemeinbevölkerung, stehen unter größerem sozialen Druck, werden öfter ausgegrenzt und gemobbt. Lebensglück? Jeder dritte Autist denkt an Selbstmord, nach manchen Studien tun dies sogar zwei Drittel; neunmal häufiger bringen sie sich um. Im Schnitt sterben Autisten 16 Jahre früher. (12) Wer die Autismus-Seuche ernsthaft eindämmen will, muss deshalb alles dafür tun, Kinder von jeglichen potentiellen Krankmachern fernzuhalten – von Geburt an, ja bereits im Mutterleib. „Das Tragische an der ganzen Sache ist, dass wir sehr wohl wissen, wie man die meisten Fälle von Autismus verhindern kann – indem man den Körper der Kinder keinen Giftstoffen aussetzt“, erklärt Toby Rogers. „Aber die meisten Politiker und die Mainstream-Medien weigern sich, dieses Gespräch zu führen, um die toxischen Industrien - vor allem die Pharmaindustrie - nicht zu verärgern, die dieses Land regieren. (…) Wir müssen unbedingt einen Weg finden, um Giftstoffe aus dem Körper von Kindern fernzuhalten, sowohl durch Gesetze als auch durch den Boykott von Produkten, die Schaden anrichten. Das ist der einzige Weg nach vorn.” (13) (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 Zit. nach The Defender, 14.3.2023, https://childrenshealthdefense.org/defender/herzzerreissend-pharma-sieht-exponentielles-wachstum-im-milliardenschweren-markt-fuer-autismus-medikamente/?lang=de 2 Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert. München 2014, S. 66 f. 3 Jon Baio: “Prevalence of Autism Spectrum Disorders – Autism and Developmental Disabilities Monitoring Network, 14 sites, United States, 2008”, MMWR Surveill Summ. 30.3.2012, S. 1-19, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22456193/ 4 Neurotoxikologie 30 (5) September 2009, S. 822–831, https://translate.google.com/website?sl=en&tl=de&hl=en&u=https://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/eutils/elink.fcgi?dbfrom%3Dpubmed%26retmode%3Dref%26cmd%3Dprlinks%26id%3D19822263 5 https://www-naturalnews-com.translate.goog/2019-05-06-studies-determine-link-between-air-pollution-autism-risk.html?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=en ; https://www-naturalnews-com.translate.goog/019470_Autism_air_pollution.html?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=en 6 Umweltgesundheitsperspektive 121 (3) März 2013, S. 380-386. doi: 10.1289/ehp.1205827. Epub 18. Dezember 2012, https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.translate.goog/23249813/ 7 JAMA Psychiatry 30. Oktober 2019 DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2019.3259, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31664451/ 8 Int. Med. Auflösung 45 (2) April 2017, S. 407-438, https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.translate.goog/28415925/ 9 https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2016/daz-4-2016/autismus-durch-antidepressiva; https://www.zentrum-der-gesundheit.de/krankheiten/weitere-erkrankungen/autismus-uebersicht/autismus-antidepressiva 10 https://www.theguardian.com/tv-and-radio/2017/mar/20/sesame-street-autism-muppet-julia; https://www.pbs.org/newshour/arts/sesame-street-debuts-julia-first-character-autism; https://time.com/4082185/sesame-street-first-autistic-character/ 11 https://translate.google.com/website?sl=en&tl=de&hl=en&u=https://www.health.harvard.edu/blog/what-is-neurodiversity-202111232645; https://www.amazon.de/Neurodiversit%C3%A4t-Autismus-P%C3%A4dagogik-Autismus-Spektrum-Band/dp/3170412663/ref=sr_1_20?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&crid=2NBD5CLDGW06N&keywords=Autismus&qid=1680189748&s=books&sprefix=autismus%2Cstripbooks%2C120&sr=1-20 12 https://www.semanticscholar.org/paper/Premature-mortality-in-autism-spectrum-disorder-Hirvikoski-Mittendorfer-Rutz/d4cae0b1efaaaf1e6d4ad452636ea6a898bb7e67?p2df; https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/fullarticle/2479467 13 Zit. nach The Defender, 14.3.2023, https://childrenshealthdefense.org/defender/herzzerreissend-pharma-sieht-exponentielles-wachstum-im-milliardenschweren-markt-fuer-autismus-medikamente/?lang=de
- Der Grenzwert-Schwindel
Angeblich sind Grenzwerte dazu da, uns zu schützen. In Wahrheit schützen sie eher Geschäftsinteressen: Sie wiegen uns in trügerischer Sicherheit, damit wir nicht nachfragen, uns keine Sorgen machen, nicht aufbegehren, den Konsum nicht verweigern. Somit dienen sie der Volksverdummung – vielfach in geradezu krimineller Absicht. Denn ein Staat, der Gefahren für Leib und Leben verharmlost („unterhalb der Schwelle X unbedenklich“), statt sie zu beseitigen, macht sich der Beihilfe zur Körperverletzung schuldig. Wer gesund bleiben will, muss den umfassenden, lobbygesteuerten Schwindel durchschauen. Anstatt uns vor mutmaßlichen Gefahren für unsere Gesundheit zu bewahren, drehen staatliche Stellen seit eh und je die Gebetsmühle. Stereotyp beruhigen sie uns mit Argumenten desselben Strickmusters: „Der von wissenschaftlichen Experten ermittelte Grenzwert für den Schadstoff X aus der Quelle Y wird nachweislich nicht überschritten – also besteht überhaupt kein Grund zur Sorge!“ Dazu sind auf nationaler und EU-Ebene Regelwerke erlassen worden, deren Komplexität jegliche Obergrenzen zu sprengen pflegt. Zulässige Höchstwerte festzulegen und ihre Einhaltung sicherzustellen, schreiben in Deutschland etwa die Trinkwasserverordnung, die Strahlenschutzverordnung, das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch vor. Unterhalb dieser Werte gelten die Schadstoffe als harmlos. Das allgemeine Vertrauen auf diese Form von Verbraucher“schutz“ ist enorm, wie aufmerksame Blicke in die gefüllten Einkaufswägen von Supermarktkunden vor Augen führen. Eine Forsa-Umfrage vom August 2021 bestätigt die gesammelten Eindrücke. (1) So ist „Lebensmittelsicherheit“ für 88 % von Deutschlands Verbrauchern „sehr wichtig“, wenn sie Fleisch und Wurstwaren kaufen; 82 % betonen dies, wenn es um frisches Obst und Gemüse geht. Vier von Fünf erwarten, dass Grenzwerte für Rückstände von Schadstoffen eingehalten werden, wie beispielsweise beim Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung oder von Pflanzenschutzmitteln. Und 72 % haben großes Vertrauen, dass diese Erwartung vollauf erfüllt wird; bei 78 % hat sich dieses Sicherheitsgefühl sogar „in den letzten Jahren gefestigt“. Solche Zahlen belegen: Kein Volksverdummungsversuch ist dämlich genug, garantiert fehlzuschlagen. Der multimedialen Gehirnwäsche, die noch das monströseste Gesundheitsrisiko evidenzbasiert unter den Teppich kehrt, vermag sich nur eine kleine Bevölkerungsminderheit zu entziehen. 13 Argumente gegen trügerische Sicherheit • Grenzwerte beziehen sich immer nur auf eine einzelne, isoliert zugeführte Substanz. Der Mensch ist aber unentwegt einem Schadstoffgemisch ausgesetzt: einer unüberschaubaren Vielzahl an künstlichen Stoffen, die er laufend einatmet, oral oder über die Haut aufnimmt. Kein Grenzwert berücksichtigt ausreichend, wie sehr sich deren jeweilige Dosis aufaddieren, die negativen Folgen potenzieren können. • Kein Grenzwert trägt der Möglichkeit Rechnung, dass verschiedene Schadstoffe in unserem Körper miteinander wechselwirken, neue Verbindungen eingehen, sich in ihren negativen Effekten gegenseitig verstärken. „Es gibt gute Belege dafür, dass gemeinsame Effekte auftreten, selbst wenn jeder Bestandteil einer Kombination unterhalb von Konzentrationen vorliegt, bei denen beobachtbare Effekte auftreten“, warnte Andreas der Pharmakologe Andreas Kortenkamp von der University of London schon 2007 im Fachblatt Environmental Health Perspectives. (2) „Die Bewertung von Einzelstoffen verharmlost etliche Risiken“, räumt eine Mitarbeiterin des Umweltbundesamts ein: „Die Untersuchung möglicher Kombinationen ist eine unendliche Aufgabe.“ (3) • Ein und denselben Schadstoff verleiben wir uns unbemerkt aus den unterschiedlichsten Quellen ein. Beispiel Bisphenol A (BPA): Der allgegenwärtige Plastikgrundstoff fördert Diabetes und Stoffwechselstörungen, schwächt das Immunsystem, erhöht das Krebsrisiko, leitet eine vorzeitige Pubertät ein und kann unfruchtbar machen – denn er wirkt hormonell; als sogenannter „endokriner Disruptor“ löst er bei Kindern Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten aus. Was nützt ein noch so strikter BPA-Grenzwert für Trinkflaschen aus Plastik, wenn wir BPA gleichzeitig über Verpackungen, Konservendosen, Milchtüten und Mikrowellengeschirr in uns aufnehmen, wie auch über Hautkontakte mit dem BPA-beschichteten Thermopapier von Kassenbons, Fahr- und Eintrittskarten? Was bringt ein Verbot des hochgiftigen Konservierungsmittels und Pestizids Ethoxyquin in der Obst-, Gemüse- und Fleischproduktion, wenn es weiterhin Fischfutter zugesetzt werden darf – und auf diesem Umweg am Ende doch auf unseren Tellern landet? (Siehe KLARTEXT „Zuchtlachs: giftiges Junk Food?“.) • Grenzwerte hängen vom Stand der Wissenschaft ab. Ihnen zugrunde liegen angeblich festgestellte „Wirkungsschwellen“: Welches ist die höchste unwirksame Dosis? Solange unklar ist, welche biologischen Prozesse eine Schadstoffexposition innerhalb welcher Zeiträume in Gang setzt, kann aber niemals Entwarnung gegeben werden. Weil sich Schäden oft erst Jahrzehnte nach der Exposition einstellen, beruhen „Wirkungsschwellen“ immer auf hochriskanten, weitgehend aus der Luft gegriffenen Vermutungen. Entsprechend absurd ist die gängige Kennzahl der „tolerierbaren täglichen Aufnahmemenge“ (Tolerable Daily Intake, TDI): Der TDI-Wert gibt die Menge eines Stoffes an, die täglich „über die gesamte Lebenszeit ohne erkennbares Gesundheitsrisiko“ aufgenommen werden kann. Wer weiß das denn im voraus mit der nötigen Sicherheit? Vermag außer einem Super-Nostradamus irgendwer vorauszusehen, welches Maß an Vergiftung sich nach mehreren Jahrzehnten als harmlos erwiesen haben wird? Beispiel Bisphenol A: Ab 2015 lag sein TDI innerhalb der Europäischen Union bei 4 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Zuvor hatten 50 Mikrogramm als hinnehmbar gegolten. Erst ein halbes Jahrzehnt später rang sich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) dazu durch, mögliche gesundheitliche Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung von Bisphenol A neu zu bewerten. Das Ergebnis veröffentlichte sie im Dezember 2021: Die neu abgeleitete „tolerierbare tägliche Aufnahmemenge“ betrug nun plötzlich 0,04 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Das liegt rund 100.000-fach unter dem vorherigen gesundheitlichen Richtwert. So flexibel können „Toleranzen“ sein. Wer jenen vor 2015 vertraute, hat eben Pech gehabt. • Grenzwerte sind abhängig von Nachweismöglichkeiten. Oft fehlen aber noch geeignete Messtechniken – etwa für Mikroplastik und Nanopartikel im Trinkwasser. • Grenzwerte gehen vom gesunden Durchschnittsbürger in mittleren Jahren aus, mit intaktem Immunsystem und Stoffwechsel. Bezogen auf Kinder, Schwangere und Alte, Allergiker, besonders Schadstoffsensible (MCS) und chronisch Kranke sind sie viel zu hoch angesetzt. Auch einseitige Ernährung, Medikamentenkonsum oder berufsbedingt häufiger Kontakt mit den betreffenden oder anderen Giften sorgen für erhebliche Abweichungen vom Durchschnitt: Manche Menschen sind gewissen Schadstoffen weitaus häufiger, stärker, länger ausgesetzt als andere. Um solche Unterschiede zu berücksichtigen, werden Grenzwerte vorsichtshalber um einen „Sicherheitsfaktor“ erniedrigt. Weil aber niemand weiß, wie viel Schaden noch so kleine Mengen eines Gifts im Verbund mit unzähligen anderen, nicht berücksichtigten Stoffen auf die Dauer anrichten können, entspringt diese Rechengröße wohl eher einem Herumlesen im Kaffeesatz. • Grenzwerte folgen einem simplen Dosis-Effekt-Modell: Je mehr Schadstoff, desto größer die Wirkung. Oft haben geringere Mengen aber gefährlichere Folgen, etwa hormonelle Verunreinigungen. • Grenzwerte fördern, was sie eindämmen sollen: Für Verursacher bedeuten sie grünes Licht dafür, Schadstoffe freizusetzen – unterhalb des Limits. Krebserzeugende, erbgutverändernde und hormonell wirksame Stoffe können aber schon in kleinsten Mengen unumkehrbare Schäden anrichten. • Grenzwerte ergeben sich hauptsächlich aus Untersuchungen von Zellkulturen und Versuchstieren; doch solche Überprüfungen dauern viel zu kurz, um abschätzen zu können, was eine Exposition langfristig anrichtet. Ihre Übertragbarkeit auf den Menschen ist stets fraglich. „Bio-Monitorings“ der Körperfunktionen, Flüssigkeiten und Geweben von Versuchspersonen geben wenig Aufschluss über die vielfältigen Quellen ihrer Schadstoffbelastung. Auch noch so aufwändige „Morbiditäts- und Mortalitätsstudien“, auf die sich Experten berufen, besagen zuwenig. Wie soll sich irgendeine neu entwickelte Chemikalie, die zu Abertausenden schon freigesetzter Gifte hinzukommt, unverzüglich in Auffälligkeiten beim Krankenstand und der Todesursachenstatistik bemerkbar machen? Wegen dieser Ungewissheit werde in Grenzwerte vorsichtshalber ein großzügig bemessener Puffer eingebaut, so beruhigt man uns. Aus Tierversuchen oder epidemiologischen Daten ermitteln Wissenschaftler zunächst ein „No Observed Adverse Effect Level“ (NOAEL): die Schwelle, unterhalb derer keine negativen Wirkungen festzustellen sind. Dieser Wert wird durch einen „Sicherheitsfaktor“ - meist 100 - dividiert, um die unterschiedlichen Empfindlichkeiten zwischen Mensch und Tier sowie zwischen Mitgliedern bestimmter Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen. Aber sind 100 genug? Im vergangenen Jahrzehnt sah sich die EU gezwungen, den Grenzwert für Bisphenol A schrittweise nicht etwa bloß um den Faktor 100 zu senken – sondern um ein Millionenfaches, wie oben erwähnt. • Ein Grenzwert ist kein objektives Faktum. Immer ergibt er sich aus Kompromissen zwischen unterschiedlichen Interessenvertretern, und diese Kompromisse sind in der Regel faul. Übermächtige Industrielobbies arbeiten seit eh und je erfolgreich darauf hin, dass Grenzwerte entweder überhaupt nicht oder verzögert und möglichst niedrig festgesetzt werden. „Wie Chemikalien den Menschen schädigen, hat ihre Produzenten nie besonders interessiert“, so beklagt der Kieler Toxikologe Prof. Dr. Ottmar Wassermann – „obwohl solche tiefgreifenden Schädigungen seit über 100 Jahren vorausgesagt wurden, seit über 30 Jahren bekannt waren und zahlenmäßig inzwischen exponentiell zugenommen haben.“ (4) Ob und welche Grenzwerte gelten, spiegelt folglich weniger den wissenschaftlichen Erkenntnisstand wieder als das Durchsetzungsvermögen gewisser Marktteilnehmer. „Die Entscheidung, ob eine Wirkung als kritisch eingestuft wird, hängt von den Prioritäten der Politik und der Bereitschaft der Gesellschaft ab, gewisse Risiken einzugehen“, so geben die Herausgeber einer Anthologie über „Risiko und Verantwortung in der modernen Gesellschaft“ zu bedenken. „Sie hängt auch davon ab, welchen Stellenwert wir gewissen Wirkungen einräumen. Ist es zum Beispiel wichtiger, dass Industriezweige ihre Gewinne maximieren unter einer gewissen Belastung der Umwelt, oder ist die Gesundheit und gesunde Ernährung der Bevölkerung wichtiger, mit dem Resultat, dass gewisse Technologien nicht wettbewerbsfähig sind?“ (5) Dass bei Grenzwerten Ökonomie vor Gesundheit geht, zeigt sich nirgendwo in obszönerer Ungeschminktheit als beim Thema hochfrequente Funkstrahlung. Von verkappten Lobbyvereinen festgelegt, sind sie letztlich dazu da, das Geschäftsmodell der Mobilfunkindustrie zu legitimieren. (6) • Finden lässt sich nur, wonach man sucht. Ein Großteil aller Schadstoffe fällt durchs Fahndungsraster, solange keiner nachforscht, wo sie überall drinstecken. Über Entdeckungen entscheiden oft Zufälle. Beispiel Wasserspielzeug, Schwimmringe und –flügel: Seit Jahrzehnten sind sie im Handel – und der Renner in Schwimmbädern, an Badeseen, am Strand. Doch erst im Jahre 2017 stellte das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising fest: Drei von vier derartigen Produkten sind mit bedenklichen Mengen gefährlicher Lösungsmittel verunreinigt, selbst solche, die zuvor als „schadstoffgeprüft“ zertifiziert worden waren. Cyclohexanon verursacht Schwindel und Kopfschmerzen; Isophoron gilt als krebserregend; Phenol kann Schleimhäute, Haut und Augen reizen und verätzen; eingeatmet oder geschluckt, kann die Substanz Nieren, Blut, Nerven- und Herz-Kreislauf-System schädigen. Wie kam es überhaupt zu dieser Analyse? Einer Mitarbeiterin des Fraunhofer-Instituts war an Geburtstagsgeschenken für ihre Kinder – Plastiksachen zum Baden und Planschen – ein stechender Geruch aufgefallen. (7) • Was nützen die schärfsten Grenzwerte ohne ausreichende Kontrollen und Sanktionen? • Mehrere tausend „Innovationen“ pro Jahr setzt die chemische Industrie in die Welt. Statistiken des europäischen Patentamts zufolge (8) ließ sie allein im Jahre 2012 nicht weniger als 5364 Pharmazeutika, 1434 Lebensmittelsubstanzen und 6002 organische Feinchemikalien patentieren. Wer kontrolliert, unabhängig und wissenschaftlich solide, jedes einzelne Tröpfchen dieser gewaltigen Flut auf medizinische Unbedenklichkeit – ganz zu schweigen von den Abertausenden von künstlichen Substanzen, die uns längst schon umgeben? In der Geschichte von Grenzwerten für Chemikalien sind Absenkungen die Regel. Je mehr man im Laufe von Jahren und Jahrzehnten über ihr Gefahrenpotential herausfindet, desto tiefer setzt man sie an. Legt dies nicht die Vermutung nahe, dass so gut wie alle gegenwärtig geltenden Grenzwerte zu hoch angesetzt sind – und die Sicherheit, in der sie uns wiegen, grundsätzlich trügerisch ist? Schließlich haben noch so viele Grenzwerte, allesamt notorisch „streng“, unsere schleichende Vergiftung mitnichten verhindert. Wie schutzlos sie uns tatsächlich lassen, kommt zuverlässig ans Licht, wann immer sich Forscher nachzuprüfen trauen. Schon im Blut Neugeborener wurden kürzlich 109 Industriechemikalien nachgewiesen, einige hiervon waren noch nie zuvor im Menschen gefunden worden. In 86 Prozent aller getesteten jungen Menschen fanden sich Perfluoroktansulfonsäure sowie Perfluoroktansäure, welche das Immunsystem schwächen und die Infektionsneigung erhöhen; die gemessenen Werte lagen weit oberhalb der vorsorglichen Gefahrenwerte. Im Blut sämtlicher untersuchter Minderjähriger schwimmen fortpflanzungsschädigende Weichmacher, die seit längerem „streng reguliert“ sind, perfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) – sie können zu Leberschäden, Schilddrüsenerkrankungen, Fettleibigkeit, Fruchtbarkeitsstörungen und Krebs führen - sowie zahlreiche gefährliche Mixturen von Industriechemikalien. „Im Körper kann man locker 300 Stoffe nachweisen“, räumt Marike Kolossa-Gehring vom Umweltbundesamt (UBA) ein. (9) Allein in der Muttermilch finden sich Hunderte solcher tickender Zeitbomben. Das Spektrum reicht von Bisphenol A über über das jüngst in Eiern nachgewiesene Biozid Fibronil bis hin zu Glyphosat, dem meistverkauften Pestizid der Welt. Wie fabelhaft uns bestehende Grenzwerte davor „schützen“, verdeutlicht besonders krass das Beispiel Glyphosat, von der WHO als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft: Nachdem die eingesetzte Menge seit Ende der neunziger Jahre um das 15-fache zunahm (10), haben inzwischen über 70 % der Bevölkerung, vom Säugling bis zum Greis, messbare Glyphosatkonzentrationen im Blut; von 1993 bis 2016 stiegen diese um 1208 %. (11) Wie lange bleiben die Gifte im Körper? Was richten sie auf längere Sicht darin an? Wie interagieren sie mit anderen einverleibten Toxinen? Darüber schweigen Grenzwertbürokraten – notgedrungen. Eine Mogelpackung namens REACH „Um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen“, trat am 1. Juni 2007 EU-weit eine Chemikalien-Verordnung namens REACH in Kraft, ein Kürzel für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“. Was bringt sie? Eine Registrierungspflicht, nach dem hehren Prinzip „no data, no market“. Eine „Nachweis“pflicht: Hersteller müssen zumindest für besonders gefährliche Stoffe belegen, dass sie sich in den „vorgesehenen Verwendungen” nicht negativ auf Mensch und Umwelt auswirken. Und ein „Informationsrecht“ für Verbraucher: Hersteller müssen auf Anfragen hin binnen 45 Tagen Auskunft geben. Bei näherer Betrachtung erweist sich REACH freilich als dreiste Mogelpackung – „aus dem Löwen ist ein zahmes Kätzchen geworden“, wie eine Greenpeace-Sprecherin feststellt. 1. Registrierungsfarce. Gemeldet werden müssen lediglich Stoffname, Nummer, Name und Anschrift des Herstellers sowie von Kontaktpersonen. Die genaue chemische Zusammensetzung bleibt Betriebsgeheimnis. Polymere, die molekularen Bausteine aller Kunststoffe, müssen bisher überhaupt nicht registriert werden, es sei denn, sie sind als „gefährlich“ einzustufen, d.h. ihre Konzentration überschreitet bereits bestehende Grenzwerte. 2. Absurde „Bewertung“. Nach Abgabe der Registrierungsunterlagen findet in der Regel lediglich eine „Vollständigkeitsüberprüfung“ statt: Wurde die Gebühr bezahlt? Liegen alle Daten vor? 3. Keine unabhängige Untersuchung. Wie bei Arzneimitteln, so darf die Industrie auch bei neuen Chemikalien den Unbedenklichkeitsbeweis mit eigenen Studien führen; es findet keine unabhängige Qualitätsprüfung statt. Ebensogut könnte man der Mafia gestatten, die Unbedenklichkeit der Drogen, mit denen sie dealt, mittels gekaufter Gutachter zu belegen. 4. Großzügige Ausnahmen. Für „besonders gefährliche“ Stoffe (SVHC: „substances of very high concern“ – kanzerogene, erbgut- und fortpflanzungsschädigende, toxische, hormonell wirksame – können Sondergenehmigungen beantragt werden. Bewilligt werden sie, (a) wenn die vom Stoff ausgehenden Risiken „ausreichend beherrscht“ werden können; (b) wenn geeignete Alternativstoffe nicht verfügbar sind bzw. ihr Einsatz „wirtschaftlich und technisch nicht tragfähig“ wäre. Mit anderen Worten: Die Illusion der Kontrolle und ökonomisches Kalkül genügen, um ausgerechnet die bedrohlichsten Substanzen marktfähig zu machen. 5. Unbedenklichkeit bei Einhaltung von Grenzwerten. Aber, wie oben erwähnt: Bei hormonell wirksamen Chemikalien gilt der simple Grundsatz „Die Dosis macht das Gift“ nicht; kleine Mengen können mehr Schaden anrichten als größere. 6. Kein Substitutionszwang. „Es ist ein Skandal, dass Stoffe, die Fehlgeburten oder Entwicklungsstörungen bei Föten hervorrufen können, nicht ersetzt werden müssen“, bemängelt die REACH-Expertin der Initiative Women in Europe for a Common Future (WECF), Daniela Rosche. (12) 7. Befangene Kontrolleure. Die für die Risikobewertung zuständigen Behörden ECHA (Europäische Chemikalienagentur) und EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) sind berüchtigt industrienah, erweisen sich immer wieder als von Lobbyisten beherrscht. 8. Schneckentempo. Durchschnittlich zehn Jahre (!) dauert es, einen einzigen Stoff zu regulieren, wie die Verbraucherschutzinitiative EEB im Juli 2022 feststellte. https://eeb.org/library/the-need-for-speed-executive-summary/ So kam es, dass das fortpflanzungsschädliche Bisphenol A erst seit März 2018 offiziell auf der Kandidatenliste steht – obwohl längst bekannt war, welchen Schaden es anrichtet. 9. Absurde Informationspflicht. In den meisten Fällen darf sich die „Auskunft“ des Herstellers darauf beschränken, den Namen des Stoffs zu nennen und ein kostenloses „Sicherheitsdatenblatt“ zur Verfügung zu stellen. Und sie gilt nur für diejenigen Chemikalien, die auf der offiziellen Liste der Europäischen Union für besonders gefährliche Substanzen stehen, der sogenannten "Kandidatenliste": So eingestuft werden sie, wenn bereits erwiesen ist, dass sie Krebs verursachen, das Erbgut schädigen, die Fruchtbarkeit einschränken, den Fötus schädigen können, nicht im Körper abgebaut werden, sich dort über einen längeren Zeitraum ansammeln und/oder giftig sind; in das Hormonsystem eingreifen können. Bisher sind 205 Stoffe derart klassifiziert. Nach Ansicht der Umweltschutzorganisation BUND „ist das viel zu wenig, denn Schätzungen der Europäischen Union gehen davon aus, dass etwa 1.500 Chemikalien als besonders gefährlich eingestuft werden müssen. (…) Das Auskunftsrecht gilt für die meisten Alltagsprodukte wie Spielzeug, Sportartikel, Textilien, Fahrzeuge oder Verpackungen. Ausgeschlossen sind aber viele ‚flüssige Produkte‘ wie Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel und Arzneimittel. Auch Lebensmittel fallen nicht unter REACH. Wenn Sie zu solchen Produkten Anfragen stellen, gelten diese nur für die Verpackung.“ Gegenwärtig sind rund 140.000 Chemikalien auf dem europäischen Markt. Deren Risiken, Vor- und Nachteile sollte REACH ursprünglich ermitteln - umfassend. „Nach jahrelangem Gezerre und Gerangel mit der Industrie sind es dann letztlich 30.000 geworden“, kritisiert Greenpeace. Ausgerechnet ein eigenes Forschungsprojekt, die European Human Biomonitoring Initiative (HBM4EU) von 2017 bis 2022, https://www.hbm4eu.eu/wp-content/uploads/2022/05/HBM4EU-Newspaper.pdf führte der EU kürzlich vor Augen, wie weit es her ist mit REACHs „Schutz“funktion. Bei Kindern und Jugendlichen wies es derart hohe Konzentrationen von Kunststoffzusätzen wie Weichmachern oder poly- und perfluorierten Verbindungen (PFAS) nach, „dass gesundheitliche Schäden nicht mehr ausgeschlossen sind“. Im Rahmen ihres ehrgeizigen „Green Deal“ (13) – mit dem Ziel, bis 2050 giftfrei zu sein - wollte die EU-Kommission bis Ende 2022 einen Vorschlag vorlegen, wie REACH zu aktualisieren ist. Doch Lobbyisten bremsten erfolgreich – nun soll eine „gezielte Überarbeitung“ von REACH erst im vierten Quartal 2023 stattfinden. Wo kein Grenzwert, da keine Gefahr? Finden und kontrollieren lässt sich nur, wonach man sucht. Unsere Nahrungsmittel, unsere Atemluft, unser Trinkwasser sind mittlerweile voller Mikroplastik, winziger Kunststoffteilchen, im Bereich von Mikrometern (0,000 001 m) bis Nanometern (0,000 000 001 m), für das menschliche Auge unsichtbar. (Siehe KLARTEXT „Mikroplastik in uns: eine Zeitbombe“.) In unseren Körper geraten, kann es sich in allen Organen und Geweben einlagern, selbst Zellwände durchdringen. Schützt uns der Staat davor? Im Sommer 2018 wollten das mehrere Abgeordnete der Grünen-Fraktion von der Bundesregierung wissen. Deren trostlose Auskunft: Ein Dreivierteljahr zuvor hatte das Bundesforschungsministerium, im Rahmen eines neuen „Schwerpunkts“ namens „Plastik in der Umwelt“, 18 Projekte mit insgesamt 35 Millionen Euro gefördert. Mit „100 beteiligten Institutionen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Praxis“, so hieß es aus Berlin, sei dies „eine der größten Forschungsaktivitäten in diesem Bereich, auch im internationalen Vergleich“. Es „soll dem immer noch lückenhaften Kenntnisstand entgegenwirken.“ Geschieht dies wirklich? Allein schon die seltsam eingeschränkten Fragestellungen schüren Zweifel daran: Erst mal geht es bloß darum, geeignete „Untersuchungsmethoden“ herauszufinden, mit denen dann „biologische Wirkungen von Mikro- und Nanoplastik auf lebende Wasserorganismen“ erforscht werden. Aber wie steht es denn mit biologischen Wirkungen in unsereinem? Don´t worry, eine Gefährdung gibt es nicht, jedenfalls gemäß unseren Regierenden. Laut Bundesumweltministerium ist sie „nach gegenwärtigem Wissensstand (…) nicht zu befürchten“. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wiegelt ab: Es gebe „keine gesicherten Erkenntnisse“. Immerhin untersuche es derzeit aber schon mal Miesmuscheln auf Mikroplastik – na also. Solche kleinstformatigen „Forschungen“ sind Augenwischerei, und falls daraus nahe des Sanktnimmerleintags Grenzwerte abgeleitet werden sollten, so wären sie es ebenfalls. Denn jede endlich beschlossene Schutzmaßnahme, jedes Limit, jede Kontrolle verringert oder verhindert irgendwann bloß weitere Mikroplastik-Einträge in die Umwelt. Die Kontamination unseres Planeten, die bereits stattgefunden hat, lässt sich jedoch nicht mehr rückgängig machen. Aus Meeren lässt sich Mikroplastik nicht herausfiltern. Belastete landwirtschaftliche Flächen lassen sich global weder reinigen noch austauschen. Ebenso bedrohlich für unsere Gesundheit sind Nanoteilchen: Verbünde von wenigen bis einigen tausend Atomen oder oder Molekülen, in der Regel 1 bis 100 Nanometer (nm) groß. (Zum Vergleich: Ein Nanometer entspricht zehn nebeneinanderliegenden Wasserstoffatomen; ein Bakterium ist tausendmal größer. Das Größenverhältnis eines Siliziumoxid-Nanopartikels und einem Fußball ähnelt dem von einem Fußball und der Erde.) Immer mehr Lebensmitteln werden sie zugesetzt, wie auch Kosmetika; sie stecken in Verpackungen, Lacken, Reifen, Zahnfüllungen, Impfstoffen, Trinkwasser, in Pestiziden und Dünger. Na und? „Eine Gefährdung von Mensch und Umwelt durch die derzeit verwendeten Nanomaterialien ist nicht nachweisbar“, beruhigt Wikipedia im Eintrag über „Nanoteilchen“ – unisono mit dem Verband der Chemischen Industrie (VCI): „Es gibt keine Hinweise auf eine spezifische (Öko-)Toxizität von industriell hergestellten Nanomaterialien (…) Die Nanoskaligkeit eines Stoffes an sich ist keine Gefahreneigenschaft. Nanospezifische Vorschriften sind deshalb nicht erforderlich.