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  • Dr. Harald Wiesendanger

Nur Geduld!

Wenn Symptome während eines Therapiecamps meiner Stiftung Auswege fortbestehen, bis zum letzten Tag - war die Teilnahme dann umsonst? Viele Patientengeschichten zeigen, dass sich Geduld auszahlt.


Wenn Wörter aus der Mode kommen, tun es oft auch die Dinge, für die sie stehen. Tugenden bieten reichlich Bei­spiele dafür. Nicht nur schreiben wir einander immer seltener Eigen­schaften zu wie demütig, keusch, ehrfürchtig, enthaltsam, züchtig, duldsam, barmherzig oder edelmütig. Wir sind es auch immer weni­ger.


Auch Langmut ist so ein Fall: die Fähigkeit, warten zu können – gelassen, standhaft und ausdauernd, auftretender Schwierigkeiten zum Trotz.


Das altertümliche Wort „Langmut“ haben wir zwar durch „Geduld“ ersetzt – aber die neuzeitliche Geduld macht sich inzwischen rarer, als sich unsere langmütigen Vorfahren je hätten träumen lassen. Unseren Alltag empfinden wir zunehmend als schikanöse Aneinan­derreihung lästiger, ärgerlicher und großteils überflüssiger Wartereien auf etwas, das unseres Erachtens schneller passieren könnte und müsste. Und so harren wir angespannt, bis endlich das Bad frei wird; bis wir an die Spitze der Warteschlangen an Ladenkassen, Post- und Bankschaltern, beim Friseur und in der Arztpraxis rücken; bis die Ampel endlich auf Grün springt, der Schleicher vor uns die Überholspur freigibt; bis sich endlich die Bedienung blicken lässt; bis das Essen serviert und die Post zugestellt wird; bis die Gäste eintreffen, die wieder einmal unpünktlich sind. Und so ähn­lich halten wir es mit besonders Wichtigem in unserem Leben: Unge­duldig erwarten wir Beförderungen, Erbfälle, die große Liebe, den Acht­zylinder, das eigene Haus.


Erst recht geht uns alles viel zu langsam, wenn wir erkrankt sind, zumal wenn es sich um etwas Chronisches handelt, dem nicht auf die Schnelle mit einer Tablette, einer Spritze oder einer OP beizukommen ist. Zwar ist uns durchaus klar, dass eine solche Krankheit oft Jahre, manchmal Jahr­zehnte brauchte, um sich zur unangenehmen Beschwernis, zum spürbaren Leiden zu entwickeln – aber Heilung, oder zumindest eine deutliche Linderung, fordern wir schleunigst, mindestens im Tempo und der Zuverlässigkeit eines biblischen Wunders. „Oh Herr, gib mir Ge­duld“, beten wir, „aber sofort!“


Wer mit einer solchen Einstellung in ein Therapiecamp meiner Stiftung Aus­wege kommt, geht ein hohes Risiko ein, nach neun Tagen ernüchtert den Heimweg anzutreten. Schlagartige, vollständige Genesungen sind bei uns zwar schon vorgekommen, bleiben aber die seltene Ausnahme.


Falls die erhoffte Linderung ausbleibt: War der Besuch bei uns dann umsonst? Die folgenden Patienten­schicksale verdeutlichen, dass es sich lohnt, altmodische Langmut aufzubringen und die Behand­lung nach Campende fortzusetzen, statt sie enttäuscht abzubrechen.


Drei Jahre lang bis zu 20 epileptische Anfälle pro Tag – inzwischen geheilt


Mit zehn Monaten läuft Mira bereits frei und beginnt, einzelne Worte zu sprechen. Vier Monate später be­kommt sie plötzlich einen Fieber­krampf, läuft blau an und hat Schaum vor dem Mund. Um eine Ent­zündung auszuschließen, wird in der Klinik eine Lumbalpunktion durchgeführt: Mit einer Hohlnadel wird aus dem Lenden­wirbelkanal Nervenwasser entnommen. Darin können aber keine Keime festgestellt werden.


Trotzdem behält man das Mädchen dort und verabreicht ihm Anti­b­ioti­ka. Im Laufe des nächsten Tages verschlechtert sich Miras Zustand dramatisch; die Atmung setzt aus, sie muss intubiert werden. Nach einem Herz-Kreislaufversagen wird sie auf die Intensivstation verlegt. Eine erneute Lumbalpunktion, zwei Tage später durch­geführt, weist diesmal einen Befall mit Pneumo­kokken nach: den häufigsten bakteriellen Erregern schwerer Infektionen wie Mittelohr-, Lungen-, Hirn­haut­ent­zün­dung, mit einer Blutvergiftung (Sepsis) als besonders gefürchteter Komplikation. Offenbar hat sich Mi­ra erst im Krankenhaus damit angesteckt. Nachdem ihre Nieren versagen, wird operativ ein Shunt (Kurz­schlussverbindung) gelegt und dialysiert.


