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Dr. Harald Wiesendanger

Neurologe belegt: Alzheimer ist heilbar

Aktualisiert: 21. März 2022

Ein amerikanischer Neurologe hat eine Therapie gegen Morbus Alzheimer entwickelt: Sie bringt den geistigen Verfall zum Stillstand, macht ihn sogar rückgängig. Erst bei weit fortgeschrittener Krankheit versagt dieser Ansatz. Hunderte Betroffene hat er bereits gerettet. Big Pharma graut vor ihm, Wikipedia verschweigt ihn.


Statt es weiterhin Pharmakonzernen zu überlassen, den Albtraum Alzheimer zu bannen, sollten wir den Tierschutz erweitern: Er muss auf ungefiederte Zweibeiner ausgedehnt werden. Denn wie bei allen Zivilisationskrankheiten, so bedarf es vor allem einer artgerechten Menschenhaltung, um der gefürchteten Neurodegeneration endlich beizukommen. Dazu hat ein US-Neurologe ein spektakulär erfolgreiches Behandlungskonzept entwickelt. Nicht nur Hunderte von Einzelfällen, auch klinische Studien bestätigen es inzwischen. Exemplarisch führt es vor Augen, wie dringend die Welt einer neuen Gesundheitskultur bedarf, die sie aus dem Klammergriff von Geschäftsinteressen befreit.


Nein, man kann Wikipedia wahrlich nicht vorwerfen, es habe etwas gegen Bredesens. Es würdigt einen Skispringer, einen Fußballer, einen Nordischen Kombinierer, einen Pastor, einen Geschäftsmann mit diesem Familiennamen. Ausgerechnet einer jedoch fehlt: der US-amerikanische Neurologe Dale E. Bredesen. Ihm verdankt die Welt einen spektakulären, durchaus nobelpreiswürdigen Durchbruch bei der Behandlung des wohl gefürchtetsten Leidens: von Morbus Alzheimer, der schleichenden Neurodegeneration, die als unheilbar gilt. Die sonderbare Lücke im virtuellen „Weltgedächtnis“ lässt auf zweierlei schließen: Der Verschwiegene stört gewaltig die Geschäftsinteressen derer, die bei der Redaktion der Online-Enzyklopädie im Hintergrund die Fäden ziehen; und es lässt sich ihm nichts Rufschädigendes anhängen.


Umgekehrt schadet dieser Bredesen dem Ruf der pharmalastigen Schulmedizin ungemein. Denn deren Grenzen treten bei kaum einer Krankheit offenkundiger zutage. 116 Jahre ist es inzwischen her, dass Alois Alzheimer (1864-1915), ein deutscher Psychiater und Neuropathologe, die nach ihm benannte Demenzerkrankung erstmals beschrieb. Schon er fand in den Gehirnen von Betroffenen, neben großflächig abgestorbenen Nervenzellen, ausgedehnte Ablagerungen, Plaques, von klebrigen Eiweißknäueln, vorwiegend aus Beta-Amyloiden. Seither herrscht in der Alzheimerforschung die Amyloid-Hypothese vor: Geradezu dogmatisch klammert sie sich an die Vermutung, diese Plaques seien es, die den schrecklichen geistigen Verfall verursachen. Folglich gelte es eine patentierbare pharmazeutische Maßnahme zu finden, welche diese Plaques auflöst oder an irgendeinem Punkt ihrer kausalen Vorgeschichte so dazwischenfunkt, dass sie erst gar nicht entstehen.


Ein Armutszeugnis ohnegleichen


Multimilliarden Forschungsgelder sind in diesen Ansatz geflossen, über 50.000 Fachartikel widmeten sich ihm. Wie viele Heilmittel hat er bisher hervorgebracht? Null. Ein Armutszeugnis ohnegleichen. Zwar kennt man eine Reihe von Substanzen, die im Reagenzglas, im Tierversuch ermutigende Ergebnisse liefern. Doch sobald sie am Menschen erprobt werden, enttäuschen sie. Bis Mitte 2021 scheiterten über 400 klinische Studien. 99,6 % aller Kandidaten erwiesen sich als Fehlschläge. „Die derzeit zugelassenen Medikamente“, so fasst die amerikanische Alzheimer-Gesellschaft zusammen, „können den Verlauf der Krankheit nicht aufhalten oder verlangsamen.“ Die wenigen vorhandenen Mittel könnten allenfalls „helfen, Symptome zu lindern, zum Beispiel Gedächtnisverlust und Verwirrung“, aber nur „für begrenzte Zeit“, zumeist begleitet von heftigen Nebenwirkungen. Weiterhin schreitet Alzheimer bei Millionen Betroffenen unerbittlich fort – und tötet jeden, statistisch zwischen 1,5 und 8,5 Jahre, nachdem erste Beeinträchtigungen aufgetreten sind.