“ (15) Tatsächlich? Wie Mikroplastik, so bedrohen Nanopartikel sämtliche Organe und Funktionen des menschlichen Organismus - bis hinab auf die Ebene von Zellen, Zellkernen und Erbgut. Dennoch gibt es bis heute keinerlei Sonderregelungen für künstlich miniaturisierte Substanzen. Gilt ein Stoff als unbedenklich, dann auch beliebig kleine Teile davon. Verkannt wird dabei, dass Mikro-/Nanoisierung zu völlig neuen physikalischen und chemischen Eigenschaften führt. Eine um ein Vielfaches vergrößerte Oberfläche macht die Stoffe reaktions- und bindungsfreudiger. Und je kleiner ein Teilchen ist, desto leichter passiert es physiologische Barrieren wie die Blut-/Hirn-Schranke, die Plazentaschranke, die Darmwand und Zellmembranen. Wo bleiben Grenzwerte, die uns vor dieser monströsen Gefahr bewahren? Auf eine Anfrage des Hessischen Rundfunks hin erklärte die EU-Kommission 2013: Und so gibt es innerhalb der Europäischen Union bis heute nicht einmal eine Meldepflicht für künstliche Nanopartikel. Eine Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht gilt lediglich für Nano-Zusätze in Lebensmitteln und Kosmetika – ansonsten finden keinerlei gesonderte Prüfverfahren statt. Sie wären wachstumsfeindlich, so warnt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): „Damit Deutschland der europäisch bedeutendste Standort für die Produktion und Anwendung von Nanomaterialien bleibt, sollten keine nanospezifischen regulatorischen Hindernisse aufgebaut werden.“ (16) Darum geht es. Zumindest die Versicherungsbranche scheint sich des wahren Ausmaßes der Nano-Gefahr längst vollauf bewusst. SwissRe, der weltgrößte Rückversicherer, unterscheidet drei Arten von neu auftauchenden Risiken. (17) Zu den „potentiell niedrigen“ Risiken zählt er soziale Unruhen, Ernteausfall, „Roboter unter uns“. Unter die „potentiell mittleren Risiken“ fallen für ihn Cyberangriffe, Epidemien, Schuldenkrisen, Versorgungsengpässe, Antibiotika-Resistenzen. Darüber hinaus rechnet er mit drei „potentiell hohen“ Risiken: Elektromagnetische Felder von Mobilfunkgeräten und –anlagen; „Endokrine Disruptoren“, hormonähnlich wirkende Chemikalien; und Nanotechnologie. Hier weist SwissRe auf „unvorhergesehene Folgen“ hin. Denn „Partikel in Nanogröße weisen im Vergleich zu größeren Partikeln desselben Stoffes einzigartige Eigenschaften auf. Das ermöglicht neue Anwendungen, kann aber auch neue Risiken mit sich bringen. Derzeit ist wenig über die Toxizität von Nanomaterialien oder das Potenzial für latente Krankheiten, die Arbeitnehmer und Verbraucher betreffen könnten. Zusätzliche Forschung zum Lebenszyklus von Nanomaterialien und Produkten, die Nanomaterialien enthalten, sind notwendig, um um die potenzielle Exposition besser einschätzen zu können. Es gibt jedoch einige Hinweise darauf, dass bestimmte Nanostrukturen sich in Geweben und Organen anreichern und von einzelnen Zellen aufgenommen werden können. Nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit wurden in Studien mit Materialien wie Kohlenstoff-Nanoröhren, Nanopartikeln aus Titandioxid oder Siliziumdioxid-Nanopartikeln festgestellt. Aufgrund der relativ unbekannten Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsbelastungen, die von Nanomaterialien während ihres gesamten Lebenszyklus entstehen, stellt die Nanotechnologie die Versicherungsbranche vor große Herausforderungen. Von zentraler Bedeutung sind die verzögerten Auswirkungen, d.h. die Frage, ob Nanomaterialien eine latente Gefahr darstellen. Ähnlich wie im Fall von Asbest, kann es zu großen Verlusten bei der Produkthaftung, der Arbeiterunfallversicherung und der Umwelthaftpflichtversicherungen kommen.“ Wird der Staat irgendwann mit Nano-Geschädigten ebenso verfahren wie mit PostVac-Opfern des Corona-Regimes? Placebos zur Volksberuhigung Aus all diesen Gründen dienen Grenzwerte für Schadstoffe in erster Linie als Placebos zur Volksberuhigung: Der trügerische Anschein von wissenschaftlicher Erkenntnis und behördlicher Kontrolle sichert und verlängert das Geschäft mit medizinisch hochriskanten Produkten. Ein Musterbeispiel hierfür ist Asbest: Dass dieser Baustoff hochgradig kanzerogen ist, war Verantwortlichen spätestens im Jahre 1936 klar, als Asbestose, ein durch Asbest hervorgerufener Lungenkrebs, als Berufskrankheit anerkannt wurde. Trotzdem durfte Asbest in Deutschland weiterhin, bis in die siebziger Jahre hinein, höchst profitabel vertrieben werden; in beinahe jedem Gebäude kam es zum Einsatz. Erst nach 1981 galten Einsatzbeschränkungen, erst seit 1990 ist das gefährliche Material EU-weit verboten. Ähnlich lange dauerte es, bis Lindan und Formaldehyd, Polychlorierte Biphenyle (PCB) und Pentachlorphenol (PCP) endlich vom Markt verschwanden. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Absurde Umkehr der Beweislast Dass der Staat lieber die Interessen von Konzernen als die Gesundheit seiner Bürger schützt, verrät er daran, dass er eine absurde Umkehr der Beweislast zulässt. Sollte nicht derjenige, der uns einer giftigen Chemikalie aussetzt, vorher deren Unbedenklichkeit zweifelsfrei belegt haben? Müssen verantwortungsvolle Regierungen und Behörden bis dahin nicht strikt am Vorsorgeprinzip festhalten? Stattdessen darf der Produzent das Gift freisetzen, solange es keine unwiderlegbare „wissenschaftliche Evidenz“ dafür gibt, dass es uns tatsächlich schadet. Ein hieb- und stichfester Beweis, dass eine bestimmte Substanz eine bestimmte Krankheit erzeugt, ist naturgemäß nie zu erbringen – dafür sind die beteiligten Vorgänge im menschlichen Organismus viel zu komplex. Und immer spielen weitere Belastungsfaktoren mit, die sich ebenfalls für festgestellte Gesundheitsschäden verantwortlich machen lassen. (Dass es schier unmöglich sein kann, nicht genehme Evidenz auch nur öffentlich zur Diskussion zu stellen, mussten Kritiker von Lockdowns, Masken und Social Distancing, von PCR-Tests und als „Impfung“ getarnten Genspritzen in der unsäglichen Coronakrise erleben.) Konsequent umgesetzt, würde das Vorsorgeprinzip erfordern, „Nulltoleranz“ walten zu lassen: Künstliche Chemie darf in Lebens- und Futtermitteln erst gar nicht vorkommen, solange unklar ist, was sie über kurz oder lang in uns anrichtet. Entsprechende Verbote, so erläutert das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), erlasse der Gesetzgeber durchaus hin und wieder, um „Belastungen von Lebensmitteln auszuschließen, z.B. weil er dieRisiken für nicht ausreichend kalkulierbar bzw. für nicht tolerabel hält. (…) Auch bei unzureichender toxikologischer Datenlage“, so betont die Behörde, „oder bei hinreichendem Verdacht auf weitere mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen können Nulltoleranzen festgesetzt werden“. (18) Sind diese Voraussetzungen bei chemischen oder hochfrequenten „Innovationen“ , mit denen Menschen in Kontakt kommen, etwa nicht immer erfüllt? Wie können wir uns schützen? Wie können wir unter solchen Umständen uns und unsere Liebsten überhaupt noch schützen? Indem wir größtmögliche Vorsicht walten lassen, offiziellen Verharmlosungen grundsätzlich misstrauen, bei beschwichtigenden Politikern und Experten grundsätzlich mit Lobbyismus und Korruption rechnen. Bei Kontakten mit Giftschleudern sollten wir auf alles Vermeidbare verzichten, um den unabsehbaren Schaden einigermaßen zu begrenzen, den das Unvermeidliche in uns anrichten könnte. Das gilt für Trinkwasser und Nahrung, für Waschmittel und Kosmetika, für Verpackungen und künstliche Strahlung, für Medikamente und Impfstoffe gleichermaßen. Wäre Außerirdischen unser Planet tatsächlich eine Beobachtungsmission wert, so würden sie staunend feststellen, dass hier offenkundig seit längerem ein globales Langzeitexperiment stattfindet, das Leib und Leben aller Erdbewohner bedroht. Die Studienfrage lautet anscheinend: Wie weitgehend muss diese Spezies vergiftet werden, um die Gesundheit möglichst vieler langfristig zu zerstören – ohne dass sie durchschaut, was mit ihr geschieht, und sich dagegen zur Wehr setzt? Was die Menschheit in geradezu apokalyptischem Maße bedroht, bedeutet für Wenige geradezu ein Geschenk des Himmels: für all jene nämlich, denen es umso besser geht, je schlechter es uns geht. Je mehr Menschen chronisch krank werden, je früher sie es tun, je länger sie es bleiben, desto prächtiger sprudeln die Gewinne von pharmazeutischer und medizintechnischer Industrie, von Apothekern, Klinik- und Pflegeheimbetreibern, von Laboren, von Therapeuten aller Art. Je mächtiger diese Profiteure, desto unwahrscheinlicher wird es, dass das Experiment ein baldiges Ende findet. Wird ET jemals aus dem Staunen herauskommen? (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 https://www.q-s.de/pressemeldungen/verbraucher-vertrauen-der-sicherheit-von-lebensmit.html; https://www.q-s.de/services/files/pressemeldungen/pm-2021/QS_Pressegrafik_Verbrauchervertrauen_Lebensmittelsicherheit_Deutschland_300dpi-RGB.jpg 2 Andreas Kortenkamp u.a.: „Low-Level Exposure to Multiple Chemicals: Reason for Human Health Concerns?“, Environmental Health Perspectives 115, No. Suppl. 1, Dezember 2007, https://doi.org/10.1289/ehp.9358 3 Zit. nach https://www.welt.de/wissenschaft/article170262846/Im-Koerper-kann-man-locker-300-Stoffe-nachweisen.html 5 O. Wassermann/A. Carsten: Die gesellschaftspolitische Relevanz der Umwelttoxikologie, Berlin 1986; siehe auch O. Wassermann u.a.: Die schleichende Vergiftung. Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht, Frankfurt a. M. 1990. 6 Hermann H. Hahn/Thomas W. Holstein/Silke Leopold (Hrsg.): Risiko und Verantwortung in der modernen Gesellschaft, Berlin/Heidelberg/New York 2014, S. 22. 7 https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1937; https://www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1910; https://www.diagnose-funk.org/download.php?field=filename&id=1555&class=NewsDownload 8 Süddeutsche Zeitung Nr. 91, 20.4.2018, S. 1: „Reizender Badespaß“. 9 https://www.epo.org/about-us/annual-reports-statistics/annual-report/2012/statistics-trends/patent-applications_de.html#tab5, abgerufen am 20.4.2018. 10 Zit. nach https://www.welt.de/wissenschaft/article170262846/Im-Koerper-kann-man-locker-300-Stoffe-nachweisen.html 11 Environmental Sciences Europe 2016; 28: 3, https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-016-0070-0; JAMA Internal Medicine 2018;178(1):17-26, https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/2659557 12 http://www.gmwatch.org/en/news/latest-news/17932-exposure-prevalence-to-glyphosate-has-increased-500-since-introduction-of-gm-crops) (https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/_migrated/publications/20050600_chemie_schadstoffe_muttermilch_studie.pdf 13 Women Engage for a Common Future (WECF), 2022: “Vorsicht! PFAS. #NotWastingOurFuture”, https://www.wecf.org/de/wp-content/uploads/2018/10/Vorsicht_PFAS_22.pdf 14 Europäische Kommission (2019): „Mitteilung der Kommission - Der Europäische Grüne Deal“, COM(2019) 640 final, (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:52019DC0640 15 https://www.vci.de/top-themen/nanomaterialien.jsp, abgerufen am 5.11.2018. 16 BDI-Broschüre „Herausforderungen aus Sicht der Industrie“, S. 12, https://bdi.eu/media/presse/publikationen/Herausforderungen_Forschungs-_Innovations-_und_Technologiepolitik.pdf 17 SwissRe SONAR: „Emerging Risik Insights“ (2022), https://www.swissre.com/institute/research/sonar/swiss-re-sonar-2013-emerging-risk-insights.html 18 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): „Nulltoleranzen in Lebens- und Futtermitteln“, Positionspapier des BfR vom 12.3.2007, www.bfr.bund.de/cm/343/nulltoleranzen_in_lebens_und_futtermitteln.pdf.
- Zuchtlachs: giftiges Junk Food?
Ist Zuchtlachs wirklich gesund? In Wahrheit handelt es sich um ein hochgradig schadstoffbelastetes Industrieprodukt, fünfmal giftiger als jedes andere getestete Lebensmittel. Vor „toxischem Junk Food“ warnt ein namhafter US-Mediziner, vor einem „tödlichen chemischen Cocktail“ ein erschütternder Dokumentarfilm. Einst Delikatesse, heute Massenprodukt: Lachs ist sehr gesund, nicht wahr? Schließlich liefert sein rosafarbenes Fleisch reichlich Omega-3-Fettsäuren, und die sind gut fürs Gehirn, senken den Cholesterinspiegel, beugen Herzinfarkten vor. Seine Antioxidantien hemmen Entzündungen. Sein Kalzium stärkt die Knochen. Eine ergiebige Jod- und Vitamin-D-Quelle ist er ebenfalls. Stammt er aus Aquakulturen? Um so besser, das schützt die Weltmeere vor Überfischung, so heißt es. Also können wir guten Gewissens zugreifen und genießen? Das tun Verbraucher immer ausgiebiger: Mehr als jeder zweite Fisch, der auf den Teller kommt, stammt inzwischen aus Zuchtfarmen (1); nach anderen Schätzungen sind es sogar schon über 90 Prozent. In Wahrheit ist die Lachszucht eine Katastrophe – für die menschliche Gesundheit ebenso wie für die Umwelt. Mit einer hervorragenden Dokumentation, „Fillet Oh Fish“, öffnet Filmemacher Nicolas Daniels die Augen dafür. In 54 Minuten bietet er exklusive Aufnahmen aus Fischfarmen und Fabriken rund um den Globus. Sein niederschmetterndes Fazit: „Das Fleisch der Fische, die wir essen, hat sich durch intensive Farmwirtschaft und globale Umweltverschmutzung zu einem tödlichen chemischen Cocktail entwickelt.“ Im Mittelpunkt von „Fillet Oh Fish“ steht Norwegen, größter Zuchtlachs-Produzent der Welt. Mehr als tausend Farmen, die seine Fjorde übersäen, liefern über 20 Millionen Lachse pro Jahr. Dass Aquakulturen, in riesigen Netzkäfigen, eine nachhaltige Alternative zur Überfischung der Weltmeere darstellen, ist ein umsatzfördendes Märchen. In Wahrheit dezimieren Fischfarmen die Bestände eher, als sie zu retten. Um ein Kilo Zuchtlachs herzustellen, werden 1,5 bis 8 Kilo Wildfisch benötigt. Wie gesund kann kranker Fisch sein? Industrielle Fischzucht bedeutet Massentierhaltung. In einer Lachsfarm werden bis zu zwei Millionen Tiere auf engstem Raum zusammengepfercht. Das begünstigt Krankheiten, die rasch um sich greifen. Wie der Umweltaktivist Kurt Oddekalv in „Fillet Oh Fish“ berichtet, haben sich in Norwegens Zuchtfischbeständen überall Seeläuse ausgebreitet: Quallenlarven, die durch die Fischhaut dringen, Gewebe und Blut fressen. Sie verursachen offene Wunden, die dann von Krankheitserregern befallen werden können. Auch die hochansteckende Infektiöse Pankreasnekrose (IPN) und die Lachsanämie drohen die Bestände zu dezimieren. Von diesen Fischpandemien erfährt der Verbraucher: nichts. Der Verkauf befallener Fische läuft uneingeschränkt weiter – mit unerforschten Auswirkungen auf den, der sie verzehrt. Um Krankheiten vorzubeugen und einzudämmen, setzten norwegische Züchter noch vor 30 Jahren pro Tonne Fisch fünf Kilogramm Antibiotika ein. Inzwischen sind es angeblich weniger als 0,9 Gramm pro Tonne. Dafür sorgen Impfungen der jungen Lachse, ehe sie ins Meeresgehege ausgesetzt werden. Ob die Vakzine so unproblematisch sind, wie Hersteller und Gesundheitsbehörden sie anpreisen? Wo keine Forschung, da keine Evidenz. Zur Abwehr krankmachender Schädlinge kommt darüber hinaus eine Reihe brandgefährlicher Pestizide zum Einsatz. Arbeiter müssen Schutzkleidung tragen, während sie die Chemikalien in offene Gewässer kippen. Die ausgebrachten Mittel wirken teilweise neurotoxisch. Andere Pestizide schädigen die DNA der Fische, sie führen zu Mutationen im Erbgut. Unter Zuchtkabeljauen ist deswegen jeder zweite deformiert. Weibliche Kabeljaue, die aus den Zuchtbetrieben entwischen, paaren sich mit freilebenden Artgenossen. So werden genetische Mutationen und Missbildungen in die Wildpopulationen eingeschleppt. Beim Zuchtlachs fallen solche abnormen Veränderungen im Erbgut an der merkwürdigen Konsistenz des Fleisches auf: Es ist seltsam spröde; wird es gebogen, so bricht es auseinander. Wer Lachszucht für eine saubere Sache hält, sollte schleunigst auf Tauchstation gehen. Unter den Farmen befindet sich eine meterdicke Abfallschicht, in der es von Fäkalien, verfaultem Futter, Arzneimittelresten und giftigen Pestiziden nur so wimmelt. Sie verseuchen das umliegende Meer, ihre Krankheitskeime stecken wilde Artgenossen an. Haarsträubend. Schwimmende Omega-6-Fettbombe Auch der Nährstoffgehalt ist abnormal. Wildlachse enthalten rund 5 bis 7 % Fett. Zuchtlachse bringen es hingegen auf 14,5 bis 34 % Fett. Woher kommt der drastisch erhöhte Fettgehalt? Dafür sorgt das verarbeitete, fettreiche Futter, das Zuchtlachse erhalten. Aber Zuchtlachs ist nicht bloß viel fettreicher. Das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren ist darin radikal verzerrt. (2) Ein 170-Gramm-Filet von einem wilden Atlantiklachs enthält etwa 3934 Milligramm Omega-3 und 374 mg Omega-6. (3) In einem ebenso großen Zuchtlachsfilet hingegen steckt zwar etwas mehr Omega-3 – 4252 Milligramm -, jedoch erstaunliche 1132 mg Omega-6, also mehr als dreimal so viel wie im Wildlachs. (4) Zwar benötigt unser Körper beide Fettsäuren – idealerweise aber im Verhältnis von 1:1. Weil die westliche Standardernährung einen viel zu hohen Anteil an verarbeiteten Lebensmitteln aufweist, ist sie aber ohnehin schon stark Omega-6-lastig. Statt diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, verstärkt Zuchtlachs es noch. Einen Aprilscherz leistete sich insofern die Stiftung Warentest 2018, als sie von Wildlachs gerade wegen seines niedrigeren Fettgehalts abriet. Er schmecke nämlich nicht so gut – “weniger intensiv nach Lachs, nicht so buttrig, zart und saftig.” (5) Weil Fett als Geschmacksträger fungiert, haben gezüchtete Fische demnach einen klaren Vorteil, so befanden die Tester. In puncto Omega-Fettsäuren leiden sie offenbar unter Informationsdefiziten. Raubfische werden zu Vegetariern gemacht Aber wie kommt Zuchtlachs zu seinen überschüssigen Omega-6-Fetten? Das Infoportal “The Fish Site” klärt auf, was Zuchtfische aus dem Atlantik zu fressen bekommen. Im Jahr 2019 stammten drei Viertel des norwgischen Fischfutters aus Pflanzenprodukten vom Land, die im Meer gar nicht natürlich vorkommen: darunter Sojabohnenkonzentrat, ein aus Sojabohnen isoliertes Eiweiß, neben weiteren pflanzlichen Proteinquellen wie Weizen, Mais und Ackerbohnen. (6) Eine in Research Gate 2012 veröffentlichte Studie (7) listet darüber hinaus auf: Pressrückstände aus Sonnenblumenkernen, Weizengluten, Favabohnen, Erbsenprotein, Rapsöl. Bekommt ein Wildlachs irgendeine dieser Zutaten jemals ins Maul? "Wenn wir den Fisch nun mit pflanzlicher Nahrung füttern, dann hat der Fisch auch eine Fettsäurezusammensetzung, die dem Pflanzenmaterial entspricht", erklärt Ulfert Focken, Experte für Fischfutter am Thünen-Institut für Fischereiökologie. Von einer “artgerechten Ernährung” kann in der Lachszucht folglich keine Rede sein. Hier machen marine Eiweißquellen bloß 14,5 % der Futtermittelzutaten aus, Meeresöle weitere 10,4 %. (8) Wie werden Zuchtlachse dann überhaupt rötlich, wenn nicht durch die gefressenen Krebse? Ihnen werden künstlich hergestellte Carotinoide verabreicht. Fünfmal giftiger als jedes andere Nahrungsmittel Sein hoher Fettgehalt trägt dazu bei, dass Zuchtlachs weitaus mehr Schadstoffe enthält als seine wilden Artgenossen. Viele Toxine reichern sich leicht im Fett an – mit der fatalen Folge, dass Zuchtlachse unter ähnlich kontaminierten Bedingungen erheblich mehr Gifte aufnehmen. Woher stammen sie? Die größte Belastungsquelle stellen nicht etwa Pestizide oder Antibiotika dar. Es ist das Trockenfutter, in Form von Pellets. Darin gefunden wurden Dioxine, Polychlorierte Biphenyle (PCBs) und Pestizide, neben weiteren Medikamenten und Chemikalien. Frisst der Lachs sie, so reichern sie sich in seinem Fettgewebe an. Einer Studie zufolge, die 700 Lachsproben aus aller Welt einbezog, liegt die PCB-Konzentration im Zuchtlachs um ein Achtfaches höher als im Wildlachs. Als der norwegische Biologe und Toxikologe Jerome Ruzzin (9) von der Universität Bergen eine Reihe von Lebensmittelgruppen auf Giftstoffe prüfte, förderte er Überraschendes zutage: Die größte Menge an Giftstoffen steckte im Zuchtlachs. Mit großem Abstand. Er erwies sich als fünfmal giftiger als jedes andere getestete Lebensmittel: Hamburger, Vollmilch, Eier, Äpfel, Kartoffeln und Kabeljau. Was diese Gifte anrichten können, lassen Tierversuche erahnen. Mäuse und Ratten, die Futter mit Zuchtlachszusatz erhalten, werden adipös; dicke Fettschichten umgeben ihre inneren Organe. Außerdem entwickeln die zuchtlachsgefütterten Tiere Diabetes. Daraus schließt Ruzzin, dass die pandemisch um sich greifende Fettleibigkeit nicht nur auf zuviel Industriezucker, Kohlenhydrate und minderwertige Fette zurückgeht; immer mehr Schafstoffe tragen ebenfalls dazu bei. Wie Dioxine auf den Teller geraten Warum ist das Fischfutter so giftig? Um das herauszufinden, führt uns „Fillet Oh Fish“ in eine norwegische Fischpelletfabrik. Dort zeigt sich: Die Hauptzutaten sind Aal und andere Fische mit hohem Protein- und Fettgehalt. Woher stammen sie? Vornehmlich aus der Ostsee – einem hochgradig verschmutzten Binnenmeer. Zehn Anrainerstaaten leiten ihren Giftmüll hinein, überwiegend ungeklärt. Was in dieser Brühe herumschwimmt, nimmt die Toxine auf und lagert sie im Körperfett ein. Zumindest Schweden hat seine Fischhändler deswegen dazu verpflichtet, ihre Kunden vor der möglichen Giftigkeit von Ostseefischen ausdrücklich zu warnen. Das Gesundheitsministerium empfiehlt, fetten Fisch wie Hering höchstens einmal pro Woche zu essen; Schwangere sollten ihn völlig meiden. Was tun mit fetten Fischen, die für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind? Man verarbeitet sie zu Fischfutter. Und so landen sie letztlich doch auf unseren Tellern. Monsanto-Pestizid - „das bestgehütete Geheimnis der Fischindustrie“ Weitere Giftstoffe steuert der Herstellungsprozess der Pellets bei. Der „Rohstoff“, fetter Fisch, wird zunächst gekocht. Dabei entstehen zwei separate Produkte: Öl, das einen hohen Gehalt an Dioxinen und PCB aufweist; und Proteinpulver, dem insgeheim ein „Antioxidans“ namens Ethoxyquin beigemengt wird – eine Chemikalie, die verhindern soll, dass die Fette im Fisch oxidieren und ranzig schmecken. Laut Filmemacher Nicolas Daniels verbirgt sich dahinter „das bestgehütete Geheimnis der Fischindustrie“. Und eines der giftigsten. Der skandalumwitterte Chemiegigant Monsanto brachte Ethoxyquin Ende der fünfziger Jahre auf den Markt – zunächst als Alterungsschutz für Gummi, dann zur Futtermittelkonservierung, schließlich als Pestizid. Seine Verwendung in Obst, Gemüse und Fleisch ist mittlerweile einigermaßen reguliert, mit einem Grenzwert von 0,05 Milligramm pro Kilo – nicht jedoch in Fisch, denn dafür war die Chemikalie nie vorgesehen. Die absehbare Konsequenz: Zuchtfische können bis zu 20-mal mehr Ethoxyquin enthalten als andere Lebensmittel. Wie sich Ethoxyquin auf die menschliche Gesundheit auswirkt, ist kaum erforscht. Eine norwegische Doktorandin, Victoria Bohne, berichtet in ihrer Dissertation von beunruhigenden Entdeckungen: Ethoxyquin ist imstande, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Und möglicherweise wirkt es krebserregend. Wie kann es sein, dass ein derartiges Gift überhaupt in der Fischzucht verwendet werden darf? Warum wird nicht längst wissenschaftlich untersucht, was es im menschlichen Organismus anrichtet? Verbraucherschützer weisen die Verantwortung dafür Lisbeth Berg-Hansen zu, von 2009 bis 2013 Norwegens Ministerin für Fischerei und Küstenschutz - zugleich Hauptaktionärin einer kommerziellen Lachszucht, Inhaberin hochrangiger Posten und Beteiligungen in der Fischereiindustrie. (10) Dass die Stiftung Warentest bei Zuchtlachs “keine nennenswerten” Schadstoffmengen festzustellen vermag (11), sorgt vor diesem Hintergrund für Kopfschütteln. Ist nicht immer der Rede wert, was Konsumenten schaden kann – zumal wenn unklar ist, in welchen Mengen aus unterschiedlichsten Quellen er es zu sich nimmt? Alternativen „Bio“ und „Sockeye“ Auf Wildfische auszuweichen, ist leider schon lange kein Ausweg mehr. Die meisten großen Gewässer unseres Planeten sind inzwischen belastet: mit Quecksilber, Schwermetallen, Dioxinen, PCBs, Agrarchemikalien, Industrieabfällen und Zerfallsprodukten wie Mikroplastik. Regelmäßig Fisch zu essen, ist für Gesundheitsbewusste daher längst keine gute Idee mehr – eine besonders schlechte Nachricht für Pescetarier, die auf den Verzehr von Rind, Schwein, Schaf und Geflügel verzichten, stattdessen Fisch und Meeresfrüchte auf den Speiseplan setzen. Wie steht es mit Zuchtlachs in Bio-Qualität? Unter 25 untersuchten Angeboten schafften es „Gut Bio Lachsfilets“ von Aldi Nord bei der Stiftung Warentest im März 2018 auf den zweiten Platz, Gesamtnote 1,9. (12) Ethoxyquin spielt hier keine Rolle, da es in der biologischen Landwirtschaft ohnehin verboten ist. Allerdings fanden die Prüfer minimale Spuren eines Abbauprodukts – andernfalls wäre der Bio-Fisch von Aldi, 250 Gramm für rund 6 Euro, sogar Testsieger geworden. (13) Auch andere Schadstoffe kommen im Bio-Produkt weitaus seltener vor. Dazu trägt die vorgeschriebene Haltung bei: In einem Kubikmeter Wasser dürfen sich nur halb so viele Lachse tummeln wie in konventionellen Farmen. Dadurch schwimmen sie mehr herum, bleiben fitter, werden von weniger Parasiten befallen. Gegen Schädlinge wie die Lachslaus setzen findige Bio-Züchter statt Pestiziden neuerdings “Putzerfische” ein. Aber auch Bio-Lachse werden nicht artgerecht ernährt. Mehr als 40 Prozent tierisches Eiweiß im Futter schreiben EU-Bio-Richtlinien nicht vor. Als “innovativ” gelten Unternehmen, die an Lachse Öl aus Meeresalgen oder gar Bio-Insekten verfüttern. (14) Wie sonst entgehen wir dem „toxischen Junk Food“, wie der US-Ganzheitsmediziner Dr. Joseph Mercola es nennt? Eine einzige Ausnahme von strikter Lachsabstinenz lässt er noch gelten: echten, wild gefangenen Sockeye, auch „Rotlachs“, aus Alaska. Dieser Nordpazifikschwimmer mit dem prächtig tiefroten Fleisch, für Kenner das edelste und feinste, frisst ausschließlich Plankton mit Minikrebsen und Shrimps. „Seine ernährungsphysiologischen Vorteile wiegen meines Erachtens immer noch schwerer als eine mögliche Verunreinigung. Das Risiko, dass Sockeye hohe Mengen an Quecksilber und anderen Giftstoffen anreichert, ist wegen seines kurzen Lebenszyklus von drei Jahren geringer.“ Dafür müssen Verbraucher allerdings tiefer in die Tasche greifen: Hundert Gramm Sockeye können über zehn Euro kosten. Discounter Aldi bietet eine 150 Gramm-Packung „Sockeye Wildlachs“ immerhin schon für 4,89 Euro an, Lidl für 3,25 Euro (15), Konkurrent Norma 100 Gramm für 2,53 Euro – von „Öko-Test“ Ende 2022 mit „gut“ bewertet. (16) Wie viel ist uns unsere Gesundheit wert? (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 Live Science 8.9.2009, https://www.livescience.com/5682-milestone-50-percent-fish-farmed.html 2 Global Seafood Alliance, 30. Januar 2017, https://www.globalseafood.org/advocate/omega-6s-and-the-threat-to-seafoods-healthy-halo/ 3 My Food Data. Wild Atlantic Salmon Cooked, https://tools.myfooddata.com/nutrition-facts/171998/wt9/1 4 My Food Data. Farmed Atlantic Salmon Cooked, https://tools.myfooddata.com/nutrition-facts/175168/wt9 5 Zit. nach https://www.eatclub.tv/aktuelles/verbraucherthemen/lachsfilets-bei-stiftung-warentest-111664; https://www.chip.de/artikel/der-beste-lachs-testsieger-der-stiftung-warentest_104665 6 The Fish Site. 3. September 2019, https://thefishsite.com/articles/whats-salmon-feed-really-made-of 7 Research Gate. Norwegian Salmon Feed, https://www.researchgate.net/figure/Feed-ingredients-used-in-Norwegian-salmon-feed-in-2012-Data-are-reported-by-EWOS-BioMar_tbl1_279752594 8 Fish Site, a.a.O. 9 Siehe https://www.uib.no/en/rg/toxicology/56874/what-%E2%80%93-eating-salmon-may-not-be-good-me und https://www.uib.no/filearchive/final.pdf 10 Diese Interessenkonflikte beleuchtete 2014 die TV-Dokumentation „Giftiger Fisch – Die große Gesundheitslüge“ https://www.youtube.com/watch?v=8_Sl_wjiOyI; siehe dort ib. Minute 31:26 bis 34:36. 11 Siehe https://www.24vita.de/verbraucher/lachs-stiftung-warentest-fisch-wildfang-zuchtlachs-aquakultur-discounter-frankfurt-main-90943826.html 12 Auch bei Öko-Test schnitt die Aldi-Marke „gut“ ab. https://www.heidelberg24.de/verbraucher/lachs-test-oekotest-vergleich-produkte-ergebnis-discounter-marke-lidl-wuermer-zr-91138930.html; https://www.stern.de/genuss/lachs-bei--oeko-test----nur-ein-raeucherlachs-ist--sehr-gut--30961356.html 13 https://www.chip.de/artikel/der-beste-lachs-testsieger-der-stiftung-warentest_104665 14 https://www.oekolandbau.de/bio-im-alltag/einkaufen-und-kochen/produktinfos/lebensmittel/bio-lachs-in-massen-geniessen/ 15 Privateinkauf am 23.3.2023. 16 https://www.ruhr24.de/service/oekotest-lachs-fisch-lidl-aldi-discounter-ergebnisse-raeucherlachs-sieger-preis-sehr-gut-test-zr-91139814.html
- Borreliose: eine fehlgeleitete Biowaffe?
