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  • Dr. Harald Wiesendanger

Missverstandenes Geschenk

Geistiges Heilen gewinnt zunehmend an Bedeutung, obwohl Kritiker es noch immer als Scharlatanerie brandmarken. Doch die Erfahrung zeigt: Geistiges Heilen ist risikolos, frei von schädlichen Nebenwirkungen und mit anderen Heilverfahren nutzbringend kombinierbar. Neun von zehn Behandelten können Positives berichten, selbst in vermeintlich “hoffnungslosen” Fällen. Warum also begegnet die älteste Heiltradition der Menschheitsgeschichte nach wie vor massiven Widerständen? Was ist von ihr zu halten? Wie viel leistet sie wirklich? In meiner Anthologie Geistiges Heilen für eine neue Zeit - Vom “Wunderheilen” zur ganzheitlichen Medizin (1999) gehen Ärzte, Heiler, Naturwissenschaftler, Parapsychologen, Psychotherapeuten und Juristen) auf die wichtigsten Aspekte Geistigen Heilens ein - mit seinen weitreichenden Chancen für das neue Jahrtausend.


Das missverstandene Geschenk


Angenommen, mit einer fliegenden Untertasse aus einem Hinterstübchen unserer Galaxie käme ein phantastisches Arzneimittel namens "Aga" eingeflogen, das jedes Leiden lindern kann: von Allergien über Rheumatismus bis zu Krebs. Dieses Aga würden die Außerirdischen an einige tausend auserwählte Menschen verteilen, mit dem Auftrag, es an all jene weiterzugeben, bei denen ärztliche Kunst versagt.


Wie ein Lauffeuer würde sich die Kunde von diesem neuen Medikament verbreiten. Bald würden Berichte von unfassbaren Wunderheilungen für Schlag­zeilen sorgen. Sie ließen Abermillionen von verzweifelten Kranken aufhorchen, die bislang ausschließlich der Schulmedizin vertraut haben, und ernsthaft erwägen, ob nicht auch sie Aga ausprobieren sollten. Umfragen unter Aga-Benutzern ergäben zwar, dass Aga nicht immer und nicht jedem Kranken rasch und hundertprozentig hilft; immerhin würden sie aber zeigen, dass Aga tatsächlich der großen Mehrheit gut tut und anscheinend frei ist von schädlichen Neben­wirkungen.


Doch auch Missbräuche von Aga würden bekannt. Denn etliche Auserwählte vergäßen ihren Heilauftrag und begännen, Aga zu Wucherpreisen zu verkaufen. Sie würden Gutgläubigen Krankheiten einreden, bloß um sie als Käufer zu gewinnen und bei der Stange zu halten; mit Wundergarantien und Drohungen hielten sie Kranke davon ab, zum Arzt zu gehen.


Auf dem Esoterik-Markt entstünde ein regelrechter Aga-Kult: Bücher von spiritistischen Medien, die in Trance Kontakt zu den Außerirdischen aufgenommen haben wollen, würden Spitzenplätze in den Bestsellerlisten belegen. Zu horrenden Preisen würden Geräte verkauft, mit denen sich die in Aga steckende Heil­energie angeblich unmittelbar aus dem Kosmos einfangen und in Krankheits­herde hineinleiten lässt. Reißenden Absatz fänden bestimmte Edelsteine, Farb­strahler und Duftwässerchen, deren regelmäßiger Gebrauch die therapeutische Wirkung von Aga vervielfachen können soll. Gerissene Profiteure, die von der Aga-Verteilung ausgeschlossen worden waren, böten "Mega-Aga forte" an: mit der Lüge, dies sei ein noch wirksameres Heilmittel, das die Außerirdischen bei einem unauffälligen weiteren Besuch auf der Erde hinterlassen hätten. Wie Pilze schössen "Aga-Yoga"-Schulen aus dem Boden, die spezielle Atem- und Bewe­gungsmeditationen lehren, mit denen die Aga-Wirkung angeblich potenziert werden kann. Ebenso boomen würden "Agarobic"- und "Aganetik"-Studios. "Aga-Meister", die vom Leiter der außerirdischen Gesandtschaft höchstpersönlich in der geheimen Kunst der Aga-Anwendung unterwiesen und zu ihrer Verbreitung autorisiert worden sein wollen, böten teure "Intensiv-Seminare" an; gelehrigen Schülern würden sie diplomierte Abschlüsse "ersten", "zweiten" und "dritten Grades" in Aussicht stellen.


