Für Anti-Aging-Produkte kann man ein Vermögen loswerden – bei fraglichem Nutzen und ungewissen Nebenwirkungen. Eine rühmliche Ausnahme scheint NMN darzustellen. Je eingehender diese Substanz erforscht wird, desto deutlicher tritt ihr geradezu spektakuläres Potential zutage, uns auch in höherem Alter gesund und vital zu halten.
„Ich möchte mit dir alt werden“, so heißt es auf einer witzigen Postkarte, die ein betagtes Paar beim gemächlichen Spaziergang auf einem Feldweg zeigt, Rollatoren vor sich herschiebend. „Es hat aber keine Eile.“
Alt werden will nämlich fast jeder – alt sein hingegen kaum jemand. Denn zumindest in westlichen Industrieländern gilt höheres Alter beinahe schon als Synonym für körperliche Einschränkungen und geistigen Abbau, für chronische Krankheit und Behinderung, für Krückstock, Pillendose und Hörgerät, für Freiheitsverlust und Pflegebedürftigkeit – mit scheinbar naturnotwendiger Unerbittlichkeit. „Altersbedingt“ eben.
Bei solch trüben Aussichten beglückt umso mehr die frohe Botschaft des wohl berühmtesten Alternsforschers unseres Planeten: David Sinclair, in Australien geborener Biologe und Professor für Genetik an der Harvard Medical School in Cambridge, Massachusetts. Altwerden sei eine heilbare Krankheit, so lehrt er. (1) Den nahen Sieg über das vermeintliche Schicksal verkörpert niemand überzeugender als er selbst: Mit vollem, nicht einmal ansatzweise ergrauten Haar und nahezu faltenfreier Haut, schlank, energiegeladen und topfit wirkt der mittlerweile 54-Jährige mit dem verschmitzt grinsenden Lausbubengesicht, als sei er gerade erst Anfang Dreißig.
Worin besteht Sinclairs Geheimnis? Er hat mehrere. Für eines stehen drei Buchstaben: NMN, eine Abkürzung für Nicotinamid-Mononukleotid. Einige hundert Milligramm davon schluckt er jeden Morgen, neben einer Handvoll Blaubeeren in hausgemachtem Joghurt. Wie kommt er dazu?
NMN ist nichts Künstliches. Es handelt sich um ein Molekül, das in Pflanzen ebenso vorkommt wie in Säugetieren, einschließlich des Menschen – in jeder einzelnen Zelle. Als Nukleotid ist es der kleinste Baustein von Nukleinsäuren, chemischer Grundbestandteil der DNA und RNA. Unser Körper ist imstande, es selber zu bilden: aus Vitamin B3, aus der Aminosäure Tryptophan, auch mit Hilfe von Darmbakterien.
Dieses NMN wandelt unser Organismus in Nicotinamid-Adenin-Dinucleotid um, kurz NAD+: einen sogenannten Cofaktor, das notwendige Nicht-Protein-Element eines Enzyms und unerlässlich für dessen Aufgabe, in uns biochemische Reaktionen auszulösen. Unser Organismus benötigt NAD für eine Vielzahl von Funktionen, unter anderem für die Energiegewinnung aus Nahrung. Als vielseitiges Informationsshuttle befördert es Protonen und Elektronen kreuz und quer durch jede Zelle. Es stärkt die Mitochondrien, die Kraftwerke unserer Zellen. Darüber hinaus hilft NAD, beschädigtes Erbgut zu reparieren, die Gene zu regulieren, die Abwehrsysteme der Zellen zu stärken und unsere innere Uhr einzustellen. NAD wirkt an der Tätigkeit von mehr als 500 Enzymen mit; ohne es wären wir binnen 30 Sekunden tot.
Mit fortschreitendem Alter bildet sich in uns leider immer weniger NAD, und das wirkt sich fatal aus: Ein sinkender NAD-Spiegel beschleunigt den Alterungsprozess und trägt zu zahlreichen chronischen Erkrankungen bei, von Arteriosklerose über Typ-2-Diabetes bis zu Alzheimer.