Stammt der Erreger der Lyme-Borreliose, einer der tückischsten Infektionskrankheiten, aus einem amerikanischen Biowaffenprogramm? Hinweise darauf will eine US-Journalistin entdeckt haben. Es beginnt typischerweise mit einem Hautausschlag, der sich kreisförmig ausbreitet. Man fühlt sich abgeschlagen und fiebert, Kopfweh und Schüttelfrost stellen sich ein. Schreitet die Erkrankung fort, so bringt sie weitere, heftigere Beschwerden mit sich: Muskeln krampfen, die Motorik wird unkoordinierbar. Betroffene sehen und hören schlechter, klagen über Gelenkschmerzen und Herzprobleme. Es kommt zu Hirnhautentzündungen und kognitiven Störungen, sogar psychiatrische Symptome können auftreten. Nicht rechtzeitig therapiert, führt die Lyme-Borreliose zu irreversiblen Organschäden. Eine von fast 400.000 US-Amerikanern, die Jahr für Jahr daran erkranken, war die Wissenschaftsjournalistin Kris Newby. Im Jahre 2002 infizierten sie und ihr Mann Paul sich während eines Urlaubs auf Martha´s Vineyard, einer Insel vor der Südküste von Massachusetts. "Es ist, als hätte man Multiple Sklerose, Alzheimer, chronische Müdigkeit und Gelenkschmerzen, alles zur gleichen Zeit”, so beschreibt sie ihre persönliche Erfahrung. “Es handelt sich in erster Linie um eine neurologische Krankheit, die zu einer Hyperinflammation führt. Und die Symptome wandern häufig durch den Körper. Du kannst sehr geschwächt sein, unfähig, die Aufgaben eines normalen Erwachsenen zu erfüllen. Wir waren verzweifelt und ein Jahr lang ohne Diagnose.” Bei zehn Ärzten war sie. Keiner erkannte, woran sie litt. Keiner wusste Rat. “Ich dachte, das wäre das Ende meines Lebens, wie ich es kannte.” "Diese Zeckenbisse raubten uns unsere Gesundheit", schreibt Newby, "und schickten mich auf die Suche nach einer fast unvorstellbaren Möglichkeit: dass wir Kollateralschäden in einem biologischen Waffenrennen waren, das während des Kalten Krieges begonnen hatte." “Vier bis fünf Jahre dauerte es, bis wir uns vollständig erholt hatten.” (1) Ihr überstandenes Martyrium motivierte Kris Newby 2008 zu einem bewegenden Dokumentarfilm “Under Our Skin”, der für einen Academy Award nominiert wurde; sechs Jahre später produzierte sie eine Fortsetzung: “Under Our Skin 2: Emergence”. Die “unsichtbare Krankheit” Eine besondere medizinische Herausforderung stellt die Borreliose unter anderem deshalb dar, weil ihre Symptome viele andere Krankheiten imitieren, darunter Multiple Sklerose, Arthritis, chronisches Müdigkeitssyndrom, Fibromyalgie, CFS und sogar Morbus Alzheimer-Krankheit. Sie zu identifizieren, wird dadurch schwierig und zeitaufwändig. (2) Erschwerend kommt hinzu, dass viele Borreliosekranke äußerlich gesund aussehen. Auch ihre Blutwerte geben oft keinen Anlass zur Sorge. Nicht von ungefähr gilt Borreliose als “unsichtbare Krankheit". Von Ärzten, die deswegen skeptisch sind, müssen sich Betroffene häufig unterstellen lassen, ihr Problem sei psychischer Natur, ihre Beschwerden würden sie sich "bloß einbilden". Bis endlich die richtige Diagnose gefunden ist, verstreicht kostbare Zeit, in der die Krankheit chronifiziert, für immer größeren Leidensdruck sorgt und immer schwieriger zu behandeln ist. Übertragen wird die Borreliose von Zecken – sowie manchmal auch von anderen Stechinsekten -, die mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi infiziert sind. Mit diesem Erreger kommen die Blutsauger nicht zur Welt. Sie nehmen ihn von einem Wirtstier auf, das sie befallen (3), in erster Linie von Mäusen und Ratten. (4) Die Lebensräume deren wichtigster natürlicher Fressfeinde – darunter Füchse, Raubvögel und Schlangen – zerstört eine immer intensivere Landwirtschaft und Zersiedelung. Deshalb konnten die Populationen der kleinen Nagetiere immer stärker ansteigen. Borrelia burgdorferi stellt aus mehreren Gründen eine besonders heimtückische Bedrohung dar. Zum einen ist dieses Bakterium fähig, je nach Milieu im befallenen Organismus unterschiedliche Gestalten anzunehmen, womit es geschickter manövrieren, sich leichter verstecken und überleben kann. Zudem zählt es zu den Spirochäten: Unter dem Mikrosop erscheint es als spiralig gekrümmtes, sehr langes und bewegliches Stäbchen. Die korkenzieherartige Form versetzt es in die Lage, sich in vielerlei Körpergewebe tief einzugraben, weshalb es so oft für eine weitreichende Multisystembeteiligung sorgt. Früh erkannt, lässt sich der Borreliose in vielen Fällen mit einem Antibiotikum beikommen: Doxycyclin, Ceftriaxon, Vancomycin. Jedoch ist das Bakterium häufig imstande, um sich herum einen schützenden Biofilm zu bilden, wodurch es seine Resistenz gegen Medikamente erhöht. Konfrontiert mit einem Antibiotikum oder Killerzellen des Immunsystems, verwandelt es sich in eine “schlafende” Zyste, die sich für Monate und Jahre verstecken kann, um aufs Neue zuzuschlagen, sobald eine geschwächte biologische Abwehr ihm die Chance dazu gibt. Schwer zu behandeln ist die Borreliose außerdem deswegen, weil Zecken auch weitere Krankheitserreger übertragen können. Solche Koinfektionen können zusätzliche, sehr unterschiedliche Symptome heraufbeschwören; häufig sprechen sie nicht auf Maßnahmen gegen das Bakterium burgdorferi an. Sämtliche Infektionen in den Griff zu kriegen, erfordert somit einen anspruchsvollen mehrgleisigen Ansatz. Die offizielle Version Als Entdecker der Borreliose gilt der Mann, der ihrem Erreger den Namen gab: Willy Burgdorfer, ein aus der Schweiz stammender Bakteriologe und Parasitologe. Sein ganzes Berufsleben lang arbeitete er in den Rocky Mountain Labs, einem Institut der höchsten Biosicherheitsstufe 4 (BSL 4) in Montana, betrieben von den National Institutes of Health (NIH), einer Einrichtung des US-Gesundheitsministeriums, als deren wichtigste Behörde für biomedizinische Forschung. Mitte der siebziger Jahre, so besagt das offizielle Narrativ, erhielt Burgdorfer den Auftrag, den Ausbruch einer neuartigen Krankheit in Old Lyme, Connecticut, und Long Island zu untersuchen. Mehrere Kinder und Erwachsene hatten dort eine Reihe von ungewöhnlichen Symptomen entwickelt, darunter Hautausschläge, Fieber, Müdigkeit und Gelenkschmerzen. Woran sie litten, blieb zunächst schleierhaft, wurde schließlich aber auf Zecken zurückgeführt, die in den örtlichen Wäldern gefunden wurden. In den Blutsaugern soll Burgdorfer 1981 das Bakterium entdeckt haben, das heute zu seinen Ehren so heißt wie er; Borrelia burgdorferi. Wie er feststellte, verursachte es die Krankheit. Daraufhin veröffentlichte er einen Artikel, in dem er erklärte, mittels Penicillin sei das Bakterium zuverlässig abzutöten. Seither hält sich die Vorstellung, Borreliose sei recht leicht behandelbar. In Wahrheit ist das Gegenteil der Fall. Wachsende Zweifel Wie kam Kris Newby dazu, an dieser Geschichte zu zweifeln? Einen eindeutigen Gegenbeweis habe sie nicht, bloß Indizien, so räumt sie ein. Zusammengenommen ergeben sie in Newbys Augen jedoch ein höchst verdächtiges Bild. Warum ist die Lyme-Borreliose ausgerechnet in den Vereinigten Staaten verbreiteter als irgendwo sonst auf unserem Planeten? Auf einer Party lernte die Journalistin einen ehemaligen CIA-Agenten kennen. Er prahlte mit einer Operation zu Zeiten des Kalten Kriegs, bei welcher infizierte Zecken auf Kuba abgeworfen wurden. "An diesem Punkt wusste ich, dass ich mit der Sache noch nicht fertig war", sagt Newby. “Ich fing an zu recherchieren, interviewte diesen CIA-Typen mehrmals und fand heraus, dass es eine nachprüfbare Geschichte war." Dass sie einer heißen Spur folgte, bestätigte sich, als sie während der Dreharbeiten zu ihrer Doku “Under Our Skin” Willy Burgdorfer persönlich begegnete. "Gegenüber mehreren Leuten hat er einen unnatürlichen Ursprung des Ausbruchs angedeutet", so berichtet sie. "Wie sich herausstellte, stand er auch bei Fort Detrick unter Vertrag": jenem berüchtigten Standort der US-Streitkräfte in Maryland, wo seit dem Zweiten Weltkrieg biologische Waffen entwickelt und getestet wurden. (5) “Als ich Burgdorfer interviewte, sagte er: 'Ja, ich war im Biowaffenprogramm. Ich hatte die Aufgabe, Zecken und Moskitos in Massen zu produzieren.'” Dies sei im Rahmen von Gain-of-Function-Experimenten erfolgt, “indem sie Krankheitserreger - Bakterien und Viren - in Zecken mischten, um effektivere Biowaffen zu entwickeln”. Newby erstellte eine Animation des ursprünglichen Ausbruchs, der angeblich an der Mündung des Connecticut River in der Nähe von Long Island begann. Dabei machte sie eine aufschlussreiche Entdeckung: "Als ich einen 50-Meilen-Radius um diesen Punkt gezogen habe, gab es drei neue, hochvirulente, von Zecken übertragene Krankheiten, die zur gleichen Zeit, Ende der sechziger Jahre, auftraten. Das war 13 Jahre bevor das Lyme-Bakterium 1981 zur Ursache der ‘Lyme-Borreliose’ erklärt wurde.” Nun begann Newby, “die Militärakten zu durchsuchen, um herauszufinden, ob der Ausbruch mit Biowaffenunfällen in Verbindung gebracht werden konnte. Dabei entdeckte ich ein umfangreiches Programm zur Herstellung von Insektenwaffen und ein Programm, bei dem Keime aus Flugzeugen über großen Gebieten versprüht wurden, das Projekt 112”: ein angeblich 1973 eingestelltes experimentelles Programm des US-Verteidigungsministeriums, dessen Existenz bis Mai 2000 kategorisch bestritten worden war. (6) “Einige dieser Erreger waren von Zecken übertragene Krankheiten, die gefriergetrocknet und als Aerosol versprüht wurden.” “Burgdorfer hatte mit Q-Fieber und Zecken gearbeitet, Erfahrungen, die die Rocky Mountain Labs für ihre Biowaffenarbeit brauchten. Sobald er eine Sicherheitsfreigabe erhalten hatte, begann er damit, die Pest in Flöhe und das tödliche Gelbfieber in Moskitos einzuschleusen und dann Viren und Bakterien in Zecken zu mischen, um die Virulenz dieser lebenden Waffen zu erhöhen.” “Die Waffenkonstrukteure in Detrick suchten nach Zecken, die man auf einen Feind abwerfen konnte, ohne Verdacht zu erregen, und die mit Erregern gefüllt waren, gegen welche die Zielbevölkerung keine natürliche Immunität besaß (...) Zecken waren die perfekte Tarnkappenwaffe, unauffindbar und mit langer Wirkungsdauer (...) Es geht darum, was Burgdorfer gesagt hat, dass sie es vertuschen wollen: 1) dass ein anderes Bakterium, vielleicht eine Rickettsie, die mit dem Rocky Mountain Fleckfieber verwandt ist, im Kalten Krieg als Biowaffe entwickelt wurde; 2) dass es eine Kombination von Bazillen in den Zecken sein könnte, die Menschen krank macht." Stutzig macht zudem, dass die US-Regierung keine zehn Kilometer Luftlinie von Old Lyme entfernt - dem Ort des ersten amtlichen Borreliose-Ausbruchs -, auf Plum Island, seit 1945 eine biologische Forschungseinrichtungen betrieb – zugangsbeschränkt, hochgradig gesichert, geheimnisumwittert. Von dort bis Long Island ist es gerade mal eine Meile, rund 1600 Meter. Wie ein Bericht des U.S. Government Accountability Office (GAO) aus dem Jahr 2005 enthüllte, wurde auf Plum Island mit tödlichen Krankheitserregern experimentiert, darunter das West-Nil-Virus, das Nipah-Virus und das Rifttalfieber. (7) Auch der prominente Enthüllungsjournalist Karl Grossman hat Plum Island im Verdacht, die weltweite Epidemie der Lyme-Borreliose ausgelöst zu haben. (8) Was Kris Newby herausfand, präsentierte sie 2019 in ihrem Buch “Bitten: The Secret History of Lyme Disease and Biological Weapons” – einem wahren Thriller, der Wellen schlug. Einen Kongressabgeordneten, den Republikaner Chris Smith, beeindruckten die zusammengetragenen Indizien derart, dass er eine Überprüfung beantragte. Damit hatte er Erfolg: Im Juli 2019 wies das US-Repräsentantenhaus den Generalinspekteur des Pentagon tatsächlich an, zu untersuchen, ob das Verteidigungsministerium "zwischen 1950 und 1975 mit Zecken und anderen Insekten im Hinblick auf die Verwendung als biologische Waffen experimentierte” – und infizierte Zecken “versehentlich oder durch einen Versuch” auf die ahnungslose amerikanische Öffentlichkeit losgelassen hat. (9) Offene Fragen an die Verschwörungstheoretikerin Wie zu erwarten, verlief die Untersuchung im Sande. Stichhaltige Beweise fehlten, namhafte Experten erklärten Newbys Verdacht umgehend für absurd. “Zecken und Borreliose wären eine sehr merkwürdige Wahl für eine gezielte Biowaffe, denn Zecken sind schwer zu handhaben, haben keine Flügel, und Borreliose wäre kaum ein Krafträuber", erklärte Robert Peterson, Professor für Entomologie an der Montana State University. “Das ist eine wirklich schwache Anschuldigung", so befand auch Jeffrey Lockwood, der an der Universität von Wyoming Natur- und Geisteswissenschaften unterrichtet. In seinem Buch "Six-Legged Soldiers: Using Insects as Weapons of War" hatte er im Jahr 2010 über Versuche der US-Army zur biologischen Kriegsführung mit Zecken, Fliegen und Flöhen berichtet. Während des Kalten Krieges erforschte sie, ob Zecken zur Verbreitung von Tularämie, Rückfallfieber und Colorado-Fieber eingesetzt werden können. Trotzdem bleibt Lockwood "zutiefst skeptisch", dass das Militär Zecken zur Übertragung von Borreliose eingesetzt hat. „Zecken sind nicht der beste Vektor für die Verbreitung von Biowaffen, weil sie nicht sehr weit kommen und die Borreliose ein langsam wirkender Erreger ist.“ Andere von Zecken übertragene Krankheiten seien für den Menschen viel schlimmer. "Die Borreliose mit einem Zeckenvektor als Waffe einzusetzen, macht einfach keinen Sinn", so Lockwood – was freilich nicht ausschließt, dass dennoch eine Zeitlang daran herumgebastelt wurde. "Andererseits war die Entwicklung von US-Militärwaffen ehrlich gesagt auch nicht immer sinnvoll.“ Zwar kommen Fälle von Borreliose nahe der Nordostküste der USA, dem angeblichen Testgebiet, tatsächlich auffallend häufiger vor als in den meisten übrigen Regionen – sind dort aber nicht verbreiteter als beispielsweise in Teilen Wisconsins, über 1500 km weiter westlich: Falls Militärs in Connecticut tatsächlich Zecken mit biotechnisch scharfgemachten Erregern freigesetzt haben – müssten seither dort nicht viel schlimmere Krankheitsverläufe auftreten als in anderen US-Bundesstaaten, geschweige denn in Europa und Nordasien, wo sich die Lyme ja ebenfalls seit Jahrzehnten epidemisch verbreitet? Die vermeintliche “Waffe” wurde wohl eher zum Rohrkrepierer. Kronzeuge Burgdorfer selbst kann hierzu leider nicht mehr Stellung nehmen. Er starb 2014. Mit Gain-of-Function-Forschung muss endlich Schluss sein. Sofort. Ob Lyme-Borreliose, Covid-19 oder sonstige Infektionskrankheiten auf biotechnologische Tüfteleien in Laboratorien zurückgehen oder nicht; wenn ja, ob solche teuflischen Kreationen versehentlich entwichen oder absichtlich freigesetzt wurden: Kommt es letztlich darauf an? Entscheidend ist: Es könnte so gewesen sein. Und jederzeit könnte es sich wiederholen, mit katastrophalen Folgen, die bei weitem schlimmer wären als jeder atomare Super-GAU. Rund um den Globus arbeiten Heerscharen fleißiger Wissenschaftler, im Auftrag von Militärs, Geheimdiensten und Konzernen, in Hunderten von Hochsicherheitslaboren wie von Sinnen daran, ohnehin gefährliche Krankheitserreger noch ansteckender, noch pathogener, noch tödlicher zu machen. Immer wieder kommt es zu Lecks. Schon das nächste könnte das Ende der Menschheit bedeuten. Oder es beschert uns eine umfassend “beschützende”, biofaschistische Hygienediktatur, worauf uns drei Corona-Pandemiejahre erst einen vergleichsweise harmlosen Vorgeschmack geboten haben. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen 1 So Newby in einem Interview mit dem Journalisten Paul D. Thacker, veröffentlicht am 28. Februar 2023. 2 Symbiosis (2009) 47/2009, S. 51-58 (PDF) http://www1.biogema.de/WEK/312-Margulis-final.pdf 3 Tickencounter.org 4 Journal of Infectious Diseases 1996 Nov;174(5):1108-11, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8896518 ; Journal of Medical Entomology 1997 Jul;34(4):489-93), https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9220684 5 Offizielle Historie von Fort Detrick, Memento vom 21. Januar 2012, https://web.archive.org/web/20120121062629/http:/www.detrick.army.mil/cutting_edge/index.cfm?chapter=contents; B.D. Green, L. Battisti and C.B. Thorne, "Involvement of Tn4430 in Transfer of Bacillus anthracis Plasmids Mediated by Bacillus thringiensis Plasmid pX012a", J. of Bacteriology, 171 (1989), S. 104–113; „Gefährliche Viren sind weg“, Frankfurter Rundschau, 25. September 1986. 6 https://en.wikipedia.org/wiki/Project_112, Abschnitt “Declassification” 7 news.cn, 25.8.2021: “Interview: U.S. bioweapon lab suspected of source of lyme disease: expert”, http://www.news.cn/english/2021-08/25/c_1310146419.htm 8 http://www.news.cn/english/2021-08/25/c_1310146419.htm 9 Siehe British Medical Journal 366/2019: “US Pentagon is told to investigate claims that Lyme disease is escaped bioweapon from cold war”, https://doi.org/10.1136/bmj.l4784; nj.com, 24.9.2021: “Did Pentagon turn ticks into bioweapons that spread Lyme Disease? House just approved a study”, https://www.nj.com/politics/2021/09/did-pentagon-turn-ticks-into-bioweapons-that-spread-lyme-disease-house-just-approved-a-study.html Bildquellen: Bakterium Borrelia burgdorferi: Von Photo Credit:Content Providers(s): CDC - Dieses Medium stammt aus der Public Health Image Library (PHIL), mit der Identifikationsnummer #6631 der Centers for Disease Control and Prevention.Hinweis: Cropped and uploaded originally to (http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Borrelia_image.jpg), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=302837 Foto Zecke: Sven/Nicooografie – Pixabay Grafik Verbreitung Lyme-Borreliose in USA: https://www.forbes.com/sites/judystone/2019/05/29/more-ticked-off-the-growing-threat-of-lyme-and-tick-borne-diseases/
- Wow! Fledermaus wird Gentechnikerin
Wie haben es chinesische Fledermäuse bloß hingekriegt, eine patentierte Gensequenz des Corona-Spritzenherstellers Moderna in ihr Erbgut zu kopieren? Eine harte Nuss für „Faktenchecker“. Als die Bombe explodierte, tat sie es völlig geräuschlos, denn Leitmedien sorgten für perfekte Schalldämmung: Im Genom des SARS-CoV-2-Virus, des Erregers von Covid-19, stieß ein internationales Forscherteam um den US-Molekularbiologen Kenneth Lundstrom auf eine überaus verdächtige Abfolge von 19 Nukleinsäuren: CTCCTCGGCGGGCACGTAG. (1) Wie die Wissenschaftler in einem peer-geprüften Artikel der Fachzeitschrift Frontiers in Virology darlegen, handelt es sich bei dieser Nukleotidkette um das exakte Spiegelbild, “Komplement”, einer genetischen Sequenz namens “MSH3”, die der Impfstoffhersteller Moderna am 4. Februar 2016, knapp vier Jahre vor dem offiziellen Ausbruch der Corona-Seuche, zum Patent Nummer 9,587,003 anmeldete. Wie schafften es Fledermäuse in südchinesischen Höhlen bloß, Modernas patentierte Gensequenz Baustein für Baustein zu spiegeln, um sie dann in ihr Erbgut hineinzukopieren? Natürlich überforderte sie ein solches Kunststück – und darin liegt ein weiterer stichhaltiger Beweis dafür, dass sich SARS-CoV-2 nicht auf natürliche Weise entwickelte, sondern im Biolabor künstlich geschaffen wurde: Offenbar wurde das Virus in Kulturen gezüchtet, die MSH3-mutierte Zelllinien verwendeten. Die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass die 19-teilige Gensequenz zufällig entstanden ist, liegt bei weniger als Eins zu einer Milliarde. Wer auch immer das Virus zurechtbastelte, benutzte dafür Modernas gentechnisch veränderte Zelllinien. Somit wird auch klar, wie Moderna ein wahres Wunder vollbringen konnte, das in der Medizingeschichte seinesgleichen sucht: “Nur zwei Tage” benötigte das Unternehmen nach eigenen Angaben, um den Impfstoff gegen ein völlig neues Virus zu entwickeln. Des Rätsels Lösung lautet natürlich: Moderna hatte jede Menge Zeit, das Vakzin im voraus zu produzieren. Denn wirklich neu war der Erreger zumindest für Moderna keineswegs: Es enthielt eine von ihm patentierte Sequenz. Triftige Anhaltspunkte dafür, dass der Covid-19-Erreger eine Laborkreation ist, lagen bereits im Frühjahr 2020 vor. Ende Mai/Anfang Juni jenes ersten Pandemiejahres präsentierte ich sie im Facebook-Account meiner Stiftung Auswege in einer Serie, die abrupt abriss, als zunehmende Social-Media-Zensur zuschlug: Angeblich verstieß ich gegen "Gemeinschaftsstandards". Wie von Geisterhand verschwanden einzelne Folgen aus fast allen Gruppen, deren Admins sie bereits angenommen hatten. Die Reichweite meiner Beiträge schrumpfte um 90 %, selbst unsere Abonnenten erreichten wir von da an kaum noch. Also machte ich ein Buch daraus: “Corona-Rätsel – Was steckt wirklich hinter dieser Pandemie?” erschien im Juni 2020, zu bestellen ist es seither hier. (Harald Wiesendanger) Anmerkung 1 “C” steht für die Nukleinsäure Cytosin, “T” für Thymin, “G” für Guanin”, “A” für Adenin.