Von solchen Auswüchsen würden sich Skeptiker bestätigt fühlen, die in Aga von vornherein ein betrügerisches Geschäft mit arglosen Notleidenden witterten. Ärztliche Standesvertretungen, Heilpraktikerverbände und die pharmazeutische Industrie, in wachsender Sorge um den Verlust ihrer Kundschaft, würden Staatsanwälte mobilisieren, um mit Aga-Verteilern kurzen Prozess zu machen: wegen Verstoßes gegen das Arzneimittel- und Heilpraktikergesetz, denn Aga wäre kein zugelassenes Medikament, und die Aga-Verteiler selbst würden größtenteils keinem anerkannten Heilberuf angehören. Medizinforscher, die Aga che­misch analysieren, könnten keine bekannten pharmakologischen Inhalts­stoffe feststellen; daraus schlössen sie, bei Aga handle es sich offenkundig um ein reines Placebo, das bloß deswegen wirke, weil irregeführte Konsumenten naiv an seine Wirkung glauben. Da Aga außerirdischen Ursprungs sei, so gäben die Auserwählten zu bedenken, könnten seine Wirkstoffe mit irdischer Mess­technik gar nicht nachweisbar sein. Doch dies würde von wissenschaftlichen Sachverständigen als unverifizierbare Schutzbehauptung abgetan.


Zwischen diesen Fronten stünde eine verunsicherte Öffentlichkeit, insbesondere Kranke und ihre Angehörigen. Sollten sie sich auf Aga einlassen, aller Kritik zum Trotz? Oder lassen sie vorsichtshalber die Finger davon, um keinem Scharlatan aufzusitzen - versäumen dadurch aber womöglich ihre letzte Chan­ce?


Genauso verunsichert sind Patienten, was Geistiges Heilen anbelangt - und darin besteht nicht die einzige Parallele zur "Aga"-Utopie, wie dieses Buch verdeutlichen soll. Ebenso wie bei Aga, so scheint auch bei Geistigem Heilen das therapeutische Agens nicht bloß ein physikalisch rätselhaftes Etwas zu sein, sondern die Art seiner Anwendung - eine Heilweise, über deren Erfolg solche Fak­toren wie Zuwendung und Geduld, Weisheit und Liebe, persönliches Wachstum und Transformation nicht minder entscheiden wie irgendwelche "Energien" und "Resonanzen", "Ströme" und "Felder" (Kapitel I). Wie bei Aga, so sind auch Ursprung und Wirkungsweise von geistigen Heilkräften bis heute wissenschaftlich ungeklärt; und hier wie dort gibt es Missbräuche und Auswüchse, berechtigte Zweifel und begründete Warnungen. Aber sollte ein erfolgversprechendes Heilmittel bloß deswegen aus dem Verkehr gezogen werden, weil wir es noch nicht recht verstehen? Für Geistiges Heilen spricht immerhin: Die große Mehr­heit der Behandelten ist zufrieden damit, selbst in vermeintlich "hoffnungslosen" Fällen, in denen Schulmediziner bereits Etikettierungen wie "therapieresistent" oder gar "austherapiert" verwenden (Kapitel II). Es wirkt auch unter wissenschaftlichen Testbedingungen, selbst in "Blindstudien", die Placebo-Effekte von vornherein ausschließen (Kapitel III). Seine Anwendung ist risikolos, frei von schädlichen Nebenwirkungen, konkurrenzlos billig - und mit jeder anderen therapeutischen Maßnahme nutzbringend kombinierbar, wie Ärzte (Kapitel IV), Heilpraktiker (Kapitel V) und Psychotherapeuten (Kapitel VI) erleben, sobald sie sich unvoreingenommen darauf einlassen. Religiösen Argumenten (Kapitel VIII) dafür, seine Anwendung einzuschränken oder gar zu verhindern, mangelt es an Überzeugungskraft. Und deshalb wird Geistiges Heilen in der Medizin des dritten Jahrtausends mit Sicherheit eine beachtliche Rolle spielen - vorausgesetzt, die Heilerbewegung selbst entwickelt die Fähigkeit und den Willen zur Selbst­organisation, die nötig sind, um sich gegen mächtige politische Gegenkräfte zu behaupten (Kapitel IX).


Kranke, die daraus nicht den Schluss ziehen, dass sie sich auf Geistiges Heilen einlassen sollten, vertun deshalb leichtfertig eine Chance - ebenso wie sie es täten, wenn sie Aga voreilig ausschlagen würden, ohne sein therapeutisches Potential unvoreingenommen zu prüfen. Dass ein Geschenk missverstanden und missbraucht werden kann, ändert nichts an seinem Wert - einerlei, ob es von Außerirdischen stammt, von Gott oder der Macht der menschlichen Psyche.


Was heißt es, ein Geistheiler zu sein?


Walt Disneys Zeichner boten auf ihre Weise eine Antwort an: Als Donald Duck die Beule auf Tracks Stirn wegzaubern will, treten leuchtende Blitze aus seinen Fingerspitzen aus, die "bsssssss" durch die Kopfhaut dringen - und "schwupp" schwillt die Wölbung ab.


Das Comic entspricht einem weitverbreiteten Bild. Ein Heiler, so scheint es, kuriert Kranke, indem er sie "bestrahlt".