Was geschieht, wenn man den Mangel kurzerhand behebt – dem Organismus einfach mehr NAD zuführt? Das erforschte David Sinclair mit seinem Team von der Harvard Medical School in Cambridge, Massachusetts, anfangs an Mäusen. Dabei stellte sich heraus: Ein ausreichernd hoher NAD-Nachschub über das Futter kann die schädlichen Abbauvorgänge nicht bloß aufhalten, sondern zum Teil sogar rückgängig machen. Schon nach einer Woche bildeten sich die Anzeichen der Alterung zurück, ablesbar an Parametern wie Entzündungsreaktionen, Insulinresistenz und Muskelschwund. Die Zellen von zwei Jahre alten Mäusen glichen nach der NAD-Kur plötzlich jenen von sechs Monate alten Artgenossen. Mausgreise verwandelten sich in Renntiere, die Laufräder so rasant und ausdauernd drehten wie nie zuvor. Bei Vorträgen präsentiert Sinclair gerne Bilder zweier Labormäuse nebeneinander: die eine grau und struppig, die andere braun und keck – beide geboren am selben Tag.
Seit Sinclairs bahnbrechenden Experimenten hat reichlich weitere Forschung an Mäusen und Ratten bestätigt, wie positiv sich die Gabe von NAD bzw. seines Vorläufers NMN auf deren Gesundheit auswirkt: Der Energiestoffwechsel steigt, die körperliche Aktivität nimmt zu; das Erbgut wird vor Mutationen geschützt, eine altersbedingte Gewichtszunahme vermieden, die Insulinsensitivität erhöht, das Risiko für Typ-2-Diabetes gesenkt. Entzündungen und degenerative Veränderungen im Nervensystem werden seltener. (2) Neue Blutgefäße bilden sich. Die Muskeln werden mit mehr Sauerstoff versorgt, Milchsäure und Giftstoffe daraus besser abtransportiert. Die Gebrechlichkeit verschwindet. Und nicht zuletzt: Die Lebensspanne der Versuchstiere verlängert sich erheblich.
Von diesen Beobachtungen ermutigt, befassen sich Langlebigkeitsforscher zunehmend damit, NMN am Menschen zu testen – mit verblüffenden Ergebnissen.
NMN macht allgemein gesünder
In einer Ende 2022 veröffentlichten Studie erhielten 80 gesunde Erwachsene in mittleren Jahren, mit alterstypischen NAD-Werten, zwei Monate lang täglich 300 mg, 600 mg oder 900 mg NMN – oder ein Placebo. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe waren NMN-Konsumenten bei Testende körperlich fitter – innerhalb eines Sechs-Minuten-Zeitraums bewältigten sie eine längere Gehstrecke. Ihren allgemeinen Gesundheitszustand bewerteten sie signifikant besser: Beispielsweise fühlten sie sich wohler in ihrer Haut, emotional stabiler, zufriedener, leistungsfähiger. Ihre Insulinresistenz, eine Hauptursache von Typ-2-Diabetes, war geringer ausgeprägt: Auf Signale des Hormons Insulin sprachen ihre Körperzellen eher an. Ihre biologische Alterung war verlangsamt, wie ihre Blutproben anhand von 19 Laborparametern verrieten, von Albumin und Hämatokrit über HDL- und LDL-Cholesterin bis hin zu Thrombozyten und Erythrozyten. Am ausgeprägtesten traten diese Vorteile bei NMN-Dosierungen von 600 und 900 mg auf.
