top of page
  • Dr. Harald Wiesendanger

Demenz wegessen?

Aktualisiert: 4. Juni 2021

Eine 85-jährige Demenzkranke hat ihr Gedächtnis teilweise wiedererlangt, nachdem sie ihre Ernährung radikal umstellte. Die britische Alzheimer-Gesellschaft empfiehlt sie Mitbetroffenen inzwischen als Vorbild.

Im Jahr 2015 fiel Mark Hatzer, einem Anwalt aus Prestwich bei Manchester, immer häufiger auf, dass bei seiner Mutter Sylvia das Gedächtnis rapide nachließ. So hatte die damals 79-Jährige Schwierigkeiten, sich an Geburtstage oder Verabredungen mit Freunden zu erinnern. Sie rang nach Wörtern. Vertraute Gegenstände fand sie nicht mehr.


Nachdem sich solche Aussetzer häuften, wurde im Dezember 2016 bei der ehemaligen Telefonistin Alzheimer diagnostiziert.


Ziemlich rasch verschlechterte sich ihr Zustand. Epilepsie setzte ein, eine häufige Begleiterscheinung von Alzheimer. Nach einem heftigen Krampfanfall, bei dem sie schwer stürzte, wurde die Seniorin im März 2017 ins North Manchester General Hospital eingeliefert.


Für Mark, damals 48, brach eine Welt zusammen. 1977 hatte der Junggeselle seinen Bruder verloren, 1987 auch seinen Vater. Seither seien er und seine Mama „immer eine sehr enge kleine Familieneinheit“ gewesen, bekennt er. Und so kam er an „den Tiefpunkt meines Lebens“, als er sie im Krankenhaus besuchte: Seine über alles geliebte Mutter erkannte ihn nicht mehr. Die Krankenschwestern, die sich um sie kümmerten, beschuldigte sie der Entführung. Deshalb rief sie sogar die Polizei an. Zwischendurch meinte sie, in ein Hotel geraten zu sein – allerdings „ein ziemlich schäbiges“.


Ärzte bedrängten Mark, die offenkundig verwirrte Frau in eine Pflegeanstalt zwangseinweisen zu lassen.


Doch der Anwalt weigerte sich. Stattdessen holte er seine Mutter nach zwei Klinikmonaten wieder nach Hause. Dort überzeugte er sie davon, „anstelle der verschriebenen Medikamente eine alternative Behandlung zu versuchen“.


Ein Jahr später, 2018, war Sylvia Hatzer nicht wiederzuerkennen. Sie blühte auf, wirkte viel wacher, klarer und engagierter als zuvor. „Sie wurde wieder ihr altes Selbst“, erlebte Mark, „aktiver und aufgeschlossener“. Allmählich erinnerte sie sich wieder an Geburtstage. Voller Freude ging sie zum Tanztee. Einen Großteil ihrer Pflege übernahm sie selbst. „Es geht es ihr sehr gut, sie sieht zehn Jahre jünger aus, und wenn man sie trifft, würde man nicht ahnen, dass sie das alles durchgemacht hat.“



Reporter, die von Sylvia Hatzers Geschichte erfuhren, machten sie zur nationalen Berühmtheit. (1) Im Sommer 2018 lud Queen Elizabeth sie sogar zur traditionellen Garden Party ein - als Anerkennung für Sylvias Bemühungen, Tausenden von Demenzkranken neue Hoffnung zu geben.


Was war ihr Geheimnis?


„Es war kein Wunder über Nacht“, stellt Sylvias Sohn klar. Im Vordergrund stand eine radikale Ernährungsumstellung. Mark wusste, dass Demenz im Mittelmeerraum relativ selten vorkommt. „Das liegt an deren Ernährungsweise“, vermutete er. Deshalb bemühte er sich, Besonderheiten der mediterranen Küche zu übernehmen – unter anderem Fisch wie Lachs oder Makrele und andere Lebensmittel, die reich an Omega-3-Fettsäuren sind. Besonders häufig auf Sylvias Speisezettel standen außerdem: Vollkorngetreide, insbesondere Hafer; Vollkornbrot, Bohnen, Süßkartoffeln, Karotten und Kohlrüben; grünes Blattgemüse wie Brokkoli, Grünkohl und Spinat; Pilze, vor allem braune Sorten; Nüsse, vor allem Para- und Walnüsse; frische Beeren, vor allem Blaubeeren, Brombeeren und Erdbeeren; Leinsamen, Sonnenblumenkerne; Kräuter und Gewürze; Tee, insbesondere Kräuter- und Grüntee, ungezuckert; Kaffee; Zartbitterschokolade guter Qualität, mit einem Kakaogehalt von mindestens 70 Prozent.


Hinzu kamen „regelmäßige sanfte Bewegung und kognitive Übungen“.


"Es ist fantastisch, dass Sylvia zusammen mit ihrem Sohn Mark Maßnahmen ergriffen hat, um einen persönlichen Plan zu erstellen, der für ihre Demenzdiagnose gut funktioniert“, sagt Sue Clarke, Bezirksleiterin der britischen Alzheimer-Gesellschaft. Auf ihrer Website hat die Wohltätigkeitsorganisation Mark Hatzers Blog über Sylvias wundersame Geschichte eingebunden. (2) Sie teilt das Ernährungs- und Bewegungsprogramm der Hatzers und veröffentlicht ihre Rezepte auf Flyern.


"Die Leute denken: Wenn man eine Demenz-Diagnose bekommt, ist das Leben zu Ende“, sagt Mark Hatzer, „Man wird gute und schlechte Tage haben. Aber es muss nicht das Ende sein.“


Das sind erfreuliche Nachrichten für geschätzte 36 Millionen Menschen, die weltweit an dieser Krankheit leiden; am häufigsten, in 62 % aller Fälle, liegt Alzheimer vor. Allein in Großbritannien sind 850.000 betroffen; bis 2025 rechnen Experten mit einem Anstieg auf über eine Million. In Deutschland waren Ende 2018 fast 1,6 Millionen Menschen an Demenz erkrankt (3); bis 2050 wird mit 2,7 Millionen gerechnet. (4) Jeder Sechste über 80 ist bereits dement. Sylvia Hatzers Geschichte macht Betroffenen und ihren Angehörigen Hoffnung: Das Fortschreiten der Demenz lässt sich in manchen Fällen zumindest verlangsamen, zum Teil offenbar sogar stoppen und umkehren, zumindest zeitweise – ohne Medikamente. „Lasst Nahrung eure Medizin sein und Medizin eure Nahrung“, empfahl der griechische Arzt Paracelsus schon vor zweieinhalbtausend Jahren.

Harald Wiesendanger


Anmerkungen

(3) Informationsblatt 1: Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen (PDF), Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Juni 2020, https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf

(4) Bericht des Dachverbands nationaler Alzheimer-Gesellschaften, 2020. Zit. nach rp-online.de. 18.2.2020: „2,7 Millionen Demenzkranke im Jahr 2050 erwartet“, https://rp-online.de/kultur/2-7-millionen-demenzkranke-im-jahr-2050-erwartet_aid-49044369

862 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page