Das Selbstbild vieler Heiler passt zu diesem Klischee. Die meisten verstehen sich als "Kanal" für eine Energie, die sie aufnehmen und weitergeben. Ent­sprechend umschreiben sie, was sie in Patienten bewirken: Energieströme werden wieder zum freien Fließen gebracht, Ungleichgewichte der Energievertei­lung ausgeglichen, Auren geglättet, Energiezentren ("Chakras") gereinigt, geöffnet und geschlossen.


Gewiss, manches spricht für dieses Bild. Heilungen gelingen mitunter selbst dann, wenn der Behandelte nicht einmal ahnt, dass sie stattfinden - und psychologische Erklärungen folglich ausscheiden. In Labortests beeinflussen Heiler auf rätselhafte Weise Tiere und Pflanzen, Pilze und Bakterien, isolierte Zellen und Zellbestandteile, sogar anorganisches Material wie Wasser oder Kristalle. Insofern erscheint Geistheilung als eine Behandlungsform, die wesentlich mit "Ener­gie" zu tun hat.


Und doch führt das Bild des "Bestrahlens" alle Beteiligten irre. Wissenschaftler veranlasst es, das Phänomen Geistheilung zu ergründen, indem sie physikalische Messgeräte aufstellen - und zu schließen, das Phänomen existiere nicht, wenn kein Zeiger ausschlägt. Patienten veranlasst es, im Wortsinn patiens zu bleiben (aus dem Lateinischen: "der Erduldende", "der Ertragende") und Geisti­ges Heilen passiv-unbeteiligt über sich ergehen wie jede andere Bestrahlung auch. Und Heiler bringt es in Versuchung, sich in erster Linie als "Energiearbei­ter" zu verstehen - und dabei andere Fähigkeiten zu unterschätzen, die sie nicht minder entwickeln und einbringen müssen, um wirklich helfen zu können.


Denn Heiler sind nicht bloß wandelnde Transformatoren für unsichtbare Ener­gie­ströme. Sie bemühen sich, einen Hilfesuchenden heil zu machen. Das schließt ein, ihm Anstöße zu einer persönlichen Entwicklung zu geben, mit der wesentliche Vorbedingungen seines Krankseins verschwinden. Ein Großteil dieser Bedingungen wurzelt in einer unheilen Psyche: in einem unbewältigten Schick­sal etwa, einem ungelösten Konflikt, einengenden Lebensumständen oder mangelndem Selbstwertgefühl. Den fähigsten Heilern gelingt es, mit ihren Klienten zu solchen Wurzeln der Erkrankung vorzustoßen. Das erfordert Weisheit, Geduld, Aufmerksamkeit und liebevolle Zuwendung - lauter Eigenschaften, die Patienten im modernen Medizinbetrieb zunehmend vermissen. Als "spirituelle Psychotherapie" versteht die hochangesehene Heilerin Pamela Sommer-Dickson demgemäß, was sie im Grunde tut - und auch die beiden anderen Autoren dieses Kapitels, die bekannten Schweizer Parapsychologen Professor Alex Schnei­der und Lucius Werthmüller, betonen diesen Aspekt mit Nachdruck. "Heilung entsteht aus Mitgefühl", so erklärte eine der prominentesten Geistheilerinnen Amerikas, Rosalyn Bruyere, einmal. "Mitgefühl ist die aufrichtige Sorge um den Patienten. Es spiegelt den Wunsch, den Patienten von seinen Sorgen zu befreien. Ohne Mitgefühl fehlt dem Heiler der Wille, eine Antwort zu finden, das Problem zu erforschen und dem Patienten in seinem harten Kampf beizustehen." (1)


Insofern geht es nicht bloß darum, ein paar tausend obskure Strahlenthera­peuten im öffentlichen Gesundheitswesen unterzubringen. Es geht letztlich um mehr Humanität in der Humanmedizin. (2) Auf sie haben Geistheiler kein Mono­pol. Aber die fähigsten unter ihnen leben sie eindrucksvoll vor. Ihre Erfolge lassen ahnen, was selbst bei vermeintlich "behandlungsresistenten" chronischen Leiden möglich wäre, wenn die Schulmedizin vom somatischen Reparatur­betrieb zur ganzheitlichen Heilkunst zurückfände - und in Geistheilern Partner auf diesem Weg sähe, statt sie mit Comicfiguren aus Entenhausen zu verwechseln.


Anmerkungen

1 Rosalyn Bruyere, "Heilung entsteht aus Mitgefühl", Der Heiler 1/1996, S. 29.

2 Siehe H. Wiesendanger: Geistiges Heilen in der ärztlichen Praxis, Anhang.


Dieser Text entspricht dem Vorwort und dem ersten Abschnitt von Harald Wiesendanger: Geistiges Heilen für eine neue Zeit - Vom “Wunderheilen” zur ganzheitlichen Medizin (1999, überarb. Neuaufl. 2005)






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