Mikroplastik ist überall, auch in uns. Schlimmer noch: Die winzigen Kunststoffteilchen reichern sich vorzugsweise im Gehirn an. Was richten sie dort an? Jüngste Studien lassen das Schlimmste befürchten: Das Teufelszeug macht dement. Was tun?

Zunächst denkt man: Das kann doch nur ein Tippfehler sein. Nein? Dann muss sich jemand arg verrechnet haben.
Aber es stimmt, unfassbarerweise: Inzwischen nimmt jeder Mensch weltweit im Durchschnitt bis zu 5,5 Gramm Mikroplastik pro Woche zu sich – er atmet sie ein, er verschluckt sie mit Lebensmitteln. FÜNFKOMMAFÜNF! GRAMM! Das entspricht dem Gewicht einer Kreditkarte.
Zu diesem Horrorbefund kommt eine australische Forschergruppe der Universität von Newcastle, nachdem sie 59 hochwertige Studien zur menschlichen Aufnahme von Mikroplastik auswertete: von Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. (1)
In Wahrheit liegt die pro Person aufgenommene Plastikmenge womöglich noch höher. Denn in die Auswertung floss lediglich eine kleine Auswahl von Nahrungsmitteln ein, für die schon einigermaßen verlässliche Forschungsergebnisse vorliegen: wie Wasser, Muscheln, Fisch, Salz, Bier, Honig und Zucker. Die tatsächliche Grammzahl könnte sogar noch höher liegen, weil aktuelle Studien nur etwa 15% der täglichen Kalorienzufuhr abdecken. “Würden weitere mögliche Quellen wie Reis, Nudeln, Brot, Milch, Geschirr, Besteck, Zahnpasta, Zahnbürsten, Lebensmittelverpackungen mitberücksichtigt, so wäre die aufgenommene Partikelmasse noch größer”, befürchten die Wissenschaftler. Wichtige Lebensmittelgruppen wie Fleisch, Getreide und Gemüse berücksichtigen die Berechnungen noch nicht.
Ein Planet voller “Plastic People”
5,5 Gramm pro Woche ergeben 286 Gramm pro Jahr. Im Laufe von durchschnittlich 80 Lebensjahren würden sie sich zu rund 23 Kilogramm aufsummieren. Bezogen auf das durchschnittliche Körpergewicht von Erwachsenen bedeutet das: Zu einem Viertel bis einem Drittel besteht man gegen Ende seines Lebens aus Kunststoff – und diese Befürchtung mutet völlig absurd an, geradezu irre.
Einen eher schwachen Trost bietet die Forschergruppe mit zwei alternativen Szenarien, denen zufolge die wöchentliche Mikroplastikaufnahme “nur” bei 0,1 oder 0,3 Gramm liegen könnte. Denn wie viele Kunststoffpartikel sich ein Mensch zeitlebens einverleibt, hängt vom geografischem Standort, der Wohnlage, Inneneinrichtung, Ernährungsgewohnheiten und anderen Faktoren ab. Besonders viele geraten in seinen Körper, wenn sich sein Zuhause an einer Hauptverkehrsstraße oder neben einem Sportplatz mit Plastikbelag befindet: Der Abrieb von Autoreifen sowie von Kunstrasen zählt nämlich zu den Hauptquellen der Verseuchung. Im Zentrum einer Großstadt wie Paris liegt der Mikroplastik-Fallout aus der Luft bei 355 Partikeln pro Quadratmeter, in Außenbezirken bloß bei zwei. (2) Wer sein Zuhause mit Kunststoffteppichen auslegt, Synthetikwäsche trägt und selten lüftet, reichert seine Atemluft verstärkt mit Mikroplastik an. Aber selbst wer pro Woche bloß ein Zehntel Gramm von dem Zeug aufnimmt, läge nach 80 Lebensjahren bei 416 Gramm, knapp einem Pfund Kunststoff.
Wie viele Partikel sammeln sich im Laufe der Zeit in uns an? Ein Forscherteam um Kieran Cox von der University of Victoria in Kanada schätzt, dass pro Jahr durch Nahrung und Atmung 74.000 bis 121.000 Kunststoffteilchen in uns hineingeraten; hinzu kommen 90.000 Partikel, falls wir ausschließlich Flaschenwasser trinken. (3) Eine andere Studie geht von 39.000 bis 193.000 Partikeln pro Jahr aus. (4) Aus rund 200.000 Teilchen pro Jahr würden im Laufe von 80 Lebensjahren 16 Millionen. SECHZEHN MILLIONEN biologisch nicht abbaubare Fremdkörper in uns - unfassbar.