„Irgendetwas muss hier total falsch laufen“, dachte sich Bredesen. „Es ist, als würden unsere Weltraumraketen ausnahmslos jedes Mal auf der Startrampe explodieren.“ (1)


Nicht eine Krankheit, sondern drei – mit 36 beteiligten Faktoren


Dem Rätsel Alzheimer auf den Grund zu gehen, hat Bredesen, Professor für molekulare und medizinische Pharmakologie an der University of California, mittlerweile über drei Jahrzehnte seiner akademischen Laufbahn gewidmet. Seit 1989 forscht der Mediziner daran: zunächst mit sterbenden Gehirnzellen im Reagenzglas, wie auch mit gentechnisch manipulierten Versuchstieren, die alzheimerähnliche Symptome entwickeln. Er analysierte verwirrte Fruchtfliegen mit „Alzflymer“ und vergessliche transgene Mäuse mit „Mouzheimer“.


Nach einem Jahrzehnt Grundlagenforschung begriff Bredesen, wie sehr bis dahin missverstanden worden war, was Alzheimer ist. Er entdeckte, wie diese tückische Krankheit entsteht. Er durchschaute, warum alle bisherigen Bemühungen, ihr beizukommen, so kläglich scheiterten. Und ihm wurde klar, wie sie zu vermeiden, zu stoppen, zu besiegen ist.


Unser Gedächtnis, wie alles, was unseren Geist ausmacht, beruht auf einem gigantischen Netzwerk unter unserer Schädeldecke. Über 100 Milliarden Nervenzellen, Neuronen, bilden es. Jede einzelne ist über fast 10.000 Synapsen mit anderen verbunden. Das ergibt ein Geflecht von insgesamt knapp 1.000.000.000.000.000 Verbindungen – eine Billiarde.


Jedes Neuron muss irgendwie registrieren und verarbeiten, was in seiner Umgebung los ist. Dazu besitzt es Tausende von Rezeptoren: Eiweißmoleküle, die es tief in seinem Inneren bildet und dann an die Oberfläche schafft. Die meisten Rezeptoren sind auf einen bestimmten Job spezialisiert: Manche spüren Sexualhormone auf, andere Vitamin D, wieder andere den Glücksbotenstoff Dopamin. Daraufhin weisen sie die Zelle an, angemessen zu reagieren. Dazu lösen sie vielerlei biochemische Reaktionen aus. Jeder Rezeptor tut das täglich viele Milliarden Male.


Ein Rezeptor namens p75NTR erregte die besondere Aufmerksamkeit von Bredesens Team. Es stieß auf ihn im basalen Vorderhirn, einer Gehirnregion, die von Alzheimer besonders betroffen ist. Seine Funktion ist es, Neurotrophine an sich zu binden: „Nervennährstoffe“, nach der griechischen Wortbedeutung. Kommt eine solche Bindung zustande – was Neurotrophin zum „Liganden“ des Rezeptors macht, wie Biochemiker sagen -, signalisiert sie der Zelle, bestehende Verbindungen zu erhalten, zu stärken und neue zu knüpfen. Fehlt dieser Ligand jedoch, so startet ein regelrechtes Selbstmordprogramm: Die Synapsen lösen sich auf, die Zelle stirbt.


Gibt es ein Molekül, das verhindern kann, dass Neurotrophine an ihre Rezeptoren binden – indem es ihren Platz einnimmt?


Eben dies gelingt Amyloid-beta.


Normalerweise ist dieser Sabotageakt nicht etwa schlimm, sondern sinnvoll und wünschenswert. Zellen müssen absterben, um neuen Platz zu machen – etwa wenn sie beschädigt und deshalb unfähig sind, ihre Aufgaben zu erfüllen - , und dieser Umbau im laufenden Betrieb findet unentwegt in uns statt. Bis Sie diesen einen Satz zu Ende gelesen haben, werden mehr als fünf Millionen Ihrer weißen Blutkörperchen Selbstmord begangen haben – und durch ebensoviele neue ersetzt worden sein. Ohne massenhaften zellulären Suizid, so gibt Bredesen zu bedenken, „hätten wir Schwimmhäute zwischen den Fingern (weil sie nicht abgebaut würden), ein Gehirn, das aus dem Schädel hinauswächst (weil bösartige Zellen überleben, anstatt Suizid zu begehen) und viele andere Probleme.“ (2) Insofern ist Amyloid-beta an sich kein Bösewicht, sondern dient normalerweise einem gesunden Zweck.