NMN bremst den Alterungsprozess
Auch bei Menschen kann NMN das biologische Altern verlangsamen, womöglich sogar umkehren. Es wirkt über Sirtuine, eine Familie von Proteinen, die in allen Lebewesen vorkommen. Unter Stress wie zum Beispiel bei Nährstoffmangel, Kälte, körperlicher Anstrengung lassen sie sich von NMN aktivieren. Dann schalten sie Langlebigkeitsgene ein, die schützen, reparieren und erneuern. Sie „unterdrücken epigenetische Veränderungen und lassen das Jugendprogramm weiterlaufen“, wie Sinclair feststellte. (3) „NAD+ kommt einem Jungbrunnen am nächsten“, schwärmte er im Time Magazine.
Unter anderem beeinflusst NMN die Länge der Telomere: der Endkappen unserer Chromosomen, die diese vor Schäden aller Art schützen, etwa durch oxidativen Stress und freie Radikale. Während wir altern, werden sie immer kürzer. In einer chinesischen Studie nahmen acht gesunde Männer, zwischen 45 und 60 Jahre alt, ein Vierteljahr lang täglich zum Frühstück 300 mg NMN ein. Bereits nach dem ersten Monat hatten sich die Telomere der Immunzellen im Blut erheblich verlängert.
NMN schützt vor Diabetes
In zwei Studien erhielten Versuchspersonen 10 bzw. 12 Wochen lang täglich 250 mg NMN. Am Ende hatte sich ihre Insulinsensitivität deutlich verbessert, ihr Blutzuckerspiegel reguliert. (4)
NMN heilt den Darm
Worauf Tierversuche hindeuteten, bestätigt sich mehr und mehr in Humanstudien: Die tägliche Einnahme von NMN über mehrere Wochen hinweg genügt, um chronisch entzündlichen Darmerkrankungen entgegenzuwirken und ihnen vorzubeugen, eine gestörte Darmflora zu sanieren, eine geschwächte oder durchlässiger gewordene Darmbarriere – beim Leaky-Gut-Syndrom – wiederherzustellen. Die Verdauung verbessert sich, und es wird vermehrt Gallensäure produziert.
Außerdem sorgt NMN dafür, dass sich nützliche Darmbakterien vermehren, darunter Laktobazillen, Bifidobakterien, Firmicuten, Akkermansia. (5) Diese tun unserem Darm auf mehrerlei Weise gut: Sie produzieren eine Schleimschicht, die ihn auskleidet und die Darmbarriere schützt – diese wird stabiler und lässt weniger Schadstoffe durch. Indem die Bakterien die Darmwand besiedeln, hindern sie schädliche Keime daran, sich zu vermehren. Sie bilden kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) wie Butter- und Propionsäure, die unter anderem die Zellen der Darmwand nähren. Über die Darmschleimhaut ins Blut aufgenommen, bekämpfen sie im ganzen Körper Entzündungen, ja sie schützen sogar die Blut-Hirn-Schranke.
NMN schützt vor Demenz
Wie sich die Darmflora zusammensetzt, wirkt sich über die sogenannte „Darm-Hirn-Achse“ – die Verbindung, die beide Organe neuronal vernetzt – auf das zentrale Nervensystem aus. Zumindest im Tierversuch zeigte sich bereits, dass nach NMN-Gaben mehrere Anzeichen von Alzheimer im Gehirn deutlich zurückgingen: weniger Entzündungen, eine verbesserte Funktion der Mitochondrien, eine effizientere Signalübertragung zwischen Nervenzellen, ein geringerer kognitiver Leistungsabfall.