Unterdessen schalten die Eltern eine Hei­lerin ein, die eine Fernbehand­lung durchführt; zur Überraschung der Ärzte funktionieren zwei Tage später die Nieren wieder, so dass der Shunt entfernt werden kann.


Erst nach der Entlassung stellen die Eltern zu Hause fest, dass ihr Kind nicht mehr hört. Umgehend wird eine Cochlea-Transplantation durchgeführt und Mira mit einem Hör­ge­rät versorgt. (Die Cochlea, "Ohr­schnecke", ist der spiralig gewundene Knochenraum im Innenohr, in dem sich das menschliche Hörorgan befindet.)


Obwohl kein fokaler Herd im Gehirn festgestellt werden kann, verordnen Ärzte Antiepileptika. Unter ihnen trübt Miras Bewusstsein zunehmend ein, und es häufen sich immer schlimmere Anfälle, weshalb die Eltern die Arz­nei­mitteldosis verringern. Medikamentös bedingt läuft das Mädchen ataktisch und unsicher; wegen ständiger Sturzgefahr trägt es einen Helm, zum Schutz vor schweren Kopfverletzungen. Mira hört und versteht, was man von ihr möchte, und gibt Töne von sich. Im übrigen bleibt ihre kognitive Entwicklung stehen.


Mit bis zu zwanzig Anfällen pro Tag, rund um die Uhr, kommt Mira Ende August 2008 in ein Auswege-Camp in Rheinbreitbach bei Bad Honnef, begleitet von ihrer Mutter Katja. Dort bleibt Miras Symptomatik, bei be­trächt­lichen Schwankungen, "im we­sent­lichen gleich", wie ihre Mutter ent­täuscht Bilanz zieht. „Auf vergleichsweise gute Tage folgten im­mer wieder heftige Anfälle und Ab­sencen.“ Medikamente zu reduzie­­ren, traut sich die Mutter deshalb noch nicht. Lediglich in Miras allgemeiner körperlicher Verfassung sieht sie eine leichte Besserung.


Wie bei allen anderen Camp-Kin­dern, so setzen wir auch bei Mira un­sere Bemühungen fort: Ein Heiler, der sie schon in Rheinbreitbach betreut hat, nimmt Fern­behandlun­gen vor, gelegentlich finden auch Be­hand­lungen durch Handauflegen und Gebet in seiner Praxis statt. Gleich­zeitig lassen wir einen Fach­arzt für Klas­sische Homöopathie das Mädchen mit speziellen Globu­li versorgen. Am 17. September 2008, zwei­einhalb Wochen nach Camp­ende, überrascht uns Miras Mutter mit einer ersten erfreulichen Nach­richt: Seit drei Tagen sei bei Mira kein einziger Anfall aufgetreten - und dies, obwohl die Eltern die Antiepi­leptika schrittweise reduziert haben.


Doch von der darauffolgenden Wo­che an kommt es wieder zu zwei bis drei größeren Anfällen pro Tag - und Ende September wendet sich Miras Mutter an uns mit einem verzweifelten Hilferuf: "Mira geht es im Mo­ment sehr schlecht. Seit vier Tagen und Nächten krampft sie fast permanent. Nachts kommt es Schnitt zu ca. 15-18 Krämpfen. Zur Zeit ist sie nicht mehr fähig zu laufen, Nahrung kann sie nur sehr mühsam aufnehmen. Wir alle sind völlig fertig, da wir seit vier Nächten nicht mehr schlafen können." Sind all unsere Bemühun­gen um Mira vergeblich gewesen? Be­wahrheitet sich hier die häufig ge­äußerte Kritik, Geistiges Heilen er­ziele bei schweren chronischen Lei­den allenfalls kurzzeitige Besserun­gen?