Alzheimer entsteht folglich nicht, weil ein krankhafter biologischer Prozess abläuft – sondern weil ein lebensnotwendiger, eine Schutzreaktion, aus dem Ruder läuft. Der Abwehrmechanismus setzt ein, wenn Bedrohungen zu zahlreich, zu heftig, zu hartnäckig, chronisch werden: seien es anhaltende Entzündungen, Vergiftungen oder Nährstoffmängel.


Dann „greift das Gehirn ebenfalls zu chronischen, zahlreichen, hartnäckigen und heftigen Verteidigungsstrategien – in einem so hohen Maße, dass eine Grenze überschritten wird und die Abwehr dem Körper schadet.“ (3) Das Wechselspiel von Ab- und Neubau, Verwüstung und Regeneration gerät aus dem Gleichgewicht, weil im Gehirn zuviel Amyloid-beta unterwegs ist und sich an Rezeptoren anlagert, wodurch es trophische, wachstumsfördernde Bindungen blockiert.


Aber woher kommt der Amyloid-Überschuss? Die Spurensuche führte Bredesen zu einem Molekül, das passenderweise Amyloid-Vorläuferprotein, kurz APP heißt, von engl. amyloid precursor protein. Aus 695 Aminosäuren bestehend, perlenförmig aneinandergereiht, weist es eine recht stattliche Größe auf. Auch APP ist ein Rezeptor, allerdings in übergeordneter Stellung. Er reagiert nicht nur auf ein bestimmtes Molekül in der Zellumgebung, sondern auf Dutzende, darunter viele, die mit Alzheimer zusammenzuhängen scheinen: Östrogen, Testosteron, Schilddrüsenhormone, Insulin, Vitamin D, entzündungsfördernde Moleküle, Insulin, das „Langlebigkeitsmolekül“ Sirtuin SirTA. Bredesen vergleicht APP mit einem Finanzchef, dem spezialisierte Buchhalter – einfache Rezeptoren – ständig Statusberichte liefern: Wie oft, wovon sind sie aktiviert worden? Der APP-Chef zählt die Inputs zusammen und zieht Bilanz, um daraufhin zu entscheiden: Reichen die verfügbaren Ressourcen, um die weit verstreuten Synapsen zu ernähren, zu modellieren, neu zu bilden?


Wenn ja, so dockt der APP-Rezeptor an ein Molekül namens Netrin-1 an, das an den Zellen vorbeitreibt. Daraufhin schickt er dem Neuron ein Signal, das bewirkt, dass es seine Aufgaben weiterhin erfüllt. Molekulare Scheren, Proteasen genannt, zerteilen APP nun an einer bestimmten Stelle. Die Schnitte erzeugen zwei Peptide: sAPPα und αCTF. Bredesen nennt sie „das konstruktive Duo“: Sie tragen dazu bei, dass die synaptischen Verbindungen beibehalten werden, fördern das Wachstum der Neuronen-„Finger“, die nach außen greifen, und blockieren das Selbstmordprogramm. Kurzum, es sind Anti-Alzheimer-Akteure.


Aber wenn sich der APP-Rezeptor weder Netrin-1 noch andere trophische Moleküle schnappt – und stattdessen nach Amyloid-beta greift? Dann zerschneiden die Proteasen ihn an drei bestimmten Stellen, und es entstehen vier Peptide: sAPPβ, Jcasp, C31 – und, 40 bis 42 Aminosäuren lang, Amyloid-beta. Sie bilden das „destruktive Quartett“. Es wirkt entscheidend an dem Verfallsprozess mit, der Alzheimer zugrunde liegt: Gehirnsynapsen gehen verloren, der Verbindungsteil der Neuronen schrumpft, der zelluläre Suizid setzt ein.


So kommt ein tückischer Kreislauf in Gang: Bei der Spaltung von APP entsteht Amyloid-beta, das sich an APP bindet und es veranlasst, mehr Amyloid-beta zu produzieren. Bredesen vergleicht: „Wie ein winziger Vampir beißt Amyloid-beta den APP-Rezeptor und erzeugt dadurch einen weiteren winzigen Vampir.“ (4)


„Ich wette, Sie haben die Pointe erfasst“, schreibt Bredesen: „Um Ihr Alzheimer-Risiko zu senken, müssen Sie die Produktion des Alzheimer verursachenden Quartetts minimieren und die Produktion des Alzheimer hemmenden Duos maximieren.“


Wovon hängt es ab, welches innere Programm abläuft – das erhaltende, aufbauende oder das zerstörerische?