NAD-Booster als medizinische Universalwaffe
Auf Sinclairs Homepage findet sich eine Grafik, die veranschaulicht, wie viel der Popstar der Longevity-Forschung mittels NAD-Boostern über die genannten Anwendungen hinaus für erreichbar hält:
Mittels NAD-Gaben ließe sich die Leber dazu bringen, Fettsäuren besser abzubauen. Das Endothel, die Zellschicht an der Innenseite der Blut- und Lymphgefäße, könnte optimiert werden, wie auch die Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse und die Lipogenese in Fettgewebe. Herz und Nieren bekämen mehr Schutz. Verjüngte Fortpflanzungsorgane könnten die Phase der Fruchtbarkeit verlängern oder zurückbringen. Mitochondriale Funktionen könnten angekurbelt, Zellen verjüngt, das Immunsystem gestärkt, Krebs verhindert werden; Nerven könnten regenerieren, Wunden schneller heilen, Entzündungen rascher abklingen. Was auch immer in unserem Körper zunehmend schlechter funktioniert – die Ursache scheint zumeist ein und dieselbe: das Altern. Für Sinclair steht fest: Es gibt kein ärgeres gesundheitliches Risiko, als den zeitlichen Abstand zur eigenen Geburt zu vergrößern. „Meine Mutter war Raucherin“, sagt er. „Das erhöhte ihr Krebsrisiko um das Fünffache. Aber: Durch das Altern von 20 auf 70 Jahre erhöhst du dein Krebsrisiko um das Tausendfache. Wir müssen das Altern selbst anvisieren.“ (6)
Wer den Schlüssel dafür findet, altersbedingten Verfall aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, der hat nicht bloß die eine oder andere chronische Krankheit besiegt, sondern das chronische Kranksein an sich. Sobald dies möglich ist, muss es geschehen. Denn „jeder Mensch“, so lautet Sinclairs Credo, „hat das Recht auf die beste medizinische Versorgung und eine maximale Lebenserwartung”.
Anscheinend frei von Nebenwirkungen
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung? Zumindest hinsichtlich NMN scheint vielmehr zu gelten: Keine Regel ohne Ausnahme. Weder im Tierversuch noch in Humanstudien kamen bisher irgendwelche schädlichen Effekte zum Vorschein – jedenfalls nicht bei den üblicherweise verabreichten Mengen zwischen 250 und 900 Milligramm pro Tag. (David Sinclair bevorzugt für sich persönlich 1000 mg.)
Bei Ratten traten Unverträglichkeitsreaktionen erst bei enorm hoher NMN-Zufuhr von 2000 Milligramm pro Kilo Körpergewicht auf: Dann fraßen sie weniger und verloren an Gewicht. Nach einem gängigen Umrechnungsverfahren, um die „humane Äquivalenzdosis“ (HED) zu ermitteln, entsprechen 2000 mg pro Kilo Rattenkörper 323 mg/kg menschliches Körpergewicht. Wer von uns 60 Kilo auf die Waage bringt, könnte demnach bedenkenlos bis zu 19.380 mg NMN pro Tag zu sich nehmen. In den erwähnten Studien lagen die wirksamen Dosierungen aber um ein Vielfaches niedriger.
Was ist von den im Internet kursierenden Gerüchten zu halten, NMN erhöhe das Krebsrisiko? Keine Studie hat dies bisher belegt, im Gegenteil: Weil NMN bzw. das daraus gebildete NAD+ daran mitwirkt, DNA-Schäden zu beheben, beseitigt es zugleich eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Krebs. Bei bereits erkrankten Tieren zeigte sich, dass NMN-Gaben das Tumorwachstum keineswegs fördern, sondern eher hemmen. Denn sie aktivieren natürliche Killerzellen.
Warum nicht auf natürlichem Weg?
Wenn wir in jüngeren Jahren unseren NMN-Bedarf weitgehend übers Essen decken: Könnte nicht eine konsequente Ernährungsumstellung genügen, wenn wir älter werden? Warum nehmen wir dann nicht einfach mehr Lebensmittel zu uns, die NMN enthalten – oder Vitamin B3 bzw. Aminosäure Tryptophan, woraus unser Körper anschließend NMN und NAD bilden kann?
Ergiebige Quellen für Vitamin B3 sind Mungobohnen, Erdnüsse, Pilze, Hülsenfrüchte und Kartoffeln, Eier, Innereien, Fische wie Sardelle, Thunfisch, Lachs und Makrele. (7) NMN kommt besonders reichlich vor in Edamame, einer japanischen Sojabohne (bis 1,88 mg pro 100 Gramm), aber auch in Avocados (bis 1,60 mg), Brokkoli (bis 1,12 mg), Kohl (bis 0,9 mg), rohem Rindfleisch (bis 0,42 mg) und Tomaten (bis 0,3 mg).
