top of page

Den Krebs einfach aushungern?

  • Autorenbild: Dr. Harald Wiesendanger
    Dr. Harald Wiesendanger
  • 9. Okt.
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 4 Tagen

Ein 64-Jähriger erfährt, dass in ihm ein besonders aggressiver, weit fortgeschrittener Prostatakrebs wuchert, mit Knochenmetastasen. Ärzte erklären seinen Fall für hoffnungslos. Aber er gibt nicht auf. Sechs Wochen lang fastet er strikt, danach stellt er seine Ernährung um und führt sich einen ausgeklügelten Mix von Nahrungsergänzungsmitteln zu. Und er überlebt. Inzwischen gilt er als vollständig geheilt – neun Jahre nach seiner Schreckensdiagnose. Nachahmenswert?


ree


Bis 2016 schien Guy Tenenbaum, ein französisch-amerikanischer Projektentwickler für Immobilien, einen Stammplatz auf der Sonnenseite des Lebens gepachtet zu haben. Nachdem er mit viel Geld in den Ruhestand ging, führte er ein sorgloses, glückliches Luxusleben in der Nähe von Miami, Florida. Seine Freizeit genoss er mit Vorliebe im Kreis guter Freunde in edlen Restaurants.


Allerdings gingen seine Ernährungsgewohnheiten schließlich auf Kosten seiner Gesundheit: Tenenbaum wurde stark übergewichtig, entwickelte Bluthochdruck und Diabetes. Nach zwei Jahren zunehmender Schmerzen in den Rippen, die er vergeblich mit Tabletten zu betäuben versuchte, ließ er sich endlich gründlich durchchecken. Ein PSA-Test ergab einen alarmierend hohen Wert von 57. Sein Hausarzt schickte ihn sofort ins Krankenhaus, für eine Biopsie. Danach stand fest: Tenenbaum litt an Prostakrebs im Stadium 4, mit einen Gleason-Score von 9, dem aggressivsten Typ. Der Tumor hatte sich bereits auf sein Skelett ausgebreitet; in seinen Rippen wucherten sechs Metastasen, weitere saßen in Lymphknoten. „Mein Urologe sagte mir: ‚Okay, wir können nichts mehr tun – warum haben Sie so lange gewartet?‘” Von einem Onkologen hörte er: ‚Sie wissen, dass es zu spät ist. Sie werden bald sterben – in sechs Monaten, schätze ich.”


Geschockt reiste Tenenbaum daraufhin nach Straßburg, seinem Geburtsort, um eine zweite Meinung einzuholen. Nach einer Computertomografie und weiteren Untersuchungen stellte ihm der Arzt seines Vertrauens die gleiche fatale Prognose: „Keine Chance – ich kann Ihnen nichts geben, weil Sie bereits so gut wie tot sind. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir haben ein gutes Medikament, um bis dahin Ihre Schmerzen zu dämpfen.“


Aufgeben? Kommt nicht in Frage.


Das war´s also?


Ans Aufgeben dachte Tenenbaum keinen Augenblick. “Am Tag nach meiner Rückkehr in die USA dachte ich: Das ist unmöglich, ich werde das nicht akzeptieren!”


Er kam zu dem Schluss: Weil niemand ihn mehr rettet, muss er dies eben selbst in die Hand nehmen. Und das tat er mit enormer Wissbegier und Ausdauer. Eingehend recherchierte er in PubMed, einer kostenlosen Online-Datenbank für medizinische Fachliteratur, mit Zugang zu über 35 Millionen wissenschaftlichen Artikeln. Er studierte die Arbeiten von Thomas Seyfried (1),  er befasste sich mit den Forschungen von Otto Warburg (2) und Wilhelm Brünings (3). Aus der Lektüre schloss er: Krebs ist in erster Linie eine Stoffwechselerkrankung – und deshalb durch Ernährungsweisen beeinflussbar.


Schließlich stieß Tenenbaum auf das Phänomen der Autophagie: einen natürlichen Recycling- und Reinigungsprozess in unserem Körper, bei dem Zellen ihre eigenen beschädigten Bestandteile abbauen. Dessen grundlegende Mechanismen hatte der japanische Wissenschaftler Yoshinori Ohsumi entdeckt, wofür er 2016 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet worden war. Viele Studien bauten seither auf Ohsumis Grundlagenarbeit auf,  wandten sie auf Krebs an und wiesen nach: Die Autophagie wird durch Fasten aktiviert und kann Tumore bekämpfen helfen.


Sechs Wochen lang nur Wasser


Dieses Wissen setzte Guy Tenenbaum in die Praxis um. Ab dem 19. Januar 2019 nahm der damals 67-Jährige 42 Tage lang nichts außer Wasser zu sich. 25 Kilo verlor er dabei.