Nach der einen ausschlaggebenden Ursache zu fahnden, um ein darauf zugeschnittenes Pharmaprodukt zu synthetisieren, betrachtet Bredesen als Irrweg. In seinem Buch The End of Alzheimer's - 2017 erschienen, ein Jahr später auch in deutscher Übersetzung - identifiziert er nicht weniger als 36 Faktoren, die daran beteiligt sein können, dass die verhängnisvolle APP-Schnipselei einsetzt und nicht mehr aufhört: von hormonellen Ungleichgewichten und oxidativen Schäden über gestörte Darmmikrobiota, überhöhten Blutzuckerwerten, Vitamin-D-Mangel und einer Gliose, Vernarbungen im Gehirn durch Gliazelle, bis hin zu hohem hs-CRP-Wert, einem Entzündungsmarker.


Die 36 Alzheimer-„Löcher“ im neuronalen „Dach“ rühren von Einschlägen aus drei Richtungen her. Und so betrachtet Bredesen Alzheimer nicht als eine Krankheit - für ihn sind es drei. (5) Auch wenn sie oft gemeinsam auftreten und sich ihre Symptome gleichen, beruhen sie auf unterschiedlichen biochemischen Vorgängen: (1.) Entzündung; (2.) Vergiftung, zum Beispiel durch Schwermetalle oder Toxine aus Schimmel und Bakterien; (3.) ungünstige Versorgung mit Nährstoffen und anderen Molekülen, welche die Synapsen unterstützen.


Warum versagt die Schulmedizin hier kläglich? Weil sie, wie üblich, bestenfalls typische Anzeichen der Krankheit zeitweilig ein wenig lindert. Aber sie behebt nicht die eigentliche Ursache. Es ist mehr als eine, mindestens 36 wirken mit. „Pharmaunternehmer gleichen Dachdeckern, die zu einem Haus gerufen werden, welches von baseballgroßen Hagelkörnern verwüstet wurde“, meint Bredesen. „Der Sturm schlug Dutzende von Löchern ins Dach, das die Eigentümer reparieren lassen wollen. Aber die Dachdecker waren auf ein einziges Loch fixiert. Vielleicht haben sie dieses Loch mit Teer sorgfältig abgedichtet, so dass es nicht mehr durchregnet. Leider kümmerten sie sich jedoch nicht um die anderen 35 Löcher.“ (6) Und deshalb füllt sich das Haus weiterhin mit zuviel Regenwasser.


Personalisiert, den ganzen Menschen einbeziehend: Nur so ist Heilung möglich


Als ausgebildeter Facharzt für Innere Medizin und Neurologie gab sich Bredesen mit Laborforschung nicht zufrieden. Von Anfang an ging es ihm um nichts Geringeres als ein umfassendes Konzept, mit dem sich das gefürchtetste Leiden unserer Zeit erfolgreich behandeln, besser noch vermeiden lässt. „Nichts ist wichtiger, als das Leben von Patienten zu verbessern“, sagt er. (7) Die Messlatte legt er dabei hoch: „Erfolg“ bedeutet für ihn nicht bloß lindern, verlangsamen, hinauszögern – sondern zum Stillstand bringen, rückgängig machen, dauerhaft heilen.


Wenn Dutzende Faktoren mit unterschiedlichem Gewicht beteiligt sein können, bedarf es zuallererst eines persönlichen Risikoprofils. Für jeden Patienten muss zunächst ermittelt werden, welche physiologischen Parameter in seinem Fall eine ausschlaggebende Rolle spielen. „Kognoskopie“ nennt Bredesen die Gesamtheit der Untersuchungen, die dazu stattfinden müssen. Sie schließt Blutuntersuchungen, ein Stoffwechselprofil und ein MRT des Gehirns ebenso ein wie Gentests. Sie sucht nach Entzündungen und Infektionen, Vitaminmangel und hormonellen Ungleichgewichten. Sie checkt Parameter wie Insulinspiegel, Body-Mass-Index, Immunstatus; sie untersucht das Mikrobiom und die Durchlässigkeit des Darms („Leaky Gut“), die Mundflora, die Blut-Hirn-Schranke. „Bei Menschen mit kognitiven Symptomen wie Gedächtnisstörungen sind oft zehn bis 25 Laborwerte, die mit der Gehirnfunktion zusammenhängen, nicht optimal“, stellte Bredesen fest. „Wer noch keine Symptome hat, aber gefährdet ist, hat meist drei bis fünf suboptimale Werte.“ (8)


