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  • Dr. Harald Wiesendanger

Fake Hunting: die jüngste Bedrohung der Anderen Medizin

Im Zeitalter der „Fake News“ wächst die öffent­liche Sehnsucht nach einer Einrichtung, die gezielte Unwahrheiten zuverlässig entlarvt. Die Wenigsten rechnen damit, dass sie sich dabei ein Zensur­monster einhandeln können, das miss­liebige, vom akademischen Mainstream abweichende Stand­punkte verunglimpft, vorgeblich im Namen der Wahrheit – beispiels­weise unkonventionelle Heilweisen und Kritik an der vorherrschenden Medizin.


Gelogen wird, seit der Mensch Behauptungen aufstellt. Das tut er, seit er sprechen kann, also vermutlich seit 60.000 bis 100.000 Jahren. Insofern sind Fake News ein uralter Hut. Doch erst das Internetzeitalter hat ihre angestamm­ten Resonanzräume radikal entgrenzt. Was einst bloß auf Wochenmärkten, in geselligen Runden, Friseursalons und Tante-Emma-Läden, in der Kantine oder am Stammtisch die Runde machte, verbreiten soziale Medien über Klicks, Likes und Links in Windeseile nunmehr innerhalb ganzer Gesellschaften. Gezielte Unwahrheiten sind allgegenwärtig. Und wer überall mit ihnen rechnen muss, glaubt am Ende nicht alles, sondern gar nichts mehr. Wem kann man überhaupt noch trauen?


Umso sehnlicher wünschen sich verunsicherte Bürger neutrale Instanzen herbei, die Fakes entlarven und ausmerzen, möglichst viele, möglichst rasch. Sie hoffen auf verlässliche Einrichtungen, die Gerüchten systematisch nach­gehen, sie mit allen verfügbaren Quellen abgleichen, ihre Substanzlosigkeit enthüllen, sie unerbittlich anprangern und eindringlich davor warnen, ihnen auf den Leim zu gehen. Doch den Wenigsten ist klar: Dabei droht ihnen ein Zensurapparat, der dem „Wahrheitsministerium“ in George Orwells düsterer Utopie „1984“ kaum nachsteht.


Diese Gefahr sieht zumindest ein junger französischer Journalist der Tageszeitung Le Monde, der als „Fake Hunter“ Pionierarbeit geleistet hat: 2010 richtete Samuel Laurent, damals gerade 30, einen kleinen Aufklärungsblog „Les Décodeurs“ ein, der nüchtern, unparteiisch, frei von Polemik Gerüchte auf ihre Glaubwürdigkeit hin durch­leuchtet; inzwischen gliederte Le Monde ihn in ihren Internetauftritt ein. Im Februar 2017 stellte sie ergänzend ein Tool namens „Le Décodéx“ ins Netz: Gibt man in eine Suchmaske eine Internetadresse ein, so leuchtet ein roter, oranger oder grüner Button auf. Grün steht für vertrauenswürdig, Orange für verdächtig, Rot für unglaubwürdig. Eine ähnliche digitale Rechercheredaktion mit dem treffenden Namen „Desintox“ – Entzug, Entgiftung – unterhält neuerdings auch die linksliberale französische Tageszeitung Libération.


Was geschieht, wenn man Le Monde seinerseits mittels „Décodéx“ checkt? Die Zeitung, die mehreren Großindustriellen gehört, gilt als tendenziöses Sprachrohr der Befürworter von Martktliberalismus, Freihandel und Globalisierung. Aber natürlich verpasst ihm das Tool ein grünes Gütesiegel. Sein Ampelsystem ahmt jenes nach, dessen sich das obskure Web of Trust (WOT, „Netz des Vertrauens“) bedient. (1) Über 26 Millionen Websites will es bereits bewertet haben, davon 24 Millionen negativ. Die WOT-Software für „sicheres Surfen“ (Safe Browsing) haben sich weltweit schon 140 Millionen Menschen arglos auf ihre PCs und Notebooks, Smartphones und Tablets heruntergeladen. Zu ihrem Schutz legt sich ein „Warning!“-Popup über „gefährliche“ Webseiten, sobald sie im Browser aufgerufen werden, und macht sie unkenntlich.


Wie das weltgrößte Internet-Lexikon Wikipedia, so baut WOT dabei auf die „Schwarmintelligenz“ der weltweiten Internet-Community. Die Ratings beruhen auf Bewertungen durch angemeldete User, die anonym bleiben dürfen; dabei haben die Noten einer Minderheit, die besonders eifrig votiert, ein bis zu tausendfach höheres Gewicht als die Stimmen von einmaligen oder seltenen Juroren. Weil zu den fleißigsten Schnüfflern hyper­aggressive Skeptiker zählen, warnt WOT die Web-Community beispielsweise vor den Fakes meiner Stiftung Auswege: Obwohl vier Fünftel der abgegebenen Einschätzungen positiv ausfielen, lag unsere „Vertrauenswürdigkeit“ (trustworthiness) Mitte März 2017 bei gerade mal 42 Prozent (Orange), die „Kindersicherheit“ (child safety) sogar bloß bei 12 Prozent (Rot). Vermutlich schneiden nur islamistische Fanatiker, Neonazis und Anbieter von Hardcore-Pornos noch katastrophaler ab.


