Sind Unangepasste krank?
- Dr. Harald Wiesendanger
- 25. Apr.
- 9 Min. Lesezeit
Ist „psychisch gestört“, wer sich nicht anpassen kann? Ja, sofern er darunter leidet, sagen Psychiater – dann verpassen sie dem Betroffenen eine Diagnose und erklären ihn für therapiebedürftig. Diese Praxis ist brandgefährlich. Sie verrät, wes Geistes Kind die Pseudowissenschaft ist, die sie legitimiert.

„Anpassungsstörung“ nennen Psychiater eine andauernde, ungewöhnlich starke Reaktion auf belastende äußere Umstände. Sie kann sich in depressiven Verstimmungen, Angst, einem Gefühl der Überforderung und sozialem Rückzug äußern, mitunter auch in aggressivem Verhalten. Unter dem Kürzel 6B43 führt die Weltgesundheitsorganisation sie in ihrer „Internationalen Klassifikation der Krankheiten“ (ICD). (1)
Wer gilt somit als psychisch gestört? Dazu zählen beispielsweise Menschen, die einen Trauerfall, eine Trennung, eine Scheidung nicht verkraften, unter Intrigen und Mobbing zusammenbrechen, mit beruflichem Scheitern, einer Krankheit oder Behinderung nicht fertigwerden. Aber auch Menschen, die an einer Umgebung verzweifeln, welche ihnen fremd geworden ist. Sie leiden unter der Lieblosigkeit, Gleichgültigkeit, Intoleranz, Aggressivität, Gier, Oberflächlichkeit, der Mitläuferei und Dummheit der anderen.
Ist psychisch krank und behandlungsbedürftig, wer sich in einer kranken Welt fremd fühlt, sich nicht mit ihr abfinden kann und gegen sie aufbegehrt?
„Es ist kein Zeichen von seelischer Gesundheit, sich an eine zutiefst gestörte Gesellschaft anpassen zu können“, befand Jiddu Krishnamurti (1895-1986), indischer Philosoph und spiritueller Lehrer. (2) Fast wortwörtlich gleich formulierte es der schottische Psychiater R. D. Laing: „Die Anpassung an eine zutiefst kranke Gesellschaft ist kein Zeichen von Gesundheit, sondern ein Zeichen von Wahnsinn.“ (3) Ähnlich äußerte sich der Psychoanalytiker Erich Fromm: „Die Tatsache, dass Millionen Menschen dieselben Verrücktheiten teilen, macht diese Verrücktheiten nicht zu einer Form von Vernunft.“ (4) Der Psychiatrie-Kritiker Thomas Szasz pflichtete bei: „Wenn du mit einer verrückten Gesellschaft übereinstimmst, nennen sie dich gesund.“ (5)
Querdenker zu gemeingefährlichen Geisteskranken gestempelt
„Anpassungsgestört“: das waren in den unsäglichen Coronajahren 5 bis 10 % der Bevölkerung – vom folgsamen „Team Vorsicht“ angeprangert als geistig minderbemittelte „Covidioten“, als verantwortungslose Maskenverweigerer und Impfmuffel. Ja, ihr Leidensdruck war hoch - aber weshalb? Weil sie krank im Kopf waren?
„Manche Querdenker sind in einer Art Realitätsverlust gefangen. [...] Das hat manchmal schon Züge von Wahn“, befand Gesundheitsminister Karl Lauterbach Ende 2021. (6)
Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery konstatierte: „„Das Verhalten vieler Impfgegner und Querdenker ist irrational und gefährlich. [...] Da hilft oft keine Argumentation mehr – das grenzt an pathologische Verbohrtheit.“ (7)
Der Psychiater Prof. Manfred Spitzer führte in einem Vortrag an der Uni Ulm aus: „Bei vielen Querdenkern sehen wir typische Muster von Verschwörungsdenken, die auch psychische Auffälligkeiten beinhalten können.“ (8)
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken stellte fest: „Teile der Querdenker-Szene haben sich radikalisiert und bewegen sich außerhalb jeder rationalen Argumentation. Da stellt sich schon die Frage nach geistiger Verfassung.“ (9)
Warum diskutieren, wenn man auch einfach eine Diagnose stellen kann?
Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten, wie auch Schreibtischtäter bei Mainstream-Medien, assistierten eilfertig bei solch übler Nachrede: mit infamen Spekulationen darüber, was für kognitive Fehlfunktionen manche Leute wohl dazu veranlassen, sich dem angeordneten „alternativlosen“ Seuchenschutz à la SpahnWielerDrosten dreist zu widersetzen – und wie damit therapeutisch umzugehen sei. Während sie „Verschwörungstheoretiker“ pathologisierten (10), gingen sie über das Massenphänomen der Verschwörungsleugner hinweg. Nonkonformisten wurden 'Patienten', Rebellion mutierte zur 'Störung im Sozialverhalten'. Mitläufertum war gesund, Individualität therapiebedürftig. Fürs Anderssein gibt´s zum Glück Tabletten.
Wie „wissenschaftlich“ ist eine Medizin, die unangepasste Selbstdenker pathologisiert? So erbärmlich feige dienten allzuviele ihrer Vertreter Machthabern zu allen Zeiten – und bleiben anscheinend weiterhin gerne zu Diensten, auch hierzulande.
Schande über sie.
„Die Debatte, ob Querdenker psychisch auffällig seien, zeigt gefährliche autoritäre Reflexe. Kritik, auch irrationale, gehört zur Demokratie“, betont der Jurist und Bürgerrechtler Maximilian Pichl. (11) Und zumindest die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP), gelegentliche Querdenkerin innerhalb der Schulmedizin, stellt klar: „Politischer Protest – selbst wenn er irrational erscheint – ist keine psychiatrische Diagnose. Wir warnen davor, gesellschaftliche Konflikte zu pathologisieren.“
Jagd auf Unangepasste – einst und heute
Der politische Missbrauch der Psychiatrie ist ein dunkles Kapitel der Geschichte – und leider teilweise auch der Gegenwart. Was sagt es über „das beste Deutschland aller Zeiten“, wenn es an diese Tradition gnadenlos anknüpft, kaum dass eine grippeähnliche Infektionswelle umgeht, vor der sich nicht jedermann im Nu folgsam bange machen lässt?
In totalitären Systemen wurde und wird Psychiatrie gezielt eingesetzt, um politisch Andersdenkende, Nonkonformisten oder sogenannte „gesellschaftlich Unerwünschte“ zu stigmatisieren, mundtot zu machen oder zu isolieren. Das bekannteste Beispiel für systematischen Missbrauch der Psychiatrie zur Repression lieferte die Sowjetunion ab den 1960er Jahren bis zum Ende der UdSSR 1991. Regimekritiker, Menschenrechtler, Künstler, religiöse Aktivisten wurden als psychisch krank diagnostiziert, z. B. mit der berüchtigten "Schleichenden Schizophrenie" - „wjalotekuschtschaja schizofrenija“-, einer Diagnose, die fast ausschließlich auf Dissidenten angewandt wurde. Die Folgen: Zwangseinweisungen in geschlossene psychiatrische Anstalten, Verabreichung von Psychopharmaka, Elektroschocks, körperliche Misshandlungen. Die bekanntesten Opfer waren Anatoli Koryagin, ein Arzt, der gegen diese Praxis kämpfte, und Wladimir Bukowski, ein Dissident, der Zwangspsychiatrie international bekannt machte.
Auch die Volksrepublik China bedient sich der Psychiatrie, um Regimekritiker und Nonkonformisten zu unterdrücken. Dafür richtete das Innenministerium psychiatrische Gefängnisse ein: „Ankang“. Darin weggesperrt wurden Menschenrechtsaktivisten, Falun-Gong-Anhänger, Christen, ethnische Minderheiten wie Tibeter und Uiguren. Als Vorwand dienen Diagnosen wie „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“. Amnesty International hat Zwangsmedikation, Folter und Missbrauch zahlreich dokumentiert.