Des Rätsels Lösung findet ein Neu­rologe: Miras schwerer Rückfall ist durch nichts weiter als einen Vita­min-B6-Mangel ausgelöst worden. (1) "Wir hatten Mira seit einem Jahr zum Schlafen abends Me­la­tonin gegeben", berichtet ihre Mut­ter. "In diesen Tabletten sind 20 Milli­gramm B6 drin. Bei der letzten Be­stel­lung haben wir das Melatonin von einem anderen Hersteller erhalten und darin war nur 1 Milligramm B6 enthalten. Anfangs habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht. Als wir mit Mira dann im Kranken­haus waren, ist meiner Mutter eingefallen, dass ich das mal kurz erwähnt habe. Wir haben dann mit unserem Neurologen gesprochen und er ist so­gar darauf eingegangen! Dann haben wir das alte Melatonin wieder gegeben - und schon wurde es von Nacht zu Nacht besser. Die letzten beiden Nächte waren wieder ohne Krämpfe! Das hätte uns ja auch vorher einfallen können, aber manchmal sind die einfachen Lösungen zu weit weg! Der einzige Nachteil an dem ganzen Krankenhaus­aufenthalt ist, dass sie Mira wieder auf die volle Dosis von dem Anti-Epileptikum gesetzt haben und somit unsere stufenweise Reduzierung vom letzten Jahr im Eimer ist. Jetzt müssen wir wieder ganz von vorne an­fangen. Aber vielleicht hat es ja für andere Kinder etwas gebracht, dass sich die Ärzte mal ein wenig Gedanken um Vitalstoffe und Vitamine machen. Wer weiß? Schön wäre es auf jeden Fall!"


Kaum war der Vitaminmangel ausgeglichen, ging es Mira wieder blendend: "Sie ist jetzt schon vier Tage hin­ter­­einander komplett anfallfrei!", schrieb uns ihre Mutter am 9. Okto­ber 2008 mit fünf Ausrufezeichen. "Das hatten wir in den ganzen drei Jahren kein einziges Mal! Ihr geht es im Moment so gut wie schon lange nicht mehr. Sie ist aufmerksam, hat wieder Spaß im Kinder­garten, reagiert wieder, wenn man sie ruft und kann auch zum Glück wieder lachen! Wir sind soooo überglücklich und se­hen nun richtig positiv in die Zu­kunft. Sie wird es schaffen!"


Würde diese Wende zum Positiven diesmal anhalten? Am 5. Dezember 2008 schaut Mira mit ihrer Mutter in un­­se­rer Geschäftsstelle im Oden­wald vorbei, wo sich deren Leiterin und ich mit eigenen Augen davon überzeugen können, welch enorme Fortschritte das Mädchen in­zwischen gemacht hat. Die überglück­liche Mutter berichtet: "Seit vier Wo­chen ist es zu keinem einzigen Anfall mehr gekommen!" Während wir mit den Eltern bei Kaffee und Kuchen die Krankengeschichte des Mädchens besprechen, sitzt Mira vergnügt auf dem Schoß ihres Vaters, beschäftigt sich hingebungsvoll damit, einen Berg Wal­nüsse unentwegt aus einer großen Schüssel in Plastikbecher um­zufüllen und zurückzuschütten; zwi­schendurch lächelt sie immer wieder in die Runde, plappert, streckt den Stiftungsvertretern keck ihren Zeige­finger entgegen und winkt ihnen zu.


Dass Miras unfassbare Fortschritte maßgeblich auf die Bemühungen des beteiligten Heilers Winfried Lub­berich zurückzuführen sind, der sich während des Camps und anschließend intensiv um Mira kümmerte - überwiegend durch Fernbehandlun­gen, gelegentlich aber auch bei Heil­sitzungen in seiner Praxis in Hen­nef/Sieg -, steht für Miras Eltern außer Frage. "Ich erinnere mich an einen Tag, an dem es Mira wieder mal besonders schlecht ging, mit mehreren schlimmen Anfällen kurz hintereinander“, berichtet Katja. „In meiner Verzweiflung versuchte ich Winfried telefonisch zu erreichen. Da sein Anruf­beantworter lief, sprach ich ihm auf Band, er möge schnellstmöglich etwas für mein Mädchen tun. Dabei wusste ich nicht, wann er die Nachricht abhörte - womöglich war er verreist. Am selben Abend, kurz nach 18 Uhr, saß Mira auf meinem Schoß - plötzlich richtete sie sich auf, begann zu plappern, war fröhlich, ausgeglichen und temperamentvoll - wie verwandelt. Eine Weile später hatte ich Winfried am Telefon: Ob es Mira denn inzwischen besser gehe, wollte er wissen. Denn Punkt 18 Uhr habe er begonnen, sie fernzubehandeln. Bloßer Zufall? Daran mag glauben, wer will."