Zügig ausgeschieden?
Könnte es nicht sein, dass unser Körper solche Teilchen, da biologisch unverwertbar, weitestgehend wieder ausscheidet, sei es über Leber, Nieren, Darm, Haut oder die Atmung – wie ihm das auch mit anderen Schadstoffen mehr oder minder zügig gelingt? Von den berüchtigten “Ewigkeitschemikalien” beispielsweise - den PFAS aus Kosmetika, Textilien, Lebensmittelverpackungen -, werden wir zumindest die kurzkettigen innerhalb weniger Tage und Wochen los. Bei aufgenommenem Aluminium liegt die Ausscheidungsrate zwischen 95 und 99 %.
Tatsächlich lässt sich Mikroplastik in unserem Urin und Kot nachweisen. (5) Eine österreichische Studie fand bei acht erwachsenen Versuchspersonen aus mehreren Kontinenten pro zehn Gramm Darminhalt 20 Partikel von neun verschiedenen Kunststoffarten, 50 bis 500 Mikrometer klein. (6) Deshalb beeilten sich industrienahe Experten, Entwarnung zu geben: Offenbar scheiden wir das Zeug unverdaut wieder aus, ähnlich wie Ballaststoffe, Samenschalen und Fruchtkerne.
Dass Mikroplastik in unseren Exkrementen auftaucht, bedeutet freilich keineswegs, dass es nicht auch woanders steckt. Und das tut es leider, wie uns immer mehr Studien beängstigend klar vor Augen führen.
Demnach verbleiben bloß größere Plastikpartikel über 10 µm (1 Mikrometer = 1 Millionstel Meter = 0,000001 m) nicht im Körper. Doch wie steht es mit kleineren Teilchen, insbesondere mit Nanoplastik? Sie bestehen bloß aus wenigen bis einigen tausend Atomen oder Molekülen; das meiste tummelt sich im Nanometerbereich, zwischen 1 und 100 Nanometer (nm). (Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters. Zum Vergleich: Der Durchmesser eines menschlichen Haares beträgt circa 80.000 Nanometer. Viren sind 30 bis 50 Nanometer groß. Ein DNS-Strang hat einen Durchmesser von etwa 2,5 Nanometern, ein Proteinmolekül misst rund 5 Nanometer, während ein rotes Blutkörperchen etwa 7.000 Nanometer groß ist. Eine Nadelspitze hat da schon gigantische Ausmaße: Sie misst 1 Million Nanometer. In den i-Punkt in einer Zeitungsmeldung passen mehr als eine Million Nanoplastikteilchen.) Ausgeschieden werden solche synthetischen Winzlinge nur teilweise: sei es über den Stuhl und den Urin, sei es dadurch, dass der Körper sie in der Lunge abfängt, indem er Speichel produziert, mit dem er sie auswirft.
Doch der Rest – vorsichtige Schätzungen schwanken zwischen 0,1 und 1 % -, überwindet die natürlichen Schutzbarrieren unseres Körpers – und verbleibt in uns. Nanopartikel, die wir einatmen, durchdringen die extrem dünnen Wände der Lungenbläschen und treten ins Blut über. Immunzellen nehmen sie auf und transportieren sie über die Lymphbahnen in den Blutkreislauf. Nanopartikel, die wir mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln aufnehmen, durchdringen die Darmschleimhaut. Einmal in die Blutbahn gelangt, filtern Leber, Milz, Nieren sie bloß teilweise. Die übrigen wandern zu allen Organen und Geweben unseres Körpers – und nisten sich darin ein. Auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden sie ohne weiteres, binnen Stunden.
Besonders hoch ist ihre Konzentration in der grauen Substanz unter unserer Schädeldecke. Und sie wächst. Im Gehirn verstorbener Menschen, die 2024 untersucht wurden, fand sich mittels Infrarot- und Elektronenmikroskopie deutlich mehr Nano- und Mikroplastik als in Proben von 2016 – und bis zu 30-mal mehr als in Leber oder Niere, wie eine US-Forschergruppe um Matthew Campen von der University of New Mexico im Fachjournal Nature Medicine berichtet. Bei der Leber stieg die mittlere Konzentration binnen acht Jahren von 141,9 auf 465,3 Mikrogramm pro Gramm Gewebe, beim Gehirn von 3.420 auf 4.763 Mikrogramm pro Gramm. Am häufigsten ließ sich Polyethylen nachweisen, das in Folien und Flaschen steckt. Es machte 40 bis 65 Prozent des Kunststoffs in Leber und Niere aus, im Gehirn sogar 75 Prozent.
