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  • Dr. Harald Wiesendanger

Zu früh verabschiedet

Aktualisiert: 18. Mai 2021

Wie sähe Infektionsschutz in Deutschland aus, wenn dieser Mann seinen Arbeitsplatz behalten hätte? Professor Detlev Krüger, von 1989 bis 2016 Direktor des Institutes für Virologie an der Charité in Berlin, bewertete die Corona-Krise von Anfang an erheblich unaufgeregter als sein Amtsnachfolger, der chronische Alarmist Christian Drosten.


Vergesst die Inzidenz, nur echte Covid-Fälle zählen: So deutlich Stellung bezog der heute 71-jährige Detlev Krüger am 13. April 2021, kurz nachdem das Bundeskabinett die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes abgenickt hatte. „Wir raten dringend davon ab, bei der geplanten gesetzlichen Normierung die ›7-Tages-Inzidenz‹ als alleinige Bemessungsgrundlage für antipandemische Schutzmaßnahmen zu definieren“, heißt es in einem Brief () an die Fraktionschefs von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken, den Krüger gemeinsam mit dem Epidemiologen Klaus Stöhr verfasste, der 15 Jahre lang für die Weltgesundheitsorganisation tätig war.


Die RKI-Inzidenz, bei der »unabhängig von einer Erkrankung mittels Diagnostiktest eine Infektion mit SARS-Coronavirus-2 gefunden« wird, führe in die Irre. Er gebe »zunehmend weniger die Krankheitslast« in der Bevölkerung wieder. Darüber hinaus unterliege der Wert »schwankenden Erfassungswahrscheinlichkeiten, die völlig unabhängig vom eigentlichen Infektionsgeschehen sind«. Infektionen mit geringer Viruslast führen regelmäßig nicht zu einer Erkrankung und bringen auch keine Ansteckungsgefahr mit sich. Je mehr symptomlose Bürger getestet werden, desto mehr falsch-positive Tests fließen in den Inzidenzwert ein. Im Extremfall könnte es pro 100.000 Einwohnern 100.000 „Fälle“ geben, die allesamt putzmunter sind und sich beschwerdefrei bester Gesundheit erfreuen.


Folglich taugt die „Inzidenz“ zwar vorzüglich dazu, Panikmache fortzusetzen, den Anschein einer Pandemie beliebig lange aufrechtzuerhalten. Als Gradmesser einer echten Gefahrenlage hingegen ist sie unbrauchbar.


Seuchenschutz gesetzlich an die „Inzidenz“ zu koppeln, könne „zur Folge haben, dass selbst dann massive Einschränkungen der Freiheitsrechte mit gravierenden Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und die körperliche und seelische Gesundheit erfolgen müssten, wenn längst weniger krankenhauspflichtige Erkrankungen als während einer durchschnittlichen Grippewelle resultierten.“ Das neugefasste Infektionsschutzgesetz „verschärft den Mangel an Sachbezug und die Gefahr einer Verletzung der Verhältnismäßigkeit“.


Hat das Berliner Panikorchester solch mahnende Töne jemals von Drosten gehört?


Bewertungsgrundlage dafür, Schutzmaßnahmen auszuwählen, sollte Krüger zufolge “vielmehr die Häufigkeit der Erkrankungen und ihrer jeweiligen Schwere“ sein, „also insgesamt die Krankheitslast. Die Krankheitslast berücksichtigt unter anderem Hospitalisierungen, krankheitsbedingten Arbeitsausfall, Behinderung und verlorene Lebensjahre.“


Wie grundlegend anders hätte Seuchenschutz in Merkelland aussehen können, wenn der virologische Chefeinflüsterer „Krüger“ geheißen hätte? Wenn er Stammgast in Talkshows wäre, laufend bei Pressekonferenzen neben Regierungsvertretern säße, an Sitzungen von Krisenstäben teilnähme? Wie viel Inkompetenz hätte er den Herren Spahn und Lauterbach, Söder und Wieler durchgehen lassen?