Seither holt Mira ihren Entwick­lungs­rückstand in Riesenschritten auf, so aktiv und eigenwillig, dass sie für Mama und Betreuer während mehrerer weiterer Camp­wochen mitunter zur anstrengenden Herausfor­de­rung wurde – etwa wenn sie täglich dutzendfach „Ich-lauf-jetzt-einfach-mal-weg-fang-mich“ spielte. Un­entwegt verblüffte sie uns mit Ver­haltensweisen, die früher undenk­bar waren: Sie lächelt Personen freundlich an, setzt sich zu ihnen und kom­mu­niziert, ahmt sie nach, zeigt Ge­genstände, die sie interessieren, lernt immer kompliziertere Spiele, spricht immer mehr. Bei jedem weiteren Campaufenthalt „haben Miras Sym­ptome deutlich nachgelassen“, beobachtete die Mutter; „die ‚Auswege’-Camps bieten ihr die perfekte Um­gebung“. Hier sei das Mädchen „viel ruhiger und ausgeglichener“ geworden. Teammitglieder, die es vor Jah­ren bereits ken­nengelernt hatten, waren berührt von seinen enormen Fortschritten. Auch unser Camparzt stellte ab­schließend fest: „Man merkt Mira zunehmend ein wachsendes geistiges Potential an: fordernder, kesser, gewitzter. Sie tut viel mehr be­wusster als früher. Sie versteht und redet immer mehr.“


Alle paar Monate tritt ein einzelner epileptischer An­fall auf, abhängig zumeist von ihrem Vitamin-B6-Spie­gel: „Ist er zu hoch oder zu niedrig, dann krampft sie“, berichtet Miras Ma­ma. Doch dies sind kurzzeitige, folgenlose Aus­setzer, mit Miras früheren Anfällen nicht zu vergleichen.


Auch Bernd krampft nicht mehr


Die Schwangerschaft war völlig un­auffällig verlaufen. Nichts hatte darauf hingedeutet, was schon kurz nach Bernds* Geburt begann: Das Baby zuckte und krampfte unter epileptischen Anfällen – bis zu fünfmal pro Tag. Im Mai 2012 wurde eine „fokale corticale Dysplasie der rechten Hemisphäre“ diagnostiziert, eine Fehlbildung in der Großhirnrinde. Ein chirurgischer Eingriff machte den Jungen zunächst für zwei Mona­te symptomfrei. Als die Krämpfe er­neut einsetzten, wurde im August 2012 eine Hemisphärotomie durchgeführt: Sämtliche Verbin­dungen zwischen den beiden Hirnhälften wurden durch­trennt. Im Dezember stellten Ärzte fest, dass der Abfluss der Hirnflüssigkeit gestört ist; daraufhin wurde ein Shunt gelegt. (Mit einem Cerebralshunt wird überschüssige Gehirnflüssigkeit aus den Hirnkammern in eine andere Körperhöhle abgeführt - z.B. in den Bauch­raum oder einen Vorhof des Herzens -, um den Hirn­druck auf einen Normalwert zu reduzieren. In der Regel wird dafür ein dünner Plastikschlauch mit Ventil verwendet.) Daraufhin war Bernd wieder an­fallsfrei – aber bloß vorübergehend. Erneut setzten Anfälle ein: bis zu sechsmal täglich.


Bernds allgemeine Entwicklung verläuft stark verzögert: „Er übt immer noch, seinen Kopf zu kontrollieren“, berichteten seine Eltern vor Campbe­ginn, „alles Weitere ist schon fast nicht erwähnenswert. Die Ärzte sind mit ihrem Latein am Ende – und wir mit unserer Kraft!“


Von den neun Camptagen im Juli 2013 profitierte der Junge sichtlich: Er wirkte aufmerksamer. Sein Blick, zu­vor glasig und wie entrückt, folgte nun interessiert Bewe­gungen in seinem Gesichtsfeld. Er gab Laute von sich, die auf Situationen zu „passen“ schienen, und reagierte auf sie; auf die Heilsitzungen freute er sich sichtlich. Aktiver als zuvor drehte er den Kopf, bewegte seine Beine, griff nach Dingen und Personen in seiner Nähe. Die Hypotonie seiner Muskulatur hat „deutlich nachgelassen“, wie die El­tern berichten; auch sein Appetit sei erheblich besser geworden. Seine epileptischen Anfälle hingegen nahmen gegen Campende deutlich zu, was unser Camparzt als „Erstver­schlim­merung“ wertete; auch wenn sie Bernds Eltern verständlicherweise beunruhigte, kann sie darauf hindeuten, dass die Behandlungen anschlugen.