Sieben Gramm Plastik im Hirn
Wird das Gehirn die Eindringlinge im Laufe der Zeit irgendwie wieder los? Eine weitere Forschungsarbeit von Campens Team, veröffentlicht am 3. Februar 2025 in Nature Medicine, enttäuscht Hoffnungen: Das Zeug akkumuliert gnadenlos. Innerhalb von nur acht Jahren hat die Mikroplastikkonzentration in unserem Denkorgan um 50 % zugenommen. Das durchschnittliche menschliche Gehirn beherbergt heutzutage etwa sieben Gramm mikroskopisch kleine Plastikteilchen – so viel wiegen sieben Büroklammern. (7)
Als auffallend hoch belastet erwiesen sich zwölf Gehirnproben aus den Jahren 2019 bis 2024, die von Menschen mit nachgewiesener Demenz stammten: Sie enthielten zwischen 12.000 und 48.000 Mikrogramm Plastik pro Gramm Gewebe – vier bis zehn Mal mehr als bei Nichtbetroffenen.
"Diese Daten sind assoziativ und belegen nicht die kausale Rolle solcher Partikel bei der gesundheitlichen Beeinträchtigung", so schränkt die Forschergruppe ein. Trotzdem bedarf der Zusammenhang dringend einer Erklärung. Er lässt Schlimmes befürchten.
Ein Forscherteam von der Chinese Research Academy of Environmental Sciences in Peking schürt die Besorgnis. Kürzlich präsentierte es Beobachtungen aus Laborversuchen, die darauf hindeuten: Mikroplastik kann Blutgefäße im Gehirn von Mäusen verstopfen. Damit gefüttert, bewegten sich die Tiere langsamer, orientierten sich schlechter und seien weniger ausdauernd, so heißt es in der Studie.
Wie sich das über Wasser und Nahrung aufgenommene Mikroplastik auf das Verhalten von Säugetieren auswirkt, hatten zuvor schon Forscher der University of Rhode Island untersucht. Dafür versetzten sie das Trinkwasser von jungen und alten Mäusen drei Wochen lang mit 0,1 bis 0,2 Mikrometer kleinen Mikroplastikpartikeln, dosiert zwischen 0,0025 bis 0,125 Milligramm pro Liter. Eine Kontrollgruppe erhielt weiterhin reines Wasser. Nach Ablauf der drei Wochen ließen die Wissenschaftler die Mäuse zunächst verschiedene Verhaltenstests durchlaufen. Das Ergebnis: Jene Tiere, die mit ihrem Trinkwasser Plastikpartikel aufgenommen hatten, verhielten sich schon nach kurzer Zeit anders als die Kontrollmäuse. „Dass solche nicht sonderlich hohen Dosen an Mikroplastik schon nach so kurzer Zeit derartige Veränderungen bewirken können, war erstaunlich“, erklärt Mitautor Jaime Ross. Vor allem die älteren dem Mikroplastik ausgesetzten Tiere liefen deutlich mehr umher und richteten sich dabei immer wieder auf, so als würden sie sich orientieren wollen oder etwas suchen. Alles in allem erinnerten diese Verhaltensweisen die Wissenschaftler an Demenzkranke.
Gewiss, unsereins ist keine zweibeinige Riesenmaus. Wegen Unterschieden im Gehirnaufbau seien die Befunde nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar, so stellen die Pekinger Studienautoren in der Fachzeitschrift Science Advances klar. Doch irrelevant sind die Ergebnisse ebensowenig. Sie schüren einen schrecklichen Verdacht.
Wie Mikroplastik unserem Denkorgan zusetzt
Wie stellen es Mikroplastikpartikel an, das Gehirn zu schädigen? Dies tun sie auf vielerlei Weise:
1. Nanoplastik durchdringt nicht nur mühelos die Blut-Hirn-Schranke – es kann sie beeinträchtigen, was sie für weitere Schadstoffe durchlässiger macht. Wie Studien belegen, transportieren winzige Kunststoffteilchen andere Toxine ins Gehirn – sozusagen als „Trojanisches Pferd“. An sie angedockt fanden Wissenschaftler Schwermetalle wie Blei, Cadmium, Chrom, Arsen, Zink, Quecksilber, Nickel, aber Pestizide, Weichmacher, Spuren von Brandschutzmitteln, Abrieb von Anstrichen.
2. Bestimmte Immunzellen – Neutrophilen und Makrophagen („Fresszellen“), zwei Arten von weißen Blutkörperchen – stürzen sich auf sie und umschließen sie, um sie abzubauen. Dabei schwellen sie an. Diese sperrigen Zellen können feine Äderchen verstopfen, was zu einer verminderten Durchblutung führen und neurologische Defizite verursachen kann. (8)
3. Erkennt das Immunsystem Plastikteilchen als Fremdkörper, kann es mit Entzündungen reagieren. Chronische Entzündungen im Gehirn sind mit neurodegenerativen Erkrankungen verbunden.