- Zur Goldenen Nase
Die “Meinungsführer” der Ärzteschaft einzuspannen, ist für Arzneimittelhersteller von allergrößter Bedeutung. Doch woher wissen Pharmafirmen eigentlich, wie wichtig und wertvoll ein bestimmter Weißkittel ist? Für Durchblick sorgen professionelle Datenbeschaffer – für astronomisch hohe Vergütungen. Einfluss ist relativ. Je größer, desto lukrativer – für die “Influencer” ebenso wie für den, der sie für eigene Zwecke einspannt. Den geschäftlichen Nutzen medizinischer Silberrücken abschätzen und angemessen belohnen hilft „Cutting Edge Information“ (CEI) in Durham, North Carolina, ein auf die Pharmabranche spezialisiertes Beratungsunternehmen, 2002 gegründet. Von den 25 größten Arzneimittelherstellern der Welt nutzen 22 die CEI-Dienste. (1) Ihre alljährlichen „Pharmaceutical Compliance“-Kongresse ziehen jeweils rund 500 Topmanager an. (2) Dank CEI wissen wir endlich, dass Mediziner ebenso einen „fairen Marktwert“ (FMV) aufweisen wie Waren, Wertpapiere, Unternehmen und jedes sonstige ökonomische Gut – und dass ihn Big Pharma zu Marketingzwecken messerscharf kalkulieren kann, sobald sie die Expertise von CEI gekauft hat. Über 140 CEI-Studien (3) verdeutlichen, wie generalstabsmäßig durchdacht die Branche begehrte KOLs, „Key Opinion Leaders“, ködert, hegt und pflegt - und generalstabsmäßig benutzt. Sie legen dar, wie man solche Topleute „managt“, ihnen angemessene „Kompensationen“ zukommen lässt – und misst, inwieweit sie von geschäftlichem Nutzen sind („Return on Investment“). Welch enormen Wert Konzerne solchen Infos beimessen, lassen die verlangten Preise erahnen: Ein einzelner Besteller zahlt pro CEI-Bericht 7.695 US-Dollar („single-user license“). Eine „unlimited license“ für mehrere Leser kostet schlappe 23.995 Dollar. (4) Der “faire Marktwert” des Meinungsführers Was kriegt Big Pharma dafür? Ein Elaborat mit dem Titel „Verwaltung/Management von pharmazeutischen Meinungsführern“ beispielsweise: Es soll firmeneigene „Teams befähigen, Beziehungen zu Meinungsführern aufzubauen und KOL-Datenbanken zu betreiben“. Außerdem zeigt es auf, „welche KOL-Aktivitäten die nützlichsten für das Unternehmen sind“, wobei es „Übergebrauch“ („overusing“) von einzelnen Meinungsführern zu vermeiden gelte. Ein weiterer CEI-Report, „Rednerprogramme zu Werbezwecken“, bietet „innovative, leicht umsetzbare Strategien und bewährte Praktiken, um Vortragsveranstaltungen effektiver und rentabler zu machen“ – wobei es unter anderem darauf ankommt, dass der Redner sämtliche „Fragen über die Produkte auf eine positive Art und Weise beantwortet“. Im CEI-Report über ärztliche Weiterbildung heißt es, ihr „Erfolg“ hänge „davon ab, die richtigen Redner mit einer großen Einflusssphäre anzuwerben“. Weiteres CEI-Material hilft, „den fairen Marktwert von KOLs“ zu messen, sie adäquat zu entlohnen – und dabei selbstverständlich den Anschein von Korruption zu vermeiden. (5) CEI-Daten zufolge schmieren Pharmakonzerne weltweit bis zu 16.500 „führende“ Mediziner, damit sie auf vielfältige Weise die Werbetrommel rühren – im Schnitt 259 pro Firma. Einem pharmazeutischen Großkonzern ist das „Opinion Leader Management“ durchschnittlich 61 Millionen US-Dollar pro Jahr wert, vereinzelt bis zu 300 Millionen. Der Verkaufswert eines KOL bemisst sich demnach an zehn Merkmalen: (6) • Jahre Berufserfahrung (years of experience) • Anzahl Veröffentlichungen pro Jahr (number of publications per year) • Anzahl Vorträge pro Jahr (number of speeches delivered per year) • Arztkategorie (provider category) • Geographische Reichweite (geographic influence) • Klinischer Forschungshintergrund (clinical research background) • Schnelles Einsetzen von Neuem (early-adopter profile) • Ausbildungsniveau (education level) • Höhe der jährlichen Beraterhonorare (level of annual advising fee funding) • Höhe der jährlichen Forschungsförderung (level of annual grant funding) Niemand weiß besser als CEI, wie sich all dies quantifizieren lässt – kein KOL soll auch nur einen Cent zuviel erhalten, aber auch keinen zuwenig. So gibt die Wissenschaftsdatenbank Web of Science Aufschluss darüber, welche Autoren zu welcher Erkrankung wie viel publiziert haben. Beispielsweise erfährt man darin, dass im Jahre 2011 unter den 100 häufigsten Autoren von Veröffentlichungen zu Multipler Sklerose zwei Koryphäen aus Italien top-performten: vorneweg ein gewisser Massimo Filippi mit sage und schreibe 606 Artikeln, gefolgt von Giancarlo Comi mit 453. (7) Dass diese beiden Herrschaften als allererste ins Visier jedes Konzerns geraten, der ein brandneues MS-Präparat hochjubeln lassen will, versteht sich von selbst. Auf mehreren hundert Dokumentseiten listet CEI auf, welche Honorare die 46 weltweit größten Arzneimittelhersteller, von Bayer über Novartis, Roche und Pfizer bis zu Eli Lilly und Bristol-Myers Squibb, an Meinungsbildner ausschütteten – je nach deren „fairem Marktwert“ (FMV). Zwischen Champions League und Stadtmeisterschaft Beim Ranking folgt der Spezialist für Pharmamarketing und „ärztliche Meinungsmacherschaft“, gefragter Marktführer in diesem Bereich, einem branchenüblichen Fünf-Stufen-Modell (8), das an Ligastrukturen im Fußball erinnert. Rang 1: In der Champions League spielen die internationalen Stars der Medizin. Sie gelten unter Fachkollegen als äußerst einflussreich, genießen weltweites Ansehen, bringen es auf mindestens acht Veröffentlichungen und elf Werbevorträge pro Jahr, haben an Therapie-Leitlinien mitgewirkt und Symposien mitorganisiert. Sie haben an einer bestens beleumundeten Universität studiert und lehren an einer solchen. Sie sind rhetorisch gewandt und verfügen über ausgeprägten Geschäftssinn. Auf ihre Konten fließt ein Drittel des Gesamtbudgets für „Meinungsführer“. Ihr üblicher Stundensatz liegt bei 578 US-Dollar, in der Spitze bei 3000. Rang 2 und 3: In der Ersten und Zweiten Bundesliga spielen Ärzte, die sich auf nationaler Ebene einen Namen gemacht haben. Zweitklassige kassieren durchschnittlich 385 Dollar pro Stunde (maximal 2500), drittklassige 244 Dollar (maximal 1000). Rang 4: Zur Regionalliga gehören Ärzte, die im weiteren Einzugsgebiet ihrer Praxis hochangesehen sind. Ihr Einsatz ist der Branche im Schnitt 205 Dollar pro Stunde wert (maximal 300). Rang 5: Bei den Spitzenreitern von Stadtmeisterschaften handelt es sich um Ärzte, die an ihrem Praxisort besonders bekannt sind. Ihr üblicher Stundensatz in Pharmadiensten liegt bei 184 Dollar, höchstens 300. Diese, wie auch die Regionalligisten, dürfe man allerdings keinesfalls unterschätzen, mahnt „Cutting Edge“; gerade sie könnten sich als vorzügliche „Arbeitspferde“ erweisen und vor Ort ein therapeutisch minderwertiges Mittel zu einem Verkaufshit machen. Darüber hinaus kann ein kooperativer Arzt jeden Ranges erkleckliche „Extravergütungen“ ergattern. (9) Im Durchschnitt fließen für einen Vortrag bei einem Marketing-Event 2111 Dollar; für einen wissenschaftlichen Vortrag 3145; für einen kurzen Review, also eine Zusammenfassung von bereits veröffentlichten Studien 2725; fürs Verfassen eines Manuskripts 3726 Dollar; für die Teilnahme an einer Sitzung des firmeninternen „Beratergremiums“ (advisory board) 2940; für deren Moderation 3607; für deren Vorsitz 3664. Je nach Fachgebiet sind sogar noch mehr drin: Ist der Mit“beratende“ ein namhafter Krebsspezialist, streicht er pro Einsatz im Schnitt 5388 Dollar ein, ein Magen-Darm-Experte 7753 Dollar. Weil herausragende „Meinungsführer“ nicht bloß für eine, sondern zumeist für mehrere Firmen tätig sind – die Fleißigsten bringen es auf ein bis zwei Dutzend -, sind für sie durchaus Pharma- zuwendungen von jährlich über einer Viertelmillion Dollar drin. In Europa dürften die branchenüblichen Honorarsätze nicht allzu stark von amerikanischen Verhältnissen abweichen. Die hier genannten Zahlen sind auf dem Stand von 2007, der Medizinjournalist Hans Weiss stieß auf sie in CEI-Dokumenten. Mittlerweile gesunken sein dürften sie eher nicht. Sind “geldwerte Vorteile in angemessener Höhe” unbedenklich? Schmiergelder fließen an Silberrücken oft auch in Form von Provisionen, wie Ende 2018 die „Implant Files“ vor Augen führten, der Skandal um das schmutzige Geschäft mit minderwertigen medizinischen Hilfsmitteln. Ein leitender Chirurg, der jahrelang die Implantate eines bestimmten Herstellers bevorzugt, kann durchaus auf sechsstellige Umsatzprämien kommen. Anstatt dem zwielichtigen Treiben entschlossen ein Ende zu setzen, segnet die Musterberufsordnung für Ärzte es, mit einer halbherzigen Einschränkung, weitgehend ab: „Die Annahme von geldwerten Vorteilen“, so regelt deren Paragraph 33, Absatz 4, „für die Teilnahme an wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen ist nicht berufswidrig“, solange sie „in angemessener Höhe“ bleibe. Wie wäre es, darin endlich eine Anregung des US-Mediziners Edwin Fuller Torrey unterzubringen? Bei jedem Kongressreferat sollte an sichtbarer Stelle neben dem Vortragspult ein Hinweis angebracht sein wie: „Für diesen Beitrag erhält Dr. Smith 3500 US-Dollar, ein Flugticket der Business Class sowie die Unterkunft in einem Vier-Sterne-Hotel von Eli Lilly & Co.“ (10) Im Vordergrund steht bei all diesen Vergünstigungen das Bemühen, einen Erwartungsdruck zur Gegenleistung und einen dauerhaften, engen Kontakt aufzubauen, im Zuge dessen der Umworbene die Distanz verlieren soll. Und oft genug gelingt das offenkundig. Dass eine noch so ausgeprägte, überaus einträgliche Industrienähe eines Professors gänzlich unbeeinflusst lässt, wie er seine Studenten ausbildet, was er in Vorträgen äußert, in seine Manuskripte schreibt, bei Kongressen, in Fachgremien von sich gibt, ist eine äußerst gewagte, alles andere als evidenzbasierte Hypothese - eher aber ein frommer Wunsch. Das Unwesen der KOLs zählt zu den Auswüchsen eines auf “pathologischen Profit” ausgerichteten Gesundheitswesens, das “so viele skandalöse Fehlanreize setzt, dass von einer Medizin für die Menschen kaum mehr zu sprechen ist”. So deutliche Worte finden zumindest die “Ärzte für Aufklärung”. Wann erreichen solche Initiativen endlich genügend Standeskollegen, damit die Humanmedizin humaner wird? (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln 1 www.cuttingedgeinfo.com/, abgerufen am 18.5.2019. 2 Siehe www.cuttingedgeinfo.com/events. 3 www.cuttingedgeinfo.com. Siehe die CEI-Schriften Pharmaceutical Thought Leaders 2007, Thought Leader Compensation: Establishing Fair-Market Value Procedures; Pharmaceutical Opinion Leader Management – Cultivating Today´s Influential Physicians for Tomorrow 2007, und Pharmaceutical Thought Leaders – Determining Fair Market Value and Measuring ROI, zit. nach Hans Weiss: Korrupte Medizin (2008), S. 77-86. Mit seinen hartnäckigen Undercover-Recherchen hat sich Weiss bleibende Verdienste um mehr Ethik in der Medizin erworben. 4 Nach Patientensicht, 18.2.2016: „Das Beratungsunternehmen "Cutting Edge Information" und dessen Berichte über KOL und ROI“, https://patientensicht.ch/artikel/beratungsunternehmen-cutting-edge-information-dessen-berichte-ueber-kol-roi, abgerufen am 18.5.2019. 5 Zit. nach Patientensicht, 18.2,2016, a.a.O. 6 CEI-Bericht PH122: „Key Opinion Leaders“ (2009), zit. nach Patientensicht, a.a.O. 7 Nach Patientensicht, 7.10.2012: „Die häufigsten Multiple Sklerose Publikationsautoren“, https://patientensicht.ch/artikel/haufigsten-multiple-sklerose-publikationsautoren, abgerufen am 18.5.2019. 8 Hans Weiss: Korrupte Medizin (2008), S. 80 ff. 9 Nach Hans Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O. 10 E. F. Torrey: „The going rate on shrinks“, American Prospect 13 (13) 2002. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Als KOL zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken
“Mietmäuler” sind in der Medizin keineswegs Sonderfälle. Unter den Meinungsführern der Ärzteschaft, den imposanten “Silberrücken” ihrer Gorillaherde, ist kaum einer über jeden Verdacht erhaben, mit der Industrie lukrativ verbandelt zu sein. Die Verflechtungen sind vielfältig. Kommen “Mietmäuler” in der Ärzteschaft äußerst selten vor? In Wahrheit ist kaum jemand, der in der Medizin etwas zu sagen hat, inniger Industrieverflechtungen unverdächtig – und kaum einer legt sie freiwillig offen. Wer in den erlauchten Kreis der „Meinungsführer“ aufgenommen ist und „an prominenter Stelle auf einem riesigen Kongress sprechen darf - der kann nicht anders, als wichtig, ein Führer zu sein“, erhellt der Ex-Pharmamanager John Virapen die Tiefenpsychologie des Bauchpinselns. „Und durch die Kontakte, die wir ihm mittels unseres Programms und mittels der Teilnahme am Kongress erst ermöglichen, steigt er im allgemeinen Ansehen noch höher.“ (1) Meinungsführer sind für Big Pharma „unersetzlich“, deshalb müssen „meist Leute aus dem höheren Management ran“, um sie einzuwickeln, erläutert der Whistleblower. „Das sind ja auch besonders distinguierte Menschen, Spezialisten und Gourmetfreunde. Mittel der Wahl sind hier Symposien zur Erhärtung des eigenen Status, teure medizinische Geräte oder Computer, Reisen und ganz schlicht: Geld.“ (2) Die „Silberrücken“ der Ärzteschaft – Alpha-Männchen mit unschlagbarem Imponiergehabe - sind vielfältig einsetzbar: - als Berater im „advisory board“ von Pharmakonzernen; - als bezahlte Redner, „key note speakers“,für Vorträge, Pressekonferenzen, Symposien, Kongresse und ärztliche Fortbildungsveranstaltungen; - als offizielle (Mit-)Autoren von Artikeln, die in Wahrheit häufig Ghostwriter verfassen: Mitarbeiter der Pressestellen von Pharmakonzernen oder von PR-Agenturen, oft auch freie Medizinjournalisten (3); - als Mitwirkende in Gremien, die für die Ärzteschaft „Leitlinien“ festlegen, wie Krankheiten nach neuestem Forschungsstand zu behandeln sind – sie geben vor, worin „good clinical practice“ (GCP), ein „evidenzbasierter“ Umgang mit Patienten zu bestehen hat; - als Mitglieder jener mächtigen Kommissionen, welche Diagnosekriterien, Schwellen- und Grenzwerte festlegen. Jeder Millimeter, um den sie beispielsweise die Symptomatik einer „Störung“ erweitern, kann Milliardengewinne mit passenden Arzneimitteln bedeuten. Und jede neu eingeführte „Störung“ erschließt zusätzliche Absatzmärkte. Sissi lässt grüßen Um ein Haar geklappt hätte das beispielsweise bei der Erfindung des „Sissi-Syndroms“: einer angeblich viel zu lange verkannten, bestürzend weitverbreiteten Seelenpein, die bereits der österreichischen Kaiserin Elisabeth („Sissi“, 1837-1898) schmerzlichst zu schaffen gemacht haben soll. Auf die Idee zu dieser Kreation waren Mitarbeiter der Firma GlaxoSmithKline gekommen: Wie wäre es mit einer neuen Form von Depression, die besonders schwer zu diagnostizieren ist, weil die Betroffenen sie mit Frohsinn, gesteigerter Aktivität, ausgeprägtem Körperkult und offenkundiger Zufriedenheit gekonnt überspielen? Welch glücklicher Zufall: Eine Tablette mit passendem Wirkstoff war bereits zur Hand: Paroxetin, Handelsname „Seroxat“. Der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer erhöht bei trächtigen Ratten die Anzahl der Totgeburten, verringert das Geburtsgewicht und lässt Neugeborene häufiger sterben. (4) Menschlichen Weibchen hingegen bekomme er bestens, hieß es. Den putzigen Namen „Sissi-Syndrom“ erfand eine PR-Agentur. Nun galt es bloß noch, die Nachfrage zu wecken – und dafür stellten sich zwei angesehene deutsche Mediziner zur Verfügung. Gegen stattliches Honorar referierte A.R., die Leiterin des Bereichs Gynäkologische Psychosomatik des Universitätsklinikums Bonn, über „Kaiserin Sissi als Prototyp eines verkannten Patientenbildes“, wobei sie psychopathologische Untersuchungen des angeblichen Syndroms vorstellte. Ihr zur Seite sprang der Psychologe H.-U. W., Leiter des Instituts für Klinische Psychologie der Technischen Universität Dresden, Mitwirkender am „Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen“ (DSM), in deren 160-köpfiger Expertenkommission er sich in bester Gesellschaft befand: Mehr als die Hälfte der dort beteiligten Mediziner und Psychologen haben eingeräumt, mit der Pharmaindustrie monetentechnisch verbandelt zu sein. Drei Millionen Deutsche seien vom Sissi-Syndrom betroffen, so schwadronierte W., als Berater sechs Pharmafirmen zu Diensten. (5) Doch enttäuschend wenig Sissis ließen sich den Bären aufbinden. Ertragreicher verliefen Bemühungen, ein angebliches „Viagra für die Frau“ im Markt zu platzieren. Im August 2015 ließ die FDA es für den US-amerikanischen Markt zu, wo es unter dem Namen „Addyi“ eine Zeitlang auf Milliardenumsätze zuzusteuern schien. Der Wirkstoff Flibanserin war ursprünglich als Antidepressivum gedacht, erwies sich in klinischen Tests dafür aber als ungeeignet. Obendrein brachte er üble Nebenwirkungen mit sich: Häufig löste er Schwindel, Müdigkeit und Übelkeit aus, gelegentlich auch Schlaflosigkeit, Angstzustände, Mundtrockenheit, Unterleibsschmerzen, Verstopfungen, nächtliches Bettnässen, Herzrasen, anhaltende Stresszustände und Ohnmachtsanfälle. Allerdings wollten einige weibliche Versuchspersonen eine gesteigerte Libido bemerkt haben. Daraufhin erledigte man, wie so oft, die Erfindung eines Medikaments und des entsprechenden Krankheitsbilds Hand in Hand. „Wir haben es geschafft, führende Denker für die sexuelle Dysfunktion der Frau zu interessieren“, verlautbarte der Manager einer beteiligten Firma, „und wir haben eng mit ihnen zusammengearbeitet, um diese Krankheit als Ganze so zu entwickeln, dass sie Sinn ergab.“ (6) So erlangte, mit Hilfe williger Experten, die Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD) – auch „Sexuelle Appetenzstörung“ - den Rang einer Massenepidemie, von der schon jede dritte erwachsene Frau befallen sein soll: ein „ausgeprägtes Defizit bis zum völligen Mangel an sexueller Phantasie und dem Wunsch nach sexueller Aktivität, was ausgeprägten Distress und interpersonelle Schwierigkeiten nach sich ziehen kann“. (7) In der Fachwelt angekommen war die HSDD spätestens, als sie Eingang in die International Classification of Diseases (ICD) fand, Klassifikationsnummer F52.0. Über die weiterhin heftigen Nebenwirkungen ging die US-Zulassungsbehörde seltsam blind hinweg: Viermal häufiger setzen Schwindel und Müdigkeit ein; das Risiko für Übelkeit verdoppelt sich; zusammen mit Alkohol lässt Flibanserin den Blutdruck gefährlich absinken. Ebenso einerlei waren der FDA offenkundig die eher enttäuschenden Ergebnisse von insgesamt acht klinischen Studien mit fast 6000 Teilnehmerinnen: Diese hatten mitnichten ein stärkeres Sexualverlangen nach Einnahme gemessen, sondern lediglich einen leichten Anstieg der sexuellen Befriedigung. Und der bestand worin? Innerhalb von zwei Monaten erlebten Frauen, die „Pink Viagra“ schluckten, durchschnittlich einen Orgasmus mehr als jene, die darauf verzichteten. (8) Das ist zumindest eines nicht: zuviel. Trotzdem gaben sich Koryphäen der Sexualforschung und Gynäkologie - wie peinlicherweise auch Frauenrechtsorganisationen (9) - schamlos dafür her, Flibanserin zu einer epochalen Wunderpille hochzujubeln, welche die weibliche Lust endlich von ihren Fesseln befreie. Unter den Teppich kehrten sie, wie sehr sexuelles Verlangen vom Verhalten des Partners und der Qualität einer Beziehung abhängt. Und sie missachteten einen wesentlichen Unterschied: Viagra hilft dem Mann, der zwar will, aber nicht kann, indem es binnen einer Stunde die Blutzirkulation in den Geschlechtsorganen soweit verbessert, dass eine Erektion eintritt. Flibanserin hingegen sensibilisiert das Gehirn der Frau, die könnte, aber nicht will, erst nach Wochen regelmäßiger Einnahme - ein bisschen. Das Präparat endete, verdientermaßen, als hämisch belächelter Ladenhüter. (10) Derart willfährig zu Diensten zu sein, zahlt sich für Silberrücken reichlich aus: Die Zuwendungen enden beileibe nicht bei der Kostenerstattung von Tagungsgebühren, Reise- und Hotelkosten. Sie reichen von Einladungen in Edelrestaurants über Luxusreisen, auch für die Frau Gemahlin, in die Karibik und Freitickets zu großen Kultur- und Sportevents bis hin zu Entspannungs- und Vergnügungstouren, besser ohne Gemahlin, mit „Tauchen, Surfen, Segeln, hübschen Mädchen und heißen Nächten“ (11), sowie zu Aktienpaketen und üppigen Vergütungen für Autoren- und Referententätigkeiten, vereinzelt im hohen sechsstelligen Bereich. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln 1 John Virapen: Nebenwirkung Tod. Ein Ex-Manager der Pharmaindustrie packt aus, Kleinsendelbach 2009, S. 70 f. 2 Virapen: a.a.O. 3 J. S. Ross/K. P. Hill u.a.: “Guest authorship and ghostwriting in publications related to rofecoxib: a case study of industry documents from rofecoxib litigation”, Journal of the American Medical Association 299/2008, S. 1800-1812; S. Sismondo: “Ghosts in the Machine”, Social Studies of Science 39/2009, S. 171-198. 4 Deroxat: „Fachinformation“, Stand Juni 2009. 5 Der Spiegel 20/2011, S. 118-119. 6 zit. nach Marie Schmidt: „Was will sie denn?“, Die Zeit Nr. 35, 27.8.2015, S. 42. 7 Nach J. J. Warnock: „Female hypoactive sexual desire disorder: epidemiology, diagnosis and treatment“, CNS Drugs 16 (11) 2002, S. 745-753. 8 Nach Loes Jaspers u.a.: „Efficacy and Safety of Flibanserin for the Treatment of Hypoactive Sexual Desire Disorder in Women: A Systematic Review and Meta-Analysis“, Journal of the American Medical Association, online 29.2.2016: http://archinte.jamanetwork.com/article. aspx?articleid=2497781, abgerufen am 1.3.2016. 9 Apotheke Adhoc, 22.9.2015: „Frauenrechtler lobbyierten für ‚Pink Viagra‘“, www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/internationales/pink-viagra-addyi-flibanserin-sprout-pharmaceuticals-even-the-score/, abgerufen am 18.5.2019. 10 Apotheke Adhoc, 22.10.2016: „Addyi: Lustpille als Ladenhüter“, www.apotheke-adhoc.de/ nachrichten/detail/internationales/pharmakonzerne-unlust-auf-lustpille/, abgerufen am 18.5.2019. 11 John Virapen: Nebenwirkung Tod, a.a.O. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Nimmersatte Mietmäuler - Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer
Wer ein Produkt verkaufen will, muss nicht jeden einzelnen Konsumenten ansprechen. Es genügt, ein paar ausgewählte, gut vernetzte, überaus populäre Leute, „Influencer“, dafür zu gewinnen, es lautstark anzupreisen. Dann ist es bloß eine Frage der Zeit, bis sich ihre Empfehlung wie ein Lauffeuer verbreitet. Das macht die Meinungsführer der Ärzteschaft so ungeheuer wertvoll für die Pharmaindustrie – und die evidenz- zur eminenzbasierten Medizin. Sie wollten immer schon für umme in der Suite eines Fünf-Sterne-Hotels nächtigen? In Nobelrestaurants auf Michelin-Niveau speisen, ohne dass der Kellner Sie am Ende mit einer Rechnung belästigt? Freikarten für Olympische Spiele oder eine Fußball-WM ergattern, Logenplatz inclusive? Einen kostenlosen Strandurlaub in Florida oder auf Hawaii verbringen? Dorthin in der Business Class fliegen, ohne sich dafür ein Ticket besorgen zu müssen? Umsonst in exklusiven Nightclubs den Augenschmaus aufreizender Girls genießen, deren Dienstkleidung eher nach Geschenkverpackung aussieht? Sich in feucht-fröhlicher Männerrunde für null Cent in einem Edelbordell vergnügen? Sie wären gerne so wichtig, dass Sie vor über tausend Kollegen eine vielbeklatschte Rede halten dürfen - und dafür rund 5000 Euro zugesteckt bekommen? Für die Teilnahme an einer sechsstündigen Gesprächsrunde möchten Sie fast 7.000 Euro einstreichen, für einen Aufsatz knapp 16.000 Euro? (1) Ihr guter Rat, acht Tage lang erteilt, sollte über 350.000 Euro wert sein? (2) Dann werden Sie Arzt. Und bringen Sie es zu was. Leiten Sie ein größeres Krankenhaus, am besten eine Uniklinik. Besetzen Sie einen Lehrstuhl. Gehören Sie dem Vorstand Ihrer Fachgesellschaft an. Geben Sie eine medizinische Zeitschrift heraus. Lassen Sie sich in Kommissionen wählen. So oder so klappt es dann ziemlich sicher. Aber wer bezahlt all die offenen Rechnungen, wer lässt die traumhaften Honorare springen? Und wozu überhaupt? Die Macht der Silberrücken Unter Gorillas geht es seltenst zu wie in einem basisdemokratischen Debattierklub. An ihrer Spitze steht mindestens ein älteres Männchen mit silbergrauem Rückenfell – ein Insignium der Macht, das sich entwickelte, als sein stolzer Träger voll ausgewachsen war. Ihre Gruppe dirigieren die Chef-Primaten mit Imponiergehabe und Gebrüll. Artgenossen versperren sie den Zugang zur Macht. Mit plötzlichen aggressiven Ausrastern ist jederzeit zu rechnen, wie auch mit dem Ausstoß von Duftmarken, bei Ärger und Gefahr: Stinkt der Silberrücken, hat er was zu sagen. Von „Silberrücken“ wimmelt es, im übertragenen Sinne, in der Medizin wie in kaum einem anderen Lebensbereich. Das Sagen haben etwas ältere Männer, häufig mit grauen Schläfen und stets mit überaus dominanter Ausstrahlung. Auf sie hört, ihnen folgt die Herde. Wer sich ihnen widersetzt, kann was erleben. Für ihre soziale Position werden Silberrücken im Affenreich mit der leichten Verfügbarkeit von Weibchen belohnt - unter Menschen des öfteren ebenfalls, vor allem aber mit Geld und Ansehen. Was Verhaltensforscher „Alphatiere“ nennen, bezeichnen Sozialwissenschaftler als opinion leaders oder influencers: Menschen, die innerhalb einer Gruppe als „Meinungsführer“ größten Einfluss ausüben. Sie genießen hohes Ansehen. Ihnen hört man besonders aufmerksam zu. Recht häufig schließt man sich ihren Meinungen an, folgt ihren Empfehlungen, richtet eigene Entscheidungen daran aus. Für jeden, der ein Produkt verkaufen will, sind menschliche „Silberrücken“ von allergrößter Bedeutung. Warum sollten sich Werbung und Marketing darauf beschränken, direkt beim Endverbraucher Interesse und Kauflust zu wecken? Geht es auf Umwegen nicht viel einfacher, billiger und wirkungsvoller? Genügt es nicht, einige ausgewählte, gut vernetzte, überaus populäre Leute dafür zu gewinnen, die Ware möglichst begeistert und lautstark anzupreisen? Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich ihr Lob wie ein Lauffeuer verbreitet. Der gefeierte Propagandist dieses Ansatzes, der kanadische Unternehmensberater Malcolm Gladwell, schwärmt in seinem Bestseller Tipping Point – Wie kleine Dinge Großes bewirken können (2001): „Eine totgesagte Schuhmarke, die über Nacht zum ultimativ angesagten Modeartikel wird. Ein neu eröffnetes Restaurant, das sofort zum absoluten Renner wird. Der Roman einer unbekannten Autorin, der ohne Werbung zum Bestseller wird. Für den magischen Moment, der eine Lawine lostreten und einen neuen Trend begründen kann, gibt es zahlreiche Beispiele. Wie ein Virus breitet sich das Neue, einer Epidemie gleich, unaufhaltsam flächendeckend aus. So wie eine einzelne kranke Person eine Grippewelle auslösen kann, genügt ein winziger, gezielter Schubs, um einen Modetrend zu setzen, ein neues Produkt als Massenware durchzusetzen (...) Wenig Aufwand kann zu einem Mega-Erfolg führen.“ Auch Pharmaunternehmen wissen das. Eine Arznei zu vermarkten, ist überall dort, wo Rezeptpflicht herrscht, allerdings weitaus heikler als bei anderen Produkten. Wenn nicht der Konsument selbst entscheidet, ob er sie braucht, sondern sein Arzt, der den Bezugsschein ausstellt, so gilt es, diesen zum Verschreiben zu bewegen. Einerseits erleichtert sein unerreichtes Sozialprestige die Mühsal des Überredens, denn der Patient vertraut seinem Arzt in einem Maße, wie er es den Werbe- botschaften eines Herstellers gegenüber niemals täte. Ärzte als Umsatzförderer einzuspannen, ist andererseits aber viel schwieriger, als ein zeigefreudiges Girlie als Youtube-“Influencerin“ für Klamotten oder Schminke anzuheuern. Schließlich handelt es sich bei Ärzten um überdurchschnittlich kluge, gebildete, kritische Zeitgenossen. Durchschauen sie schnöde Geschäftsinteressen nicht viel eher als Otto Normalversteher? Halten sie nicht weitaus größeren inneren Abstand zu aufdringlichen Pillenverkäufern? Eminenz- statt evidenzbasierte Medizin Aus dieser Klemme helfen die Meinungsführer des Medizinbetriebs vorzüglich - die KOLs, vom englischen „Key Opinion Leaders“, wie die Masterminds des Pharma-Marketings sie nennen. Denn zu KOLs schaut der praktizierende Arzt auf. Sie lehren und forschen als Professor. Bei der ärztlichen Fortbildung stehen sie am Rednerpult. In Unikliniken sitzen sie auf Chefsesseln, stehen ärztlichen Standesorganisationen vor. Sie organisieren und leiten große Fachkongresse. Als Verfasser von Standardwerken, als Herausgeber oder ständige Autoren angesehener Fachjournale haben sie sich hervorgetan. Sie beraten und entscheiden in gewichtigen Ausschüssen und Gremien mit. Als Gutachter finden sie bei politisch Verantwortlichen offene Ohren. Zum Beispiel der Anästhesist J.B. Eine große Nummer war er mal in Deutschlands Spitzenmedizin. Bei Kongressen, in seinen Lehrveranstaltungen galt der Chefarzt am Klinikum Ludwigshafen als brillanter Redner. Dass er seinem beeindruckten Publikum oft vorsätzlich Humbug auftischte, war erst klar, nachdem er 2010 als dreister Datenfälscher entlarvt wurde. Als echtes Wundermittel hatte er jahrelang das Medikament Hydroxylethylstärke (HES) angepriesen, einen aus Mais- oder Kartoffelstärke hergestellten Blutplasmaersatz. Wie er in mehreren eigenen Studien herausgefunden haben wollte, stabilisieren HES-Infusionen den Kreislauf von Patienten auch bei immensem Blutverlust und machen Transfusionen überflüssig. Seinen Job, seine Professur, sein Ansehen verlor J.B., als aufflog, dass er emsig gefälscht hatte: In Wahrheit half HES nicht nur keineswegs, es konnte erheblichen Schaden anrichten. (3) Jeglicher Industrieferne unverdächtig machte sich Professor H.