Dies bestätigte sich bald darauf: “Die letzten Wochen hatte Bernd im Schnitt zwei Anfälle pro Nacht”, berichtete seine Mutter vier Wochen nach Campende, im August 2013, “die letzten Tage bloß einen und letzte Nacht gar keinen!!! (...) Er ist dauerhaft anwesend, und alle Reize scheinen schneller bei ihm anzukommen. Alles in allem ging es ihm noch nie so gut!!!” Eine Woche später schrieb sie uns: “Bernd ist jetzt schon den vierten Tag hintereinander tagsüber anfallsfrei. Die Krämpfe nachts lassen deutlich nach.”


Und die Fortschritte gingen weiter. Am 25. Januar 2014 erreichte uns diese Mail der glücklichen Eltern: „Bernd ist jetzt fast vier Monate ohne Anfälle. Er hat sehr viel Spaß im Kindergarten und macht sich auch sonst sehr gut!!!“


Nach vier Camps: Schwer­behinder­ter Junge ist frei von Epilepsie – und macht erstaunliche Entwicklungs­­fortschritte


Aufgrund einer angeborenen Fehl­bildung des Gehirns war Nicky* (Pseudonym), inzwischen 16, von einer schwe­ren Entwicklungsverzö­gerung und epileptischen Krämpfen betroffen. In beiden Hinsichten hatte er schon bei drei früheren Campauf­enthalten erstaunliche Fort­schritte gemacht, wie unser Camparzt da­mals feststellte: „Er ist ruhiger, voller Zufrieden­heit, manchmal sogar voller lauter Freude. An seiner Umwelt nimmt er großen Anteil. In bestimmten Situa­tionen zeigt er deutlich Glück oder Trauer.“ Seine Mutter bestätigt: Ihr Junge sei „viel selbstständiger in seinem Handeln geworden.“ Des öfteren „blieb er auch mal allein in seinem Zimmer – was ein großer Fort­schritt für ihn ist, von mir loszulassen. Nachts schlief er sehr gut. Er hat verstärkt seine rechte Hand benutzt. Sein Geist ist viel wa­cher, er kann schneller Anforderun­gen umsetzen. Beim Abschied hat Nicky sehr geweint, er wollte nicht nach Hause. Das ist das erste Mal in seinen vierzehn Lebensjahren, dass so etwas passierte – sonst war es eher umgekehrt.“


Seit Nicky 2010 erstmals an einem „Auswege“-Camp teilnahm, sei er „insgesamt mobiler, aufmerksamer, ausgeglichener, friedlicher geworden, nach Auseinander­setzungen und Zorn­anfällen erholt er sich schneller.“ Im Dezember 2010, fünf Monate nach En­de seines ersten Camps, wies Ni­ckys EEG „keine Krampf­zacken mehr auf – zum ersten Mal seit seiner Geburt. Der Me­dizin­professor war darüber sehr erstaunt.“


Wie die Mutter im Sommer 2013 nochmals bestätigte, „hat Nicky seit den Camps keine Anfälle mehr. Seine motorischen Fähigkeiten haben sich sehr verbessert. Auch nässt er seit dem Sommercamp 2012 nicht mehr ein und macht sich bemerkbar, wenn er auf die Toilette muss.“


Nach einer weiteren Campwoche im August 2013 wurde bei Nicky, nach Angaben der Mutter, auch „das rechte Bein viel, viel besser: Nun kann er es fast gerade durchdrücken und die Füße selbstständig nach innen drehen“.


Im Mai 2014 versicherte die Mutter abermals: „Nicky hat keine Anfälle mehr!“ Von seiner erneuten Camp­teilnahme Anfang Juli 2014 erhoffte sie sich weitere Fortschritte in seiner geistigen Entwicklung, außerdem ein sichereres Gangbild: Seit er kurz zuvor wegen eines Senkfußes operiert worden war, bereitete ihm das Lau­fen Probleme, trotz täglicher Physio­therapie.