4. Im Darm begünstigt Mikroplastik schädliche Bakterien, was zu einer sogenanten Dysbiose führt: die Zusammensetzung der Darmflora verändert sich, mit drei möglichen Folgen: - Eine Dysbiose kann das Immunsystem überaktivieren und Entzündungen fördern. Freigesetzte Entzündungsstoffe, z.B. Zytokine, können ins Gehirn gelangen und dort neuroinflammatorisch wirken. - Die Darmbarriere wird geschwächt, so dass Bakterienbestandteile wie beispielsweise Lipopolysaccharide ins Blut gelangen. Auch diese Giftstoffe können die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger machen, was Entzündungen und neuronale Schäden im Gehirn begünstigt. - Eine ungesunde Darmflora verändert die Signale des Vagusnervs, der neuronalen Hauptverbindung zwischen Darm und Gehirn. Dies kann Stressreaktionen, Angst oder depressive Verstimmungen verstärken. - Viele Darmbakterien produzieren Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und GABA, die für Stimmung, Motivation und Entspannung wichtig sind. Eine gestörte Darmflora kann die Produktion dieser Botenstoffe verringern.
5. Nanoplastik kurbelt die Produktion von freien Radikalen an: hochreaktiven Molekülen, die ein oder mehrere ungepaarte Elektronen besitzen. Aufgrund dieses Mangels versuchen sie, Elektronen von anderen Molekülen zu stehlen – was diese wiederum in freie Radikale verwandelt, wenn der Diebstahl gelingt. Dieser verhängnisvollen Kettenreaktion wirken Antioxidantien wie Vitamin C und E, Glutathion, Coenzym Q10 und Selen entgegen: Sie neutralisieren freie Radikale, indem sie ihnen Elektronen abgeben, ohne selbst instabil zu werden. Bilden sich aber zuviele freie Radikale entsteht ein Ungleichgewicht zu Antioxidantien: oxidativer Stress. Dies kann Zellmembranen, Proteine, Mitochondrien und DNA schädigen, was die Funktion der Nervenzelle beeinträchtigt. Schlimmstenfalls führt es zum Zelltod.
6. Nanoplastikteilchen können aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften Nervenzellen auch direkt schädigen. Oftmals weisen sie scharfe Kanten oder unregelmäßige Formen auf, welche Zellmembranen verletzen und durchbrechen.
7. Nanoplastik lagert sich in den Mikrogliazellen ab, die als Abwehrzellen des Gehirns fungieren. Dies führt zu vermindertem Zellwachstum und verlangsamter Zellteilung; die Zellmorphologie verändert sich; verstärkt werden Entzündungsbotenstoffe produziert. Unter den Mikrogliazellen kommt es vermehrt zur Apoptose: zellulärem Selbstmord. (9)
8. Nanoplastik kann in die Zellmembran geraten, wo es Calcium-, Kalium- oder Natriumkanäle blockiert. Dies kann die elektrische Erregbarkeit der Nervenzelle beeinflussen, die Signalweiterleitung beeinträchtigen und neuronale Netzwerke stören.
9. Aufgrund ihrer Oberflächenladung können Nanoplastikpartikel mit Zellrezeptoren wechselwirken oder diese falsch aktivieren, was zu Fehlsignalen führt.
10. Ein Prozess namens „Endozytose“ ermöglicht es Nanoplastikpartikeln, die Zellbarriere zu überwinden: Abgeschnürte Bläschen der Zellmembran transportieren sie ins Zellinnere, wo sie jegliche Strukturen und Abläufe beeinträchtigen können.
11. In der Zelle manipuliert Nanoplastik das Zytoskelett: ein Gerüst aus Fasern, das für die Form der Zellen und ihre Bewegung, für Materialtransport, Zellteilung und Zelldifferenzierung verantwortlich ist. Dabei wird die Zelle flexibler und beweglicher – einschließlich Krebszellen.
12. Nanoplastik ist winzig genug, sich sogar Zugang zum Zellkern zu verschaffen. Dort kann es die DNA der Nervenzelle schädigen, was zu genetischen Veränderungen und Zellfehlfunktionen führen kann.
13. Wenn Nanoplastik in Mitochondrien eindringt, kann es die Energieproduktion – die ATP-Synthese - hemmen, was die Zellfunktion schwächt.