Täglich etwas davon auf den Teller zu bekommen, und das in üppigen Mengen, ist freilich nicht jedermanns Sache. Zudem deutet experimentell bisher nichts darauf hin, dass es Nachteile bringt, stattdessen NMN als Nahrungsergänzungsmittel zu sich zu nehmen.
Ein kulinarischer Genuss ist damit allerdings nicht verbunden: Handelsübliches NMN ist ein feines, schneeweißes, nahezu geschmackfreies Pulver, das sich im Mund wie Haushaltsmehl anfühlt.
Hervorragend bioverfügbar
Was fängt unser Körper mit zugeführtem NMN an? Inwieweit kann er es überhaupt verwerten? Scheidet er es womöglich umgehend wieder aus – wie etwa das neuerdings gehypte Spermidin, ein Botenstoff, der als hervorragendes Anti-Aging-Mittel gilt. “Man kann es zwar einnehmen, aber es kommt gar nicht im Körper an”, wie eine Studie der Uni Lübeck nahelegt.
Aber auch diese Bedenken scheinen zumindest bei isoliertem NMN unbegründet. Als Nahrungsergänzungsmittel geschluckt, wird es vom Darm binnen weniger Minuten aufgenommen und gelangt in den Blutkreislauf. In Tierversuchen zeigten sich schon nach 10 bis 30 Minuten erhöhte NMN-Gehalte im Gewebe. Nach nur einer Stunde war der NAD-Gehalt angestiegen. (8) Bei gesunden Menschen zwischen 20 und 65 Jahren ergab eine japanische Studie: Wer täglich 250 mg NMN zu sich nimmt, erhöht seinen NAD-Spiegel um stattliche 40 %. Sobald er das Präparat absetzt, kehren die Blutwerte wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Wie sollte man es einnehmen? Sinclair empfiehlt, es nicht sofort herunterzuschlucken, sondern ein, zwei Minuten lang unter der Zunge zu belassen. Dann kann bereits die Schleimhaut im Mundraum es teilweise aufnehmen und dem Blutkreislauf zuführen.
Happiger Preis
Zertifiziertes, durch akkreditierte Analyse-Labore laufend getestetes NMN in bester Qualität – mit einem Reinheitsgrad über 99 % - gibt es leider nicht in der Schnäppchenhalle. Bei einem vielgelobten Online-Händler, Age-Science, kosten 100 Gramm happige 129 Euro, inklusive Versand und Mehrwertsteuer. (Die kleinste Beutelgröße, mit 12,5 Gramm NMN-Pulver, war im November 2023 dort für 30 Euro zu haben.) Kühl und ungeöffnet gelagert, ist es mindestens zwei Jahre haltbar.
Wer es deutlich billiger haben will, geht ins unkalkulierbare Risiko. Es häufen sich Klagen, dass Lieferanten aus Übersee und Billigstheimer ihr angeblich “reines” NMN mit Ascorbinsäure, Milchpulver oder sonstwie strecken. Im Herbst 2021 wurden in den USA 22 verschiedene Anbieter getestet – mit niederschmetterndem Ergebnis: Fast zwei Drittel boten kein echtes oder nur minderwertiges NMN an.
Zum Abmessen verwendet man am besten eine Milligramm-Waage. Im Online-Handel sind Laborwaagen schon ab 15 Euro zu haben.
