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  • Dr. Harald Wiesendanger

Herrlich! Panikvirus wird Fußballtrainer zum Verhängnis

Aktualisiert: 1. Mai 2021

Corona-Dachschaden: Wie Heiko Herrlichs Zahnpasta-Kauf zur Staatsaffäre wurde.


HERRLICH! In Augsburg betritt ein 48-Jähriger im Trainingsanzug einen Supermarkt. Möglicherweise mit Mundgeruch und rauher Haut. Wenngleich offensichtlich kerngesund, trägt er vorschriftsmäßig einen Mund-Nasen-Schutz. Eintreten darf er nur samt Einkaufswagen. Also schiebt er brav einen vor sich her. Er besorgt sich Zahnpasta und eine Hautcreme. Dann geht er zurück in sein Hotel nebenan.


Hätte bis vor kurzem in und um Augsburg, geschweige denn sonstwo, irgendein Hahn nach einer solchen Lappalie gekräht? Neuerdings schon. Und wie laut! Es ist ja Pandemie, sozusagen. Vom Killerkeim zwar nach wie vor keine Spur. Aber wir stehen ja erst „am Anfang“, wie man uns weismacht. Umso schlimmer und hartnäckiger wütet stattdessen das Panikvirus. Und so hat der unglückselige Supermarktbesucher, Heiko Herrlich heißt er, soeben unfreiwillig für einen Skandal gesorgt, der fast schon alleine auszureichen scheint, um den nationalen Notstand auszurufen. Was hat sich der Ärmste bloß zu Schulden kommen lassen?


Er tat, was er nicht durfte. Heiko Herrlich trainiert eine Fußballmannschaft, den FC Augsburg, die vom Samstag 16. Mai an endlich wieder kicken darf, wenn auch in einem leeren Stadion – ebenso wie 35 weitere Profiteams der 1. und 2. Bundesliga. Natürlich nur unter strengen Auflagen, getreu einem vom Bundesinnenminister abgesegneten „Hygiene-Konzept“ der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Dieses schreibt vor: Kicker samt Trainer und allen übrigen unumgänglich Beteiligten, vom Masseur bis zum Zeugwart, haben sich „mindestens die letzten 7 Tage vor Saisonbeginn“ in Quarantäne zu begeben – selbst wenn ausnahmslos alle völlig symptomfrei sind und bei keinem einzigen ein Virentest positiv ausgefallen ist. Diese Isolationshaft muss in einem Hotel stattfinden, das niemand verlassen darf - nicht mal, wenn Zahnpasta fehlt.


Pechvogel Heiko wird seine lockere Zunge zum Verhängnis. Unbedacht plaudert er gegenüber Journalisten über seine eigenmächtige, nichtautorisierte Warenbeschaffung. Zerknirscht muss er daraufhin ein Kapitalverbrechen zugeben.


Oh ja, er habe einen unverzeihlichen Fehler begangen, so kriecht er bei einer Pressekonferenz zu Kreuze, die seltsamerweise NICHT live auf allen Fernsehkanälen mitzuverfolgen ist. Selbstverständlich ziehe er die notwendigen Konsequenzen: Zum ersten Duell gegen den VfL Wolfsburg werde er NICHT auf der Trainerbank sitzen. Freiwillig setzt er ein Spiel aus, zum Zwecke der Selbstbestrafung, der allseits augenfälligen Buße, der Wahrung einer Vorbildfunktion. Und reumütig twittert er: „Wenn jeder versucht, das Hygienekonzept der DFL bestmöglich umzusetzen, dann wird das Restrisiko minimiert. Daran muss sich JEDER mit ABSOLUTER DISZIPLIN halten!"


Das geschieht ihm ganz recht, oder? Umgehend distanziert sich die Klubführung von Herrlichs "gedankenlosem Handeln“. Die DFL gibt sich „alles andere als erfreut“. Der Spiegel zeigt der Nation pflichtbewusst einen „Verstoß gegen Quarantäne-Regeln“ an. Dem Nachrichtenmagazin Focus zufolge „verdeutlicht“ Heikos Fehlverhalten „frappierend, dass nicht überall angekommen ist, worum es geht. Noch immer nicht.“ Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gibt seinen Senf dazu: Man müsse sich an die Regeln halten, so bewertet er in der Bild-Zeitung Herrlichs gemeingefährliche Regelverletzung. „Jedes Fehlverhalten“ wiege „doppelt schwer“. Die ARD meldet, immerhin müsse Herrlich „nicht um seinen Job fürchten“. (1) So viel arbeitsrechtliche Nachsicht verstört: Immerhin hätte der grob fahrlässige Kerl womöglich um ein Haar im Alleingang die „Zweite Welle“ ausgelöst.


Ob der Delinquent beim nächsten Spiel wieder coachen darf, stand zunächst in den Sternen. Denn jetzt, nach dem brandgefährlichen, unverantwortlichen Ausflug in die virenverseuchte Hotelumgebung, muss Heiko erst mal „zwei negative Testergebnisse“ vorweisen können. Erst dann, so teilt sein Verein mit, werde er „die Trainingsarbeit beim FC Augsburg wieder aufnehmen“ dürfen.