14. Auch das endoplasmatische Retikulum ist bedroht: eine spezialisierte Zellstruktur, die an der Protein- und Lipidsynthese wesentlich mitwirkt. Sie besteht aus einem weit verzweigten Membransystem, das mit der Kernhülle verbunden ist und das Zellplasma durchzieht. Nimmt es Schaden, so könnten Proteine fehlerhaft gefaltet werden. Denn die richtige Faltung – eine besondere dreidimensionale Struktur - ist entscheidend, damit ein Protein seine Aufgaben erfüllen kann. Ist sie fehlerhaft, so kommt es zu Funktionsverlusten, toxischen Ablagerungen und zellulärem Stress.
15. Im Gehirn bindet Nanoplastik an das Protein Alpha-Synuclein und stört dessen normalen Abbau. Dies fördert die Bildung von Fibrillen: toxischen Proteinverklumpungen, die charakteristisch für neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson sind. (10)
16. Zumindest im Tierversuch führt Nanoplastik im Hirn zu einer Abnahme des GFAP-Markers: eines Proteins, das für die Struktur und Stabilität bestimmter Gliazellen im zentralen Nervensystem wichtig ist. Es ist an der Reparatur von Nervenschäden beteiligt, trägt zur Blut-Hirn-Schranke bei und beeinflusst neuronale Funktionen. Ein gesunkener GFAP-Wert wird mit Depressionen und frühen Stadien neurodegenerativer Erkrankungen in Verbindung gebracht.
17. Wenn Nanoplastik in Synapsen eingreift, stört es die Freisetzung oder Wiederaufnahme von Neurotransmittern wie Dopamin, Serotonin oder Glutamat. Darüber hinaus könnte es bereits die Bildung von Synapsen sabotieren, was die neuronale Kommunikation stört.
18. Nanoplastikpartikel beeinträchtigen die Funktion der Lysosomen. Diese Zellorganellen enthalten Verdauungsenzyme, mit denen sie normalerweise überschüssiges Biomaterial abbauen und „recyceln“ es, d.h. sie sorgen dafür, dass es wieder zellulär aufgearbeitet wird. Funktioniert diese »Müllabfuhr« nicht richtig, so sammeln sich schädliche Stoffe in der Nervenzelle an.
19. Durch Mikroplastik ausgelöste Entzündungen im Gehirn können die Funktion des Hypothalamus und der Hypophyse beeinträchtigen, welche an der Produktion von TRH (Thyreotropin-Releasing-Hormon) bzw. von TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) beteiligt sind. Dies kann die Produktion von Schilddrüsenhormonen fehlregulieren.
20. Am gefährdetsten sind Kinder. Ihr zentrales Nervensystem ist noch nicht vollständig ausgereift, die Blut-Hirn-Schranke ist durchlässiger als bei Erwachsenen. In ihrem Gehirn kann Nanoplastik die Bildung von Neuronen und Synapsen beeinträchtigen - mit langfristigen Auswirkungen auf Körper, Geist und Seele.
Unter diesen unentwegten Mikro-Anschlägen auf unsere körperliche Unversehrtheit dürfte schon jeder einzelne uns auf Dauer schlecht bekommen. Fänden tatsächlich alle 20 statt, könnten sie auf einen medizinischen Super-GAU hinauslaufen.
Katastrophale Folgen
Die Folgen einer Plastikverseuchung unseres Gehirns sind fatal. Wenn Nervenzellen absterben, erhöht sich das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen. Kognitive Funktionen verschlechtern sich, Lernen, Gedächtnis und Konzentrationsfähigkeit lassen nach. Angstzustände, Depressionen oder veränderte Schlafmuster können auftreten. Falls motorische Nervenzellen betroffen sind – etwa im Bereich der Substantia nigra -, kann es zu Bewegungsstörungen oder Koordinationsproblemen kommen. Das Risiko für Alzheimer oder Parkinson steigt. Befällt Mikroplastik sensorische Nervenzellen, kann es Wahrnehmungsstörungen hervorrufen: etwa verändertes Schmerzempfinden, Taubheitsgefühle und andere Fehlfunktionen der Sinnesorgane Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut. Krebszellen werden “wanderlustiger”, was Metastasen fördert. (11) Eine verringerte Produktion von Neurotransmittern erhöht das Risiko für Stimmungsschwankungen, Depressionen, Angst und Schlafstörungen. Von Mikroplastik befeuerte Entzündungen können Krankheiten wie Diabetes und Rheuma nach sich ziehen. Verstopfte Arterien erhöhen die Gefahr von Schlaganfällen und Herzinfarkten. Schilddrüsenhormone sind entscheidend für die Gehirnentwicklung im frühen Kindesalter – eine Störung kann zu kognitiven Defiziten führen.