In Deutschland beließ es der Gesetzgeber knapp zwei Jahre lang bei runden Tischen, Arbeits­gruppen, Expertenanhörungen und Selbstverpflichtungen. Dann schaltete Bundesjustizminister Heiko Maas in den Zupackmodus. Alarmiert vom Siegeszug des Populismus, russischen Troll-Armeen und einem US-Präsidenten, der mit „alternativen Fakten“ regiert, stellte er im März 2017 den Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (2) vor. Betreiber von Social Media wie Facebook, von Suchmaschinen wie Google soll es zwingen, gegen Lügen und Hassbotschaften vorzugehen.


Vollautomatisch, bloß mit raffinierteren Algorithmen, ist das schwerlich hinzukriegen, bei Fakes noch weniger als bei Hetze. Denn es geht um Inhalte, nicht bloß um formale Textmerkmale. Doch weit und breit ist kein „Content-Filter“ in Sicht, der sie massenhaft aussieben könnte wie Hate Speech anhand des bevorzugten Wortschatzes von Schmähern, Beschimpfern und Pöblern. Da ist mühselige Hand- und Kopfarbeit gefragt. Google lässt dies seine weltweit 10.000 Prüfteams erledigen, welche die „Qualität“ von Suchergebnissen beurteilen. An sie alle versandte er soeben rund 200 Seiten umfassende „Richtlinien“, nach denen sie „verstörende“ (upsetting), beleidigende und rassistische Inhalte zu identifizieren haben. In den Google-Suchalgorithmus eingespeist, führen ihre Bewertungen dazu, dass nicht „vertrauenswürdige“ Inhalte in den Suchergebnissen weiter nach hinten geschoben werden. (3)


Zum selben Zweck schaltete Facebook in den USA die Webseiten Politifact und Snopes ein. In Deutschland beauftragte es das 2014 gegründete Pressebüro „Correctiv“ in Essen und Berlin, dessen 20-köpfiges Team „investigativen, aufklärenden Journalismus“ verspricht – in einer „Wächterfunktion“. (3) Senken „Wächter“ über eine Geschichte den Daumen, so will Facebook sie künftig zwar nicht löschen, aber mit einem Warnhin­weis versehen, der sie als „disputed“, umstritten, brandmarkt: Die betreffende Nachricht werde „von unabhängiger Seite angezweifelt“, belegt mit einem Link zu einem Text, der „dem verfälschenden Beitrag die Fakten gegenüber­stellen“ soll. „Das Posting an sich verschwindet nicht auf der Plattform, wir verstecken es nicht, Leute können es weiterhin teilen“, erläutert ein zuständiger Facebook-Manager. Der Warnhinweis bleibe aber bei der Weiterverbreitung angeheftet. "Es kann auch sein, dass wir bei unglaubwürdi­gen Artikeln die Sichtbarkeit reduzieren." (5)

Wer soll uns da vor Lug und Trug bewahren, vor „verstörenden“, „umstrittenen“, „unglaubwürdigen“ Meinungen? Geleitet wird „Correctiv“ von dem Journalisten David Schraven als Geschäftsführer. Eben dieser Schraven begründete 2007, gemeinsam mit dem Bochumer Berufskollegen Stefan Laurin, die „Ruhrbarone“ (6), dessen linkslastigem Autorenteam er weiterhin angehört: eines von über 200.000 aktiven Webjournalen („Blogs“) allein in Deutschland (7). Vordergründig berichtet es über Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissen und Sport in Nordrhein-Westfalen, lässt tatsächlich aber keine Gelegenheit aus, über querdenken­de Wissenschaftler und unkonventionelle Mediziner herzufallen. Laurin, mittlerweile alleinverant­wortlich, tut sich als Spezialist für Antisemitismusvorwürfe und Nazivergleiche hervor; eine Gesundheitsministerin bezeichnet er als „Volkserzieherin“, das Umweltbundesamt als „Reichsumweltkammer“. (8) Um imageförderlich unter das hochgelobte „Correctiv“-Dach zu schlüpfen, benannten sich die „Ruhrbarone“ kürzlich um in „Correctiv.Ruhr“. Bei Wikipedia scheinen sie insgeheim auf oberster „Administratoren“-Ebene mitzuwerkeln: Mehrere hundert Male linkt es auf die „Ruhrbarone“, womit es seine eigene Relevanzregel für Quellenangaben krass verletzt.