-J. M., von 1994 bis 2012 Direktor der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein Topmann seines Fachs war er: als Autor oder Mitverfasser von mehreren Lehrbüchern und über 1100 wissenschaftlichen Aufsätzen, als Herausgeber führender Fachzeitschriften, als Mitglied und Präsident zahlreicher Fachgesellschaften. Eifrig „beriet“, forschte und referierte er für mindestens 14 Pharmariesen, von Astra Zeneca über Bristol-Myers Squibb, Eli Lilly und GlaxoSmithKline bis hin zu Janssen-Cilag, Lundbeck, Merck, Novartis und Pfizer. Das Abmagerungsmittel Acomplia pries er in einer Werbeveranstaltung des Herstellers sowie einem Artikel für das hochangesehene British Medical Journal für ein „günstiges Nutzen-Risiko-Profil“ – teilweise sogar noch, nachdem die US-Gesundheitsbehörde dem Appetitzügler schon die Zulassung verweigert hatte, wegen schwerer Nebenwirkungen: Depressionen, Suizidgedanken, Angstzustände, Gedächtnisstörungen, Krampfanfälle, Atemwegsinfektionen, Übelkeit, Durchfall. Ebenso nachdrücklich lobte M. das Antidepressivum Valdoxan – Wirkstoff Agomelatin -, dem die europäische Arzneimittelagentur wegen fehlender Wirksamkeit die Anerkennung verweigerte. (4) M. befindet sich in bester Gesellschaft. Für Bristol-Myers Squibb und Otsuka referierte, für sechs weitere Pharmariesen forschte Professor W. M., Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn, Sprecher zweier vom Bundesforschungsministerium geförderter „Kompetenznetze“ für Demenz, federführender Herausgeber der maßgebenden Fachzeitschrift Der Nervenarzt; von 2012 bis 2014 war M. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), mehrfach leitete er deren Jahreskongresse. (5) Einer von W.M.´s Vorgängern im DGPPN-Vorsitz (2001/2002), Professor M. S., machte sich auf Werbeveranstaltungen von Pfizer, Merz, Pharmacia und Lundbeck für die umstrittenen Antidepressiva Cymbalta, Solvex und Cipralex sowie die Neuroleptika Zeldox und Abilify stark. (6) Als „Consultant“ und Vortragender für ein rundes Dutzend Pharmagiganten legte sich Professor S. K. von der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien ins Zeug. (7) Von 2005 bis 2009 war er Präsident einer der drei weltweit führenden Gesellschaften seines Fachs, der World Federation of Societies of Biological Psychiatry; er saß der Sektion Pharmakopsychiatrie der World Psychiatric Association (WPA) vor; von 2012 bis 2016 gehörte er dem Führungsgremium des International College of Neuropsychopharmacology (CINP) an. Preisfrage: Welche Art von Behandlung seelisch Belasteter stellen solche Leute wohl in ihren Kliniken sicher? Standesethik verhöhnt Eine vielsagende Probe aufs Exempel machte der österreichische Journalist Hans Weiss. Getarnt als „Peter Merten, freier Strategischer Berater“ eines Wiener Pharmaunternehmens, wandte er sich in den Jahren 2007 und 2008 an fünf weltweit angesehene Psychiater in leitenden Positionen an Unikliniken oder Großkrankenhäusern. (8) Seine Firma habe ein tolles neues Antidepressivum entwickelt, so schwindelte er – und unterbreitete ihnen ein verlockend unmoralisches Angebot. Würden sie sich dafür kaufen lassen, eine klinische Studie durchzuführen, die der Weltärztebund als unethisch einstuft, zumindest aber als ethisch fragwürdig: eine an schwerkranken Patienten mit stärksten Depressionen? Die nötige „Placebokontrolle“ hätte erfordert, jedem Zweiten monatelang ihre bewährte Therapie vorzuenthalten, stattdessen bloß eine unwirksame Scheinarznei zu verabreichen – und das, obwohl Medizinstudenten schon in ihren ersten Semestern lernen, wie entsetzlich bei höchstgradig Depressiven der Leidensdruck, wie erheblich das Selbstmordrisiko ist. Für den Studienleiter sah Mertens Offerte ein Honorar von 8000 Euro vor. Pro teilnehmendem Patienten, versteht sich. Ergäbe bei fünfzig Probanden happige 400.000 Euro. Das niederschmetternde Ergebnis: Alle fünf Geköderten erklärten sich bereit einzusteigen oder mochten sich näheren Verhandlungen zumindest „nicht verschließen“. Könnten sie klarer gegen die ärztliche Standesethik verstoßen? „Die Gesundheit meines Patienten“, heißt es in der Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes, „soll mein vornehmstes Anliegen sein. Der Arzt soll bei der Ausübung seiner Tätigkeit ausschließlich im Interesse des Patienten handeln. In der medizinischen Forschung haben Überlegungen Vorrang, die das Wohlergehen der Versuchspersonen betreffen.“ (9) (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln 1 Berechnet nach dem jeweils üblichen durchschnittlichen Stundensatz und Zeitaufwand, nach dem die Pharmabranche Einsätze von Meinungsbildnern um Jahre 2007 vergütete, s. Cutting Edge: Pharmaceutical Opinion Leader Management - Cultivating Today´s Influential Physicians for Tomorrow (2007), zit. nach Hans Weiss: Korrupte Medizin - Ärzte als Komplizen der Konzerne, 3. Aufl. Köln 2008, S. 84-86. Gewiss kam seither noch ein großzügiger „Inflationsausgleich“ hinzu. 2 R. Abelson: „Whistle-blower suit says device maker generously rewards doctors“, New York Times 24.1.2006. 3 Veronika Hackenbroch: „Zu schön, um wahr zu sein“, Spiegel Online vom 29. November 2010: www.spiegel.de/spiegel/print/d-75376536.html. 4 Nach Hans Weiss: Korrupte Medizin - Ärzte als Komplizen der Konzerne, a.a.O., S. 148 f., 259. 5 Nach Hans Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 163, 258., Eintrag zu W. M. bei Wikipedia.de, abgerufen am 30.12.2016. 6 Nach Hans Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 169 f., S. 261; Eintrag zu M. S. bei Wikipedia.de, abgerufen am 30.12.2016. 7 Hans Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 171 f. und 265; Eintrag zu S. K. bei Wikipedia.de, abgerufen am 30.12.2016. 8 Siehe Hans Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 141-191. 9 Siehe „WMA Deklaration von Helsinki“, www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/ user_upload/Deklaration_von_Helsinki_2013_DE.pdf, abgerufen am 30.12.2016. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Weichgespült - Ärztliche Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche
Der Medizinstudent von heute ist der Rezeptaussteller von morgen. Deshalb umgarnt die Pharmabranche angehende Ärzte bereits vom ersten Semester an. Praktizieren sie, so setzt sich die Gehirnwäsche unerbittlich fort – bei der obligatorischen Weiterbildung. „Die Studenten werden schon früh an der Uni eingelullt“, schreibt die Politologin Ina Brzoska, „indem die Firmen ihnen kleine, harmlose Annehmlichkeiten im Klinikalltag bereiten, sie bezahlen Fortbildungen und gutes Essen“, wobei sie „stets höflich und zuvorkommend“ sind. „So vermittelt Big Pharma den angehenden Ärzten ein positives Bild von ihrer Tätigkeit.“ (1) In ihrem dritten Studienjahr sehen sich 93 Prozent der Medizinstudenten mindestens einmal pro Woche mit industriegesponsterten Geschenken oder Aktionen bedacht; ausnahmslos alle sind schon zu mindestens einem pharmafinanzierten Essen eingeladen worden. (2) Den meisten ist durchaus bewusst, dass Industrieeinflüsse ihre Ausbildung mitbestimmen und von Semester zu Semester zunehmen. (3) „Diese fortwährende Exposition“, stellt eine britisch-amerikanische Forschergruppe fest, sorge schleichend für „eine Gehirnwäsche, welche die Einstellungen von Medizinstudenten zu den vermarkteten Produkten verändert“. (4) Die Versuchung, Big Pharma gefällig zu sein und dadurch anfällig dafür zu werden, dass Industrieinteressen die Agenda mitbestimmen, die vielbeschworene Freiheit von Forschung und Lehre verhöhnend, steigt an klammen Universitäten, die notgedrungen nach Pharmamitteln lechzen – und reichlich bekommen: beispielsweise die Uni Köln von Bayer, die Freie Universität Berlin von Sanofi-Aventis, die Uni Mainz von Merck. (5) Der Pharmakologe Bruno Müller-Oerlinghausen, einst Vorsitzender der deutschen Arzneimittelkommission und als geläuterter Querkopf inzwischen für die Pillenbranche ein rotes Tuch, sähe pharmakritische Seminare am liebsten fest in der Prüfungsordnung aller angehenden Ärzte verankert. „Sie müssen gegen die Meinungsmanipulation der Pharmaindustrie widerstandsfähiger werden“, sagt er. (6) Häufig hält er Seminare über „Advert Retard“ ab - „langanhaltende, nachhaltige Werbung“ -, in denen Medizinstudenten lernen sollen, wie trickreich die Pharmaindustrie sie zu umgarnen trachtet – und wie sie damit umgehen können. Warum beschreibt der Dozent nur die positiven Eigenschaften eines Medikaments, verschweigt aber mögliche Nebenwirkungen? Wieso verwendet er keine eigenen Folien, sondern vorgefertigte des Herstellers? Wie findet man heraus, welche Nebentätigkeiten er ausübt – und wer ihn dafür bezahlt? Wie unterscheiden sich Fachzeitschriften, die keine Inserate drucken, von jenen, die für Pharmawerbung Druckseiten freihalten? Zumindest an der Berliner Charité ist „Advert Retard“ neuerdings Wahlpflichtfach. Aus CME wird CMM: Continuing Medical Manipulation Ärzte müssen sich fortbilden lassen, das schreiben ihnen der Gesetzgeber und die Berufsordnung vor. Dabei mischen Pharmafirmen nach Kräften mit. Für Continuing Medical Education (CME) geben sie allein in den USA jährlich 1,2 Milliarden Dollar aus, womit sie 50 bis 60 Prozent der Gesamtkosten tragen. (7) Als Sponsoren nehmen sie größtmöglichen Einfluss auf Fortbildungsprogramme und –inhalte: Sie finanzieren die Vorbereitung, Ausrichtung und Durchführung entsprechender Veranstaltungen. Sie lassen professorale Mietmäuler ihre neuesten Produkte anpreisen, bequemerweise mit Powerpoint-Präsentationen, die der Hersteller fix und fertig bereitstellt. (8) Sie übernehmen Reise- und Übernachtungskosten rund um Fortbildungen, Tagungs- und Teilnahmegebühren, samt Rahmenprogramm. Sie bezahlen die Mahlzeiten. All das rentiert sich nachweislich: Gesponserte CME verleitet die teilnehmenden Ärzte nachweislich, für höhere Verschreibungsraten zu sorgen. (9) Wer legt diesen Sumpf endlich trocken? Welcher Sumpf trockengelegt werden müsste, führte 2018 der Skandal um den CME-Anbieter Omniamed vor Augen, verdienstvollerweise aufgedeckt von der Ärzte-Initiative MEZIS. Die meisten Referenten der Omniamed-Veranstaltungen hatten Gelder von eben jenen Pharmafirmen eingestrichen, welche diese Veranstaltungen sponserten, im Schnitt mit 100.000 bis 200.000 Euro. (10) Die Vortragsthemen entsprachen den Produkten der Sponsoren. Erst infolge des Medienechos (11) verweigerten die Landesärztekammern Baden-Württemberg (12) und Münster (13) Omniamed erstmals die CME-Zertifizierung von Veranstaltungen - wegen »mangelnder Produktneutralität«. Daraufhin beendete Omniamed seine Geschäftstätigkeit, zumindest in Deutschland. (14) Warum haben Ärzteverbände, und notfalls der Gesetzgeber, dem hanebüchenen Treiben nicht längst einen Riegel vorgeschoben - generell? Bemisst sich die Qualität einer Tagung etwa an der Sternezahl des Hotels? Wer rechnet denn allen Ernstes damit, dass ein Pillenproduzent bei solchen Anlässen nachdrücklich die Risiken und Nebenwirkungen seines Produkts hervorhebt, zur Zurückhaltung beim Verschreiben ermahnt, den Vergleich mit Präparaten der Konkurrenz nicht scheut, die Vorzüge von Naturheilverfahren und bewährten Hausmitteln, von Psychotherapie und sozialer Unterstützung lobt? Für die Arzneimittelindustrie ist nichts geschäftsschädigender als umfassende, ausgewogene Information über alle verfügbaren Behandlungsoptionen. In der ärztlichen Fortbildung haben Pharmakonzerne deshalb definitiv nichts zu suchen. Wozu der ganze Aufwand, um unbestechliche Ärzte nicht zu beeinflussen? Welch irrwitzigen Aufwand Unternehmen treiben, um Ärzte auf den neuesten „Wissensstand“ zu bringen, förderte beispielhaft ein Strafverfahren zutage, das der Generalstaatsanwalt des Südlichen Distrikts von New York Ende März 2016 gegen den Schweizer Giganten Novartis einleitete – wegen massiver Bestechung. Die Ermittlungen in Gang gebracht hatte ein ehemals in Novartis´ Diensten stehender Whistleblower: Er enthüllte, dass sein früherer Arbeitgeber in den USA allein zwischen 2002 und 2011 zu sage und schreibe 25.000 „wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen“ geladen hatte. Bei ihnen allen handelte es sich in Wahrheit um verkappte Marketing-Events, deren Fortbildungswert gegen Null ging. Ihr einziger Zweck: Zehntausende von teilnehmenden Ärzten dazu zu bringen, Novartis-Präparate zu verschreiben. Das Muster war stets dasselbe: Gegen üppiges Honorar referierten willige Mediziner über Medikamente des Pharmakonzerns, während sich die Zuhörer luxuriös verköstigen ließen – auf Konzernkosten, versteht sich. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit über zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr“, so schätzen Analytiker der US-Bankengruppe Citigroup, dürfte Novartis diese Korruptionspraxis gekostet haben. Reichlich ausgezahlt hat sie sich bisher wohl. (15) Warum sonst gäbe es sie? „Wieso nur“, wundert sich der leitende Arzt Markus Pawelzik von der Münsteraner EOS-Klinik, „gibt die Industrie so viel Geld aus, um unbestechliche Ärzte nicht zu beeinflussen?“ Seine Antwort schiebt er sogleich nach: „Weil es sich rechnet.“ (16) Blind für organisiertes Verbrechen Ein „erschreckendes Maß an Verblendung“ innerhalb der Ärzteschaft, so dass „man schon fast von einer kollektiven Psychose sprechen kann“, beklagt auch der dänische Mediziner und Pharmakritiker Peter Gøtzsche. Um wachzurütteln, provoziert er Standeskollegen bei Vorträgen gerne mit einem deftigen Vergleich. Was würden sie von einem Richter halten, der vor Beginn eines Prozesses gegen die Mafia erklärt: „Ich habe Reisestipendien von Silvio Berlusconi erhalten. Ich sitze im beratenden Ausschuss der Unbarmherzigen Kredithaie. Ich habe Geld von Drogenhändlern genommen. Ich habe frei verfügbare Ausbildungsbeihilfen von der Camorra erhalten. Ich berate den Sprecher der Mord-GmbH.“ Warum, so fragt Gøtzsche dann sein Publikum, sollten wir „Geld von der Industrie annehmen, von kriminellen Vereinigungen aber ablehnen“ – wo doch „das organisierte Verbrechen im Vergleich mit der Pharmaindustrie deutlich weniger Menschen tötet“? (17) Solange es in Praxen und Kliniken an Einsicht mangelt, täten berufsständische Kodices not. Ärzte sollten verpflichtet werden, keinen einzigen Pharmareferenten mehr zu empfangen (18), Pharmaeinladungen auszuschlagen, Pharmahonorare abzulehnen - ausnahmslos. Und wie wäre es mit einem Zwangsbeitritt zu MEZIS? Die gemeinnützige Initiative „Mein Essen zahl´ ich selbst“, 2007 von unbestechlichen Ärzten ins Leben gerufen, bringt es bisher gerade mal auf tausend Mitglieder. Für die übrigen 380.000 Ärzte in Deutschland schlage ich einen Zwangsbeitritt vor. Nützliche Idioten – insgeheim verhöhnt Im Management der Pharmakonzerne lacht man sich insgeheim ins Fäustchen darüber, wie widerstandslos sich ein Großteil der Ärzte dazu verführen lässt, nützliche Idioten abzugeben. Das wurde dem österreichischen Medizinjournalisten Hans Weiss klar, als er undercover recherchierte. Um an einer brancheninternen Konferenz teilnehmen zu können, gab er sich als „Pharmaconsultant“ in Diensten einer frei erfundenen Firma namens „Solutions“ aus, für die Eintrittskarte berappte er knapp 4000 Euro. „Da waren etwa 500 Topleute aus der Pharmabranche unter sich, keine Öffentlichkeit, keine Journalisten, ungefähr 30 Top-Pharmamanager aus Deutschland. Und da hören Sie dann halt ganz unverblümte Wahrheiten, wie etwa die: ‘Wir kotzen den Ärzten einen Marketingmix ins Gesicht, und das Erstaunliche ist: die schlucken das. Und solange die das schlucken, gibt es keinen Grund, unsere Geschäftspolitik zu ändern.“ (19) In diesem Dschungel muss sich Klaus Lieb als nostalgischer Vertreter einer aussterbenden Spezies vorkommen. In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Mainz, deren Direktor er seit 2007 ist, setzte er klare Grenzen durch: „Bei uns kommt kein Pharmareferent auf Station.“ Es fänden keine von der Industrie bezahlten „Anwendungsbeobachtungen“ statt, die Annahme von Präsenten und Medikamentenmustern wird verweigert, Fortbildungen werden vollständig aus eigener Kasse bezahlt. (20) „Wir Ärzte haben bezüglich Interessenskonflikten einen blinden Fleck“, beklagt er. (21) „Wenn wir Marionetten der Gesundheitsindustrie werden, verspielen wir das Vertrauen der Patienten.“ (22) Deren Präferenz ist eindeutig. 96 Prozent möchten über finanzielle Verbindungen ihres Arztes zur Pharmaindustrie Bescheid wissen. Und 79 Prozent fordern, dass Ärzte, statt Pharmareferenten zu empfangen, sich aus unabhängigen Quellen informieren sollten. (23) Ihr Wunsch in des weißen Halbgotts Ohr. Über Halbgöttern thronen indes oberste Gottheiten: die Opinion Leaders der Zunft. Und letztlich sind sie es, die vorgeben, was in den unteren Sphären stattzufinden hat. Ihnen widme ich den Rest dieser Artikelreihe. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln 1 Ina Brzoska: „Die leisen Lobbyisten“, Uni-Spiegel 5/2012, S. 24. 2 F. S. Sierles u.a..: “Medical students’ exposure to and attitudes about drug company interactions”, Journal of the American Medical Association 294/2005, S. 1034-1042. 3 K. E. Austad u.a.: “Medical students’ exposure to and attitudes about the pharmaceutical industry: a systematic review”, PLoS Medicine 8/2011 :e1001037. 4 Ina Brzoska: „Die leisen Lobbyisten“, Uni-Spiegel 5/2012, S. 23. 5 Emmanuel Stamatakis, a.a.O., S. 472; s. hierzu auch D. Grande/D. L. Frosch u.a.: „Effect of exposure to small pharmaceutical promotional items on treatment preferences”, Archives of Internal Medicine 169/2009, S. 887-893. 6 zit. nach Brzoska, a.a.O. 7 Stand 2007. M. A. Steinman/C. S. Landefeld/ R. B. Baron: “Industry support of CME — are we at the tipping point?”, New England Journal of Medicine 366/2012, S. 1069-1071. 8 J. Avorn/N. K. Choudhry: “Funding for medical education: maintaining a healthy separation from industry”, Circulation 121/2010, S. 2228-2234. 9 A. Wazana: “Physicians and the pharmaceutical industry: is a gift ever just a gift?”, Journal of the American Medical Association 283/2000, S. 373-380. 10 MEZIS, CME-Arbeitsgruppe: Omniawatch-Analyse. (Nicht mehr online verfügbar.) 11 Medizin: Das umstrittene Geschäft mit Ärztefortbildungen. Abgerufen am 10. Februar 2019; Deutsches Ärzteblatt: Interessenkonflikte: Ärger um CME-Zertifizierung. 8. August 2018, abgerufen am 10. Februar 2019; Sebastian Carlens: Punkten für Bayer. 10. August 2018, abgerufen am 10. Februar 2019. 12 Hanno Charisius: Behörde verweigert Zertifikat für umstrittene Ärztefortbildung. In: sueddeutsche.de. 13. August 2018, abgerufen am 10. Februar 2019. 13 Sebastian Carlens: Deckmantel für Pharmalobby. 9. Februar 2019, abgerufen am 10. Februar 2019. 14 ende Geschäftsstätigkeit Deutschland. (Nicht mehr online verfügbar.) In: OmniaMed, abgerufen am 27. Juli 2019 15 Handelszeitung, 29.3.2016: „Novartis: US-Justiz weitet Untersuchung aus“; Neue Zürcher Zeitung, 30.3.2016: „Novartis unter dreifachem Verdacht“. 16 Zit. nach Harro Albrecht: „Ärzte, Pillen und Moneten“, a.a.O. 17 Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität, München 2. Aufl. 2015, S. 410. 18 Dies fordert der Wiener Arzt Dr. Fahmy Aboulenein in seinem Buch Die Pharma-Falle. Wie uns die Pillen-Konzerne manipulieren, Wien 2016. 19 „Es gibt keine Branche, die so hohe Gewinne macht“, Interview mit Hans Weiss im Deutschlandradio Kultur - Thema, 12.2.2010, www.deutschlandradiokultur.de. 20 Nach Harro Albrecht: „Ärzte, Pillen und Moneten“, Die Zeit Nr. 51, 11.12.2008. 21 Zit. nach Markus Grill u.a.: „Seid umschlungen, Millionen!“, Correct!v, 14.7.2016, https:// correctiv.org/recherchen/euros-fuer-aerzte/artikel/ 2016/07/14/seid-umschlungen-millionen, abgerufen am 24.10.2016. 22 Zit. nach Christoph Link: „Korruption in der Medizin - ‘Was mache ich hier eigentlich?’“, Stuttgarter Zeitung, 18.3.2013. 23 Nach einer Online-Umfrage des British Medical Journal mit 1479 Teilnehmern, zit. nach Arznei-Telegramm 34/2003, S. 89-90. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- „Wie du mir, so ich dir“ - Ärzte einwickeln: Reziprozität als Erfolgsrezept
Do ut des, „ich gebe, damit du gibst“: Dem sozialen Grundprinzip der Gegenseitigkeit können sich auch Ärzte schwerlich entziehen. Nicht erst Zuwendungen im fünf- bis sechsstelligen Bereich, schon relativ kleine Gefälligkeiten machen Menschen geneigt, sich erkenntlich zu zeigen. Das macht sich Pharma-Marketing zunutze. „Eine Hand wäscht die andere“: Wohltaten jeglicher Art machen Menschen geneigt, sich beim Geber zu revanchieren. Dafür anfällig zu sein, wenn Pharmafirmen sie großzügig in Versuchung zu bringen versuchen, weisen die meisten Ärzte von sich – zumindest was sie selbst anlangt. Für Kollegen möchten sie freilich nicht die Hand ins Feuer legen. Viele erliegen dem Glauben, sie selbst seien weniger leicht manipulierbar als der Rest ihrer Zunft, wie eine Befragung unter 208 niedergelassenen Fachärzten für Neurologie/Psychiatrie, Allgemeinmedizin und Kardiologie zum Einfluss von Pharmavertretern ergab. Nur sechs Prozent erklärten sich für „häufig“ oder gar „immer“ beeinflussbar. Zugleich vermutete aber mehr als jeder Fünfte, das treffe auf seine Standeskollegen sehr wohl zu. (1) Die Fehleinschätzung, für Marketingeinflüsse immun zu sein, ist sogar „dosisabhängig“: Je mehr Zuwendungen Ärzte von Firmen erhalten, desto häufiger geben sie an, dass derartige Gaben ihr Verordnungsverhalten mitnichten beeinflussen. (2) Mit solchen Zusammenhängen werden die Klinkenputzer der Arzneimittelindustrie während ihrer Ausbildung wohlvertraut gemacht. Pharmareferenten eignen sich werbepsychologisch ausgeklügelte Strategien an, wie besuchte Ärzte früher oder später rumzukriegen sind, zu höheren Verkaufszahlen der angepriesenen Produkte beizutragen. Dabei genießt kaum ein Wissenschaftler unter Marketingprofis höheres Ansehen als der US-amerikanische Psychologe Robert Cialdini. Während er an der Arizona State University einen Lehrstuhl für Psychologie und Marketing innehatte, leitete er zugleich eine Unternehmensberatung namens Influence at Work. (3) Sein bekanntestes Werk, Die Psychologie des Überzeugens (1997), verkaufte sich über drei Millionen Mal und wurde in dreißig Sprachen übersetzt. Sein Buch Pre-suasion: Wie Sie bereits vor der Verhandlung gewinnen erschien 2017 auf Deutsch. Cialdini wird gefeiert dafür, Marketingkonzepte an einer fundamentalen sozialwissenschaftlichen Erkenntnis auszurichten: der Reziprozitätsregel. Gegenseitigkeit: eine grundlegende soziale Norm In der einfachsten Form kennzeichnet Reziprozität eine soziale Interaktion, die sich in drei Schritten vollzieht: Jemand gibt etwas; der Andere muss die Gabe annehmen - und sich mit einer Gegengabe erkenntlich zeigen. Die Regel, dass wir uns für Gefälligkeiten, Geschenke, Einladungen und dergleichen zu revanchieren haben, weil jegliches Miteinander auf Gegenseitigkeit beruhen muss, ist tief in allen menschlichen Gesellschaften verwurzelt. Indem sie Beziehungen auf Geben und Nehmen gründet, schafft sie Vertrauen gegenüber Mitmenschen. Dadurch ermöglicht sie überhaupt erst Gruppenbildung, Arbeitsteilung und Systeme gegenseitigen Helfens. Alle Kulturen sanktionieren Verstöße gegen diese grundlegende Norm: Wer bloß nimmt und nie gibt, oder wer auf Dauer mehr nimmt als gibt, der wird geächtet. Der Drang, Anderen zurückzugeben, was wir zuvor erhalten haben, scheint so tief in der menschlichen Psyche verankert, dass es bewusster Anstrengung bedarf, die Reziprozitätsregel nicht zu befolgen. Wie Cialdini erkannte, gilt diese Regel weitgehend unabhängig davon, wie stattlich die Gabe ist. Ausnahmslos jedes Präsent, und sei es noch so klein, veranlasst zu Gegengaben; diese weisen manchmal sogar einen unverhältnismäßig höheren Wert auf. Demnach existiert keine Schwelle, unterhalb derer eine Beeinflussung ausgeschlossen ist. Umso fragwürdiger sind Regelungen zu Interessenkonflikten, die es erlauben, „angemessene“ Zuwendungen anzunehmen, wie die Berufsordnung für Deutschlands Ärzte vorsieht. (4) Als besonders anfällig für Beeinflussung haben sich in sozialpsychologischen Experimenten Menschen erwiesen, die sich der Reziprozitätsregel zwar bewusst sind, sich selbst aber für resistent dagegen halten, auf diese Weise manipuliert zu werden. Sie erliegen einer „Illusion der Unverwundbarkeit“. (5) Demnach waltet verkaufspsychologisches Kalkül, wenn der Rep den Doc mit Wohltaten überschüttet. Und die Rechnung pflegt aufzugehen. Das US-amerikanische Recherchezentrum ProPublica, das seit 2010 Zahlungen an US-Ärzte veröffentlicht, fand einen deutlichen Zusammenhang: zwischen den Beträgen, die ein Arzt von Pharmafirmen einstreicht, und der Anzahl an teuren Originalpräparaten, die er verordnet. Unter Augenärzten, denen kein Geld zufloss, verschrieben bloß 46 Prozent Originalia anstelle preiswerterer Generika; bei Kollegen, die über 5000 Dollar erhielten, stieg der Anteil auf 65 Prozent. (6) „Mein Essen zahl´ ich selbst“ Selbst simple Einladungen zum Essen verfehlen ihre Marketingwirkung nicht. Dies stellten Mediziner der University of California in San Francisco fest, als sie Daten von 280.000 Ärzten auswerteten: Gesponserte Mahlzeiten erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass der Bewirtete ein Medikament des Sponsors verschrieb. Psychiater beispielsweise, die keine solche Einladung annahmen, verordneten das Antidepressivum Desvenlafaxin mit einer Häufigkeit von 0,5 Prozent unter Präparaten dieser Klasse. Bei Fachkollegen, die sich ein Essen im Wert von unter 20 Dollar bezahlen ließen, verdreifachte sich dieser Wert auf 1,5 Prozent. Bei Nebivolol, einem Betablocker zur Blutdrucksenkung, erhöhte sich die Verschreibungsrate nach einem Essen von drei auf acht Prozent, nach drei Essen sogar auf 14 Prozent. (7) Um ihre Kollegen gegen solche Versuchungen zu immunisieren, haben unbestechliche Ärzte im Jahr 2007 MEZIS ins Leben gerufen. „MEZIS“ steht für „Mein Essen zahl´ ich selbst“. Rund 1000 Mitglieder hat die gemeinnützige Initiative inzwischen. Es sollten viel mehr sein. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln 1 Klaus Lieb/Simone Brandtönies: „Eine Befragung niedergelassener Fachärzte zum Umgang mit Pharmavertretern“, Deutsches Ärzteblatt 107/2010, S. 392-398; www.aerzteblatt.de/archiv/76324/Eine-Befragung-niedergelassener-Fachaerzte-zum-Umgang-mit- Pharmavertretern. 2 A. Wazana: „Physicians and the pharmaceutical industry: is a gift ever just a gift?“, Journal of the American Medical Association 283 (3) 2000, S. 373-380. 3 Siehe www.influenceatwork.com 4 Bundesärztekammer (Hrsg.): (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, § 32, Stand 2018, www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MBO/MBO-AE.pdf, abgerufen am 30.5.2019. 5 B. J. Sagarin/R. B. Cialdini u.a.: „Dispelling the illusion of invulnerability: Themotivations and mechanisms of resistance to persuasion“, Journal of Personality and Social Psychology 83/2002, S. 526-54114; Dana J, Loewenstein: „A Social Science Perspective on Gifts to Physicians From Industry“, JAMA 290/2003, S. 252-255. 6 Nach Spiegel online, 26.7.2015: „Zahlungen an Ärzte - Keiner ist so nett wie der Pharmareferent“, www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/zahlungen-an-aerzte-der-nette-pharmareferent-a-1104739.html 7 Colette de Jong u.a.: „Pharmaceutical Industry-Sponsored Meals and Physician Prescribing Patterns for Medicare Beneficiaries“, JAMA Internal Medicine 2016 Aug 1;176 (8) 2016, S. 1114-1122, doi: 10.1001/jamainternmed.2016.2765. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ – Ärzte einwickeln: Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen
„Du steigerst meinen Profit, im Gegenzug beteilige ich dich daran“: Keine Form der Korruption ist verbreiteter, auch in der Medizin. „Kick-back“, zu deutsch Rückvergütung, heißt dieses Prinzip. Ärzte, die sich derart schmieren lassen, richten im Gesundheitswesen gewaltigen Schaden an. Erschreckend verbreitet ist die sogenannte „Kick-back“-Masche. Hierbei fließen versteckte Umsatzprämien, Provisionen. Sie gilt als bedeutendste Form ärztlicher Korruption. Kick-Backs beschränken sich nicht auf Rezepte - bei ärztlichen Leistungen jeglicher Art können sie stattfinden. Da überweist ein Allgemeinmediziner oder ein Orthopäde seinen Patienten zu einer Kernspintomografie. Dabei empfiehlt er ausdrücklich einen bestimmten Radiologen – nicht, weil er von dessen überragenden Fähigkeiten überzeugt ist, sondern um sich einen finanziellen Vorteil zu sichern. Der Empfohlene erweist sich erkenntlich, indem er einen Teil seines Honorars dem Überweiser rückvergütet. „Ein befreundeter Radiologe“, so erinnert sich der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik, „hat mir berichtet, wie Orthopäden 100 Euro Kick-Back für jede Zuweisung zum Kernspintomogramm von ihm verlangen, sonst müssten die Patienten zu einem anderen Radiologen gehen, der entsprechend zahlen würde. Tägliche Praxis.“ (1) Nicht immer fließt ausschließlich Geld, Kick-backs können auch Sachleistungen einschließen. Ein Augenarzt überweist einen Katarakt-Betroffenen zur Operation an ein bestimmtes Ophthalmologisches Zentrum. Dafür werden ihm, unentgeltlich oder gegen einen symbolischen Betrag, modernste Praxisgeräte überlassen. (2) Weithin üblich sind Kopfgelder und Umsatzprämien für Chirurgen, die bei Implantationen die Erzeugnisse eines bestimmten Medizinprodukteherstellers bevorzugen. So erhob die Staatsanwaltschaft Osnabrück Ende 2018 Anklage gegen den ehemaligen Leiter der Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie des Klinikums Leer: Er setzte am liebsten Implantate eines bestimmten Herstellers ein – unter anderem Bandscheibenprothesen, die im Körper der Patienten auf Wanderschaft gingen, zerbröselten und heftige Schmerzen auslösten. Als Gegenleistung beteiligte die Firma den gewieften Chirurgen prozentual an den Umsätzen mit dem Produkt; zwischen 2011 und 2016 sollen sich die Zahlungen auf mehr als 128.000 Euro belaufen haben. (3) Und natürlich rentiert es sich für Ärzte, gewisse Medikamente besonders häufig zu verschreiben. Dafür streichen sie von Pharmafirmen üblicherweise stattliche Provisionen ein – zwischen drei und acht Prozent des Preises, wie ein Insider verrät. (4) Oder sie heimsen lukrative „Berater“verträge ein, kassieren großzügig bemessene Vortragshonorare, heimsen Tickets für teure Veranstaltungen ein. Topverschreiber bekommen luxuriöse Urlaube spendiert. Besonders hohe Vergütungen schlagen wohlorganisierte Ärztenetzwerke heraus, die viele Einzel- und Gruppenpraxen einbeziehen. Wie das Schweizer Verbrauchermagazin „Saldo“ im Sommer 2013 aufdeckte, setzte beispielsweise der Medix-Ärzteverbund Aargau damals vorzugsweise Generika-Cholesterinsenker der Firma Spirig Healthcare ein, Antidepressiva oder Blutdruckmittel der Firma Actavis sowie Mittel gegen Sodbrennen von Sandoz. Von diesen Einschränkungen erfahren die Patienten nichts. Schon gar nicht wissen sie, dass bis zu 25 Prozent des Preises, den sie in der Apotheke zahlen, zurück an das Ärztenetzwerk fließen – gewissermaßen als Belohnung für die Rezepte. „Das ist kein Einzelfall“, stellte die Redaktion fest. Nach ihren Recherchen „verpflichten sich viele Ärztenetzwerke per Vertrag mit Pharmafirmen, Patienten im Hausarztmodell vorzugsweise gewisse Präparate abzugeben. Dafür erhalten die Netzwerke die Medikamente günstiger – die Patienten zahlen aber gleich viel.“ Der Generikahersteller Actavis bestätigte „Saldo“, er räume Netzwerken Rabatte bis 45 Prozent auf den Herstellerpreis ein. Laut Pharma-Insidern „liegen sogar Rabatte bis 80 Prozent drin. Kein Beteiligter wollte auf Anfrage seinen Vertrag offenlegen.“ (5) Juristische Scherereien? Achselzuckend hingenommen. Unter großen Arzneimittelkonzernen findet sich kaum einer, der wegen solcher Bestechungspraktiken nicht schon juristische Scherereien bekam. Johnson&Johnson kosteten sie im November 2013 immerhin 2,2 Milliarden US-Dollar; der Konzern hatte Ärzte dafür prämiert, das Antipsychotikum Risperdal auch an Demenzkranke und ADHS-Kinder zu verschreiben. Abbott blechte 1,5 Milliarden Dollar wegen einer Off-Label-Marketingkampagne für das Antiepileptikum „Depakoke“ (Valproat), bei der reichlich Kick-Backs im Spiel waren; jede zehnte Frau, die ein valproinsäurehaltiges Präparat während der Schwangerschaft einnahm, brachte ein missgebildetes Kind zur Welt, bei 30 bis 40 Prozent traten schwere Entwicklungsstörungen auf. (6) 2015 stimmte Bristol-Myers Squibb einer Zahlung von mehr als 14 Millionen US-Dollar zu, um Vorwürfe zu beseitigen, nach denen das Unternehmen staatliche Krankenhäuser in China mit Schmiergeldern zur Verschreibung von Medikamenten bewogen haben soll. (7) 27 Millionen Dollar Strafe zahlten Teva Pharmaceuticals im März 2016 an das US-Justizministerium, weil die Firma einen Chicagoer Psychiater dafür „belohnt“ hatte, in über 30 Pflegeheimen das Neuroleptikum Clozapin zu verschreiben – auf über 50.000 Rezepten. Im selben Jahr handelte Teva die höchste jemals einem Pharmaunternehmen auferlegte Strafe – und die branchenübergreifend vierthöchste Vergleichszahlung – wegen Verstößen gegen das US-Korruptionsgesetz aus, den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA). Das Unternehmen verständigte sich mit dem US-Justizministerium und der US-Börsenaufsicht gegen eine Zahlung von 519 Millionen US-Dollar auf eine Vereinbarung, die weitere Strafverfolgung auszusetzen. Ihm war vorgeworfen worden, in der Ukraine, in Mexiko und in Russland gegen den FCPA verstoßen zu haben. (8) Im Jahr 2015 willigte Novartis in eine Strafzahlung von 390 Millionen Dollar ein – unter anderem wegen Kickbacks zugunsten seines Immunsuppressivums Myfortic. (9) Der Schweizer Pharmamulti hatte Apotheker in den USA bestochen, ihren Kunden bestimmte Medikamente zu empfehlen. Im Frühjahr 2019 traf es Jazz Pharmaceuticals, Lundbeck und Alexion: (10) Insgesamt 122,6 Milionen Dollar kosteten sie Kick-Backs zugunsten von Arzneien gegen Narkolepsie, Chorea Huntington, paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) – eine seltene Erkrankung blutbildender Stammzellen – sowie das atypische hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS), bei dem im ganzen Körper Blutgerinnsel entstehen, was die Durchblutung lebenswichtiger Organe beeinträchtigt. Bußgelder in Milliardenhöhe: Peanuts, gemessen an kriminellen Umsätzen Rekordhalter ist Pfizer, mit nicht weniger als 34 juristischen Vergleichen, auch wegen Kick-backs, seit 1991 – darunter Bußgelder in Höhe von 4,7 Milliarden und 2,3 Milliarden US-Dollar. (11) „Die Gesetzesverstöße“, so prangert der dänische Mediziner und Pharmakritiker Peter C. Gøtzsche an, sid derart verbreitet, häufig und vielfältig, dass nur eine Schlussfolgerung möglich ist: Sie werden vorsätzlich begangen, weil Verbrechen sich auszahlen. Die Unternehmen betrachten die Strafen als Betriebsausgaben und setzen ihre illegalen Aktivitäten fört, als wäre nichts gewesen.” (12) Viele Straftaten wären unmöglich, wenn Ärzte nicht mitspielen würden. Kaum zu fassen, aber wahr: Mindestens 30 Prozent aller deutschen Akutkrankenhäuser haben Kick-back-Verträge abgeschlossen. (13) Kick-backs sacken aber auch Pflegeheime, Apotheken, Stiftungen und Patientenorganisationen ein, mitunter sogar staatliche Stellen. 45 Millionen Dollar blechte Pfizer im Jahre 2012 dafür, Behörden in Bulgarien, China, Kroatien, Tschechien, Italien, Kasachstan, Russland und Serbien bestochen zu haben. (14) 25 Millionen US-Dollar zahlte Novartis im März 2016, nachdem die US-Börsenaufsicht SEC ihm vorgeworfen hatte, zur Absatzförderung Mitarbeiter des chinesischen Gesundheitswesens bestochen zu haben. Im Frühjahr 2019 blechten Amgen und Astellas Pharma knapp 125 Millionen US-Dollar. Sie hatten zwei Stiftungen „Spenden“ zukommen lassen, bei denen es sich in Wahrheit um verkappte Kick-backs handelte. Als Gegenleistung sollte die „gemeinnützigen“ Einrichtungen Patienten mit Prostatakrebs bzw. mit sekundärem Hyperparathyreoidismus - einer Hormonstörung infolge einer Niereninsuffizienz - dazu bewegen, ausschließlich zu den Mitteln „Xtandi“ bzw. „Sensipar“ zu greifen. (15) Ende 2018 willigten Actelion Pharmaceuticals – 2017 von Johnson&Johnson übernommen - in eine Zahlung von 360 Millionen US-Dollar ein. Die Firma hatte eine gemeinnützige Hilfsorganisation, die „Caring Voice Coalition“ - Motto: „We improve the lives of those with chronic illnesses“ (16) - mit großzügigen Spenden bedacht. Allerdings flossen die Gelder zweckgebunden. Sie sollten ausschließlich Patienten zugute kommen, die zu Actelion-Medikamenten griffen – unter anderem zum Kassenschlager „Tracleer“, einem Mittel gegen Pulmonare Hypertonie (PAH), die den Blutdruck im Lungenkreislauf bedrohlich ansteigen lässt. Preisanhebungen 2014 und 2015, welche die Inflationsrate um das 30-fache übertrafen, hatten Tracleer-Tabletten zu echten Kostbarkeiten gemacht: 60 Stück kosteten nun 14.500 US-Dollar. (17) Solche „pseudo-gemeinnützigen Vereine, die nichts zu tun haben, außer ‚‘Spenden‘ einzusammeln von Anbietern für Anwender, die diese Anwendung wiederum privat abrechnen dürfen“, bringen Thomas Fischer, Bundesrichter in Karlsruhe, seit langem auf die Palme. (18) Im August 2016 geriet Novartis ins Fadenkreuz der türkischen Behörden, nachdem ein anonymer Hinweisgeber die Anschuldigung erhoben hatte, Novartis habe sich durch die Zahlung von Schmiergeldern an staatliche Krankenhäuser geschäftliche Vorteile in Höhe von 85 Millionen US-Dollar verschafft. Diese Vorwürfe ließen bis heute nicht erhärten, aber auch nicht entkräften. (19) Ebenfalls im August 2016 wurden in Südkorea sechs frühere und derzeitige Mitarbeiter von Novartis angeklagt, Ärzten „Rabatte" angeboten zu haben, um den Medikamentenabsatz anzukurbeln. Die Untersuchung endete im April 2017 mit einem Strafurteil über 48,3 Millionen US-Dollar. Im November 2010 räumte Omnicare ein, 19,8 Millionen Dollar an zwei Pflegeheime dafür gezahlt zu haben, dass sie seine Medikamente anboten und einsetzten. (20) Merck wurde 2011 wegen Kick-backs zu einer Strafe von 950 Millionen Dollar verdonnert. (21) Um Spuren zu verwischen, fließen Kick-backs oftmals aus schwarzen Kassen. Geld wird heimlich bar ausbezahlt – oder, gut versteckt vor dem Fiskus, auf Privatkonten im Ausland überwiesen. Unbelastet von jeglichem Unrechtsbewusstsein Ärzten, die routinemäßig solche Rückvergütungen einstreichen, mangelt es im allgemeinen an jeglichem Unrechtsbewusstsein. Schließlich, so wiegeln sie ab, profitieren beide Seiten, der gefällige Leistungserbringer wie auch derjenige, der sich erkenntlich zeigt. Und dem betreffenden Patienten entstehe ja kein finanzieller Nachteil. Immer mehr Gerichte sehen das freilich anders: Sie werten Kick-backs als verbotene Bereicherung und Vorteilsgewährung, derentwegen Kranke nicht die bestmögliche Therapie erhalten, sondern diejenige, die sich für ihren Arzt am meisten auszahlt. Weil diese Therapie in der Regel höhere Kosten verursacht, entsteht den Krankenversicherungen ein beträchtlicher Schaden, somit letztlich der Solidargemeinschaft der Beitragszahler. Hinzu kommt die Gefahr, dass unnötige Untersuchungen und Behandlungen stattfinden – nur damit Prämien fließen. „Kick-Backer“: hanebüchene Kostentreiber In der Schweiz fielen jahrelang nirgendwo pro Versicherten höhere Laborgebühren an als im Kanton Genf: um rund 70 Prozent übertrafen sie den Kanton mit den zweithöchsten Laborkosten, um das Sechsfache den günstigsten. Wie die Neue Zürcher Zeitung recherchierte, spielten dabei Kick-back-Zahlungen eine Hauptrolle. So hatte sich ein Genfer Arzt verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein bestimmtes Labor jährlich Leistungen in Höhe von 166.000 Franken bei den Kassen abrechnen konnte. Im Gegenzug erhielt er zehn Prozent davon, zuzüglich eines Vorschusses von 50.000 Franken, um seine Praxis umzubauen. Ärztliches Standesrecht verbietet Kick-backs; nach § 31 der Berufsordnung verstoßen sie gegen das Prinzip der freien Arztwahl, häufig auch gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der Bundesgerichtshof wertet sie als Betrug. Heuchlerische Empörung Die wachsende Empörung über Kick-back-Praktiken, zumal wenn Politiker sie äußern, kommt Bernd Hontschik freilich recht heuchlerisch vor: „Krankenhäuser stehen ökonomisch mit dem Rücken zur Wand. Ärztinnen und Ärzte, das Pflegepersonal, alle Angestellten arbeiten unter kaum noch erträglichem Erfolgsdruck. Chefärzte werden mit Bonuszahlungen dazu verführt, ihre Behandlungszahlen hochzutreiben. Fangprämien sind da nur ein winziges Teilchen am Rand dieses Überlebenskampfes. Man kann nicht ein Sozialsystem zerstören und in einen Wirtschaftszweig umwandeln wollen, aber dann laut aufheulen, wenn es dort auch zugeht wie in der Wirtschaft.“ (22) (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln 1 Frankfurter Rundschau, 29.5.2012: „Treuepunkte für den Arzt“, www.fr.de/wissen/treuepunkte-arzt-11358180.html, abgerufen am 16.5.2019. 2 Siehe ZWP online, 16.9.2011: „Verhängnisvolle Kick-Back-Vereinbarungen“, „Fall 4“, www.zwp-online.info/zwpnews/wirtschaft-und-recht/recht/verhaengnisvolle-kick-back-vereinbarungen, abgerufen am 16.5.2019. 3 Süddeutsche Zeitung, 11.12.2018, S. 20: „Anklage gegen Chirurgen“. 4 www.cbgnetwork.org/5731.html, abgerufen am 16.5.2019. 5 Saldo 13/2013: „Pharmafirmen belohnen Ärzte und Apotheker – den Preis bezahlen die Patienten“, www.saldo.ch/artikel/d/pharmafirmen-belohnen-aerzte-und-apotheker-den-preis-bezahlen-die-patienten, abgerufen am 16.5.2019. 6 Salvatore Saporito: „Bestechungsvorwürfe gegen Novartis verdeutlichen Compliance-Risiken im Pharmasektor“, LexisNexis, 12.6.2017; www.justice.gov/opa/pr/abbott-labs-pay-15-billion-resolve-criminal-civil-investigations-label-promotion-depakote, abgerufen am 16.5.2019. 7 www.lexisnexis.de/blog/compliance/korruptionsvorwuerfe-gegen-novartis, abgerufen am 16.5.2019. 8 Nach Saporito, a.a.O. 9 Chemistry World, 9.1.2015: „Pharma kickback claims lead to individual prosecutions“, https://www.chemistryworld.com/news/pharma-kickback-claims-lead-to-individual-prosecutions/9137.article, abgerufen am 16.5.2019. 10 Pharmaceutical Business Review, 5.4.2019: „Three pharma firms agree to pay $122.6m to settle kickback allegations“, www.pharmaceutical-business-review.com/news/three-pharma-kickback-allegations; www.marketwatch.com/story/jazz-pharma-alexion-and-lundbeck-to-pay-1226-million-to-resolve-kickback-allegations-2019-04-04; abgerufen am 16.5.2019. 11 Gardiner Harris: “Pfizer Pays $2.3 Billion to Settle Marketing Case“, NewYorkTimes,´2.9.2009, www.nytimes.com/2009/09/03/business/03health.html., siehe www.oxfam. de/system/files/oxfam_prescription_for_poverty_full_report_090518.pdf, S. 49. 12 Peter C. Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität, München 2. Aufl. 2015, S. 77. 13 www.arzt-wirtschaft.de/verbotene-verlockungen-kickback-zahlungen-an-aerzte/, abgerufen am 16.5.2019. 14 “Pfizer Settles US Charges of Bribing Doctors Abroad“, New York Times, 7.8.2012, www.nytimes.com/2012/08/08/business/pfizer-settles-us-charges-of-overseas-bribery.html; SEC complaint to US District Court, District of Columbia: US Securities and Exchange Commission vs. Pfizer Inc., www.sec.gov/litigation/complaints/2012/comp-pr2012-152-pfizer.pdf, s. Oxfam, a.a.O., S. 49. 15 European Pharmaceutical Rebiew, 2.5.2019: „Amgen and Astellas Pharma US agree to settlement costs for kickback charges“, www.europeanpharmaceuticalreview.com/news/86976/ amgen-and-astellas-pharma-us-agree-to-settlement-costs-for-kickback-charges, abgerufen am 16.5.2019. 16 www.caringvoice.org/ 17 New York Times, 6.12.2018: „Drug Maker Pays $360 Million to Settle Investigation Into Charity Kickbacks“, www.nytimes.com/2018/12/06/health/actelion-johnson-and-johnson-kickback-medicare.html, abgerufen am 16.5.2019. 18 Thomas Fischer: „Nieder mit der Ärzte-Korruption“, Zeit online, 4.8.2015, https://www.bdnc.de/fileadmin/Media/bdnc/pdf/meldungen/20150804_Kolumne_Die%20Zeit_aerzte-bestechung-korruption-pharmaindustrie.pdf. 19 Nach Saporito, a.a.O. 20 Medslawsuit: „What is a Pharmaceutical Kickback?“, https://medslawsuit.com/frauds/ what-is-a-pharmaceutical-kickback/, abgerufen am 19.5.2019. 21 David Ingram/Ros Krasny: “Johnson&Johnson to Pay $2.2 Billion to End US Drug Probes“, Reuters, 4.11.2013, www.reuters.com/article/us-jnj-settlement/johnson-johnson-to-pay-2-2-billion-to-end-u-s-drug-probes-idUSBRE9A30MM20131104; Michael S. Schmidt/Katie Thomas: “Abbott Settles Marketing Lawsuit“, New York Times, 7.5.2012, www.nytimes.com/ 2012/05/08/business/abbott-to-pay-1-6-billion-over-illegal-marketing.html; Duff Wilson: “Merck to Pay $950 Million over Vioxx“, New York Times, 22.11.2011. 22 Hontschik in Frankfurter Rundschau, a.a.O. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird
Viele Ärzte lassen sich von Pharmafirmen in „Anwendungsbeobachtungen“ einspannen: wissenschaftlich wertlose Untersuchungen ohne Kontrollgruppe. Überaus nützlich sind solche Pseudostudien trotzdem, zumindest für die Auftraggeber: Sie schaffen willkommene Gelegenheiten, dem Arzt und seinen Patienten ein neues Medikament näherzubringen. Kritiker sprechen von legalisierter Korruption. Jeder zehnte niedergelassene Arzt, neben tausenden Klinikärzten, macht bei sogenannten „Anwendungsbeobachtungen“ (AWB) mit, auch „nicht-interventionelle Studien“ genannt: wissenschaftlich wertlose Untersuchungen ohne Kontrollgruppe, meist ohne Versuchsplan und vorab festgelegtes Ziel - sei es vor der Markteinführung eines Präparats, als sogenannte „Seeding Trials“ (von engl. to seed: säen), sei es nach erfolgter Zulassung. Eine Veröffentlichungspflicht gibt es nicht. Mindestens 1300 derartige Pseudo-Studien fanden in Deutschland zwischen 2009 und 2014 statt – so viele meldeten „forschende“ Pharmaunternehmen an die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Um die Jahrtausendwende waren es 400 pro Jahr gewesen, 2005 schon etwa 700. (1) 17.000 Ärzte strichen 2014 Geld für umstrittene Studien ein. Ärzte erhalten dabei einen stattlichen Vorrat eines neuen Medikaments, mit dem Ansinnen, es an ihren Patienten auszuprobieren und zu „beobachten“, wie es wirkt. Dazu genügt es, ein paar Formulare auszufüllen und den Patienten zu fragen, wie ihm das Mittel bekommt. Die als „Gebühr“ getarnten Bestechungsgelder, die hierbei fließen, liegen pro Patient bei 25 bis 600 Euro (2), können aber auch vierstellig ausfallen (3), bis zu geradezu obszönen 7000 Euro. Verkappte Korruption Das ist verlockend: An einem Krebskranken verdient ein Kassenarzt pro Quartal weniger als 200 Euro. Verschreibt er ihm das Krebsmittel Avastin aber im Rahmen einer AWB, honoriert der Hersteller Roche einen einzigen flüchtig ausgefüllten Bogen mit bis zu 1260 Euro. Zahlreiche Konzerne betreiben einen gigantischen Aufwand: So startete AstraZeneca 2005 eine Anwendungsbeobachtung bei sage und schreibe 17.000 Ärzten für den Protonenpumpenhemmer Esomeprazol; Altana ließ das Konkurrenzpräparat Pantoprazol von 6000 Ärzten „beobachten“. Auch Lipidsenkern (Ezetimib, Simvastatin) sowie Mitteln gegen Bluthochdruck (Irbesartan), Harninkontinenz (Duloxetin) und Neurodermitis (Pimecrolimus) widmeten sich AWBs mit jeweils mehreren tausend Ärzten. (4) Allein im Jahr 2014 schütteten Pharmafirmen über hundert Millionen Euro an knapp 20.000 deutsche Ärzte aus, die in AWBs zu Diensten waren. „Anwendungsbeobachtungen“ sind getarnte Marketingaktionen, häufig für Mittel, die ein Vielfaches teurer sind als gleichwertige andere: Ärzte und Patienten sollen mit dem Präparat vertraut gemacht und zu Verschreibungen verleitet werden. (5) Kritiker wie der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, plädieren daher für ein Verbot. Lachhafte Erkenntnissuche Den Vorwurf der „legalisierten Korruption“, den Transparency International deswegen seit langem erhebt, weisen Pharmafirmen selbstredend weit von sich: Bei AWBs, so versichern sie scheinheilig, gehe es allein darum, „weitere Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit unter Praxisbedingungen zu generieren“. (6) Das ist lachhaft: Ohnehin sind Ärzte verpflichtet, Nebenwirkungen an die Arzneimittelkommission oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden – und zwar, ohne dafür Geld zu bekommen. Vereinzelt richten sich „Anwendungsbeobachtungen“ auf Medikamente, die seit Jahrzehnten auf dem Markt sind; welche weiteren neuen „Erkenntnisse“ hinsichtlich ihrer Wirksamkeit wären da noch zu erwarten? Im April 2015 startete Pfizer eine AWB zu seinem Rheumamittel Enbrel - 15 Jahre nach dessen Zulassung und kurz bevor erste Konkurrenz-Arzneien auf den Markt kamen. Ärzten, die mitmachten, winkten 650 Euro - pro Patient wohlgemerkt. Und musste der Hersteller von Klosterfrau Melissengeist deutschen Ärzten 225 Euro pro “beobachtetem” Patient zahlen, um zu erproben, ob das Produkt beruhigend wirkt - wie man schon seit rund 190 Jahren weiß? (7) “Das Geld wird aus wissenschaftlicher Sicht verschwendet", ärgert sich Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Nutzen und Unschädlichkeit von Arzneimitteln nach Markteinführung durch Langzeitbeobachtungen zu überprüfen, ist natürlich sinnvoll. Dafür gibt es allerdings PASS- oder PAES-Studien. (Die Abkürzungen stehen für „Post Authorisation Safety“ bzw. „Post Authorisation Efficacy“.) Gesundheitsbehörden wie das BfArM können sie offiziell anordnen, sofern sie Nachforschungsbedarf sehen, weil Sicherheit und/oder Wirksamkeit eines neuen Medikaments nicht hinlänglich belegt scheinen. (8) (Nebenbei gefragt: Wann ist das denn nicht der Fall?) In jüngster Zeit fanden solche Untersuchungen beispielsweise für „moderne“ Antibabypillen, für Krebsmittel oder Medikamente gegen Multiple Sklerose statt. Das Niveau derartiger Studien erreichen AWBs von Pharmafirmen nicht annähernd. Therapeutisch bedenklich, moralisch fragwürdig Niemand neidet Ärzten ein Zubrot. Therapeutisch bedenklich und moralisch fragwürdig werden „Anwendungsbeobachtungen“ vielmehr, indem sie dazu verleiten, einem Patienten unter mehreren möglichen Präparaten nicht das wirksamste, verträglichste und billigste zu verschreiben, sondern jenes, das für den Rezeptaussteller wie für den Hersteller am lukrativsten ist. Wie steht es um die Ethik von Ethikkommissionen, die dieses Treiben dulden und absegnen? Wer meint, die horrenden Summen, die zur Bestechung gutverdienender Ärzte nötig wären, könne sich kein Pharmakonzern leisten, irrt gehörig. Bis zu 90 Prozent des Marketingbudgets der US-Pharmaindustrie zielen auf Ärzte ab. (9) Und so können „beratende“ Fachärzte Vergütungen zwischen 4.000 und 60.000 Euro einstreichen. (10) Manche Klinikärzte kassieren bis zu 90.000 Euro „Beratungshonorar“, wenn sie sich zu einer Konferenz der Pharmaindustrie einladen lassen (11), im Einzelfall 400.000 Dollar für acht Tage Beratertätigkeit. (12) Vier der größten Hersteller von Hüft- und Knieimplantaten schütteten zwischen 2002 und 2006 mehr als 800 Millionen Dollar an Ärzte aus, die mit ihnen „Berater“verträge abgeschlossen hatten. (13) Das rechnet sich, denn geköderte Ärzte sind weitaus bessere Produkt-Promoter als Pharmareferenten. So verrieten interne Berechnungen des Pharmariesen Merck, dass er für jeden Dollar, den er in Vortragshonorare für Ärzte steckte, 3,66 Dollar zurückbekam. (14) Wes Brot ich ess … Würden sich derartige Investitionen nicht auszahlen - wozu gäbe es sie überhaupt? Laut einer Studie, die Daten von fast 7000 Ärzten berücksichtigte, verordneten Teilnehmer einer AWB das entsprechende Medikament um acht Prozent häufiger. Auch ein Jahr nach Ende einer AWB lagen die Verschreibungen noch sieben Prozent höher als in der Vergleichsgruppe. Die Bereitschaft von Ärzten, ein Arzneimittel für Fälle zu verschreiben, für die es gar nicht zugelassen ist - „Off-Label Use“ -, wächst um 70 Prozent, nachdem der Hersteller sie zu einem Essen eingeladen hat, bei dem über unzulässige Anwendungen gesprochen wird. (15) Selbst die Qualität des Menüs beeinflusst die Verschreibungsquote. (16) Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Nicht immer muss Geld fließen, ehe sich Ärzte an die Leine legen lassen. Beim Anwerben für „Anwendungsbeobachtungen“ etwa betonen Pharmavertreter gerne, der betreffende Doktor sei „aufgrund seiner überragenden Arbeit ausgewählt worden, an dieser Testphase teilzunehmen“, wie ein Ex-Pharmamanager aus dem Nähkästchen plaudert. „Wir würden die Ergebnisse, die sie mit ihren Patienten erzielen, sorgfältig auswerten und selbstverständlich den Namen des teilnehmenden Arztes in der Studie maßgeblich erwähnen. Das allein ist für viele schon Anreiz genug, mitzumachen. Den eigenen Namen gedruckt in einer Studie sehen, ist verlockend für einen Arzt, der in der Routine des Alltags vom frischen Wind der empirischen Wissenschaft nichts mitbekommt. Einmal Forscher sein! Und dann auch gleich in einer Veröffentlichung namentlich genannt werden! Die offizielle Bestätigung: Der Mann ist mehr als nur ein Krankenbettverschieber!“ Solche Aussichten „streicheln das Ego“. (17) Kaum einer der 71.000 Ärzte in Deutschland, die zugaben, im Jahr 2015 Geld von der Pharmaindustrie kassiert zu haben (18), räumt freimütig ein, derlei Annehmlichkeiten könnten jemals seine Urteilskraft trüben, seine Ratschläge für Patienten beeinflussen, sich auf sein Verschreibungsverhalten auswirken. Tatsächlich? Allein fürs Reisen zu Fortbildungszwecken strich ein deutscher Urologe und Oberarzt im Jahr 2015 Pharmazuwendungen von 25.357 Euro ein, ein Essener Neurologe für „Beratungen und Dienstleistungen“ 134.078 Euro und weitere 60.820 Euro als „Erstattung von Auslagen“. (19) Und solche Summen sollen psychologisch effektfrei sein, zumindest in Medizinerhirnen? Beispiel Rosiglitazon - Handelsname „Avandia“ -, ein Diabetesmittel. Im Jahre 2007 hatte eine Meta-Analyse von 42 Studien belegt, dass es die Gefahr von Herzinfarkten um 43 Prozent erhöht. (20) Trotzdem verschrieben zahlreiche Ärzte es weiterhin, weil sie das Risiko für vertretbar hielten. Eben diese Mediziner, so brachte 2010 eine Studie zum Vorschein, waren vom Rosiglitazon-Hersteller besonders häufig mit Zahlungen bedacht worden. (21) Wes Brot ich ess … (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln, Kap. 6: „Dressierte Halbgötter“ und Kap. 7 „Nimmersatte Mietmäuler“. 1 Arznei-Telegramm 37/2006, S. 93-94: „Kurz und bündig“ 2 ebda. 3 Peter Gøtzsche: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität – Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert, München 2. Aufl. 2015, S. 131. 4 Arznei-Telegramm 37/2006, s. 93-94. 5 Gøtzsche: Tödliche Medizin ..., a.a.O., S. 130 ff. 6 Zahlenangaben und Zitat Roche nach Süddeutsche Zeitung Nr. 58, a.a.O. 7 Nico Damm: „Heilung um jeden Preis?“ 8 Nach § 4 Abs. 34 und § 28 Abs, 3 a und b des Arzneimittelgesetzes. 9 T. A. Brennan u.a.: „Health Industry Practices That Create Conflicts of Interest“, Journal of the American Medical Association 295/2006, S. 429-433. 10 S. Boseley: „Junket time in Munich for the medical profession – and it´s all on the drug firms“, The Guardian 5.10.2004. 11 J. Moore, „Medical device payments to doctors draw scrutiny“, Star Tribune 8.9.2008. 12 R. Abelson: „Whistle-blower suit says device maker generously rewards doctors“, New York Times 24.1.2006. 13 J. Lenzer: „Doctor´s group files legal charges against nine French doctors over competing interests“, British Medical Journal 338/2009, S. 1408. 14 „Can I buy you a dinner? Pharmaceutical companies increasingly use doctors´ talks as sales pitches“, August 2004; www.worstpills.org. 15 Das belegt eine interne Aktennotiz des Neurontin-Herstellers, s. G. Harris: „Pfizer to pay $ 430 million over promoting drug to doctors“, New York Times 14.5.2004. 16 Nach Kim Björn Becker: „Wes Brot ich ess …“, Süddeutsche Zeitung, 20.6.2016, www.sueddeutsche.de/ wissen/gesundheitswesen-wes-brot-ich-ess-1.3042404. 17 John Virapen: Nebenwirkung Tod, 7. Aufl. 2015, S. 106, 108. 18 Spiegel Online, 14.7.2016: „Pharmahonorar für Ärzte - Vielen Dank für die Millionen“. 19 Nach https://correctiv.org. 20 Steven E. Nissen/Kathy Wolski: „Effect of Rosiglitazone on the Risk of Myocardial Infarction and Death from Cardiovascular Causes“, New England Journal of Medicine 356 (24) 2007, S. 2457-2471. 21 Charles Ornstein u.a.: „Now There’s Proof: Docs Who Get Company Cash Tend to Prescribe More Brand-Name Meds“, ProPublica 17.3.2016, online: www.propublica.org/article/doctors-who-take-company-cash-tend-to-prescribe-more-brand-name-drugs, abgerufen am 18.7.2016. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufte Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Off-Label – Grenzverletzungen als Routine