"Wenn Plastik wirklich so toxisch wäre, dann wären wir, glaube ich, aufgrund unserer allgemeinen Plastik-Exposition alle miteinander nicht mehr da”, versucht uns Verena Kopatz zu beruhigen, eine Biotechnologin von der Medizinischen Universität Wien. Schwach, dieser Trost: Nicht jedes Gift bringt seine Opfer so schlagartig um wie Cyanid, Sarin oder Strychnin. Manche tun es schleichend binnen Jahrzehnten, wie allzu viele Kettenraucher leidvoll erfahren müssen. Auch eine Frau Kopatz wird womöglich viel früher “nicht mehr da” sein als gedacht, körperlich oder geistig – selbst
wenn sie vorher, bei ziemlich wachem Verstand, noch etliche Geburtstage feiern kann.
Wehrlos ausgeliefert?
Sind wir der Bedrohung wehrlos ausgeliefert, erst recht die Generationen nach uns? Werden wir das Zeug jemals wieder los? Oder enden wir als Plastik-Idioten?
Der menschliche Organismus verfügt über großartige Fähigkeiten, eingedrungene Schadstoffe loszuwerden. Doch Kunststoffwinzlinge überfordern ihn offenbar – zumindest wenn sie bereits ins Gehirn eingedrungen sind.
Kann Medizin nachhelfen? Im Internet kursieren heiße Tipps wie ein „Anti-Plastik-Tee“ aus Königskerzen- und Olivenblättern, Zitronenmelisse und den Samen des Bockshornklees. Beweise, dass somit ein Hirn-Detox gelingt, stehen freilich aus. Derzeit gibt es keine einzige bekannte Methode, um Plastikpartikel, die bereits ins Gehirn gelangt sind, zu entfernen. Keine. Kontaminiert sind wir alle. Und wir werden es bleiben, bis ans Lebensende. Folglich kann es nur darum gehen, die weitere Aufnahme von Mikro- und Nanoplastik künftig zu verringern – und gleichzeitig ein möglichst gesundes Leben zu führen, das verhindert, dass andere Risikofaktoren wie schlechte Ernährung und zuwenig Bewegung den Schaden noch vergrößern.
Wie vermeiden wir es, Mikroplastik aufzunehmen?
Damit möglichst wenig Mikroplastik in uns hineingerät, sollten wir im Alltag Naturprodukte statt Plastik wählen - z.B. Zahnbürsten aus Bambus oder Holz, Getränkeflaschen aus Glas und Stofftaschen statt Plastiktüten bevorzugen, Plastikverpackungen meiden. Auf Putz- und Spültücher aus Mikrofaser sollten wir verzichten – wie auch auf Kosmetika mit Polyethylen, weil diese häufig Mikroplastik enthalten. Textilien aus Naturmaterialien wie Baumwolle oder Wolle sollten wir bevorzugen, um die Freisetzung von Mikroplastik zu vermeiden – und Kleidung aus Synthetikfasern möglichst selten waschen.
Auch beim Selbstschutz steckt der Teufel allerdings im Detail. Wer sich beispielsweise Tee, das weltweit am zweithäufigsten konsumierte Getränk nach Wasser, nicht mit Blättern zubereitet, sondern handelsübliche Teebeutel in heißes Wasser eintaucht und umrührt, flößt sich reichlich Nylon, Polypropylen oder Zellulose ein, aus dem die Hüllen bestehen: Wie eine im November 2024 in der Fachzeitschrift Chemosphere erschienene Studie ergab, setzt jeder einzelne bei Brühtemperatur aufgegossene Teebeutel aus Kunststoff etwa 11,6 Milliarden Mikroplastikteilchen und 3,1 Milliarden Nanoplastikpartikel frei.
Wer die empfohlenen 1,5 bis zwei Liter Wasser pro Tag aus Plastikflaschen trinkt, nimmt einer Studie zufolge allein auf diese Weise rund 90.000 Mikroplastikpartikel pro Jahr zu sich. Wer stattdessen zu Leitungswasser greift, kann die aufgenommene Menge um 50.000 verringern. Hochwertige Filter, die auf dem Prinzip der Umkehrosmose oder des Ionenaustauschs beruhen, sind imstande, Trinkwasser auch von Mikroplastik weitgehend zu befreien.