Daraus ergibt sich ein ausgeklügeltes personalisiertes Therapiekonzept, auf jeden Hilfesuchenden individuell zugeschnitten. Bredesen nennt es „ReCODE“, eine Abkürzung für reversal of cognitive decline, „Umkehrung des geistigen Abbaus“. (9) Keine Behandlung gleicht der anderen. Um im Bild zu bleiben: Jedes hagelgeschädigte Dach weist unterschiedlich viele, unterschiedlich große Löcher auf, an unterschiedlichen Stellen. Danach richten sich Art und Aufwand der Reparaturarbeiten. Ein Loch ist dicht, wenn der betreffende Laborwert in den Normbereich zurückkehrt. Die Sanierung zielt auf nichts Geringeres, als „den kognitiven Verfall umzukehren“. (10)


Was kann, was muss geschehen, um die 36 „Alzheimer-Löcher“ abzudichten? Benötigen Betroffene und Gefährdete 36 verschiedene Pharma-Kreationen, gleichzeitig einzunehmen ungeachtet fraglicher Wechsel- und Nebenwirkungen?


Es geht viel einfacher, risikoloser, aussichtsreicher – und preiswerter. Dazu empfiehlt Bredesen sieben „Kernstrategien“, die Alzheimer-Risiken verringern, die Widerstandsfähigkeit steigern, und Hirnfunktionen optimieren. (11) Sie umfassen


- eine überwiegend pflanzliche ketogene Ernährung, mit hohem Fettanteil, mäßigem Proteingehalt und wenig Kohlenhydraten. Im Vordergrund sollten wild gefangene Meeresfrüchte und Eier aus Weidehaltung stehen. Zu meiden sind Gluten, verarbeitete Lebensmittel und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, auch PUFAs genannt, die in minderwertigen Speiseölen und Transfetten stecken. Jeder Tag sollte ein langes Fastenintervall von mindestens 12 Stunden einschließen, besser 16 bis 18. Auch rät Bredesen dazu, gezielt Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, auf der Grundlage der jeweiligen Laborwerte;

- ein Bewegungsprogramm für draußen und drinnen; langes Sitzen vermeiden;

- ausreichend erholsamer Schlaf;

- Stressbewältigung, mit Meditation und regelmäßigen Pausen zur bewussten Tiefenatmung;

- regelmäßiges Gehirntraining;

- sozialer Kontakte pflegen;

- Giftstoffe vermeiden.


Das alles klingt kompliziert, läuft im Kern aber auf eine simple Botschaft hinaus: Alzheimer verhindern und besiegen können wir auf dieselbe Weise wie jede sonstige Zivilisationskrankheit – durch eine umfassend gesunde Lebensweise.


Vom Labor in die Praxis: Funktioniert ReCODE?


Nach zwei Jahrzehnten Forschung wollte Bredesen endlich in klinischen Studien nachweisen, dass seine Konzepte tatsächlich bei Patienten wirksam sind. Doch zwei Mal, 2011 und erneut 2018, lehnten Prüfungskommissionen seine Anträge als „unwissenschaftlich“ ab. (12) Schließlich müsse das Design einer Studie schon feststehen, ehe sie beginnt; man könne nicht erst währenddessen entscheiden, wie die Versuchspersonen behandelt werden. Außerdem dürfe immer bloß eine einzelne Variable auf dem Prüfstand stehen – nicht ein ganzes Bündel von Komponenten gleichzeitig.


Ein Unglück kommt selten allein: Die verweigerte Genehmigung veranlasste einen millionenschweren Philanthropen, den Geldhahn zuzudrehen; und auch eine Alzheimer-Stiftung stellte ihre Förderung ein. Damit wurde das Studienprojekt unfinanzierbar.


Und so musste sich Bredesen jahrelang auf Fallberichte über Alzheimer-Patienten beschränken; 2014, 2016 und 2018 veröffentlichte er Behandlungsergebnisse.

Und die hatten es in sich.