Deutschland hat besonders viel Übung darin, den politischen Gegner nicht nur zu kriminalisieren, sondern auch zu psychiatrisieren. Das NS-Regime erklärte politisch oder gesellschaftlich „auffällige“ Menschen häufig für „geisteskrank“, wenn sie nicht offen strafrechtlich verfolgt werden konnten. Besonders betroffen waren Andersdenkende, Pazifisten, Künstler, Intellektuelle, die sich nicht dem nationalsozialistischen Weltbild unterordneten; Menschen mit „abweichendem Verhalten“, z. B. unangepasster Lebensstil, kritische Äußerungen im privaten Umfeld. Gutachten regimetreuer Ärzte stempelten sie zu „psychisch Gestörten“. Als Diagnosen dienten „Querulantenwahn“, „Schwachsinn“, „Psychopathische Persönlichkeitsstörung“ und „Asozialität“. Wer 80 Jahre später Kritiker von Corona-Maßnahmen als „asoziale Trittbrettfahrer“ anprangert – wie Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes (12) -, knüpft demnach an eine bewährte Tradition an. (13)
Auch in der DDR war die Psychiatrie ein verlängerter Arm der Staatsmacht, um politisch Unangepasste kaltzustellen. Dissidenten, Künstler oder Ausreisewillige wurden für psychisch krank erklärt. Die Stasi arbeitete dazu eng mit linientreuen Ärzten zusammen. Um Zielpersonen einzuschüchtern, genügte es oft schon, mit einer psychiatrischen Einweisung zu drohen. Wer davon unbeeindruckt blieb, wurde mit starken Psychopharmaka ruhiggestellt – Neuroleptika, Sedativa, bis hin zu Elektroschocks. Das Ziel war, den Willen zu brechen.
Und heute?
In autoritären Staaten findet weiterhin reichlich Missbrauch der Psychiatrie statt. Unter Putin häufen sich in Russland Fälle von Dissidenten, die in psychiatrische Kliniken eingewiesen wurden, z. B. Demonstranten oder LGBTQ+-Aktivisten. In Weißrussland (Belarus) nutzt das Lukaschenko-Regime Psychiatrien, um Protestierende „ruhigzustellen“. Berichte aus dem Iran deuten darauf hin, dass Frauenrechtlerinnen und politische Aktivisten psychiatrisch weggesperrt werden. Flüchtlinge aus Nordkorea berichten, dass Menschen, die das Regime kritisieren oder „abweichendes Verhalten“ zeigen, in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen werden. Psychiatrie ist Teil des Unterdrückungsapparats, ähnlich wie Straflager.
Die größte Angst all dieser Systeme ist in Wahrheit nicht der Verrückte – sondern der, der bei Verstand bleibt.
Überall gilt: Die sicherste Methode, einen freien Geist zu heilen, besteht darin, ihn zu brechen – natürlich nur zu seinem Besten und dem Wohle des Ganzen. Glück ist, wenn er nach genug Medikamenten endlich versteht, warum alle anderen den Wahnsinn der Normalität feiern. Sein Gefühl, dass „etwas nicht stimmt“, liegt nicht an äußeren Umständen – sondern an seiner mangelnden Anpassungsfähigkeit. Kritik ist Realitätsverzerrung. Unzufriedenheit mit dem Status quo: klassischer Fall von depressiver Verstimmung. Zu viele Fragen stellen: neurotischer Grübelzwang. Sinnlose Regeln verweigern: Oppositional Defiant Disorder (ODD) lässt grüßen! (14) Merke: Gesunde Menschen stellen keine Fragen. Sie funktionieren.
Die Vorzüge der Psychiatrie als Unterdrückungsinstrument
Warum eignet sich die Psychiatrie so vorzüglich dazu, Unangepasste ruhigzustellen?
Sie stigmatisiert: Einmal für „geisteskrank“ erklärt, verliert der Unangepasste seine Glaubwürdigkeit. Wer die Realität hinterfragt, leidet offensichtlich an Realitätsverlust - steht so im Lehrbuch.
Sie legitimiert Repression: Ein medizinischer Vorwand wirkt "harmloser" als offene politische Verfolgung.
Sie isoliert: Psychiatrische Einrichtungen sind geschlossene Systeme, in denen sich Kontrolle leicht ausüben lässt.
Sie hilft, Normen durchzusetzen: Passt euch an, schert nicht aus. Nonkonformität wird pathologisiert.