Wie lässt sich die Luft von Nanoplastikpartikeln reinigen? Sogenannte HEPA-Filter (High Efficiency Particulate Absorbing), bestehend aus einem dichten Netz aus Glasfasern, können Partikel bis zu einer Größe von 0,3 Mikrometern einfangen, mit einer beachtlichen Effizienz von 99,97%. (Mikroplastikpartikel liegen oft im Bereich von 0,1 bis 1 Mikrometer.) 50 bis 190 Euro kosten solche Geräte. Geforscht wird neuerdings an speziellen Mikroplastik-Luftfiltern, die Nanomaterialien oder besondere Membranen verwenden.
Die wahrscheinlichste Apokalypse
Es gehört reichlich Optimismus dazu, diesen Maßnahmen zuzutrauen, dass sie uns vor geistigem Rückschritt zuverlässig bewahren. Weil Plastikpartikel im Gehirn akkumulieren, nimmt die Belastung vielmehr Tag für Tag weiter zu.
Zudem setzt längst nicht nur Mikroplastik unserem Gehirn zu. Auch Feinstaub, Schwermetallteilchen, Abgase aus Verbrennungsmotoren, Chemikalien wie PFAS, Pestizidrückstände, künstliche Lebensmittelzusätze, Ingredienzen von Arzneimitteln und Impfstoffen attackieren es unentwegt, nachdem sie die Blut-Hirn-Schranke locker überwunden haben. Die wahrscheinlichste Apokalypse beschert der Menschheit womöglich nicht ein Atomkrieg oder eine Pandemie, ein Asteroideneinschlag oder eine Invasion Außerirdischer – sondern kollektive Selbstvergiftung.
Nicht jeder findet das uneingeschränkt beklagenswert. Der Medizinindustrie beschert das Plastik-Zeitalter schließlich ein fabelhaftes Langzeit-Konjunkturprogramm. Auch mancher Politiker, nach dessen Geschmack gar nicht genug soziale Kontrolle stattfinden kann, mag noch so trüben Aussichten womöglich Tröstliches abgewinnen: Milliarden neurodegenerierter Schwachköpfe, die dement vor sich hindämmernd Plastikhirne herumtragen, dürften ziemlich pflegeleicht zu regieren sein. Aber vielleicht freuen sich Kontrollfreaks zu früh: Wird es nicht auch in ihrem Oberstübchen von verblödenden Kunststoffwinzlingen wimmeln? (P.S.: Legt der tägliche Irrsinn der Nachrichtenlage nicht nahe, dass dies schon längst der Fall ist?)
Wie klarkommen mit Unvermeidlichem?
Als allen Passagieren klargeworden war, dass die Titanic sinken wird und zuwenig Rettungsboote bereitstehen, jammerten und weinten die einen, beteten, starrten apathisch vor sich hin, brachten sich voller Verzweiflung um – andere tanzten einfach weiter. Wie umgehen mit einer zukünftigen, anscheinend unabwendbaren Katastrophe?
Für Philosophen war diese Frage immer schon ein zentrales Thema. Im Laufe von über zwei Jahrtausenden vertraten sie verschiedenerlei Ansätze, die letztlich auf einen Rat hinauslaufen: Betrachte die Katastrophe nicht als sinnlose Zerstörung, sondern als Herausforderung, deinen eigenen Umgang damit bewusst zu gestalten.
Stoiker wie Seneca, Epiktet und Marc Aurel rieten dazu, sich auf das zu konzentrieren, was in unserer Macht liegt. Das Unvermeidliche sollten wir rational verstehen und mit Gelassenheit hinnehmen, statt uns von Emotionen überwältigen zu lassen. Ihre Empfehlung lautete: Akzeptiere die Katastrophe als Teil des natürlichen Laufs der Dinge und konzentriere dich auf deine innere Haltung. Lebe tugendhaft, unabhängig vom äußeren Schicksal.
Existenzialisten wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus entdeckten Freiheit in der Konfrontation mit dem Unausweichlichen. Sie betonten die Fähigkeit, trotz einer absurden oder düsteren Zukunft erfüllt zu leben: Finde dich mit der Katastrophe ab, aber erschaffe in der verbleibenden Zeit deinen eigenen Sinn. Camus' "Mythos des Sisyphos" führt uns vor Augen: Selbst wenn das Schicksal sinnlos erscheint, kann der Mensch durch seine Haltung Würde bewahren.
Ähnlich äußern sich Nihilisten. Nimm hin, was auf dich zukommt, ohne in Verzweiflung zu verfallen. Höre auf, nach einem übergeordneten Sinn oder Zweck zu suchen – es gibt keinen. Zu begreifen, dass angesichts der Katastrophe das Leben bedeutungslos ist, kann erleichtern statt deprimieren. Denn es befreit von der Last, dem Leben einen Sinn geben zu müssen; es hilft, Ängste und Sorgen über die Zukunft loszulassen – und sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren.