Seine „Patientin Null“ (13), Kristin hieß sie, war 65, als kognitive Störungen einsetzten. Wenn sie auf der Autobahn fuhr, verirrte sie sich. Sie wusste nicht mehr, welche Ein- und Ausfahrten sie benutzen sollte, nicht einmal auf Strecken, die sie bestens kannte. Informationen, die für ihre Arbeit wichtig waren, begriff sie nicht mehr. Berichte zu verfassen und termingerecht abzugeben, überforderte sie. Telefonnummern konnte sie sich nicht mehr merken, auch einfache Zahlen nicht, wie etwa Hausnummern oder die Ziffern auf ihrem Autokennzeichen. Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich zu merken, was sie soeben gelesen hatte; war sie auf einer Seite unten angelangt, musste sie wieder oben anfangen. Ihre Haustiere rief sie beim falschen Namen. In ihrem eigenen Zuhause musste sie Lichtschalter suchen, die sie jahrelang ein- und ausgeschaltet hatte.


Zwei Jahre lang versuchte Kristin, diese Symptome zu ignorieren, obwohl sie immer schlimmer wurden. Schließlich konsultierte sie einen Arzt. Der diagnostizierte Demenz und erklärte, er könne nichts für sie tun.


Auf Empfehlung einer Freundin fand Kristin im Jahr 2012 zu Bredesen. Stundenlange Gespräche überzeugten sie davon, sich auf sein ReCODE-Programm einzulassen. Drei Monate später rief sie ihn an, geradezu euphorisch: Sie könne kaum glauben, wie ihre geistigen Fähigkeiten sich entwickelt hätten. „Sie konnte wieder ganztags arbeiten“, berichtet Bredesen. (14) „Auto fahren, ohne sich zu verirren, und sich mühelos Telefonnummern merken. So gut wie jetzt sei es ihr seit Jahren nicht mehr gegangen, versicherte sie.“ Fünf Jahre später, inzwischen 73, befolgte Kristin ReCODE immer noch. Weiterhin bewältigte sie einen Vollzeitjob, reiste um die Welt - und war nach wie vor frei von Symptomen.


Klinische Studie bestätigt Hunderte von Fallberichten


Kristin blieb kein Einzelfall. Im Jahr 2014 berichtete Bredesen in Aging, der führenden Fachzeitschrift für Alternsforschung: Bei 9 von 10 Alzheimer-Patienten, die sich 5 bis 24 Monate lang ReCODE unterzogen, habe er den Gedächtnisverlust rückgängig machen können. (Beim Zehnten war die Erkrankung zu weit fortgeschritten.) (15)


Zwei Jahre später, im Juni 2016, berichtete Bredesens Team im selben Fachjournal über zehn weitere erfolgreich behandelte Alzheimer-Patienten. (16) Im Mai 2018 präsentierte es eine Sammlung von 100 derart erfreulichen Fällen. (17)


Hoffnung kann Bredesen selbst Besorgten machen, über denen das Damoklesschwert einer erblichen Vorbelastung schwebt. Wer eine Genvariante namens ApoE4 in sich trägt, für den steigt das Alzheimerrisiko drastisch an, von gewöhnlich 9 % auf 30 bis weit über 50 %. (18) Doch selbst wenn eine DNA-Analyse den Verdacht bestätigt, besteht kein Grund zu verzweifeln. Das Schicksal lässt sich abwenden, je früher, je länger, je konsequenter man Bredesens Empfehlungen folgt.


Mehrere hundert Patienten haben mittlerweile das ReCODE-Programm durchlaufen. Die Zischenbilanz bestätigt Bredesens Optimismus. Nur in wenigen Ausnahmen – in einem sehr späten Stadium, wenn schon zu viele Neuronen und Synapsen verlorengegangen sind - bleibt der kognitive Abbau unumkehrbar, nachdem die Ursachen beseitigt sind. Ansonsten lässt sich Alzheimer verhindern, ja sogar heilen: während der symptomfreien Phase, die ein Jahrzehnt dauern kann; während der Zeit, die Neurologen „subjektive kognitive Beeinträchtigung nennen“ – sie kann mehrere Jahre dauern; und sogar während der milden bis moderaten Phase, wenn schon mehr oder minder deutliche Einschränkungen vorliegen, die sich bereits in neuropsychiatrischen Tests niederschlagen.


ReCODE hundertprozentig umzusetzen, erfordert eiserne Disziplin, daraus macht Bredesen keinen Hehl. Konsequente Alzheimer-Therapie schließt etwa ein, „nie Zucker und andere einfache Kohlenhydrate zu essen, einschließlich Brot, Nudeln, Reis, Kekse, Kuchen, Süßigkeiten; Getreide, Milchprodukte, Fabriknahrungsmittel.“ (19) Andererseits: Wie schwer wiegt der Verzicht auf ungesunde Leckereien, wenn die Alternative darin besteht, tatenlos die geistige Selbstauflösung hinzunehmen? Wie streng man mit sich selbst sein sollte, hängt im übrigen vom Krankheitsstadium ab. Bei bloß leichten, gelegentlichen Aussetzern wäre permanente, größtmögliche Selbstkontrolle noch unnötig masochistisch – und als Stressquelle sogar kontraproduktiv.