Soweit sich Psychiatrie dafür hergibt, ist sie „weniger eine Wissenschaft als ein Mechanismus gesellschaftlicher Kontrolle“, wie der Philosoph und Historiker Michel Foucault treffend anmerkte. (15)
„Unsere Gesellschaft ist gestört“
Wer unter zutiefst gestörten Verhältnissen anhaltend leidet, ist nicht irre – er zeigt eine völlig gesunde Stressreaktion. Ein Krankheitsetikett hätte eher das System verdient, das ihn leiden lässt.
Einer der wenigen Psychiater, der in diese Richtung beharrlich querdenkt, ist Dr. Raphael M. Bonelli, Neurowissenschaftler an der Sigmund Freud Universität Wien sowie Psychiater und systemischer Psychotherapeut in eigener Praxis. „Unsere Gesellschaft ist gestört“, befindet er. (16) Bonelli konstatiert einen Zustand kollektiver Verwirrung, verursacht durch ideologische Tabus, Denkverbote und eine zunehmende Entfremdung von der Realität. Kritik wird moralisch geframt, Andersdenkende ausgegrenzt, viele Themen werden tabuisiert: von Migration und Demografie über Gender, Klima und das christliche Europa bis Corona. Wer sich äußert, riskiert Ruf und Existenz. „Wir leben in einer Tabu-Gesellschaft“, so Bonelli, „und diese Tabus sind nicht natürlich gewachsen, sondern ideologisch erzeugt. Die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand kollektiven Gaslightings. Das Denken selbst wird zur Gefahr. Es gibt Themen, über die wir nicht einmal nachdenken dürfen. Wenn wir es dennoch wagen, dazu einen eigenständigen Gedanken zu formulieren, riskieren wir, gecancelt zu werden.“ Mit einer Unerbittlichkeit, die jede Debatte im Keim erstickt, wird auf abweichende Meinungen reagiert. „Ein falsches Wort genügt, um einen Sturm der Empörung auszulösen, der keine Differenzierung mehr zulässt. Die neuen Anständigen haben ihre Methoden perfektioniert, um jede abweichende Stimme zum Schweigen zu bringen. Die Tyrannei des neuen Anstands wird durchgesetzt mit den Techniken von Framing, Moral Licensing, Agenda Setting, Whataboutismus. Sie führen zu Shitstorms, Cancel Culture und der existenziellen Vernichtung.“
Das Ergebnis: Ein Großteil der Gesellschaft schweigt. Aus Angst vor sozialer Ächtung wird äußerlich genickt, was innerlich längst absurd erscheint. Bonelli erinnert: Noch in den 80er-Jahren war es möglich, im Kaffeehaus mit Linken, Rechten, Monarchisten und Freidenkern zu diskutieren – heute genügt ein falsches Wort, und der Raum wird empört verlassen.
Vielleicht, so Bonelli, „beginnt die Therapie der Gesellschaft damit, dass wir wieder sagen, was wir denken.“
Eine grundsätzliche Kritik der Psychiatrie:Harald Wiesendanger; Unheilkunde. Die 12 Märchen der Psychiatrie - Wie eine Pseudomedizin Hilfesuchende täuscht (2017).
Anmerkungen
(1) Nach der neuen Version ICD-11. Im Vorgänger ICD-10: F43.2.
(2) Das Ursprungswerk dieses Zitats ist nicht eindeutig belegbar, da Krishnamurti viele Vorträge hielt und seine Aussagen oft mündlich überliefert wurden. Das Zitat taucht in verschiedenen Sammlungen seiner Gedanken auf, z. B. in "The Urgency of Change" (1970).
(3) R. D. Laing: The Politics of Experience (1967), S. 24.
(4) Erich Fromm: The Sane Society (1955), S. 14.
(5) Thomas Szasz, The Second Sin (1973), S. 113.
(6) Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 20.12.2021: „Lauterbach warnt vor Radikalisierung der Querdenker“, Artikel hinter Bezahlschranke.
(7) Interview mit dem Deutschlandfunk, 14.12.2021: „Montgomery: Impfgegner handeln irrational“.