Seither fastet er beharrlich weiter, wenn auch nicht ständig: mal 48 Fastenstunden pro Woche, mal 72 Fastenstunden pro Monat, mal 7 Fastentage am Stück alle zwei Monate, oder mit einem Mini-Essfenster von bloß einer Stunde pro Tag. In Fastenphasen führt er sich weiterhin reichlich Wasser zu, Grün- und Kräutertee, ausreichend Elektrolyte, wie auch Salz – anderthalb Teelöffel Himalaya-Salz pro Tag -, Spurenelemente; Vitamin C, B-Komplex, D, E, K2; und Omega-3.


In der übrigen Zeit ernährt er sich vorwiegend ketogen, also kohlenhydratarm und fettreich. Dies versetzt den Körper in den Stoffwechselzustand der Ketose, in dem er seine Energie überwiegend aus Fetten statt aus Kohlenhydraten bezieht. Krebszellen wird dabei ihre Lieblingsenergie entzogen: Zucker.


Diesen Prozess unterstützen zwei metabolische Supplemente, auf die Tenenbaum schwört:


-  Alpha-Liponsäure (ALA): 1,8–4,0 g/Tag, langsam über etwa drei Wochen aufdosiert. ALA Sie schützt vor schädlichen freien Radikalen und hilft den Zellkraftwerken – Mitochondrien -, besser zu arbeiten.


-   Hydroxyzitrat (HCA) aus Garcinia cambogia: 1,2–3,0 g/Tag, ebenfalls einschleichend. HCA blockiert ein Enzym, das der Körper braucht, um Zucker in Fett umzuwandeln – ein Prozess, den viele Krebszellen lieben, da sie ständig neue Bausteine brauche, um weiterzuwuchern. HCA kann diesen „Nachschubweg“ stören und so das Tumorwachstum bremsen.


Darüber hinaus schwört Tenenbaum auf einen ganzen Cocktail von weiteren Nahrungsergänzungsmitteln, die nach seiner Überzeugung Mitochondrien schützen, Entzündungen dämpfen und das Immunsystem unterstützen:


-   Rotalgen: 8 g/Tag: eine blaugrüne Mikroalge, reich an Eiweiß, Eisen, Vitamin B12, Omega-3-Fettsäuren, Chlorophyll und Antioxidantien, die antiviral und entzündungshemmend wirken.


-   Spirulina: 10–14 g/Tag: ein blaugrünes Cyanobakterium, reich an Eiweiß, Eisen, Vitamin B12, Chlorophyll und Antioxidantien. Sie stärkt das Immunsystem und hilft beim Entgiften.


-   Schwarzkümmelöl (Nigella sativa): 500 mg, 2×/Tag.


-   Knoblauch/Allicin: 500 mg, 4×/Tag, alternativ viel frischer/fermentierter Knoblauch.


-   Grüner Tee / EGCG als zusätzliche Glutamin-Hemmer.


Zusätzlich setzt Tenenbaum auf Brokkolisprossen, Curcumin, Ingwer und Quercetin, einen sekundären  Pflanzenstoff, der in vielen Obst- und Gemüsesorten vorkommt, bekannt für seine antioxidativen, entzündungshemmenden und zellschützenden Eigenschaften.


“Machen Sie weiter so”


Was brachte all dies? Eine vollständige Remission. Längst liegt Tenenbaums PSA-Wert konstant bei 0,1. Seit nunmehr neun Jahren ist er symptomfrei, Tumor samt Metastasen sind spurlos verschwunden, der Mann gilt als geheilt. “Mein Onkologe sagte mir immer wieder: 'Was auch immer Sie tun, machen Sie weiter so.'”


Seinen Weg zum Überleben, ja zur vollständigen Genesung zeichnet der vorbildliche Selbstheiler nach in seinem 2023 erschienenen Buch My Battle Against Cancer: Survivor Protocol. Geschrieben hat er es “vor allem mit dem Ziel, allen Kranken zu helfen und ihnen Hoffnung zu geben, die wie ich von der traditionellen Medizin ihrem traurigen Schicksal überlassen wurden.“ Sein YouTube-Kanal SurviveFromCancer, mit 370.000 Aufrufen und 16.000 Abonnenten, präsentiert rund 200 Videos. Sein Erfolgsrezept bringt Tenenbaum auf den Punkt: “Ich habe den Krebs besiegt, als ich verstanden habe, dass es sich um eine Stoffwechselerkrankung handelt und ich ihn durch Hungern bekämpfen kann.”


ree

Warnung vor blindem Nacheifern


Gleichwohl ist Tenenbaums Erfolgsgeschichte ein Einzelfall, vor voreiligen Verallgemeinerungen sollten sich andere Krebsbetroffene hüten. Jeder Tumor ist anders. Art, Genetik, Stadium, Wachstumstempo – was seinen speziellen Krebs bremste, kann bei einem anderen Tumor wirkungslos sein. Und jeder Körper ist anders: Alter, Gewicht, Organschäden, Arzneimittel entscheiden mit über den Behandlungsverlauf. Kein Stoffwechsel, kein Immunsystem gleicht exakt dem anderen. Was dem einen bekommt, verträgt der andere nicht. Was dem einen durchschlagend hilft, bringt dem anderen womöglich wenig bis nichts. Die von Tenenbaum gewählten Dosierungen sind hoch, könnten untereinander und mit gleichzeitig eingenommenen Medikamenten wechselwirken. Klinische Evidenz ist begrenzt.