Mutanten? „Nichts Sensationelles, sondern ganz normal"


Auch die Panikmache mit Mutanten kritisierte Krüger deutlich. Dass sich ein Virus verändert, ist "nichts Sensationelles, sondern ganz normal", so erklärte er im Februar 2021. Die britische Variante sei beispielsweise nicht tödlicher als andere Corona-Formen, außerdem würden die derzeitigen Impfstoffe gegen die Mutante wirken. Statt „in der Bevölkerung Angst zu erzeugen“, könne man in einer aufgeklärten Gesellschaft Menschen „auch durch sachliche Informationen zu ordentlichem Verhalten bewegen. Man sollte Respekt vor diesem Virus haben, aber Angst ist völlig fehl am Platz.“ (1)


Kollateralschäden ausgeblendet


Die fatalen Nebenwirkungen der beschlossenen Maßnahmen sieht Krüger nicht hinreichend berücksichtigt: „Wenn Tumorpatienten nicht mehr operiert werden können – in der ersten Welle war das nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft bei 50.000 der Fall – wenn die Suizidrate steigt und wenn Kinder vernachlässigt werden, dann führt das zu ernst zu nehmenden Problemen." Nach dem ersten Lockdown hätten verantwortliche Poitiker abwägen sollen, "welchen Schaden und welchen Nutzen die einzelnen Anti-Corona-Maßnahmen bewirkt haben". Freiheitsrechte einzuschränken, Wohlstand zu verringern und Arbeitslosigkeit zu erzeugen, wirke sich letztlich negativ auf die Gesundheit der Menschen aus.


Bereits im April 2020 ignoriert


Was Professor Krüger einer Angela Merkel, einem Jens Spahn geraten hätte, ließen bereits zwei kaum beachtete Interviews erahnen, die er im Frühjahr 2020 gab.

Schon damals kritisierte er Ausgangssperren deutlich: „Man darf Menschen nicht einsperren, wenn man Infektionsschutz betreiben will. Wenn man die Leute einsperrt, ist das für ihre körperliche und psychische Konstitution katastrophal. Und beides wirkt ja in der Infektionsabwehr zusammen.“


Darf man Corona- und Grippewellen nicht vergleichen? „In vieler Hinsicht“, stellte Drostens Vorgänger im April 2020 klar, „kann man das durchaus vergleichen, sowohl bei der Übertragungsweise der Viren als auch bei den Risikogruppen, wobei bei der Grippe noch Schwangere und Kinder hinzukommen.“


Schutzhaft für Senioren „unberechtigt“


Mussten unsere Alten zu ihrem eigenen Schutz weggesperrt werden? Dass sich Deutschlands Heime per Lockdown in Haftanstalten verwandelten, kritisiert Prof. Krüger mit deutlichen Worten: „Es gibt keinerlei rechtliche oder moralische Berechtigung, die Rechte der älteren Mitbürger gezielt zu beschneiden. Ich meine, auch hier sollte man eine Abwägung treffen zwischen den möglichen Schäden durch die Infektion und den möglichen Schäden durch die Maßnahmen, die gerade laufen.“ Momentan „gehen alte Leute nicht mehr zum Arzt, weil in der Klinik alles auf Corona eingestellt ist oder eben, weil sie Angst haben, sich zu infizieren. Ein Problem ist auch, wenn die Alten durch die Isolation vereinsamen und depressiv und suizidal werden. Und selbst der Fakt, dass die vielen Altenpfleger aus Osteuropa jetzt nicht einreisen dürfen, ist ein Problem. Dies alles könnte zu massiven Kollateralschäden führen gerade bei dieser Gruppe, die eigentlich geschützt werden soll. Übrigens, Sie kennen das Durchschnittsalter der Corona-Toten in Deutschland? Das ist um die 80. Und die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland liegt ebenfalls um die 80. Das finde ich einen durchaus interessanten Aspekt, der doch viele Maßnahmen relativiert.“ Aber bringen Kontakte mit Kindern und Enkeln unsere Senioren nicht in Gefahr? „Wenn die Großeltern bereit sind, die normalen Hygieneregeln einzuhalten und dieses Restrisiko zu tragen, sehe ich nicht, warum man die Großeltern zu deren vermeintlichem Schutz aus der Familie ausschließen sollte.“


Maskenpflicht? „Aktionismus“.