Auch diesmal wurde die Familie nicht enttäuscht: „Nicky ist immer mehr bei uns“, so brachte die Mutter in ihrem Tagebuch auf den Punkt, welch erfreuliche geistige Fortschrit­te ihr Junge machte: “Er beobachtet sehr intensiv, versucht sich einzubringen, sucht Kontakt zu anderen Kindern, ist glücklich und zufrieden, die Augen sind hell und klar“ – er wirkt „sehr wach“ und „ist immer mehr in dieser Welt.“ Auch „das Lau­fen wird immer besser“. Vom dritten Camptag an „fiel ihm das Schlucken zunehmend leichter“. Ein Abszess an seinen Hoden, die um Pfingsten operiert worden waren, hörte am vierten Camptag auf zu nässen. Beiden tat die Campwoche gut: „Ich glaube, die­ses Camp kann man nicht überbieten“, notierte Nickys Mutter ab­schließend. „Von der ersten Minute bis zum Schluss war alles perfekt. Wir haben uns wohlgefühlt, ich kann nicht beschreiben, wie glücklich wir sind – und wie traurig, dass die Woche wie im Flug vorbei ist.“


Wie schätzt der ärztliche Leiter unseres Camps Nickys Fortschritte ein? Geistiges Heilen und Fuß-OP haben auch nach seinem Eindruck dazu geführt, dass „Nickys Gang stabiler geworden ist; er kann besser alleine laufen. Langsam entwickelt er sich; er wirkt immer sensibler, auch ge­festigter. Sein eigener Wille kommt zum Vorschein.“ Dass ihm laufend Speichel aus dem ständig geöffneten Mund tropft, erklärt unser Camparzt als medikamentös bedingt.


Von Multipler Sklerose und Dauerschwindel befreit


Im Februar 2006 traten bei Anja* (31, Jg. 1979), Sport­lehrerin und Mutter aus dem Rhein-Neckar-Raum, erste Anzeichen von Multipler Sklerose auf: Sie sah unscharf, wie durch einen milchigen Schleier, ihre Augen schmerzten; bei körperlicher An­stren­gung ermüdete sie leicht; in Händen und Beinen kribbelte es seltsam. Vier Jahre später wurde ihr oben­drein ein Morbus Menière diagnostiziert: eine tückische Erkran­kung des Innen­ohrs, die bei ihr zu Schwindelanfällen führte, sie schwer­­hörig machte und von lästigen Ohrgeräuschen (Tinni­tus) begleitet war.


In beiden Hinsichten machte Anja wäh­rend eines ersten Campaufent­halts im Sommer 2010 im Klein­wal­sertal erste kleine Fortschritte: Sie fühl­te sich etwas gangsicherer, konnte deutlich längere Strecken ohne Geh­hilfe be­wäl­tigen; der Schwindel schwächte sich leicht ab. Was ihr besonders zu helfen schien, war eine intensive Ge­sprächstherapie, ge­stützt auf eine gründliche Familien­anamnese: Merkwürdigerweise war ihr Schwindel erstmals am 21. Juni 2010 aufgetreten, exakt am Ge­burtstag ihres über alles geliebten Vaters, der ein Jahr zuvor gestorben war – für Anja ein schmerzlicher Verlust, den sie noch immer nicht verarbeitet hatte. Ihre Beziehung zur Mutter hingegen war schlecht: „Zum ersten Mal gekümmert hat sie sich um mich, als sie von meiner MS erfuhr.“ Bei Campende bescheinigte ihr der leitende Arzt, sie habe „die ‚Botschaft’ der Krankheit verstanden“ und sei „bereit zu anstehenden Veränderungen“.


Der eigentliche therapeutische Durch­­bruch fand ein Jahr später statt, nachdem sie im Sommer 2011 an einem zweiten Camp teilnahm. Seither ist kein einziger weiterer MS-Schub mehr aufgetreten, der Menière vollständig abgeklungen.


„Geduld“, mahnte der niederländische Philosoph Spinoza, „ist die Tu­gend der Glücklichen.“ Und so legen wir unseren Campteilnehmern jene Zuversicht ans Herz, für die der russische Schriftsteller Leo Tolstoi warb: „Alles nimmt ein gutes Ende für den, der warten kann.“ (2)

„Im Grunde ist ein Diamant nur ein Stück Kohle, das die nötige Ausdauer hatte.“ (Sprichwort)

Anmerkungen

* Pseudonyme

1 Zu Zusammenhängen zwischen Vita­min­mangel und Epi­lepsie s. K.-H. Krau­se, „Vitamin-B-Versorgung und Epilep­sie“, Therapiewoche 14/1990, s. 977 f.

2 Leo N. Tolstoi: Der Schlüssel zur Gelas­sen­heit, hrsg. von Margit Hoffmann.

Dieser Betrag enthält Auszüge aus dem Buch von Harald Wiesendanger: Auswege – Kranken anders helfen (2015)

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