Im Jahre 2019 bekam Bredesen endlich grünes Licht, eine prospektive Studie durchzuführen (lat. prospectivus: vorausschauend), also eine, bei der – im Gegensatz zum Fallbericht, der Vergangenes zusammenfasst – das Ergebnis nicht schon eingetreten ist, sondern in der Zukunft liegt. Wie die Untersuchung ablief und was dabei herauskam, wurde im Mai 2021 zunächst als Preprint publik. (20) 25 Teilnehmer umfasste sie, zwischen 50 und 76 Jahre alt. Bei ihnen allen war ein „Prä-Alzheimer“ – leichte kognitive Einschränkungen – oder ein Frühstadium diagnostiziert worden. Jeden Patienten testete Bredesens Team auf vorliegende Risikofaktoren wie Entzündungen, Insulinresistenz, Nährstoff- und Hormonmangel, Cholesterin, spezifische Krankheitserreger, Belastung mit (Bio-)Toxinen sowie auf genetische Anomalien. Die anschließende Behandlung dauerte neun Monate. Sie folgte personalisierten Protokollen.


Das äußerst vielversprechende Ergebnis: Bei 21 Studienteilnehmern, also 84%, besserte sich die Demenz signifikant; einer zeigte keine Veränderung, nur bei dreien verschlechterte sich die geistige Verfassung. Mehrere kognitive Tests belegten die Verbesserungen. Bildgebende Verfahren wie MRT zeigten, dass die Schrumpfung des Gehirns, die typischerweise bei Demenz auftritt, ausblieb.


Eine noch umfangreichere Folgestudie, diesmal mit 255 Patienten, veröffentlichte Bredesen kurz darauf, im September 2021. (21) Dabei verglich er die Werte von dreimaligen Blutanalysen und kognitiven Tests, die vor Beginn sowie zwei Monate und ein Jahr nach Studienende stattfanden. Diesmal fiel die Erfolgsquote etwas niedriger aus: „Weder das Ausmaß der Verbesserungen noch der Anteil der Patienten, die Fortschritte machten, entsprachen den Ergebnissen der vorherigen Studie“, räumt Bredesen ein. (22) Er führt dies darauf zurück, dass die Ärzte, welche die Versuchspersonen berieten und anleiteten, diesmal unerfahrener und mit ReCODE weniger vertraut waren.


In seinem jüngsten Buch The First Survivors of Alzheimer´s, im August 2021 erschienen, erzählt Bredesen die wundersame Geschichte von sieben Menschen, die ihren geistigen Verfall rückgängig machten, indem sie das ReCODE-Protokoll befolgten. Sie überlebten nicht nur – sie gewannen ein erfülltes Leben, tiefe Beziehungen, eine sinnvolle Arbeit zurück.



Fingerzeige für Betroffene und Angehörige


Detaillierte Anleitungen bietet Bredesen Betroffenen und ihren Angehörigen in einem 2021 erschienenen „Praxisbuch“.


Einen ähnlichen Ansatz wie der amerikanische Neurologe verfolgt der deutsche Arzt und Molekulargenetiker Dr. Michael Nehls. Seit 2011 hat der ehemalige Genomforscher und Biotech-Unternehmer mehrere Bücher (23) über notwendige Verhaltensänderungen für ein gesundes Altern veröffentlicht; darin legt er seine eigene Theorie der Alzheimer-Entstehung dar und entwickelt, darauf aufbauend, eine Präventionsstrategie.


Eine Liste mit 16 Ärzten, Heilpraktikern, Ernährungstherapeuten, Gesundheitsberatern und Coaches, die sich an Bredesens Behandlungsprotokoll orientieren, finden Sie hier. Weitere 60 Ärzte und Therapeuten, die Alzheimer-Therapie nach Dr. Nehls anbieten, sind hier verzeichnet. Mehrere hundert ReCODE-Practicioner, von den USA bis Australien, hat Bredesen persönlich ausgebildet; bis 2017 waren es bereits rund 450. (24) Eine Google-Suche nach „Bredesen Certified Practitioner“ liefert momentan über 34.000 Einträge.


Dementes „Weltgedächtnis“


Stattliche 35 bzw. 54 Seiten lang sind die Ausdrucke der Einträge, welche die deutschsprachige und die englische Wikipedia-Ausgabe der Alzheimer-Krankheit widmen. (25) Wie viele Worte haben sie darin für Bredesen übrig? Kein einziges.