Ebensowenig hält Prof. Krüger von aufgezwungener Gesichtsmaskerade. „Das jetzt plötzlich von der Politik entdeckte Tragen von „Mund-Nasen-Schutz“ halte ich für Aktionismus. Es sollte klar sein, dass man sich damit nicht schützen kann, weil man weiter die Umgebungsluft ungefiltert atmet. Es gibt hierbei lediglich einen gewissen Effekt, wenn man selbst infiziert und damit Virusausscheider ist. Der ‚Mund-Nasen-Schutz‘ gaukelt eine Sicherheit vor, die nicht existiert; er ist eher eine ‚Keimschleuder‘ für verschiedenste Krankheitserreger, wenn er unsauber wird.“


Im übrigen, so gibt Prof. Krüger zu bedenken, „leben wir doch schon unser ganzes Leben mit respiratorischen Infektionen. Wir wissen doch alle, wie man sich davor schützt: nicht anniesen und anhusten, nicht dieselbe Luft mit Infizierten in einem schlecht belüfteten Raum teilen, Händewaschen - also all die grundlegenden Hygieneregeln, die eigentlich schon in Fleisch und Blut übergegangen sein sollten.“


Weitere Wellen? „Wir werden damit leben können“


Befürchtet auch Drostens Vorgänger weitere „Wellen“? „Dass wir auch in Zukunft mit dem neuen Coronavirus leben müssten, wird von Politik und Medien meist wie eine Drohung kolportiert. Aber alle Viren beschäftigen uns ein Leben lang. Vieles wird jetzt plötzlich so dargestellt, als ob das alles Neuland wäre. Natürlich wird das Virus wahrscheinlich nicht mehr aus unserer Umwelt verschwinden. Aber es gibt viele andere gefährliche und sogar noch gefährlichere Viren, mit denen wir auch zu leben gelernt haben oder die wir erfolgreich bekämpfen können.“


Über seinen Amtsnachfolger will Krüger nichts Schlechtes sagen. Das ehrt ihn. Ohne Drosten beim Namen zu nennen, kann er sich allerdings eine Bemerkung nicht verkneifen, die durchaus als Seitenhieb aufzufassen ist: Einige Virologen würden nur selten „über den Tellerrand schauen“. Grundsätzlich bemängelt Krüger deren Schlüsselrolle in der Corona-Krise. „Hier spielen gesamtgesellschaftlich so viele sich überschneidende Faktoren eine Rolle, dass man natürlich Entscheidungen auf einer viel breiteren Basis aus den verschiedensten Bereichen von Wissenschaft und Gesamtgesellschaft treffen muss, als nur aufgrund des Rats einzelner Virologen. So würde ich - um allein bei der Medizin zu bleiben - hier auch mehr Infektions- und Intensivmediziner an Bord holen. Und wir haben gerade gelernt, dass auch Rechtsmediziner und Pathologen äußerst wichtige Einsichten vermitteln könnten.“


Detlev Krüger, Jahrgang 1950, studierte in Ost-Berlin Medizin. 1981 habilitierte er sich im Gebiet der Virologie und Molekulargenetik. 1982 erhielt er den Rudolf-Virchow-Preis und 1984 die Carl-Correns-Medaille, zwei der bedeutendsten Auszeichnungen auf seinem Fachgebiet.


Harald Wiesendanger


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