Pragmatisten wie William James und John Dewey empfehlen: Handle, soweit du kannst. Auch wenn eine Katastrophe bevorsteht, kann praktisches Tun einen Unterschied machen – sei es für andere oder für das eigene Erleben. Suche nach konkreten Wegen, um das Beste aus der fatalen Situation zu machen.
Der Buddhismus sieht in jedem noch so schrecklichen Unheil einen Teil des natürlichen Kreislaufs von Entstehen und Vergehen. Das gilt es hinzunehmen – nicht wütend oder traurig, sondern gleichmütig. Meditiere über die Vergänglichkeit des Lebens, löse dich von Angst und Leid, finde Frieden im gegenwärtigen Moment.
Welcher Weg ist der richtige?
Das hängt von der Persönlichkeit und der eigenen Weltanschauung ab. Manche finden Trost in stoischer Gelassenheit, andere schöpfen Kraft aus existenzialistischer Rebellion oder pragmatischem Handeln. In einem Ratschlag sind sich alle Weisen indes einig: Ignoriere und leugne nicht, was auf dich zukommt. Verfalle seinetwegen nicht in Passivität und Resignation. Denke nicht an Flucht durch Suizid – tot wirst du noch früh und lange genug sein. Akzeptiere das Unabwendbare. Und suche aktiv nach Möglichkeiten, nichtsdestotrotz ein erfülltes, verantwortungsvolles Leben zu führen. Konzentriere dich auf seine wichtigsten, wertvollen Aspekte - trotz oder gerade wegen des Wissens um das bevorstehende Unheil. Träte früher oder später tatsächlich ein, was du befürchtest, so würde sich deine gesunde Lebensspanne verkürzen. Welchen Sinn macht es, diesen erfreulicheren Teil deiner Zukunft durch andauernde Katastrophenangst zu belasten, voller Selbstmitleid, das keinen Platz für Liebe und Freude, Entspannung und Genuss mehr lässt? Wäre dies nicht erst recht katastrophal?
Zum selben Thema siehe die KLARTEXT-Beiträge “Gruselig: Plastikgift im Hirn” und “Mikroplastik in uns: eine Zeitbombe”.
Anmerkungen
(1) https://www.newcastle.edu.au/newsroom/featured/plastic-ingestion-by-people-could-be-equating-to-a-credit-card-a-week/how-much-microplastics-are-we-ingesting-estimation-of-the-mass-of-microplastics-ingested; https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0304389420319944
(2) Rachid Dris u.a.: „Synthetic fibers in atmospheric fallout: A source of microplastics in the environment?“, Marine Pollution Bulletin 104 (1-2) 2016, S. 290-293, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0025326X16300066
(3) Environmental Science & Technology, 2019; doi: 10.1021/acs.est.9b01517, https://www.semanticscholar.org/paper/Human-Consumption-of-Microplastics.-Cox-Covernton/573d5cdb9f0fb3b91b97203f5337400a2bcef940; https://www.focus.de/wissen/natur/wie-viel-mikroplastik-steckt-in-uns_id_10800276.html
(4) https://www.mdpi.com/2079-4991/11/2/496; https://wasserdreinull.de/blog/mikroplastik-und-die-menschliche-gesundheit/
(5) https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412022001258?via%3Dihub#f0005; https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/mikroplastik-mensch-1.4181146
(6) Siehe Süddeutsche Zeitung, 24.10.2018: „Plastik im Bauch“.
(7) Alexander J.Nihart u.a.: „Bioaccumulation of Microplastics in Decedent Human Brains“. Nature Medicine (2024): 1-11. https://doi.org/10.1038/s41591-024-03453-1, https://www.nature.com/articles/s41591-024-03453-1
(8) https://www.sciencemediacenter.de/angebote/mausstudie-wie-mikroplastik-das-gehirn-schaedigen-koennte-25012; https://www.br.de/nachrichten/wissen/mikroplastik-wandert-ins-gehirn-plastik,UbHIzoj
(9) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0048969721058952; https://www.forschung-und-wissen.de/nachrichten/medizin/mikroplastik-toetet-abwehrzellen-des-gehirns-13375567
(10) https://www.wellblue.com/blog/nanoplastik-im-menschlichen-gehirn/; https://www.spektrum.de/news/parkinson-durch-plastikmuell/2198302; https://doi.org/10.1126/sciadv.adi8716 (11) https://www.scinexx.de/news/medizin/unsere-zellen-vererben-ihr-nanoplastik/; https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0045653524003564?via%3Dihub
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