Erst besinnen, dann kaufen
Rund um den Globus erreichen Menschen bei guter Gesundheit, frei von allen gefürchteten Zivilisationskrankheiten, fit und vital ein geradezu biblisches Alter – ganz ohne NMN und sonstige angesagten Anti-Aging-Produkte. Anstatt schnurstracks in jeden vermeintlichen pharmazeutischen Jungbrunnen zu hüpfen, täten wir gut daran, dem Geheimnis der “Centenarians” nachzuspüren, der putzmunteren Hundertjährigen. (9) Es ist ebenso unoriginell wie zeitlos wahr: weniger und vollwertig essen, ausreichend reines Wasser ertrinken, an frischer Luft körperlich aktiv sein, gut schlafen, Genussgifte meiden, Stress abbauen, eingebunden sein in stabile soziale Netze, befasst mit einer Aufgabe, erfüllt von einem Sinn. (Siehe KLARTEXT: “Selbst Methusalems pfeifen auf Corona”.)
All dies berücksichtigt David Sinclair durchaus, anstatt sich bloß ein ausgeklügeltes Pillengemisch einzuflößen, von dem noch längst nicht zweifelsfrei bewiesen ist, dass es das Leben wirklich bei jedem wohltuend verlängert, der keine Maus ist. (Neben NMN schluckt er immer nach dem Aufstehen auch ein Gramm Resveratrol - den mutmaßlichen Anti-Aging-Bestandteil von Rotwein - sowie ein Gramm Metformin, ein Diabetesmittel, das Studien zufolge auch gegen Demenz, Krebs und Herzerkrankungen wirkt.) (10) Er fastet regelmäßig, isst eher zuwenig als zuviel, verzehrt viel Gemüse und nur selten rotes Fleisch, lässt die Finger von Fertiggerichten. Zumeist lässt er die Mittagsmahlzeit ausfallen. Zucker und Kohlenhydrate meidet er. Er supplementiert Vitamin D und K2; zur Blutverdünnung verabreicht er sich jeden Abend 83 mg Aspirin. Er trinkt reichlich grünen Tee. Er raucht nicht. Für Sport fehlt ihm zwar meistens die Zeit – aber er lässt keine Treppe aus; am Wochenende trainiert er im Fitnessstudio und schwitzt in einer Sauna, bevor er in eiskaltes Wasserbecken steigt. Nicht nur nachts beim Schlafen, auch tagsüber ist er bemüht, sich in einer kühlen Umgebung aufzuhalten. Alle paar Monate lässt er sich Blut abnehmen, um Dutzende von Biomarkern zu checken; sind die Werte nicht optimal, so korrigiert er sie mittels Ernährungsumstellung und Sport. (11) Er ist stolzer Vater dreier Kinder, hat einen großen Freundeskreis und Charlie, einen verhätschelten Pudelmischling. Er genießt höchste Anerkennung in seinem beruflichen Umfeld. Nicht nur als Wissenschaftler, auch als Geschäftsmann brilliert er: Im Jahr 2008 verkaufte Sinclair seine Firma Sirtris Pharmaceuticals für sage und schreibe 720 Millionen US-Dollar an den Pharmariesen GlaxoSmithKline (12); bis heute leitet er fünf weitere selbstgegründete Biotech-Unternehmen. Er ist erfüllt von einer Arbeit, mit der er Bedeutsames, ja Bahnbrechendes leistet.
Ewig jung bleibt man mit alledem gewiss nicht. Aber womöglich bis zuletzt wohlauf. Wie erstrebenswert wäre der wissenschaftliche Sieg über einen Tod, der einem solch erfüllten Leben ein sinnvolles Ende setzen könnte?
Anmerkungen
1 Siehe David A. Sinclair: Das Ende des Alterns. Die revolutionäre Medizin von morgen, Köln 2019.
2 X. Zhu u.a.: „Nicotinamide mononucleotides alleviated neurological impairment via anti-neuroinflammation in traumatic brain injury. International Journal of Medical Sciences 2023;20(3):307-317, https://www.researchgate.net/publication/367969386_Nicotinamide_mononucleotides_alleviated_neurological_impairment_via_anti-neuroinflammation_in_traumatic_brain_injury; X. Zhao u.a.: „Nicotinamide mononucleotide improves the Alzheimer's disease by regulating intestinal microbiota“, Biochemical and Biophysical Research Communications 2023;670:27-35, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0006291X23006538)