Wie im Wiki-„Talk“nachzulesen, regte ein User schon vor sechs Jahren an, im Alzheimer-Artikel endlich einen Hinweis auf Bredesens Pionierarbeit zu ergänzen: „Soweit mir bekannt ist, hat niemand einen Versuch unternommen, ihr zu widersprechen, sie umzustoßen oder auch nur sinnvolle Kritik an ihr zu üben." (26) Diesen Vorschlag ließen Wiki-Administratoren leerlaufen, ohne Begründung. Wenn schon unser virtuelles „Weltgedächtnis“ an derart fortgeschrittener Demenz krankt, muss einem um die geistige Zukunft der Menschheit angst und bange werden.


Anmerkungen

(1) Dale E. Bredesen: Die Alzheimer-Revolution: Das erste Programm, um Demenz vorzubeugen und zu heilen, mvg Verlag. München 2018, 336 Seiten, S. 15

(2) a.a.O.,S. 75

(3) a.a.O., S. 34

(4) a.a.O., S. 89

(5) a.a.O., S. 113 ff.

(6) a.a.O., S. 95

(7) a.a.O., S. 23

(8) a.a.O., S. 132

(9) Rao RV, Kumar S, Gregory J, Coward C, Okada S, Lipa W, Kelly L, Bredesen DE: „ReCODE: A Personalized, Targeted, Multi-Factorial Therapeutic Program for Reversal of Cognitive Decline“, Biomedicines 9 (10) 2021, PMID: 34680464; PMCID: PMC8533598, https://doi.org/10.3390/biomedicines9101348

(10) ebda., PDF S. 1

(11) ebda., PDF S. 4, 10 f.

(12) Bredesen: Die Alzheimer-Revolution, s. Anm. 1, S. 102 ff.

(13) a.a.O., S. 22, 29 ff.

(14) a.a.O., S. 31 f.

(15) Bredesen DE u.a.:„Reversal of cognitive decline: a novel therapeutic program“, Aging 6 (9) 2014, S. 707-17, PMID: 25324467; PMCID: PMC4221920, http://www.impactaging.com/papers/v6/n9/full/100690.html

(16) Bredesen, D.E.; Amos, E.C.; Canick, J.; Ackerley, M.; Raji, C.; Fiala, M.; Ahdidan, J. „Reversal of cognitive decline in Alzheimer’s disease“, Aging (Albany NY) 8/2016, S. 1250–1258, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4931830/

(17) Bredesen, D.E.; Sharlin, K.; Jenkins, D.; Okuno, M.; Youngberg,W.; Cohen, S.H.; Stefani, A.; Brown, R.L.; Conger, S.; Tanio, C.; et al. „Reversal of Cognitive Decline: 100 Patients“, Journal of Alzheimers Disease & Parkinsonism 8 (5) 2018, S. 1–6, https://www.omicsonline.org/open-access/reversal-of-cognitive-decline-100-patients-2161-0460-1000450-105387.html

(18) Bredesen: Die Alzheimer-Revolution, s. Anm. 1, S. 19 ff.

(19) a.a.O., S. 300

(20) K Toups, A Hathaway, D Gordon, H Chung, C Raji, A Boyd, BD. Hill, S Hausman-Cohen, M Attarha, WJ Chwa, M Jarrett, DE Bredesen (2021): „Precision Medicine Approach to Alzheimer’s Disease: Successful Proof-of-Concept Trial“, medRxiv preprint 11. Mai 2021, https://doi.org/10.1101/2021.05.10.21256982

(21) Rao RV, Kumar S, Gregory J, Coward C, Okada S, Lipa W, Kelly L, Bredesen DE: „ReCODE: A Personalized, Targeted, Multi-Factorial Therapeutic Program for Reversal of Cognitive Decline“, Biomedicines 9 (10) 2021, PMID: 34680464; PMCID: PMC8533598, https://doi.org/10.3390/biomedicines9101348

(22) ebda. S. 12.

(24) Bredesen: Die Alzheimer-Revolution, s. Anm. 1, S. 33.

(25) Abgerufen am 27.1.2022.

(26) „17 Propose inclusion of Bredesen research on reversing Alzheimer's/MCI and dividing Alzheimer's in subtypes“, https://en.wikipedia.org/wiki/Talk%3AAlzheimer%27s_disease%2FArchive_12#Propose_inclusion_of_Bredesen_research_on_reversing_Alzheimer's/MCI_and_dividing_Alzheimer's_in_subtypes

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