(8) Vortrag „Psychologie der Pandemie-Leugner“, Universität Ulm, Dezember 2021, zit. in Augsburger Allgemeine, 10.12.2021, https://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/psychologie-warum-menschen-an-verschwoerungstheorien-glauben-id61150266.html
(9) Twitter-Post vom 22.11.2021; Account inzwischen gelöscht, aber zitiert in Medien, z.B. bei Focus Online, 23.11.2021, https://www.focus.de/politik/deutschland/querdenker-eskens-polemik-gegen-impfgegner-das-ist-nicht-hilfreich_id_24467835.html
(10) Ein Musterbeispiel bot die Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie im Sommer 2022 mit einem Beitrag „Corona-Verschwörungstheorien und Psychotherapie“, 21 (2) 2022, S. 395–407. doi: 10.1007/s11620-022-00692-7. „Auf dem Hintergrund psychodramatischer Konzepte“ versucht die Autorin „einen Umgang mit Menschen zu entwerfen, die an Verschwörungen glauben. Dabei scheint es eher möglich zu sein, betroffene Angehörige und Freunde zu begleiten als Verschwörungsgläubige selbst, die sich meist nicht als behandlungsbedürftig erleben.“ Gewissen „Studien“ zufolge könne „die Faszination von Verschwörungswelten Suchtcharakter annehmen. Dies zeigt sich im Kontrollverlust bezüglich der einschlägigen Internetaktivitäten und Vernachlässigung von Beziehungen und sonstiger Verpflichtungen. Solcherart Süchtige befinden sich in einem Teufelskreis von Misstrauen und Entmutigung und fühlen sich nicht mehr mit anderen verbunden. Dieses Leiden macht manche zugänglich für Psychotherapie.”
(11) Gastbeitrag in Verfassungsblog, April 2021, https://verfassungsblog.de/querdenken-und-die-grenzen-der-demokratie/
(12) Im Interview mit der Rheinischen Post, 13. Dezember 2021: „Weltärztebund-Chef nennt Impfgegner asoziale Trittbrettfahrer“.
(13) Solch perfide Ausgrenzung erlebte beispielsweise Friedrich Kellner (1885–1970), ein Justizbeamter und entschiedener NS-Gegner aus Hessen: Weil er sich kritisch äußerte, drohte man ihm wiederholt damit, ihn wegen „gefährlicher Gedanken“ in eine „Heilanstalt“ wegzusperren. (Zwischen 1939 und 1945 verfasste Friedrich Kellner das berühmte Tagebuch mit dem Titel „Mein Widerstand“. Auf über 900 Seiten dokumentierte er die Verbrechen des Regimes, die Kriegspolitik - und die Schuld der Bevölkerung.)
Elisabeth Schmitz (1893–1977), eine Theologin und NS-Gegnerin, musste untertauchen, nachdem sie wegen „hysterischer Anwandlungen“ denunziert wurde. Als scharfe Kritikerin der Judenverfolgung verfasste sie 1935 die berühmte Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, in der sie die evangelische Kirche anklagte, die zu den Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung schwieg.
Künstler und Schriftsteller wie der Dadaist Johannes Baader wurden als „geisteskrank“ abgestempelt, weil ihre Kunst als „entartet“ galt – verbunden mit psychischer Abwertung.
Einweisungen unter solchem Vorwand bedeuteten oft lebenslange Internierung oder endeten in der Ermordung im Rahmen des verbrecherische Euthanasieprogramms. (Siehe Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt am Main 1983.)
(14) Die Oppositional Defiant Disorder (ODD) – auf Deutsch meist „oppositionelles Trotzverhalten“ oder „oppositionelle Verhaltensstörung“ genannt – ist eine Diagnose aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie bezeichnet ein wiederkehrendes, negativistisches, trotziges, widersetzliches und feindseliges Verhalten gegenüber Autoritätspersonen. Zyniker übersetzen die ODD-Diagnose so: „Das Kind hat ein Problem – es gehorcht nicht blind.“
(15) Michel Foucault, Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses (1975), S. 304.
(16) Raphael M. Bonelli: Tabu: Was wir nicht denken dürfen und warum. Das prägende Thema unserer Zeit – tiefgründig, provokant und psychologisch erklärt (2025).
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