Als „Freund deutlicher Worte“ verehren ihn nicht nur Fans des FC Bayern München: Uli Hoeneß. Auf Stammtischniveau hat der 69-jährige Starpolemiker soeben erneut zugeschlagen, diesmal gegen Fleischverächter.
Beim Radiosender Antenne Bayern erklärte Hoeneß wie gewohnt meinungsstark, zwar habe er veganes Essen schon mal probiert. Aber „mir schmeckt das Zeug nicht, weil da überall das drin ist, was in einer Nürnberger Bratwurst nicht drin sein darf, nämlich Stabilisatoren und Geschmacksverstärker. (…) Vegetarisch akzeptiere ich noch ein bisschen, vegan aber gar nicht, weil die Menschen nur krank werden."
Dass jemand, der jahrzehntelang eine Wurstfabrik betrieb, zu einer gewissen Vorliebe für Wurst neigt, besitzt ähnlich überschaubaren Nachrichtenwert wie das Bekenntnis eines Alkoholikers, er möge kein Null-Prozent-Bier. Dass Hoeneß bei fleischloser Kost bisher bloß auf lebensmittelchemisch verseuchtes „Zeug“ gestoßen ist, deutet darauf hin, dass er noch nie bei einem veganen Gastgeber frisch Zubereitetes auf den Teller bekam oder sich am Buffet eines gut geführten veganen Restaurants bediente. Eher griff er beim Billigstdiscounter zu industrieller Fertignahrung voller Industriezucker, Kochsalz und versteckten Fetten.
Werden Veganer zwangsläufig krank? Ab einem gewissen Prominenzgrad ist offenbar keine Bildungslücke zu groß, um sich damit nicht mehr vor einem Millionenpublikum blamieren zu dürfen.
Obendrein missfällt Hoeneß eine aggressive Grundhaltung, die er bei Veganern festgestellt haben will. „Die sind ja militant. Wenn du die kritisierst, greifen sie dich an.“ Er bestehe aber auf seinem Recht zu essen, was er mag.
Verwechselt die durchaus militante Fußballikone, die sich alle Jahre wieder als mediales Rumpelstilzchen inszeniert, da nicht Ursache und Wirkung? Eher sind es doch Veganer, die sich allenthalben verächtlich gemacht sehen. Nicht jeder lässt sich das gefallen. Abgesehen von Schwulen und Juden, von Querdenkern, Maskenverweigerern und Ungeimpften fällt mir keine Minderheit ein, der die breite Öffentlichkeit mehr Vorurteile entgegenbringt als Vegetariern oder gar Veganern. Stets aufs Neue befremdet mich dabei, wie herablassend, geradezu verächtlich die üble Nachrede mitunter daherkommt. Dass manche medizinischen Fachgesellschaften und Gesundheitsbehörden sie sogar noch mittragen und schlampig recherchierende Journalisten sie unters Volk bringen, angeblich gestützt auf „wissenschaftliche Erkenntnisse“, macht die infamen Gerüchte umso glaubhafter und zählebiger.
„Die gefährden sich selbst“ - Das Argument der Mangelernährung „Die essen sich krank“: Was Fleischesser schon immer über Pflanzenköstler zu wissen meinten, schien Anfang 2014 einen wissenschaftlichen Segen zu finden, der in der Medienlandschaft mächtig Staub aufwirbelte. Seither erhitzt er die Gemüter. Im Fachjournal PLoS One veröffentlichten Mediziner der Universität Graz, was sie an 1320 Erwachsenen herausgefunden haben wollten. (1) Dabei hatten sie vier gleich große Gruppen verglichen: je 330 Vegetarier, Fleischesser mit viel Obst und Gemüse, Wenig- und Viel-Fleischesser. Hinsichtlich Geschlecht, Alter, Tabakkonsum, Fitness, Sozialstatus und wirtschaftlichen Verhältnissen waren die Gruppen vergleichbar zusammengesetzt; in jeder lag der durchschnittliche Body Mass Index (BMI) im Normalbereich. Die Daten stammten aus dem „Austrian Health Survey“ (AT-HIS), einer Stichprobe der erwachsenen Bevölkerung Österreichs, im Rahmen einer EU-weiten Umfrage „European Health Interview Survey“.
Bekennenden Fleischessern bescherten die Grazer Ergebnisse wahrlich ein gefundenes Fressen. 14 von 18 berücksichtigten Erkrankungen traten bei Vegetariern angeblich häufiger auf (78 %) – unter anderem Asthma, Diabetes, Migräne und Osteoporose. Von Allergien waren sie fast doppelt so häufig betroffen wie Viel-Fleischesser (30,6 zu 16,7 %), von Krebserkrankungen anderthalb mal öfter (4,8 zu 1,8 %). Dreimal häufiger erlitten sie Herzinfarkte (1,5 zu 0,6 %). Auch psychisch ging es ihnen schlechter: Doppelt so oft wie bei Viel-Fleischessern lagen bei ihnen Depressionen und Angststörungen vor. Sie gingen häufiger zum Arzt und benötigten mehr medizinische Therapien. Ihre Lebensqualität lag deutlich niedriger: sowohl hinsichtlich der körperlichen und seelischen Gesundheit als auch in puncto Sozialbeziehungen und Umwelt.