3 Das Ende des Alterns, a.a.O., S. 197.
4 T. Yamane u.a.: „Nicotinamide mononucleotide (NMN) intake increases plasma NMN and insulin levels in healthy subjects“ Clinical Nutrition ESPEN. 2023;56:83-86, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2405457723001249; M. Yoshino u.a.: „Nicotinamide mononucleotide increases muscle insulin sensitivity in prediabetic women“ Science. 2021;372(6547):1224-1229, https://www.science.org/doi/10.1126/science.abe9985
5 P. Huang u.a.: „NMN Maintains Intestinal Homeostasis by Regulating the Gut Microbiota“, Frontiers in Nutrition 2021;8:714604. https://www.readcube.com/articles/10.3389/fnut.2021.714604; 26: Huang P, Wang X, Wang S, et al. Treatment of inflammatory bowel disease: Potential effect of NMN on intestinal barrier and gut microbiota“, Current Research in Food Science 2022;5:1403-1411, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2665927122001289?via%3Dihub
6 Zit. nach Nach SZ-Magazin Heft 37/12.9.2019: “Für immer jung!”, https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/david-sinclair-harvard-alter-forschung-jung-bleiben-87755?reduced=true, leider nur hinter einer Bezahlschranke.
7 M. Hrubša u.a.: „Biological Properties of Vitamins of the B-Complex, Part 1: Vitamins B1, B2, B3, and B5“, Nutrients 2022;14(3):484, https://www.mdpi.com/2072-6643/14/3/484; siehe auch https://www.gesundheit.gv.at/leben/ernaehrung/vitamine-mineralstoffe/wasserloesliche-vitamine/niacin.html#wo-ist-niacin-enthalten
8 K. F. Mills u.a.: „Long-Term Administration of Nicotinamide Mononucleotide Mitigates Age-Associated Physiological Decline in Mice“, Cell Metabolism 2016;24(6):795-806, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28068222/ ; J. Yoshino u.a.:N“icotinamide mononucleotide, a key NAD(+) intermediate, treats the pathophysiology of diet- and age-induced diabetes in mice“, Cell Metabolism 2011;14(4):528-536, https://profiles.wustl.edu/en/publications/nicotinamide-mononucleotide-a-key-nad-supsup-intermediate-treats-
9 https://www.spiegel.de/fotostrecke/langes-leben-hundertjaehrige-verraten-ihr-geheimnis-fotostrecke-143844.html; https://www.focus.de/gesundheit/longevity/langes-leben-das-steckt-hinter-dem-geheimnis-der-100-jaehrigen_id_193860574.html
10 Nach SZ-Magazin Heft 37/12.9.2019: “Für immer jung!”, a.a.O., https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gesundheit/david-sinclair-harvard-alter-forschung-jung-bleiben-87755?reduced=true Siehe auch https://fastlifehacks.com/david-sinclair-supplements/
11 Näheres über Sinclairs persönliches Gesundheitsprogramm in Das Ende des Alterns, a.a.O., S. 401.
12 Kate Holdsworth: Cosmos Bright Sparks: Australia’s top 10 young minds (Memento vom 26. Dezember 2013 im Internet Archive), Cosmos, 26. Juli 2006
Titelbild: Freepik.
Porträtfoto Sinclair: Von Editor5627 - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=128703620
P.S.: Den allgemeinen Haftungsausschluss unterstreiche ich bei diesem Artikel. Verfasst habe ich ihn auf der Grundlage von Studien, die zur Zeit der Veröffentlichung aktuell waren. Er dient aber nicht zur Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung, ersetzt also nicht den Besuch bei Ihrem Arzt. Besprechen Sie daher jede medizinische Maßnahme, um die es in diesem oder einem anderen Artikel meines Blogs geht, immer zuerst mit dem Arzt Ihres Vertrauens.
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