Arzneimittel „off-label“ anzuwenden, außerhalb ihrer Zulassung, ist häufig medizinisch sinnvoll, manchmal sogar notwendig. Allerdings immer hochriskant - und überaus lukrativ. Ärzte dazu anzustiften, eröffnet Herstellern ein „riesiges Geschäft, das gezielte Desinformation beinhaltet“, wie ein ehemaliger Pharmamanager einräumt. Wenn Behörden ein neues Arzneimittel zulassen, dann immer nur für ein bestimmtes Anwendungsgebiet: eine Erkrankung, ein Beschwerdebild, eine Personengruppe – beispielsweise für akute Schmerzen bei Erwachsenen. Ebenso festgelegt wird, wie es verabreicht werden muss – etwa als Tablette, als Tinktur oder als Spritze unter die Haut -, wie es zu dosieren ist, wie lange es angewandt werden soll. Für jeden beantragten Einsatzbereich muss die Pharmafirma Studienergebnisse vorlegen, aus denen hervorgeht, dass die vorgesehene Anwendung wirksam und sicher ist. In der Praxis erweist sich ein Medikament aber auch als hilfreich bei anderen Indikationen oder Patientengruppen als den ursprünglich vorgesehenen. Die Pharmafirma könnte dann auch hierfür eine Zulassung beantragen. Weil diese Prozedur zeitaufwändig und teuer ist, verzichten Hersteller aber oft darauf. So kommt es, dass Ärzte viele Arzneimittel „off label“ anwenden, anders als im Beipackzettel vermerkt – unter bestimmten Bedingungen, beispielsweise wenn sich ein nicht zugelassenes Medikament hierfür bewährt hat, etwa ein Antiepileptikum gegen Migräne, ein Antidepressivum gegen eine Angststörung -, oder wenn sich einer Krankheit mit zugelassenen Medikamenten nicht ausreichend beikommen lässt. Off-Label-Use steht jedem Arzt grundsätzlich frei. Er sollte sich sogar dafür entscheiden, wenn seines Erachtens das betreffende Präparat für einen bestimmten Patienten die beste Behandlungsoption darstellt. Falls schwere Nebenwirkungen auftreten, haftet allerdings nicht der Hersteller, sondern er selbst. Soweit die Theorie. Sie klingt vernünftig und ist dies auch, solange über Off-Label-Anwendungen allein medizinische Gesichtspunkte entscheiden. Gezielte Desinformation für Profite Doch aus Herstellersicht zählt eher Profitabilität: Jede Erweiterung von Einsatzbereichen erhöht Umsätze, jedes Zögern mindert sie. Auch hierum geht es dem Pharmareferenten bei seinen Arztbesuchen. Auf Anstiftungen, Medikamente riskanterweise auch außerhalb des Anwendungsbereichs einzusetzen, für den sie zugelassen sind, verwendet er besonders viel Energie. (1) Denn Off-Label Use eröffnet Pharmakonzernen ein „riesiges Geschäft, das gezielte Desinformation beinhaltet“, wie ein ehemaliger Eli-Lilly-Geschäftsführer einräumt. (2) In vielen medizinischen Gebieten, vor allem in der Kinderheilkunde, der Geriatrie, der Onkologie und der Psychiatrie, kommt ein Großteil der Medikamente off-label zum Einsatz - im Durchschnitt aller Verschreibungen zu 40 bis 60 Prozent. (3) Weil behandelnde Ärzte in solchen Fällen für etwaige Nebenwirkungen zur Rechenschaft gezogen werden können, zögern allerdings viele. Um diese Bremse zu lockern, halten gutgeschulte Pharmavertreter in ihren Aktenkoffern stets passende Empfehlungen gewogener „Experten“ und Fachgesellschaften sowie Reprints genehmer „wissenschaftlicher Studien“ griffbereit. Zwar ist es inzwischen selbst in den USA ausdrücklich untersagt, für Off-label-Anwendungen zu werben. Trotzdem nehmen die großen Pharmaunternehmen immer wieder enorme Bußgelder in Kauf, teilweise in Milliardenhöhe, um die Grenzen dieser gesetzlichen Regeln auszutesten und routinemäßig zu überschreiten. Zum Spitzenreiter brachte es GlaxoSmithKline im Juli 2012 mit einer Geldstrafe von drei Milliarden Dollar. Es rentiert sich anscheinend. Therapeutischer Blindflug mit ahnungslosen Versuchskaninchen Abermillionen bezahlen dafür mit ihrer Gesundheit, ja ihrem Leben. Dass etwa Antipsychotika off-label an ältere Demenzkranke verfüttert werden, „wohlwissend, dass sie zu Herzinfarkten und Schlaganfällen und plötzlichem Tod führen können, ist nichts anderes als Euthanasie“, wie das Wall Street Journal anprangert. (4) Noch schändlicher sind viele Off-Label-Verschreibungen von Psychopharmaka für Kinder. „Die paradoxe Realität ist: Je kleiner und kränker das Kind, desto seltener bekommt es eine offiziell zugelassene Arznei“, schreibt der Medizinjournalist Martin Lindner über den therapeutischen Blindflug mit ahnungslosen Versuchskaninchen. „So verwenden niedergelassene Pädiater 10 bis 30 Prozent der von ihnen verschriebenen Mittel außerhalb der Marktlizenz. In Kinderkliniken steigt der Anteil auf rund 50 Prozent. Und auf Neugeborenen-Stationen können bis zu 90 Prozent der Substanzen off-label verabreicht werden. (...) Eine neuere Studie in knapp 40 französischen Kinderarztpraxen bestätigt, dass eine Off-Label-Behandlung die Nebenwirkungsrate erhöht, manchmal auf mehr als das Dreifache einer zugelassenen Therapie.“ (5) Dass der Nutzen sich im selben Maße vervielfacht, harrt des Beweises. Ein Augenöffner: der Cytotec-Skandal Wie brandgefährlich ausufernder Off-Label-Use sein kann, führte jedem, der sehen will, Anfang 2020 der Cytotec-Skandal vor Augen. Pfizers Magenschutz vor Geschwüren verschwand 2006 zumindest in der Bundesrepublik offiziell vom Markt – trotzdem setzte es jede zweite deutsche Geburtsklinik weiterhin ein (6), weil sich zufällig herausgestellt hatte, dass der Wirkstoff Misoprostol recht zuverlässig Wehen fördert. Dafür war Cytotec aber gar nicht zugelassen, schon gar nicht in der verbreiteten, vermeintlich praxisbewährten Dosierung, die in den Kreißsälen oft um das Doppelte bis Vierfache über dem von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Wert von 25 Mikrogramm lag. Das führte in mehreren Fällen zu schweren Komplikationen bei der Geburt: Die Gebärmutter riss, ein „Wehensturm“ setzte ein, Babies kamen mit Hirnschäden zur Welt, Mütter und Neugeborene verstarben. Keine Behörde hatte davor gewarnt, keine war eingeschritten. Erst im April 2021 wurde der Import von Cytotec gestoppt. (7) Neurontin: ein Antiepileptikum für beinahe alles Beim Off-Label-Business geht die Rechnung für Big Pharma garantiert immer auf – selbst wenn Rechtsbrüche ausnahmsweise drakonisch sanktioniert werden, wie im Fall von Neurontin. (8) Zugelassen war der Kassenschlager mit dem Wirkstoff Gabapentin ausschließlich bei therapieresistenter Epilepsie. Trotzdem bewarb Pfizer es für nicht weniger als 48 weitere Indikationen – unter anderem bei Migräne und sonstigen Schmerzzuständen, ADHS, Restless Legs Syndrom, bipolaren Störungen, Alkohol- und Drogensucht. Dazu verwendete die Firma manipulierte und unvollständig publizierte Daten aus Studien, die sie selbst gesponsert hatte. (9) Allein auf die Überredungskünste seiner Pharmareferenten verließ sich Pfizer selbstverständlich nicht. Neurontin off-label unters Volk zu bringen, war der Hauptzweck sogenannter „Fortbildung“sveranstaltungen, bei denen stattliche Honorare manchmal nicht nur für die Referenten flossen, sondern auch für die teilnehmenden Ärzte. Ködern ließen sie sich unter anderem mit Luxusreisen nach Florida, Hawaii oder zu den Olympischen Spielen. (10) Wer besonders viele Neurontin-Rezepte produzierte, durfte als bestens bezahler Redner auftreten oder als „Berater“ fungieren. Geld floss auch an Ärzte, die ihren Namen für Artikel hergaben, in denen Ghostwriter in Pfizer-Diensten „bewiesen“, wie fabelhaft Neurontin jenseits seiner Zulassungsgrenzen wirkt. (11) Renommierte Meinungsführer der Schulmedizin – darunter Fachbereichsleiter von Universitäten, Leiter von Forschungsprogrammen und Klinikabteilungen - kassierten fürstliche Prämien dafür, in Vorträgen zu Off-Label-Rezepten anzustiften: Sie verlangten und erhielten zwischen 10.250 und 158.250 Dollar. Einer strich sage und schreibe 308.000 Dollar dafür ein, bei Konferenzen wortgewaltig die Werbetrommel für Neurontin zu rühren. (12) Um eine drohende Anklage abzuwenden, räumte Pfizer im Jahr 2004 Gesetzesverstöße ein und leistete eine Strafzahlung von 430 Millionen Dollar (13) - ein Pappenstiel, gemessen an den 2,7 Milliarden Dollar, welche die Firma mit Neurontin allein im Jahr 2003 umsetzte; ein Jahr darauf waren es 3 Milliarden Dollar. (14) Rund 90 Prozent der Verkäufe stammten aus zulassungsüberschreitenden Anwendungen. (15) Missbrauchte Therapiefreiheit Geschickt macht sich die Pillenbranche ein Standesprivileg des Arztes zunutze: seine Therapiefreiheit. Niemand darf ihm vorschreiben, wie er zu behandeln hat. Er allein wählt und entscheidet, auf welche Weise er hilft. Immer ist er in erster Linie dem individuellen Patienten verpflichtet, dessen Besonderheiten er nach bestem Wissen und Gewissen berücksichtigen muss; auch kann er ernsthafte, wohlbegründete Bedenken gegenüber einer gängigen Methode hegen. Freiheit bedeutet aber nicht Beliebigkeit. Ein Arzt unterliegt der Sorgfaltspflicht, er muss sich am fachärztlichen Standard orientieren und sich stetig weiterbilden, damit er auf dem aktuellen Stand medizinischer Erkenntnis bleibt. Eben dabei sind ihm Arzneimittelhersteller herzlich gerne zu Diensten: Muss ein Arzt, der Therapiemöglichkeiten gewissenhaft ergründet, nicht die grandiosen Vorteile des Präparats XY, dessen erfreulich harmloses Nebenwirkungsprofil zur Kenntnis nehmen, wie ihm pharmafinanzierte Gefälligkeitsstudien und bestellte Fachartikel bezahlter Schreibtischtäter vorgaukeln? Wäre es nicht zutiefst unethisch, einem leidenden Hilfesuchenden die ungeheuren Chancen vorzuenthalten, die das Präparat ihm eröffnet? Vernachlässigt ein Arzt nicht seine Fortbildungspflichten, wenn er über die allerneuesten pharmazeutischen Durchbrüche, die jüngste bahnbrechende Pilleninnovation ignorant hinweggeht? Überschaubares Haftungsrisiko Gewiss nimmt der Arzt erhebliche Risiken auf sich, wenn er Arzneien bei Indikationen einsetzt, für die sie nicht zugelassen sind: Er haftet für Schäden, die das Medikament anrichtet. Doch greift die Haftung nur, wenn ihm nachzuweisen ist, dass er es versäumt hat, den genannten Pflichten nachzukommen. Die nötigen „Beweise“, dass er sie erfüllte, liefern ihm Arzneimittelhersteller: indem manipulierte Studien, eine korrumpierte Fachpresse, auf Linie gebrachte Aus- und Fortbildungseinrichtungen, gekaufte Meinungsführer und einschlägige Gremien über den „Stand der Forschung“, die maßgebliche „Evidenz“ bestimmen. Ärztliche Skrupel gegenüber Off-Label-Therapien räumt Big Pharma also mit einer cleveren Doppelstrategie aus: Einerseits verschafft sie dem Arzt „evidenzbasierte“ Gründe, Zulassungsgrenzen zu überschreiten. Für den Fall, dass etwas schiefgeht, versorgt sie ihn andererseits mit den nötigen Alibis. Off-Label erspart den Herstellern zudem Kosten im Multimilliardenbereich. Wozu erst noch teure und langwierige klinische Prüfungen anleiern, wo sich das Präparat im alltäglichen Einsatz doch längst „bewährt“? (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln, Kap. 6: „Dressierte Halbgötter“ und Kap. 7 „Nimmersatte Mietmäuler“. 1 A. Fugh-Berman/S. Ahari: “Following the script: how drug reps make friends and influence doctors”, PLoS Medicine 4 (4) 2007: e150; M. A. Steinman/G. M. Harper u.a.: “Characteristics and impact of drug detailing for gabapentin”, PLoS Medicine 4 (4) 2007: e134; A. F. Shaughnessy/D. C. Slawson/J. H. Bennett: “Separating the wheat from the chaff: identifying fallacies in pharmaceutical promotion”, Journal of General Internal Medicine 9/1994, S. 563–568. 2 John Virapen: Nebenwirkung Tod, 5. Aufl. 2009, S. 193. 3 Bernadette Tansey: „HARD SELL: How Marketing Drives the Pharmaceutical Industry“ (2005), www.sfgate.com/health/article/HARD-SELL-How-Marketing-Drives-the-2676193.php, abgerufen am 25.11.2016. 4 Barbara Martinez/Jacob Goldstein: „Big Pharma Faces Grim Prognosis“, Wall Street Journal, 6.12.2007. 5 Martin Lindner: „Versuchskaninchen“, Die Zeit Nr. 36, 31.8.2006. 6 https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/gesundheit/im-wehensturm-e688113/?reduced=true; https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/geburtseinleitung-aerzte-geben-gefaehrliche-tablette,Rq6JTvb, abgerufen am 12.2.2023. 7 tagesschau.de: Importstopp für umstrittenes Medikament Cytotec, https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/cytotec-importstopp-101.html, abgerufen am 3. April 2021. Im Cytotec-Fall war es ausnahmsweise der Hersteller selbst, der die Notbremse zog: Vom Markt genommen hatte Pfizer das Medikament mit der Begründung, der “Missbrauch” sei zu hoch. 8 C.S. Landefeld/M.A. Steinman: “The Neurontin Legacy - Marketing through Misinformation and Manipulation”, New England Journal of Medicine 360/2009, S. 103-106. Auszug; M.A. Steinman u.a.: “Narrative Review: The Promotion of Gabapentin: An Analysis of Internal Industry Documents”, Annals of Internal Medicine 145 (4) 2006, S. 284-293. Volltext. 9 S.Swaroop Vedula u.a.: „“Outcome Reporting in Industry-Sponsored Trials of Gabapentin for Off-Label Use”, New England Journal of Medicine 361/2009, S. 1963-1971; arznei-telegramm 39/2008, S. 121; https://www.iqwig.de/veranstaltungen/2009-11-27_becker-brueser_objektive_forschung_ist_nicht_moeglich.pdf 10 Bernadette Tansey: „Huge penalty in drug fraud: Pfizer settles felony case in Neurontin off-label promotion“, San Francisco Chronicle 14.5.2004 11 M. Petersen: „Suit says company promoted drug in exam rooms“, New York Times 15.5.2002; Marcia Angell: The Truth about the Drug Companies: how they deceive us and what to do about it, New York 2004. 12 M. Petersen: „Suit says company promoted drug in exam rooms“, New York Times 15.5.2002. 13 B. Tansey: „Huge penalty in drug fraud“, a.a.O. 14 http://forum-gesundheitspolitik.de/artikel/artikel.pl?artikel=1489 15 B. Tansey, a.a.O.; O. Harris: „Pfizer to pay $430 million over promoting drug to doctors“, New York Times 14.5.2004; Jeannev Lenzer: „Pfizer pleads guilty, but drug sales continue to soar“, British Medical Journal 328/2004, S. 1217. Foto von pressfoto auf Freepik: Bild von pressfoto auf Freepik Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Anwendungsbeobachtungen – Der Arzt als „Forscher“ 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Der gläserne Doc
Was für Arzneimittelhersteller am Arzt letztlich zählt, ist sein „Verschreibungswert“: Wie emsig stellt er Rezepte aus? Aber woher wissen Pharmareferenten das überhaupt, ehe sie ihm zum ersten Mal auf die Pelle rücken? Wie finden ihre Auftraggeber heraus, bei welchen Ärzten sich die Mühsal des Anbaggerns lohnt? Durchblick verschaffen gigantische Datenbanken, anzuzapfen gegen horrende Gebühren. Durchblick verschaffen dubiose Datenbanken, zugänglich gegen horrende Gebühren. Woher weiß Big Pharma, welchen Arzt ihre Abgesandten worauf ansprechen müssen? Wie sie ihn einfangen, bei der Stange halten und motivieren können? Woher kennen sie seinen „Verschreibungswert“, den Prescribing Value, kurz PV? (1) Dazu bedarf es keiner Wanzen, keiner Lauschangriffe, keiner eingeschleusten Spione. Durchblick verschaffen Firmen wie IQVIA, ein monströser, weltweit agierender Unternehmensdienstleister mit Stammsitz in Durham, North Carolina. Mit 79.000 Mitarbeitern, verteilt auf über hundert Länder, erzielt er einen Jahresumsatz von knapp 14 Milliarden US-Dollar. (2) Dieser Goliath steht auf zwei Beinen. Zum einen hat es Iqvia zur weltweit größten Contract Research Organisation (CRO) gebracht; als solche betreibt sie klinische Auftragsforschung für die Pharma-, Biotech- und Medizingeräte-Industrie. Zum zweiten fungiert sie als beinahe allwissender Beschaffer jeglicher Art von Informationen, die für Medizinmarketing von Bedeutung sein könnten. Seine Datenpools, 56+ Petabytes umfassend, gelten branchenintern als pures Gold, so gut wie jeder Pharmakonzern greift darauf zu. (3) Eine Goldgrube namens IQVIA Dabei heißt „Iqvia“ erst so, seit der Firmenvorläufer Quintiles im Oktober 2016 einen 17,6 Milliarden Dollar teuren merger mit einer Geistesverwandten vollzog: der umstrittenen Marktforschungsfirma IMS Health, dem damals weltweit führenden Lieferanten von Informationen über ärztliches Verschreibungsverhalten sowie zu Verkaufszahlen von Arzneimitteln. (4) Mit jährlich 45 Milliarden Daten über „Transaktionen im Gesundheitswesen“, die 14.000 Mitarbeiter zusammentrugen oder anderswo einkauften, dann auswerteten und aufbereiteten – davon über 300 in der deutschen Zentrale in Frankfurt am Main -, setzte IMS pro Jahr 2,6 Milliarden Dollar um. (5) Nach eigenen Angaben erfasste IMS „85 Prozent der weltweiten Verschreibungen“ und bot „annähernd 400 Millionen umfassende Langzeitberichte über Patienten“. (6) Zu ihren Kunden zählten die Top 100 der Pharma- und Biotech-Branche. Ab April 2014 wurden IMS-Aktien an der New Yorker Börse gehandelt. Wie überaus kostbar diese Schätze für Big Pharma sind, lassen die verlangten Preise erahnen. Um auch nur einen elektronischen Zugang zu einer von rund 40 angebotenen Datenbanken zu erhalten – der „IMS DPM“, die minutiös Verkaufszahlen und Umsätze jedes einzelnen Medikaments auflistete -, wurden 40.000 bis 60.000 Euro pro Jahr fällig. Was IMS Health konnte, kriegt Iqvia erst recht hin. Seine „OneKey“-Datenbank verschafft minutiöse Verhaltens- und Einstellungsprofile von 14,3 Millionen Heilberuflern in über hundert Ländern, darunter 2,1 Millionen prescribers; präzise erfasst sie Verschreibungs- und Überweisungsverhalten von niedergelassenen und Klinikärzten. Wer Iqvias Service nutzt, weiß genauestens, wie viele Rezepte über welche Wirkstoffe welcher Marken ein Arzt welchen Patienten mit welcher Indikation ausstellt, welche Therapieentscheidungen er trifft oder eher vermeidet. Er kennt „Arztcharakteristika und Praxismuster“, wie Iqvia hervorhebt. Er weiß, wie rasch oder zögerlich ein Arzt „neue“ Behandlungsweisen einsetzt, von altbewährten Mitteln auf „Innovationen“ umsteigt, Originalpräparate oder Generika bevorzugt. Ein Iqvia-Service namens „Patient Journey“ zeichnet „die Reise des Patienten von der Diagnose zur Therapie“ nach, insbesondere „die Rollen der mitwirkenden Ärzte“. Ein weiterer Dienst, „Expert Profiling“, hilft Unternehmen einzuschätzen, wie wertvoll ein Arzt fürs Marketing sein könnte; er analysiert dessen „wissenschaftlichen, indikationsspezifischen Footprint“, messbar „zum Beispiel an Publikationen, klinischen Studien, Kongressaktivitäten“. So „können Sie Ihre Marketingmaßnahmen punktgenau ausrichten und entscheiden, wen Ihre Botschaften erreichen“, versichert Iqvia auf seiner Homepage. Und natürlich gibt es auch Tools, mit denen sich „die Außendienst-Performance messen“ lässt – was taugt der Pharmareferent? Gnadenlos ausgespäht „OneKey“ knüpft an einen noch von IMS Health entwickelten Datenpool an: ScripTrac, welches mittlerweile der US-Unternehmensdienstleister Medacist fortführt. Auch hiermit bot IMS „Informationen zur treffsicheren Arztbeschreibung“ – einschließlich Namen und Adressen von über 31.000 niedergelassenen Ärzten in Deutschland, also jedem dritten. (7) Gefüttert wurde „ScripTrac“ zum Teil mit den Einträgen aus Formularen, die Ärzte einmal pro Jahr gegen Honorar ausfüllten. Sage und schreibe 600 Fragen erkundeten nicht nur das Verschreibungsverhalten, sondern auch die Patientenstruktur der Praxis, ihre Organisation, ja sogar Interessenschwerpunkte, Einstellungen und Charakterzüge. So bekundete der ausgespähte Arzt auf einer fünfteiligen Skala - von 1: „stimme nicht zu“ bis 5: „stimme völlig zu“ -, inwieweit er mit Aussagen einig geht wie: „Ich habe gerne viele Leute um mich“, „Ich probiere etwas Neues aus, auch wenn mal ein kleines Risiko dabei ist“, „Ich habe Spaß, mich mit neuen Theorien und neuen Ideen zu beschäftigen“, „Wenn ich Erfolg habe, möchte ich das auch nach außen zeigen“, „Das Ansehen, das man als Arzt genießt, ist mir wichtig“, „Es gelingt mir meistens, andere von meiner Meinung zu überzeugen“. ScripTrac steht für „Prescription Tracking“: das Nachverfolgen ärztlicher Verschreibungen, mit geradezu erkennungsdienstlicher Tiefenschärfe. Welcher Arzt stellte welche Rezepte aus, wie oft, wofür? Verordnet er Pharmazeutika besonders häufig, durchschnittlich oft oder eher selten? Welche Originale, welche Generika? Über welchen Zeitraum? Wie rasch ab Markteinführung einer „Innovation“ begann er sie zu verordnen? Bei welchen Indikationen? Verschrieb er ein bestimmtes Medikament ausschließlich für zugelassene Anwendungen, oder auch darüber hinaus, off label? Wie weit ging er dabei? Bevorzugte er Präparate bestimmter Hersteller? Solche aufschlussreichen Einblicke schätzt die Pharmaindustrie dermaßen, dass sie kein noch so dreistes Preisschild abschreckt. Entsprechend heiß umkämpft ist der Markt. Mit Iqvia und Medicast wetteifern etliche weitere Serviceunternehmen, die meisten mit mehreren hundert bis tausend Mitarbeitern und Umsätzen mindestens im dreistelligen Millionenbereich. Sie tragen Namen wie Dendrite – seit 2007, nach einer Übernahme, Cegedim Dendrite -, SDI Health und Wolters Kluwer. Der älteste Arztdatenhändler, Medical Marketing Service (MMS), agiert von Schaumburg, Illinois aus seit 1929. Manche bieten Zusatzleistungen wie E-Mail-Marketing; spezielle Software, welche die Performance der Außendienstler ebenso einschätzen hilft wie den Ertrag bestimmter Maßnahmen zur Verkaufsförderung; oder Statistiken darüber, wonach ein Arzt im Internet suchte, wie oft er beispielsweise die Website eines bestimmten Pharmaunternehmens besuchte. Manche beschränken sich auf den Hauptmarkt USA, andere verschaffen Einblicke in viele weitere nationale Märkte. Manche konzentrieren sich auf niedergelassene Ärzte, andere beziehen auch Kliniken, Heime, Apotheken ein. Doch eines verbindet sie alle: ihr Kerngeschäft, das Bereitstellen von Daten, Daten, Daten. Woher stammen die Daten? Woher die Daten stammen, lässt sich großteils bloß erahnen. Die meisten Quellen liegen im Dunkeln, die Anbieter hüten sie wie einen Goldschatz, und das ist er auch. Zumindest eine Hauptquelle ist allerdings seit langem hinlänglich bekannt: die älteste und größte Standesvertretung der US-amerikanischen Ärzteschaft, die American Medical Association (AMA). Ihre Ärztedatenbank, das Physician Masterfile, gilt weithin als die ausgefeilteste der Welt. Sie bietet demografische Angaben über sämtliche 900.000 US-Ärzte, lebende wie verstorbene, AMA-Mitglieder wie Nichtmitglieder, praktizierende und im Ruhestand befindliche. Und damit betreibt die AMA ein einträgliches Geschäft: Allein im Jahr 2005 verdiente sie daran 44,5 Millionen Dollar. (8) Die allererste Nutzungslizenz vergab sie bereits im Jahr 1929 – an MMS. Datenschutz pflegt man in Amerika eher locker zu handhaben. Aber selbst dort nahmen seit der Jahrtausendwende die Widerstände gegen den ausufernden Datenhandel zu. Im Jahr 2006 verbot New Hampshire den Verkauf von Verschreibungsdaten zu kommerziellen Zwecken (9), weitere Bundesstaaten folgten inzwischen diesem Beispiel. Daraufhin sah sich die AMA veranlasst, ein offizielles „Prescribing Data Restriction Program“ zu beschließen. (10) Seither können US-Ärzte auf einer AMA-Website per Online-Formular Widerspruch dagegen einlegen, dass ihre Daten an Reps und ihre Firmen weitergegeben werden. Doch weiterhin floriert das Datenbusiness prächtig. Denn der AMA liegt daran, dass Verschreibungsdaten nach wie vor „für nutzbringende Zwecke“ verfügbar bleiben, zum Beispiel „für evidenzbasierte medizinische Forschung, zum Strukturieren von klinischen Studien, für wirksame Arzneimittelrückrufe, zur Abschätzung von Nutzen und Risiken nach erfolgter Zulassung und für viele weitere Zwecke“. (11) Und irgendeiner dieser Zwecke findet sich für clevere Datenbeschaffer weiterhin immer. Das erklärt, dass Reps heutzutage kein bisschen weniger als Jahrzehnte zuvor im Bilde darüber sind, wie das Verschreibungsverhalten von Ärzten aussieht. Zudem stellt der Datenschatz ärztlicher Standesorganisationen nur eine Quelle unter mehreren dar. Die Analysekunst besteht darin, sie mit dem zu verknüpfen, was andere liefern. So verfügte IMS Health über Protokolle von über 70 Prozent aller Rezepte, die in Apotheken eingelöst wurden. Die Namen von Patienten sind darin zwar anonymisiert. Trotzdem lassen sich die verschreibenden Ärzte ausfindig machen, auch wenn sie darin nicht namentlich auftauchen - nämlich über ihre staatliche Lizenzierungsnummer, einen von der US-amerikanischen Drogenvollzugsbehörde (DEA) zugeteilten Code ( „Drug Enforcement Administration Number“) oder einen „Identifier“, den jede Apotheke vergibt. (12) Aber woher wissen Reps vorab, noch ehe sie erstmals eine Praxis betreten, darüber hinaus genauestens Bescheid über Einstellungen, Gewohnheiten, Interessen, Vorlieben des besuchten Arztes? Verräterische Surf-Spuren Das Internet macht´s möglich. Auch Ärzte nutzen es, während der Arbeit wie auch in ihrer knappen Freizeit. Wie wir alle, so hinterlassen sie dabei aufschlussreiche Spuren, für die sich gewisse Unternehmen brennend interessieren. Auch solche Daten sammeln und speichern sie – und verkaufen sie meistbietend weiter. Davon leben sie, allen offiziellen Beteuerungen zum Trotz; ihr Geschäftsmodell beruht darauf. Ob eingetippte Anfragen in Suchmaschinen oder Bestellungen in Online-Warenhäusern, Aufrufe bestimmter Websites, das Liken gewisser Posts, das Folgen bestimmter Links, Eingaben in Chatrooms und Foren, das Downloaden von Dokumenten, Bildern und Filmen: In Hülle und Fülle liefert all dies den Stoff, aus dem sich beklemmend präzise Persönlichkeitsprofile erstellen lassen. Dem professionell vorbereiteten Rep des 21. Jahrhunderts liegen sie selbstverständlich vor. Weitere Daten liefern manche Ärzte unentwegt online, oft freiwillig, manchmal auch unwissend. Praxissoftware, die sie sich von Pharmafirmen schenken lassen, leitet über eine installierte Schnittstelle Verschreibungsdaten zu Analysezentren (13); von dort geraten sie auf die Monitore der auftraggebenden Konzerne, schließlich erscheinen sie auf den Laptops der Vertreter. Die sind folglich bestens vorbereitet: Im voraus wissen sie, wo anzusetzen ist. Auch kommt es vor, dass dem Arzt die Dienste eines „Sachverständigen für ärztliche Abrechnung“ ans Herz gelegt werden. Das Angebot: Der Arzt kopiert seine sämtlichen Patientendaten auf einen Stick, den der Pharmareferent an einen Firmenmitarbeiter weiterleitet; dieser erteilt dem Arzt daraufhin unentgeltlich Tipps, wie sich Abrechnungskosten senken lassen. Eine Kontrolle, was letztlich mit den Daten geschieht, gibt es nicht. Recherchen des Spiegel förderten 2012 diese krasse Verletzung des Arztgeheimnisses zutage. (14) Am Horizont: der RoboDoc als industriegesteuerter Vollzugshelfer Es gehört wenig Phantasie zur Prognose, dass in Kürze Daten auch in Gegenrichtung fließen – von Iqvia-Rechnern auf Praxis- und Klinikcomputer. Es wird so kommen, weil die Medizin dabei ist, ins Zeitalter der Digitalisierung einzutreten. Während es über die Arbeitswelt hereinbricht, entmündigt es den praktizierenden Arzt, der empathische Heilkünstler endet als industriegesteuerter Vollzugshelfer, den die KI eines RoboDoc irgendwann überflüssig machen könnte. Denn einerseits soll der Arzt möglichst „evidenzbasiert“ handeln – andererseits besteht diese „Evidenz“ aus einer stetig anschwellenden Informationsmenge, die auch das brillanteste menschliche Hirn überfordert; jährlich kommen weltweit 9000 klinische Studien hinzu. Um Big Data auszuwerten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, bieten sich Dienstleister wie Iqvia an, dazu beauftragt von übermächtigen Industrien, welche Big Business wittern. In die Zukunft sehen hilft der Wirtschaftsingenieur Frank Wartenberg, Iqvias Deutschland-Repräsentant und Vorsitzender einer „Bundesfachkommission Digital Health“, die „eine zukunftsfähige E-Health-Strategie für Deutschland entwickeln“ und „konkreten Nutzen für Big Data schaffen“ will. (15) Die Behandlungspläne des Arztes „werden stärker überprüfbar“, freut sich Wartenberg. „Denn je besser die Dokumentation über Therapieansätze und Behandlungen ist, desto besser lässt sich nachvollziehen, ob die richtigen Entscheidungen getroffen wurden.“ Dies mache Ärzten „verständlicherweise auch Angst“, räumt Wartenberg ein. „Die andere Seite ist die Vielfalt der Therapien. 300.000 Therapiealternativen hat heute ein Arzt für einen Krebspatienten. Vor 50 Jahren hat man noch „Erkrankungen des Blutes“ gesagt, heute unterscheidet man 200 verschiedene Blutkrebsarten. Die Vielfalt nimmt gigantisch zu, ebenso wie die Erkenntnisse und die Therapiealternativen. Das alles zu überblicken wird für Ärzte immer schwieriger, und dann die richtige Entscheidung zu treffen, ist nicht einfach. Dafür wird es Systeme geben, die Ärzten helfen können. Wenn der Patient z.B. bestimmte Eigenschaften hat, wenn man die Behandlungshistorie anschaut, dann kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit abschätzen, ob eine bestimmte Therapie besser anschlägt als eine andere. (…) Die Ärzte werden sich auf Systeme verlassen müssen, die von anderen entwickelt und teilweise mit Inhalten gefüttert werden.“ (16) Demnächst braucht ein Arzt bloß noch die ICD-verschlüsselte Diagnose eines Patienten sowie ein paar weitere personbezogene Daten einzugeben – Sekundenbruchteile später liefern ihm Algorithmen einen perfekt leitlinienkonformen, dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechenden Therapievorschlag. Da die „Evidenzen“ großteils aus pharmagesponserten Forschungsergebnissen bestehen, ist mühelos zu erahnen, wie der Vorschlag aussehen wird. Vom Rep verschont: die „Forget-it-Praxis“ Schon heute verschaffen Datenpools wie „OneKey“ und „Scriptrac“ Pharmafirmen und ihren Abgesandten ein beklemmend genaues Bild jedes einzelnen erfassten Arztes. Der Medizinjournalist Hans Weiss fand darin Einträge wie (17) - „Eine Forget-it-Praxis, klein, wenig innovativ, ohne ausgeprägte Praxisstärken, mit mittlerer bis niedriger Punktzahl, bevorzugt Generika.“ - „Allrounder, große, innovative Praxis, kein Interesse an Naturheilkunde, schwach bei Demenz und Gastro.“ - „Exzentriker, (…) verspricht viel, (…) probiert alles aus, Typ ‘Schmetterling‘, führt häufig Anwendungsbeobachtungen durch, reagiert mit überdurchschnittlichem Verordnungszuwachs.“ - „Vorsichtiger Introvertierter, (…) vermeidet Risiken, baut auf Gewohntes, wenig kommunikativ, (…) eher Nachzügler.