Zu den unadligen „Ruhrbaronen“, die mit dem legendären Geschichtenerzähler Münchhausen mehr als nur den Titel teilen, zählt der Psychologe Sebastian Bartoschek, rühriges Mitglied einer unsäglichen atheistisch-naturalistischen Sekte namens „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP), der es seit drei Jahrzehnten gelingt, blind­wütigen Skeptizismus mit gesunder Skepsis zu verwechseln. (9) Wie Laurin gelten Bartoschek und weitere GWUP-Mitglieder als Chefdenunzianten beim berüchtigten Internetpranger „Psiram“, vormals „Esowatch“. (10) Dessen anonyme Verfasser hetzen ungestraft gegen jeder­mann, dessen Auffassungen ihrem kastrierten Wissenschaftsbegriff zuwiderlaufen. Über tausend Menschen, unter ihnen Hochschulprofessoren und ganzheitlich arbeitende Ärzte, sind bereits Opfer von „Psirams“ infamen Verleumdungen und üblen Nachreden geworden. Als Scharlatane, Betrüger, Pseudogelehrte werden sie dort verun­glimpft. Juristische Gegenwehr ist aussichtslos: Das gesetzlich vorgeschriebene Impressum fehlt, der Server steht im Ausland. Deutschlands aktivste Online-Dreckschleuder, deren Finanziers im Dunkeln bleiben, geht buchstäblich über Leichen: Von Psiram-Eiferern übelst gemobbt, nahm sich der Journalist Claus Fritzsche im Frühjahr 2014 das Leben. (11) Das Problem war wohl, dass er schon volljährig war: Denn die „Kindersicherheit“ von „Psiram.com“, so bescheinigt ihm das „Web of Trust“ (WOT) mit dem grünsten aller Grüns, liegt bei grandiosen 93 Prozent. Exakt genauso hoch veranschlagt es Psirams „Vertrauenswürdig­keit“.Lediglich einen Prozentpunkt niedriger performt GWUP.org. (12)


Daneben mischt Bartoschek beim „skeptischen“ Podcast Hoaxilla (13) mit, der jegliche Impfgegner und Pharmakritiker als bekloppte Verschwörungstheoretiker verhöhnt, auf einer Stufe mit Verwirrten, die Elvis für quicklebendig, die Mondlandung für einen Hollywood-Inszenierung und Angela Merkel für ein außerirdisches Reptil halten.

Sind uns selbsternannte „Wächter“ aus diesem Ideologensumpf wirklich als oberste Fakten­checker der Nation recht? Wollen wir zulassen, dass sie Aussagen wie „Pharmakonzerne korrumpieren Ärzte“, „Wer sein Kind impfen lässt, riskiert irreparable körperliche und geistige Schäden“, „Neuroleptika führen zu Hirnschwund“ , „Glyphosat könnte Krebs erregen“ oder „Der Infraschall von Windkraftanlagen belastet die Gesundheit von Anwohnern“ zu Fakes erklären, mit Alarmrot einfärben oder gar löschen? Da rückt Orwells Dystopie näher: Lügner werden autorisiert, das Volk im Gewand von Tatsachen­prüfern darüber „aufzuklären“, was Lüge und was Wahrheit ist. Maas´ Gesetz befördert private Netzwerke „zu Ermittlern, Richtern und Henkern über die Meinungs­freiheit“, warnt netzpolitik.org, eine Online-Plattform für digitale Freiheitsrechte. Eine staatliche Lizenz, missliebige Inhalte zu unterdrücken, oder gar ein gesetzlicher Auftrag dazu: das käme den Betonköpfen der „evidenz­basierten“ Schulmedizin, den Marketingprofis von Big Pharma und ihren Erfüllungsgehilfen gerade recht.


Solcher Meinungsmache Tür und Tor öffnet der gefährlichste aller Fakes in der aufgeregten Debatte um ihre dringendst gebotene Enttarnung: die schwarz-weiße Vorstellung, sämtliche Tatsachenbehauptungen ließen sich fein säuberlich in wahre oder falsche sortieren. „Fake News“ ist ein verschwommener Sammelbegriff, dem es an der nötigen Trennschärfe mangelt. „Echte“, eindeutig widerlegbare Falschmeldungen wie „Den Holocaust gab es nicht“, „Obama ist ein Moslem aus Kenia“ oder „Hillary Clinton betreibt von einer New Yorker Pizzeria aus einen Kinderpornoring“ machen sich rar. Viel häufiger sind sie Ansichtssache, gestützt auf diskutable Gründe, gedeckt durch das Grundrecht auf Meinungs- und Glaubensfreiheit. Oder müssen Bibelzitate als Fake News aus dem digitalen Verkehr gezogen werden? Selbst die seriösesten Medien berichten nicht nur zweifelsfrei „Bewiesenes“. Oft bleibt ihnen vorerst nichts anderes übrig, als widersprüchliche Anhaltspunkte zu gewichten, aus Indizien zu schließen, Gerüchte aufzu­greifen, sich auf anonyme Informanten und Leaks zu verlassen. Verzichteten sie darauf, bis sich mutmaßliche Wahrheiten zweifelsfrei erwiesen haben, so flögen die wenigsten politischen Skandale und Wirtschaftsverbrechen jemals auf. „Verstörende“ Whistleblower wie Edward Snowden würden von Wahrheitswächtern mundtot gemacht. Wollen wir das?


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