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  • Dr. Harald Wiesendanger

Mit Gott reden? – Was Gebete heilsam macht

„Beten Sie?“ In Meinungsumfragen antworten ­inzwischen vier von zehn Deutschen darauf: „nie“. Nur 17 Prozent beten täglich. Einigermaßen regel­mäßig, vor allem sonntags und an christlichen Feiertagen, tun es 27 Prozent. In schwierigen Lebenslagen – beispielsweise bei schwerer Krankheit, in Ehekrisen, in finanzieller Not, bei drohendem Verlust des Arbeitsplatzes – wächst dieser Anteil auf 40 Prozent. Warum ist die Zwiesprache mit Gott weitgehend aus der Mode gekommen?



Ein Hauptgrund ist: fortwährende Frustration. In unserer Kindheit wurde uns ein Gottesbild anerzogen, das uns an einen himmlischen Vater glauben ließ: für die Augen unsichtbar, aber allgegenwärtig, allwissend, allmächtig, obendrein der Inbegriff von Liebe. Beten bedeutete für uns, diesen Vater um etwas zu bitten. Selten erfüllten sich unsere Anliegen daraufhin. Wenn wir insbesondere um Heilung baten – für uns selbst, für einen schwerkranken Angehörigen oder Freund -, wie oft trat sie daraufhin tatsächlich ein? Je öfter unsere Gebete unerhört blieben – gleichgültig, wie andächtig und inbrünstig wir sie vortrugen -, desto stärker wurden unsere Zweifel: Warum lässt Gott mich, oder meinen Nächsten, derart leiden, so stark, so lange, so unverdient? Schreit unsere Not denn nicht buchstäblich zum Himmel? Wieso unternimmt Er nichts dagegen, obwohl er doch könnte? Kommt das nicht unterlassener Hilfeleistung gleich? Ein Vater, der seine Kinder leiden lässt, obwohl er eingreifen könnte, vernachlässigt Fürsorgepflichten.


Diese Enttäuschung könnte von einem Missverständnis herrühren, was Beten ausmacht – und wie es hilft. Viele stellen es sich vor als eine Bestellung bei einem transzen­denten Amazon, verbunden mit der Erwartung, dass zü­gig und vollständig geliefert wird. Geschieht das nicht, sind wir ungehalten. Träte Gott als Anbieter bei Ama­zon auf: Seine Kundenbewertungen wären von fünf Sternen jedenfalls weit entfernt, eher lägen sie im tiefsten Keller.


Irgendwann werden unsere Zweifel grundsätzlicher: Wie logisch ist der Akt des Betens überhaupt? Der christliche Glauben versieht seinen Gott mit den Attributen der Allgegenwart, der Allwissenheit, der Allmacht und der allumfassenden Liebe. Bitten an ein derartiges We­sen zu richten – vorausgesetzt, es existiert überhaupt -, kam mir von früher Jugend an zunehmend absurd vor. Entweder weiß Gott, wie sehr ich leide, kann es aber nicht ändern – dann wäre Er ohnmächtig; oder Er will es nicht ändern – dann wäre Er grausam; oder Er ahnt nichts davon – das widerspräche seiner Allwissenheit. Entweder Er weiß, was ich brauche – dann bekomme ich es ohnehin. Oder ich brauche es nicht, zumindest nicht von Seiner höheren Warte aus betrachtet – dann ist das Flehen darum ebenfalls müßig. Wenn Er alles jederzeit und überall zu unserem Besten bestimmt und lenkt, dann drückt sich auch in schwerster Krankheit ein göttlicher Wille aus, den eine menschliche Willensäußerung, gleichgültig wie fromm und inbrünstig vorgetragen, schwerlich umbiegen kann, und der sich unabhängig da­von vollzieht, ob und wie der Betroffene dazu betend Stellung nimmt. (1)


Trotzdem nutzen Gebete manchmal, zweifellos. Ganze Regal­wände ließen sich mit sorgfältigen Dokumentatio­nen von ärztlich bestätigten Gebetsheilungen füllen. (2) Neuer­dings sprechen dafür sogar hochwertige, doppelblind angelegte wissenschaftliche Studien. (3) An ihnen beteiligt waren Hunderte von gläubigen Heilern unterschiedlicher Konfessionen – darunter Christen, orthodoxe Juden, Moslems, Hindus – und über tausend Patienten – koronar Herzkranke, HIV-Infizierte, Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch -, die vorweg ohne ihr Wissen zwei Gruppen zugeteilt wurden: Auf die einen richteten Heiler Fürbitten, die anderen bildeten die Kontrollgruppe. Statistisch signifikant ergab sich: Für wen gebetet wurde, hatte eine größere Genesungschance, erholte sich rascher von Operationen, benötigte weniger Medikamente, wurde seltener zum Notfall.


Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Gehen wir es theo­logisch an, landen wir bei der heiklen Frage, was das für ein seltsamer Herrgott ist, der sich in das For­schungs­design von ein paar US-Medizinern einspannen lässt und Kranken Hilfe verweigert, nachdem sie einer „Placebo-Gruppe“ zugelost worden sind.


Oder wir setzen psychologisch an, mit der Frage: Was geschieht eigentlich in uns, während wir uns an Gott wenden? Vielleicht sollten wir Beten als eine Bewusst­seins­technik verstehen: eine Methode, unseren Geist in einen besonderen Zustand zu versetzen, in dem wir erfüllt sind von dem Gedanken und Gefühl: „Dein Wille geschehe“ – Dein Wille, nicht meiner. Wir hören auf zu wollen, zu verlangen, zu fordern. Stattdessen legen wir, demütig und vertrauensvoll, unser Schicksal in die Hän­de von Etwas, das viel größer ist als wir. Ähnelt ein solcher Bewusstseinszustand jenem, in den sich erfolgreiche Heiler begeben, wenn sie arbeiten? Könnte es nicht sein, dass man in diesem Zustand leichter Zugang findet zu dem, was Heiler „universelle Energien“ oder „kosmische Felder“ nennen? Dem Geheimnis des Gebetsheilens sind Parapsychologen womöglich eher auf der Spur als Theologen. (4)


Anmerkungen

Die eingangs erwähnten Repräsentativumfragen: von TNS Infratest Sozialforschung unter 3480 Erwachsenen zwischen April und September 2012; sowie 2006 von der GfK Marktforschung Nürn­berg unter 1970 Bundesbürgern, im Auftrag der Zeit­schrift Apo­theken Umschau.

1 Harald Wiesendanger: Auf der Suche nach Sinn – Allerletzte Antwor­ten auf letzte Fragen, Lea Verlag: Schönbrunn 2005, S. 57 und 65.

2 Fallbeispiele in Harald Wiesendanger: Das Große Buch vom Geistigen Heilen – Möglichkeiten, Grenzen, Gefahren, Schönbrunn 2000, S. 87 f.; Harald Wiesendanger: Fernheilen, Band 2: Fallbeispiele, Forschungen, Erklärungen, Einwände, Schönbrunn 2004, S. 87 ff.

3 Das Große Buch vom Geistigen Heilen, a.a.O., S. 90; Harald Wiesen­danger: Fernheilen, Band 2: Fallbeispiele, Forschungen, Erklärun­gen, Einwände, Lea Verlag: Schönbrunn 2004, S. 117 ff.

4 Mehr zur Parapsychologie des Gebetsheilens in Das Große Buch vom Geistigen Heilen, a.a.O., S. 90 ff.


Dieser Betrag enthält Auszüge aus dem Buch von Harald Wiesendanger: Auswege – Kranken anders helfen (2015)

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