“ Derart aufschlussreiche Konterfeis sollen „die Kommunikation zwischen Arzt und Hersteller bedarfsgerecht optimieren“, um „das Maximum an Wachstum herauszuholen“. Es eröffnet sich eine „neue Dimension, Arztprofile zu definieren und das Verordnungspotenzial auszuschöpfen“. (18) Auf fünf Schubladen verteilt auch ein Topmanager von Eli Lilly die Ärzteschaft, je nach ihrem Verschreibungspotential, aber auch nach ihren charakterlichen Qualitäten. Seine Marketingpläne schneidet er auf zwei davon zu: „Überflieger“ (High Flyer) halten sich nicht an Regeln, probieren gerne neue Arzneien aus. „Sie neigen dazu, sehr aggressiv zu behandeln, mit sehr hohen Dosen und auch bei Anwendungsgebieten, die von der Behörde nicht zugelassen sind.“ „Konformisten“ (Rule Bound) hängen ihre Fähnchen nach dem Wind, und „meist verhalten sie sich sehr loyal gegenüber einer Marke“. (19) „Fortbildungen“ zwischen Strand, Bordell und Casino Vor allem gesellige Anlässe öffnen erfahrungsgemäß auch bei Halbgöttern in Weiß Ohren, Herz und Hirn. Industriegesponserte Reisen „schaffen gemeinsame Erinnerungen“, erklärt der frühere Geschäftsführer eines Pharmakonzerns den bestens bewährten Hintergedanken. „Auf Reisen kommt man Menschen näher, zu denen einem der Zugang sonst vielleicht verschlossen bleibt. Reisen schaffen Freiräume, man bewegt sich außerhalb des gewohnten Rahmens lockerer, und man entdeckt vernachlässigte Seiten seiner Persönlichkeit. Kurzum: Reisen können enthemmend wirken. Besonders wenn man ohne die bessere Hälfte reist.“ Offiziell heißen solche Ausflüge, die für eingeladene Ärzte komplett kostenlos sind, natürlich „Fortbildung“, und selbstverständlich gibt es auch eine offizielle Agenda. „Aber glauben Sie, wir fliegen die sonnenentwöhnten Ärzte um den halben Globus, um sie zwei Wochen lang in einem Seminarraum einzusperren, in dem es wieder nur Neonlicht gibt (...) und Tabellen mit endlosen Zahlenkolonnen an die Wand geworfen werden? (...) Nein, die Herren sollen ihren Spaß haben, und sie bekommen ihn. Der Strand ist nicht weit, Bordell und Spielcasino auch nicht. Wir sorgen dafür, dass es ein herrliches Erlebnis wird. Und es funktioniert - die eingeladenen Ärzte erinnern sich gern an uns und haben immer ein offenes Ohr, wenn unsere Vertreter bei ihnen klingeln. Sie setzen unsere Produkte bei ihren Patienten ab.“ (20) Auch ein kulturelles Highlight wie etwa ein Musikfestival zieht - „von da an haben unsere Vertreter leichtes Spiel“. Sie bringen entstandene Schnappschüsse vorbei, die man gemeinsam betrachtet. Man schwärmt nochmals vom tollen Abend, „man tauscht kleine Anekdoten aus, man versteht sich prächtig - unsere Produkte abzusetzen ist jetzt überhaupt kein Problem mehr. Ganz ohne jeglichen Austausch sachlicher Informationen.“ (21) Karnevalesk: „Beratender Ausschuss“ aus 19.000 Ärzten Auch niedergelassene Ärzte – insbesondere, wenn sie in der Fachwelt durch fleißiges Publizieren, Rednertalent, hohe Verschreibungszahlen und einen besonders guten Ruf unter Kollegen aufgefallen sind – kommen vielfach in den Genuss jener Wohltaten, mit denen die medizinische Elite bedacht und eingewickelt wird: sei es als „Autoren“ und „Sprecher“, sei es als „Berater“. Wer meint, das könnten nur ein paar wenige sein, unterschätzt den Branchenbedarf an freien Mitarbeitern gewaltig: Der „beratende Ausschuss“ der Firma Forest etwa umfasste 2009 sage und schreibe 19.000 Mitglieder. (22) Wie eine australische Umfrage ergab, gehörte jeder vierte Facharzt binnen eines Jahres dem Beratungsgremium mindestens einer Pharmafirma an. (23) Prima pflegt bei der Ärzteschaft auch die Offerte anzukommen, einen Vortrag zu organisieren: sei es fürs breite Publikum, sei es vor Fachkollegen. Das schmeichelt dem Arzt: Immerhin wird ihm zugetraut, seine medizinische Kompetenz, seinen gesammelten Erfahrungsschatz, sein rhetorisches Geschick öffentlich unter Beweis zu stellen. Und es nützt ihm, weil es seinen Bekanntheitsgrad erhöht, neue Kundschaft aufmerksam macht. Obendrein bleibt ihm jegliche Mühsal erspart: Um die Durchführung kümmert sich der Pharmavertreter. Für Big Pharma findet dabei ein aufschlussreiches Schaulaufen statt: Wie sicher tritt der Arzt auf? Wie gut kommt er bei seinen Zuhörern an? Wie souverän geht er mit kritischen Fragen um? Bewährt er sich als Referent in kleinerem Kreis, bei einer lokalen Veranstaltung, so hat er sich für höhere Aufgaben qualifiziert. Er verdient sich Einladungen, bei Kongressen oder im Rahmen der ärztlichen Fortbildung aufzutreten, als offizieller „Speaker“, wenn nicht gar als „Keynote Speaker“. Gegen stattliches Honorar, versteht sich. (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln, Kap. 6: „Dressierte Halbgötter“ und Kap. 7 „Nimmersatte Mietmäuler“. 1 Das Branchenmagazin Pharmaceutical Enquirer definiert diese Kennzahl als „eine Funktion der Gelegenheit zu verschreiben sowie der Einstellung dazu, plus äußere Einflüsse. Ärzteprofile, welche diese vielfältigen Dimensionen einbeziehen, ermöglichen es, das ‘Warum‘ hinter dem ‚‘Was‘ und ‚‘Wie‘ ärztlichen Verhaltens zu analysieren.“ C. Nickum/T. Kelly: „Missing the mark(et)“, Pharmaceutical Executive, 1.9.2005, www.pharmexec.com/pharmexec/article/articleDetail.jsp?id=177968, abgerufen am 30.5.2019. 2 https://en.wikipedia.org/wiki/IQVIA, abgerufen am 10.2.2023. 3 Siehe www.iqvia.com, www.thehealthcareprof.com, www.imshealth.com. 4 Zur Kritik an IMS Healths Datensammeln siehe DiePresse.com, 26.8.2013: „Patientendaten: Korruptionsstaatsanwalt ermittelt“; DiePresse.com, 22.8.2013: „Was Ärzte für 432 Euro verkaufen“; Kurier.at, 22.8.2013: „Ärztekammer will Datenhandel verbieten“. 5 Nach Wikipedia.com und Wikipedia.de, Einträge „IMS Health“, abgerufen am 29.12.2016. 6 Zit. Adam Tanner: "Company that Knows What Drugs Everyone Takes Going Public", Forbes 6.1.2014, www.forbes.com/sites/adamtanner/2014/01/06/company-that-knows-what-drugs-everyone-takes-going-public, abgerufen am 29.12.2016. 7 Siehe Hans Weiss: Korrupte Medizin - Ärzte als Komplizen der Konzerne (2008), S. 27 ff. 8 R. Steinbrook: „For sale: Physicians' prescribing data“, New England Journal of Medicine 354/2006, S. 2745–2747. 9 P. C. Remus: „First-in-the-nation law pits NH against drug industry“, New Hampshire Business Review, 10.11.2006. 10 https://assets.ama-assn.org/resources/doc/dbl-public/x-pub/pdrp_brochure.pdf, abgerufen am 29.5.2019. 11 https://apps.ama-assn.org/PDRP/, abgerufen am 29.5.2019. 12 Nach R. Steinbrook, aa.a.O. 13 Der Standard, 29.8.2013: „Softwarefirma installierte bei Ärzten Schnittstelle zu Marktforscher“, abgerufen am 17.5.2019. 14 Tagesanzeiger.ch, 26.3.2012: „Krasse Verletzung des Arztgeheimnisses“. 15 www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/bundesfachkommission-digital-health-de, abgerufen am 17.5.2019. 16 Im Interview mit Health Relations, 11.10.2018: „Digitale Trends in Healthcare: Dr. Frank Wartenberg von IQVIA“, www.healthrelations.de/dr-frank-wartenberg-iqvia/, abgerufen am 17.5.2019. 17 Zit. nach Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 30. 18 zit. nach Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 28-30. 19 Zit. nach Hans Weiss: Korrupte Medizin, a.a.O., S. 130 ff. 20 John Virapen: Nebenwirkung Tod. Scheinwissenschaftlichkeit, Korruption, Bestechung, Manipulation und Schwindel in der Pharma-Welt (2012), S. 90 f. 21 Virapen: Nebenwirkung Tod, a.a.O., S. 92 f. 22 J. Edwards: „Suit vs. Forest Labs names execs linked to alleged lies about Lexapro, Celexa“, CBS News, Moneywatch 26.2.2009. 23 D. Henry/E. Doran/I. Kerridge u.a.: „Ties that bind: multiple relationships between clinical researchers and the pharmaceutical industry“, Archives of Internal Medicine 165/2005, S. 2493-2496. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch
Wie gelingt es Arzneimittelherstellern, praktizierende Ärzte einzuwickeln? Geben sie sich besonders viel Mühe mit überzeugend argumentierenden Briefen? Setzen sie auf E-Mail-Werbung, die ins Auge fällt? Verschicken sie brillant gestaltete Hochglanzbroschüren? Nichts dergleichen. Wie viele Ärzte nähmen sich schon Zeit für eine solche Lektüre, zumal wenn sie unverlangt eintrifft, von einem Absender, mit dem bisher wenig bis gar kein Kontakt besteht, schon gar kein persönlicher? Nein, die Pillenbranche kennt weitaus wirkungsvollere Werkzeuge, die strategisch ausgeklügelt ineinandergreifen. Sie unterwandert die ärztliche Aus- und Fortbildung. Sie macht sich Meinungsführer geneigt. Sie ködert Fachgesellschaften. Sie kauft Verlage und Redaktionen einschlägiger Medien. Und sie setzt auf Marketing vor Ort - auf leibhaftige Begegnungen, Auge in Auge. Dazu dirigiert sie eine Armee von Pharmareferenten. Rund 20.000 sind deutschlandweit im Außendienst unterwegs (1), vornehmlich in Arztpraxen und Kliniken, aber auch in Apotheken, bei Heimbetreibern, Krankenkassen, Verbänden. In den Vereinigten Staaten stieg ihre Zahl allein zwischen 1995 und 2005 von 38.000 auf 100.000 (2) – somit käme dort einer auf sechs Ärzte. Rechnet man nichtpraktizierende Ärzte und „Geringverschreiber“ (low prescribers) heraus, welche von Pharmagesandten ökonomischerweise links liegengelassen werden, so läge das Verhältnis sogar bei 1 zu 2,5. Das deutet auf intensivste Betreuung hin, in welcher Form auch immer. Solches Vor-Ort-Marketing verläuft offenkundig zur größten Zufriedenheit der Auftraggeber - warum sonst findet es statt, wieso wird es fürstlich entlohnt? In Deutschland verdienen Pharmavertreter als Anfänger im Schnitt 35.000 Euro, Profis 60.000 Euro, Topleute 110.000 Euro, zuzüglich Prämien und Firmenwagen. (3) In den USA lag das Durchschnittseinkommen eines „Rep“ – so heißt der sales representative, der Handelsvertreter, branchenintern – schon in den Nullerjahren bei 81.700 Dollar pro Jahr; dabei addiert sich zur Grundvergütung von 62.400 Dollar ein erfolgsabhängiger Bonus von 19.300 Dollar. Um so jemanden anzuwerben, zu trainieren, im Einsatz zu beaufsichtigen und seine Rückmeldungen auszuwerten, wenden Pharmafirmen im Schnitt weitere 89.000 Dollar auf. Somit fallen pro Rep Gesamtkosten von rund 170.000 Dollar pro Jahr an; bei specialty reps, Vertreter für „besondere Aufgaben“, sind es sogar 330.000 Dollar. (4) Bis zu 35.000 Euro – pro Arzt Und das bedeutet unterm Strich? 416.000 Ärzte praktizierten Ende 2021 in Deutschland; davon arbeitet mehr als die Hälfte im Krankenhaus, 114.000 sind niedergelassen. (Weitere 130.000 sind nicht berufstätig.) (5) Selbst wenn Reps nur einen kleineren Teil davon bearbeiten würden, sorgen ihre Bemühungen für gewaltige Ausgaben. Von US-Zahlen ausgehend, würde allein schon eine deutsche Bodentruppe von 20.000 Pharmareferenten ein Jahresbudget von drei Milliarden Euro erfordern – das wären aber bloß die Personalkosten. Hinzu kämen weitere Milliarden für vielerlei Hilfsmittel des Umgarnens, von denen gleich noch die Rede sein wird. Alles in allem wenden Pharmakonzerne für Vor-Ort-Marketing jährlich zwischen 8.000 und 35.000 Euro auf - pro niedergelassenem Arzt wohlgemerkt. (6) Egal wieviel: Die Branche kann´s verschmerzen. Für jegliches Minus beim Klinkenputzen und Schmieren kommt letztendlich eh die Gemeinschaft der Krankenversicherten auf - über erhöhte Medikamentenpreise und Kassenbeiträge. Doch es gibt kein Minus. Für jeden Euro, den Pharmafirmen ins Vor-Ort-Marketing stecken, fließen vielmehr 1,96 Euro zu ihnen zurück. (7) Aber wie könnte sich ein solches Investment jemals rentieren? Welchen Dreh haben Pharmareferenten raus, wie gelangen sie zum Ziel? Der Pharmareferent als Überzeugungskünstler Verbreitete Klischees hierüber sind lächerlich. Weder trägt ein Pharmareferent einen Koffer voll Bargeld bei sich, noch appelliert eine weibliche Industrievertreterin bei männlichen Praxisbetreibern mit kurzem Röckchen und schwülem Parfum, den slipfreien Po auf dem Schreibtisch, an niedere Instinkte. Aber worin sonst besteht ihr Erfolgsgeheimnis? Wie uns Wikipedia weismacht, bestehe die Aufgabe von Pharmareferenten darin, zu „informieren und beraten“, und zwar „fachlich, kritisch und vollständig“ – über „neueste Forschungsergebnisse, Produktentwicklung, neue Therapie- und Versorgungsansätze“. (8) Erfüllen sie diese Funktion als Wissensquelle und Mentor einfach in hervorragender Weise, weshalb Ärzte ihren Besuch außerordentlich schätzen? Fachlich recht gut mithalten können die meisten Pharmagesandten mittlerweile durchaus. Vorbei sind die Zeiten pfiffiger Quereinsteiger, die ihre Eignung schon hinlänglich unter Beweis stellten, indem sie zuvor reihenweise Luxuskarossen, überflüssige Versicherungen und windige Kapitalanlagen verkauft hatten. Der Pharmareferent von heute darf vor dem Arzt keinesfalls als blutiger Laie dastehen, im Fachgespräch soll er eine einigermaßen gute Figur machen. Das erfordert recht umfangreiche medizinische und pharmazeutische Kenntnisse. Um sie sich anzueignen, durchläuft ein Rep inzwischen eine Ausbildung mit mindestens 1000 Unterrichtsstunden, die er mit einer Prüfung bei der örtlichen Industrie- und Handelskammer abschließt; Einzelheiten regelt seit 2007 bundeseinheitlich die „Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfte/r Pharmareferent/in“ (PharmRefPrV). (9) Eine Bildungsstufe höher angesiedelt ist neuerdings der „Pharmaberater“; er benötigt hochspezialisiertes Fachwissen, wie auch juristische Kenntnisse. Immer öfter handelt es sich dabei um Naturwissenschaftler und Mediziner, auch mit Promotion. Nach dem Arzneimittelgesetz (§ 75, Abs. 1 bis 3) muss ein Pharmaberater ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Pharmazie, der Chemie, der Biologie, der Humanmedizin oder der Veterinärmedizin vorweisen können, zumindest aber eine Ausbildung zum technischen Assistenten der Pharmazie (PTA), der Chemie (CTA), der Biologie (BTA), der Human- (MTA) oder Veterinärmedizin (VTA). (10) Verschreibungsgewohnheiten ändern: allein darum geht es Aber wozu setzt ein Pharmareferent sein beachtliches Expertenwissen ein? Um „zu informieren“ und „aufzuklären“, sachlich und neutral? Seine eigentliche Aufgabe bringt ein ehemaliger Rep des Pharmariesen Lilly, Shahram Ahari, unverblümt auf den Punkt: „Ändere die Verschreibungsgewohnheiten des Arztes!“ – ausschließlich darum geht es. (11) Bringe ihn dazu, anstelle des alten billigen Präparats das teure neue zu verordnen; ein Original statt eines Generikums; ein Medikament des Herstellers XY, nicht dasjenige einer Konkurrenzfirma; bei mehr Patienten, bei mehr Krankheitsbildern als bisher, möglichst frühzeitig, möglichst häufig, möglichst lange. Auf diese Ziele hin sind die Firmenvertreter darauf aus, eine persönliche, möglichst enge und langfristige Beziehung zum Arzt aufzubauen, seine Verschreibungsgewohnheiten, persönlichen Einstellungen, Ansichten und Vorlieben auszukundschaften, ihm ein bequemes Zusatzsalär für Gegenleistungen zu verschaffen, ihm umsatzförderliche „wissenschaftliche Evidenzen“ näherzubringen, ihm Bedenken wegen Nebenwirkungen auszureden, Konkurrenzprodukte und chemiefreie Alternativen madig zu machen. Ihm soll bewusst werden, wie „altmodisch“ seine Verordnungen sind, solange er ein bewährtes Medikament der wie immer bahnbrechenden Neuheit vorzieht, statt teuren Originalen lieber billigere Generika rezipiert. „Eine typische Gefahr der Vertretergespräche“ sieht das Arznei-Telegramm, ein Infodienst für Ärzte und Apotheker, in der „Strategie der Desinformation. Die bisherige Therapie des Arztes wird als veraltet dargestellt und der Arzt durch den Verweis auf den ‘Experten’ XYZ in seinen therapeutischen Entscheidungen verunsichert, um eine Bresche für die Verbreitung eines neuen Präparats, meist einer Scheininnovation, zu schlagen.“ (12) Je mehr Verschreibungen der Pharmareferent letztlich anstößt, desto üppiger fällt seine Provision aus (13) - ein mächtiges Motiv, beharrlich subtilen Dauerdruck auszuüben, an medizinischen Fakten und Notwendigkeiten vorbei. Verlogene Freundschaft Und wie kriegt man das hin? „Warum”, rätselt das Arznei-Telegramm, “erlauben 80 bis 95 Prozent der (besuchten) Ärzte - trotz Arbeitsbelastung und Kostendruck -, dass Pharmareferenten ihnen ihre Zeit mit fachlich und inhaltlich fragwürdiger Produktpromotion stehlen?“ (14) Dazu setzt der Pharmareferent eine breite Palette bewährter Maßnahmen ein. Welche er bevorzugt, in welcher Dosierung und Kombination, hängt davon ab, mit welchem Typ von Arzt er zu tun bekommt und wie sich die Beziehung zu ihm entwickelt. Bei jedem Praxisbesuch lautet das A und O: „Schließe Freundschaft!“ Oberstes Ziel ist es, das Vertrauen des Arztes zu gewinnen. Gelingt das, hat man auch schon seine Patienten in der Tasche. Denn „deren Vertrauen in den Arzt als Menschen erstreckt sich automatisch auch auf das Vertrauen in die Medikamente, die er ihnen verschreibt. Auf eben diesen Vertrauenstransfer zielen die Bemühungen der Pharmaindustrie“, erläutert ein ehemaliger Manager mehrerer Branchenriesen. (15) Zu diesem Zweck wird der besuchte Arzt regelrecht überschüttet mit Nettigkeiten, Aufmerksamkeit, Zeichen aufrichtigen Interesses an der ganzen Person hinter dem Weißkittel. „All meinem Tun gebe ich den Anschein von Freundschaft“, so plaudert ein ehemaliger Lilly-Rep aus dem Nähkästchen. „Wenn ich dem Arzt ein Präsent überreiche, dann nicht, weil das mein Job ist, sondern weil ich ihn ganz arg mag. Ich bringe ihm ein Bürolunch mit, weil für mich ein Termin bei ihm eine angenehme Abwechslung zu dem darstellt, was ich bei anderen Docs erlebe. (…) Während meiner Ausbildung ist mir eingetrichtert worden: Beim gemeinsamen Dinner isst der Arzt mit einem Freund. Du isst mit einem Kunden.“ (16) Auch bei Arzthelferinnen und Sekretärinnen, wichtigen Türöffnern zu ihrem Chef, pflegen tadellose Manieren, beste Laune und antrainierter Charme der stets gutgekleideten, überaus wortgewandten Pharmagesandten in der Regel recht gut anzukommen. Der Pfizer-Vertreter Jamie Randall im US-Spielfilm „Love and other Drugs“ (2010), ein unwerfender Womanizer, repräsentiert den Berufsstand insofern durchaus würdig. Nichts lässt ein guter Freund unbeachtet, an allem und jeglichem nimmt er Anteil. „Wir werden darauf trainiert“, so enthüllt der Ex-Pharmareferent, „die Persönlichkeit des Arztes einzuschätzen, die Art seiner Praxisführung und seine Vorlieben – und diese Informationen an das Unternehmen weiterzumelden. Dabei kann Persönliches bedeutsamer sein als Verschreibungspräferenzen. Reps erkundigen sich nach Details aus dem Familienleben des Arztes und behalten sie in Erinnerung. Sie fragen nach seinen beruflichen Interessen und seiner Freizeitgestaltung. Ihr geschulter Blick sucht das Büro nach Gegenständen ab, die dazu dienen können, eine persönliche Verbindung zum Doc aufzubauen – ein Tennisschläger beispielsweise, russische Novellen, eine CD mit Rockmusik der Siebziger, ein Modemagazin, Urlaubserinnerungen, kulturelle oder religiöse Symbole. Ein Foto auf dem Schreibtisch eröffnet eine Gelegenheit, etwas über Angehörige herauszufinden, einschließlich ihrer Namen, Geburtstage und Eigenheiten. All dies pflegt der Rep gleich nach der Begegnung in eine Datenbank einzugeben.“ (17) Im Rahmen eines solch freundschaftlichen Verhältnisses genügt es in der Regel, Medikamente bloß beiläufig zu erwähnen. „Ärzte sind für Firmeneinflüsse empfänglich, weil sie überarbeitet sind, überfordert von der Informationsflut und Papierkram, und weil sie sich nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen. Indem zuvorkommende Reps gute Laune, Sympathie und Geschenke mitbringen, verschaffen sie dem Arzt eine Verschnaufpause. Sie würdigen, was für ein hartes Dasein er fristet, und scheinen bloß darauf aus, seine Last zu erleichtern. Jedoch ist jedes Wort, jede Gefälligkeit, jede Gabe sorgfältig geplant – nicht um Ärzten und Patienten weiterzuhelfen, sondern allein um den Marktanteil gewisser Medikamente zu erhöhen.“ Rückblickend kann der reumütige Rep Ärzten nur dringend raten, sich „Freunde ausschließlich unter Leuten zu suchen, die nicht dafür bezahlt werden, Freunde zu sein“. (18) Wahrhaftigkeit: kaum zweckmäßig Überhaupt ist Wahrhaftigkeit beim Vor-Ort-Marketing nicht unbedingt zielführend. In dem Werbematerial, das der Pharmareferent überreicht – von der Produktbroschüre bis zum Sonderdruck eines Testberichts -, sind 90 Prozent aller Aussagen medizinisch irrelevant, nicht belegt, einseitig oder falsch, wie eine Untersuchung des Kölner Instituts für evidenzbasierte Medizin (DIeM) ergab. Nur acht Prozent aller medizinisch-pharmakologischen Angaben werden belegt und stimmen mit der genannten Quelle überein. (19) Trotzdem bezeichnen mehr als 80 Prozent der Besuchten den Pharmaberater bzw. –referenten als „wichtigste Informationsquelle ihrer therapeutischen Tätigkeit und Verordnungen“. (20) Als hilfreich erweisen sich Geschenke aller Art. Im Koffer führen Pharmaberater allerlei feine Präsente mit: von edlen Kugelschreibern und Taschenrechnern über Arzneimittelmuster, Prospekte und Nachdrucke vielversprechender Forschungsberichte bis hin zu Einladungen zu pharmafinanzierten Veranstaltungen mit exquisitem Freizeitprogramm. Gegenleistungsabhän- gig wird schon mal hochwertige Elektronik spendiert, wie ein niedergelassener Arzt vom Besuch einer Pharmareferentin der Firma Aventis Pasteur MSD berichtet: „Um den Umsatz eines neuen Pneumokokken-Impfstoffs anzukurbeln, eröffnete sie mir die Möglichkeit, bei Abnahme einer größeren Menge würde ich ein Handy gratis erhalten.“ (21) Auch mit kostenlosen Installations-CDs für hochwertige Praxissoftware können die Besucher aufwarten: Kaum hat der Arzt die Symptome eines Patienten eingegeben, schon blinkt auf dem Monitor das „passende“ Medikament derjenigen Firma auf, von der das Softwaregeschenk stammt. Bis zum ausgedruckten Rezept übernimmt das Programm sämtliche Arbeitsschritte. (22) Zu den beliebtesten Geschenken, die Praxistüren besonders zuverlässig öffnen, zählen „Muster“: Arzneimittel, die in geringen Mengen abgegeben werden. Dabei handelt es sich stets um neue, besonders teure Präparate. Ein kleiner Vorrat davon soll den Arzt in Versuchung bringen, auf die „Innovation“ umzusteigen, und daran gewöhnen, sie zu verschreiben. Und oftmals geht er gerne darauf ein. Griffbereite Muster eignen sich dazu, eine Therapie unverzüglich zu beginnen. Auch Patienten erfreut ein solches Präsent. Studien zufolge wechseln die meisten von ihnen zum neuen Präparat, falls sie zunächst Muster davon erhalten haben. (23) “Wir konzentrieren uns auf die Top-Verschreiber” Bekommen denn alle niedergelassenen Ärzte derartigen Besuch? So vielen Doctores unentwegt auf die Pelle zu rücken, sei rausgeschmissenes Geld, erklärt ein Verkaufsmanager von Bayer. Letztlich „konzentrieren wir uns auf die 25 Prozent, die wir beeinflussen können“ – die Top-Verschreiber. Mit denen „machen wir unser Geld. Alle anderen lassen wir links liegen.“ (24) (Harald Wiesendanger) Anmerkungen Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln, Kap. 6: „Dressierte Halbgötter“ und Kap. 7 „Nimmersatte Mietmäuler“. 1 Nach Audimax: „Pharmaberater: Ein Beruf mit Zukunft“, www.audimax.de/ingenieur/branchen/medizin-pharma-chemie/pharmaberater-ein-beruf-mit-zukunft/, abgerufen am 29.5.2019. 2 M. Goldberg u.a.: „PE's annual sales and marketing employment survey: The big squeeze“, Pharmaceutical Executive 24/2004, S. 40–45 3 Nach https://hitec-consult.de/de/firmenhistorie-hitec, abgerufen am 29.5.2019. 4 „Hard sell: As expanding the sales force becomes a less attractive option, pharmaceutical companies are reevaluating their sales strategies“, Med Ad News 23/2004, S. 1. 5 „Nachgezählt“, Der Spiegel Nr. 21, 21. Mai 2022, S. 19; nach Angaben der Bundesärztekammer, www.bundesaerztekammer.de/baek/ueber-uns/aerztestatistik/aerztestatistik-2021 6 www.kvpm.de/fakten/fakten zur psychiatrie, abgerufen am 22.10.2016; John Virapen: Nebenwirkung Tod, 7. Aufl. 2015, S. 49; Magnus Heier: „Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 48, 3.12.2006, www.faz.net/aktuell/wissen/medizin- ernaehrung/finanzierung-von-selbsthilfegruppen-wer-soll-das-bezahlen-wer-hat-so-viel-geld-1381620.html? printPagedArticle=true#pageIndex_2, abgerufen am 25.11.2016. 7 „Can I buy you a dinner? Pharmaceutical companies increasingly use doctors´ talks as sales pitches“, August 2004; www.worstpills.org. 8 Siehe die Wikipedia-Einträge „Pharmareferent“ und „Pharmaberater“; jeweils abgerufen am 22.5.2019. 9 Siehe www.bmbf.de/upload_filestore/upload/fvo_pdf/17_11_30_Pharmareferent.pdf, abgerufen am 29.5.2019. 10 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) – Vierzehnter Abschnitt – Informationsbeauftragter, Pharmaberater – § 75 und § 76, siehe www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/BJNR024480976.html#BJNR024480976BJNG001406310. 11 Adriane Fugh-Berman/Shahram Ahari: „Following the Script: How Drug Reps Make Friends and Influence Doctors“, PLoS Medicine 4 (4) 2007, S. 623, https://doi.org/10.1371/journal.pmed.0040150 12 Arznei-Telegramm 34/2003, S. 89-90: „Brauchen wir Pharmareferenten?“ 13 Nach Angaben der früheren Pharmareferentin Kathleen Slattery-Moschkau, zit. nach Jeanne Lenzer: „What Can We Learn from Medical Whistleblowers?“, PLoS Medicine 2 (7) 2005. 14 Arznei-Telegramm 34/2003, S. 89-90: „Brauchen wir Pharmareferenten?“ 15 Virapen: Nebenwirkung Tod, a.a.O., S. 58. 16 Fugh-Berman/Ahari, a.a.O., S. 621, 622. 17 Fugh-Berman/Ahari, a.a.O., S. 621. 18 Fugh-Berman/Ahari, a.a.O., S. 625. 19 T. Kaiser u.a.: „Sind die Aussagen medizinischer Werbeprospekte korrekt?“, arznei telegramm 35 (2) 2004, Sonderbeilage S. 21-23. 20 Nach Wikipedia: „Pharmareferent“, abgerufen am 29.5.2019. 21 Arznei-Telegramm 32/2001, S. 54: „Immer wieder Bestechungsversuche“ 22 Virapen: Nebenwirkung Tod, a.a.O., S. 50-52. 23 L. D. Chew u.a.: „A physician survey of the effect of drug sample availability on physicians' behavior“, Journal of General Internal Medicine 15/2000, S. 478–483; K. E. M. Groves u.a.: „Prescription drug samples—Does this marketing strategy counteract policies for quality use of medicines?“, Journal of Clinical Pharmacy and Therapeutics 28/2003, S. 259–271; R. F. Adair u.a.: „Do drug samples influence resident prescribing behavior? A randomized controlled trial“, American Journal of Medicine 118/2005, S. 881–884. 24 zit. nach Hans Weiss: Korrupte Medizin (2008), S. 34. Dieser Text ist Teil einer Artikelserie mit folgenden weiteren Beiträgen: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben
- Dressierte Halbgötter - Wie Ärzte zu Drogendealern werden
Soweit der Arzt entscheidet, welche Medikamente ein Patient bekommt, sind Pharmahersteller auf seine Kooperation angewiesen. Wie lassen sich Verschreibungsgewohnheiten industriefreundlich ändern? Die Rezeptpflicht haben bekanntlich ultralinke Saboteure freier Marktwirtschaft ausgeheckt. Sie bezweckt, dem mündigen Bürger von oben herab gewisse Waren vorzuenthalten, es sei denn, er liefert sich der Willkür eines Weißkittels aus, der ihm nach eigenem Gutdünken einen Berechtigungsschein ausstellen, aber auch verweigern kann. Diese autoritäre Verschreibungspraxis hemmt den Absatz von Produktneuheiten auf vielerlei Weise, die für Hersteller und ihre Aktionäre überaus ärgerlich sind. Allzu vielen Ärzten kommen die grundsätzlich bahnbrechenden, stets evidenzbasierten Innovationen auf dem Arzneimittelmarkt nicht umgehend zu Ohren. Oder sie ziehen ihnen, grundlos risikoscheu, schon eingeführte, meist preiswertere Medikamente vor, mit weitgehend bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen. Oder, schlimmer noch: Sie verordnen zu wenig, zu spät oder erst mal gar nix, plädieren fürs Abwarten, raten zu bewährten Hausmitteln, womöglich im Irrglauben, Pharmaprodukte seien manchmal höchstens die zweitbeste Lösung. Solche auf den Rezeptblock bezogene Schreibblockaden zu beseitigen, ist kein Kinderspiel. Schließlich zählen Ärzte zu den hellsten Köpfen im Land – hochgebildet, geistreich, kritisch. Durchschaut so jemand nicht mühelos jedes Manöver, ihn für schnöde Geschäftszwecke einzuspannen? Im übrigen verdienen Ärzte bekanntlich prächtig, so dass sie es gar nicht nötig haben, sich bestechen zu lassen, nicht wahr? Außerdem lässt ihnen der übliche Arbeitsalltag, in dem Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tage die Regel sind, ja überhaupt keine Zeit, in Situationen zu geraten, in denen sie Zielscheibe von Korruptionsversuchen werden könnten. Hinzu kommt, dass strenges Standesrecht Vorteilsnahme ausschließt; sie würde unerbittlich sanktioniert, kein Arzt riskiert das. Wer sich mit diesen Beruhigungspillen zufriedengibt, benötigt schleunigst Nachhilfeunterricht in Pharma-Marketing. Diese Artikelserie bemüht sich darum: 1) Dressierte Halbgötter – Wie Ärzte zu Drogendealern werden 2) Besuch vom Rep - Verlogene Freundschaft nach Drehbuch 3) Der gläserne Doc 4) Off label - Grenzüberschreitungen als Routine 5) Gekaufter Beobachter – Wenn der Arzt zum „Forscher“ wird 6) Wie geschmiert – Wenn Ärzte „Kick-back“ spielen 7) „Wie du mir, so ich dir“ - Reziprozität als Erfolgsgeheimnis 8) Weichgespült - Aus- und Fortbildung als Gehirnwäsche 9) Nimmersatte Mietmäuler – Die unheimliche Macht gekaufter Meinungsführer 10) Unter Gorillas – Das Sagen haben Silberrücken 11) Zur Goldenen Nase – Warum „Key Opinion Leaders“ ausgesorgt haben Anmerkung Näheres in Harald Wiesendanger: Das GesundheitsUNwesen – Wie wir es durchschauen, überleben und verwandeln, Kap. 6: „Dressierte Halbgötter“ und Kap. 7 „Nimmersatte Mietmäuler“. (Harald Wiesendanger)