Manchen Kranken beschert eine strenge Fastenkur erhebliche, gut dokumentierte Probleme. In einer Studie mit 652 Patienten – darunter auch Krebsbetroffenen -,  die medizinisch betreut wasserfasteten, kam es bei 27,6 % zu schweren Nebenwirkungen. Häufig traten starke Müdigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Kreislaufprobleme auf, bis hin zur Beinahe-Ohnmacht.


Übersichtsarbeiten zum Fasten während einer Krebstherapie ergaben: Viele Betroffene vertragen Wasserfasten schlecht; sie entwickeln unter anderem Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Anämie und Schwäche.


Strenges Fasten kann bei robuster Konstitution gutgehen. Bei einem ohnehin geschwächten Organismus hingegen beschwört es womöglich gefährliche Komplikationen herauf, fördert Sarkopenie – einem weiteren Abbau von Muskelmasse – und schadet dem Immunsystem. Vor Blindlings-Experimenten auf eigene Faust, ohne fundiertes Wissen und ärztliche Begleitung, warnen Onkologen begeisterte Tenenbaum-Nachahmer deshalb aus gutem Grund.


Klüger wäre es, präventiv zu fasten, in einem noch weitgehend gesunden Körper, dem ausgiebiges Hungern eher bekommt. Im Tierversuch senkt schon eine reduzierte Kalorienzufuhr – noch ohne Mangelernährung – die Tumorhäufigkeit um 20 bis 60 %. Bei Mäusen hemmt intermittierendes Fasten die Entstehung von Leber- und Darmkrebs deutlich. In zwei Humanstudien war eine lebenslang verringerte Kalorienaufnahme mit einem geringerem Brustkrebsrisiko verbunden. Unter 2.413 Frauen mit frühem Brustkrebs kam es bei denjenigen, die in einem Zeitfenster von mehr als 13 Stunden pro Tag nichts aßen, seltener zu einem Rückfall. Wie immer gilt: Vorsorgen erspart Sorgen.

Anmerkungen

(1)   Der Forschungsschwerpunkt von Thomas N. Seyfried, eines US-amerikanischen Biologen und Professor für Biologie/Genetik/Biochemie am Boston College, liegt auf der Zell- und Stoffwechselbiologie, insbesondere der Lipid- und Mitochondrienbiochemie von Krebszellen. Seyfried sieht in Krebs vorrangig eine metabolische Erkrankung sei, nicht primär eine genetische. Siehe sein Buch Cancer as a Metabolic Disease: On the Origin, Management and Prevention of Cancer (2012).

(2)   Der deutsche Biochemiker, Mediziner und Physiologe Otto Heinrich Warburg (1883-1970) erhielt1931 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für seine Arbeiten zur Zellatmung. Er untersuchte unter anderem den Tumor-Metabolismus und formulierte die sogenannte „Warburg‑Effekt“-Hypothese: Tumorzellen erzeugen Energie vorrangig durch Fermentation (Glykolyse) anstatt oxidativ über die Mitochondrien. Siehe sein Buch Stoffwechsel der Tumoren (1930).

(3)   Wilhelm Brünings, ein deutscher Mediziner, beschrieb bereits in den frühen 1940er Jahren eine sogenannte „Entzuckerungsmethode“: eine ketogene, d.h. extrem kohlenhydratarme Ernährung bei Tumorpatienten. Krebszellen könne man „verhungern lassen“, indem man ihnen den Zucker (Glukose) entzieht und so ihren Stoffwechsel angreift. Brünings Arbeiten gelten heute als historischer Vorläufer von Stoffwechseltherapien in der Onkologie. Siehe Rainer J. Klement: “

”, Journal of Traditional and Complementary Medicine 9 (3) Juli 2019, S. 192-200, https://doi.org/10.1016/j.jtcme.2018.06.002

 

Kommentare

Mit 0 von 5 Sternen bewertet.
Noch keine Ratings

Rating hinzufügen
"Auswege Infos" abonnieren
und keinen neuen KLARTEXT-Beitrag verpassen.
"Auswege Infos" ist der Gratis-Newsletter meiner Stiftung Auswege.

© 2021 by Harald Wiesendanger

bottom of page