Wieso dehnt die DFL die Virentests eigentlich nicht sogleich auf das gesamte Hotelpersonal aus? Müssten darüber hinaus nicht mögliche Infektionsketten zu sämtlichen Leuten getrackt werden, die seit Heikos törichter, geradezu suizidaler Exkursion das Hotel betraten: von der Putzfrau über den Postboten und den Techniker bis zum Getränkelieferanten? Vorsichtshalber empfiehlt sich, ganz Augsburg für die kommenden Wochen hermetisch abzuriegeln – oder, sicher ist sicher, gleich den gesamten Freistaat, mit unerbittlichen Kontrollen auch an den innerdeutschen Landesgrenzen zu Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen und Sachsen. Wie so etwas geht, kann Markus Söder von den Chinesen abgucken.


Tröstlicherweise blieben Heiko am Nachmittag des 16. Mai immerhin 105 zusätzliche Minuten (Spieldauer plus Halbzeitpause), um ausgiebig Dentalhygiene sowie Hautpflege zu betreiben. Bloß vor dem Fernseher konnte der arme Tropf mitverfolgen, wie 22 Kicker anderthalb Stunden lang, ohne Atemschutzmaske, gebotene Sicherheitsabstände schamlos verletzen, Kopf an Kopf Zweikämpfe um sorgsam desinfizierte Bälle führen, übereinanderpurzeln und sich gegenseitig virenlastige Atem-Aerosole in die verschwitzten Gesichter hauchen. (Unbestätigten Gerüchten zufolge warteten Jens Spahn, Markus Söder und Karl Lauterbach nach Spielende auf der Intensivstation des Augsburger Krankenhauses darauf, mit den 22 persönlich ein letztes Vaterunser zu beten und den Hinterbliebenen zu kondolieren.)


Kurz nach Abpfiff des ersten Spieltags nach 66 Tagen Zwangspause konnten Deutschlands Leitmedien erleichtert Entwarnung geben: Trotz gelegentlich verantwortungsloser Körperkontakte hustete kein Akteur auffällig. Bis kurz vor Spielbeginn, bei der Platzbegehung, hatten alle noch artig Masken getragen. Sämtlichen Trainerkollegen von Heiko gelang es, in vorauseilendem Gehorsam die Verhaltenserwartungen des „Hygienekonzepts“ sogar überzuerfüllen. Auch ohne die kurzfristig abgeschaffte Maskenpflicht trugen sie am Spielfeldrand artig Mundschutz, allein schon zwecks Lebensrettung der Linienrichter, die häufig bloß wenige Meter entfernt mit ihrem Fähnchen wedelten. Fernsehinterviews absolvierten sie mit Mikro an einer langen Angel. Ihre Ersatzspieler setzten sie auf die Bank mit jeweils drei Plätzen Abstand voneinander.


In Geschichtsbüchern für künftige Generationen festzuhalten gilt es allerdings eine ungeheuerliche Entgleisung, deren epidemiologische Langzeitfolgen das Robert-Koch-Institut mindestens bis zur nächsten Pandemie beschäftigen dürften. Nach einem Eigentor der Hoffenheimer Gegenseite ließ sich der Spieler Marko Grujic von der Berliner Hertha zu einem unhygienischen Torjubel hinreißen: Er küsste seinem Teamkollegen Kevin Akpoguma auf die Wange, was der Schiedsrichter unverständlicherweise durchgehen ließ, anstatt sofort die Rote Karte zu zücken. Gibt es eine gröbere Unsportlichkeit, als jemandem mit feuchten Lippen Killerkeime ins Antlitz zu schmieren?


Ein Massensterben unter Deutschlands Balltretern verhindert das „Hygienekonzept“ gottlob, indem es zumindest beim Training nur kontaktfreie Übungen erlaubt. Zudem lässt es bloß ein paar hundert Profis draufloskicken, schließt Amateure aber aus Infektionsschutzgründen weiterhin gnadenlos vom Spielbetrieb aus. Vermutlich haben Christian Drosten und Lothar Wieler herausgefunden, dass die Corona-Reproduktionsrate erst unterhalb einer Million Jahreseinkommen besorgniserregend ansteigt.


Eine Woche zuvor hatte ein Spieler von Hertha BSC, Salomon Kalou, „für großes Aufsehen und Entsetzen weit über den Profifußball hinaus gesorgt“, wie Deutschlands größter Internet-Nachrichtendienst, t-online.de, zu vermelden wusste. Kalou hatte Szenen aus der Umkleidekabine des Berliner Bundesligisten gefilmt und live verbreitet. Auf den Aufnahmen war unter anderem zu sehen, wie er Teamkollegen … WAS antat? ER. GAB. IHNEN. DIE HAND!


Warum vermitteln alle staatstragenden Geister – vom Minister über den Virologen, den Institutsdirektor und den Chefredakteur bis zum Fußballpräsidenten – den zwingenden Eindruck, nicht mehr alle Tassen im Schrank zu haben, womöglich wegen zerebraler Folgeschäden einer SARS-CoV-2-Infektion? Vermutlich deshalb, weil sich sämtliche Inhaber einer gewissen Restintelligenz bereits geschlossen ins Lager der Verschwörungstheoretiker abgesetzt haben.


Harald Wiesendanger


Anmerkungen


(1) ARD Text Tafel 205, 15.5.2020.

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