Medien griffen die Zahlen begierig auf – und verarbeiteten sie zu hanebüchenen Schlagzeilen. „Gesundheitsrisiko Fleischverzicht“, titelte das Nachrichtenmagazin Focus. Ausgiebig kamen sogenannte Experten zu Wort, die es immer schon gewusst hatten. Im Lichte der Grazer Befunde „wirken die unhaltbaren Gesundheitsversprechen von Vegetarierlobbyisten noch weitaus fragwürdiger“, erklärte der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop. (2) Professorin Gabriele Meyer, Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DEGIM), beeilte sich klarzustellen: Entlarvt worden seien hiermit „die gleichen Mythen und Märchen wie bei allen Ernährungsversprechen zur Gesundheit.“ Professor Ulrich Voderholzer, Ärztlicher Direktor der Schön-Klinik Roseneck, sah sich veranlasst, „ideologische Aussagen“ anzuprangern, „die falsche Versprechen suggerieren“. Speziell zum Thema Krebsschutz durch Obst und Gemüse pflichtete Professor Rudolf Kaaks vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) den Grazern bei: „Keinerlei Beziehung, nullkommanull.“(3)
Können Carnivoren also aufatmen? Kaum eine Redaktion erachtete es für nötig, ihre Leser, ihre Zuschauer darauf hinzuweisen, dass die vermeintlichen Grazer „Entdeckungen“ in krassem Gegensatz zu mindestens vier Jahrzehnten Ernährungsforschung standen. Und kaum eine gab eine entscheidende Einschränkung wieder, welche die Autoren am Ende ihres Studienberichts selber anbrachten: Die Gretchenfrage „Henne oder Ei?“ bleibt notgedrungen offen. Was sie feststellten, waren nichts weiter als Korrelationen, keine ursächlichen Zusammenhänge. Macht Fleischverzicht krank? Oder verhält es sich andersherum: Neigen Kranke eher dazu, ihren Fleischkonsum zu reduzieren – in der Hoffnung, damit wieder gesund zu werden?
Und hätten die Grazer nicht unbedingt berücksichtigen müssen, wie lange ihre 330 Vegetarier schon ihren Ernährungsstil pflegten, und wie konsequent sie dabei waren? Wird ein Körper nicht länger mit Fleisch versorgt, benötigt er Zeit, sich umzustellen. Noch länger dauert es, ehe sich daraufhin bei langwierigen chronischen Leiden etwas Nennenswertes tut.
Was also taugen die österreichischen Beruhigungspillen für passionierte Fleischesser? Welche neutrale Instanz weiß da Rat?
Was der Vatikan für die katholische Kirche, ist die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) für das öffentliche Gesundheitswesen der Bundesrepublik: eine Instanz, an der sich Ämter, Behörden und Schulen, Politiker und Journalisten vertrauensvoll orientieren, wenn es um gesundes Essen geht. Seit 1953 ist die gemeinnützige Fachgesellschaft, zu 70 Prozent von Bund und Ländern finanziert, satzungsgemäß sowohl dem Gemeinwohl als auch der Wissenschaft verpflichtet.
Was hält diese Einrichtung von veganer Ernährung? Nicht allzu viel. „Bei einer rein pflanzlichen Ernährung ist eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht oder nur schwer möglich“, behauptet die DGE. Es bestehe „eine Versorgungsproblematik, deren Auswirkungen insbesondere für Menschen in sensiblen Lebensphasen (z. B. Wachstum) nachteilig für die Gesundheit sein können. (…) Jede Ernährungsweise, die essenzielle Nährstoffe und Energie nicht bedarfsgerecht zuführt, ist für die Gesundheit ungünstig“. „Insbesondere „für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche“ werde eine vegane Ernährung „von der DGE nicht empfohlen“.
Was empfiehlt die DGE stattdessen? „Eine Ernährung mit allen im Ernährungskreis aufgeführten Lebensmittelgruppen, also auch tierischen Produkten“ – zur Freude der Fleisch- und Milchwirtschaft.
Das ist, mit Verlaub, irreführender Unfug. Alles, was ein menschlicher Organismus braucht, bietet ihm eine rein pflanzliche Ernährung in Hülle und Fülle – vorausgesetzt, er wählt informiert und mit Bedacht.
Das Märchen vom Vitamin-B-12-Mangel
Was sollen das denn für Nährstoffe sein, die einem Veganer angeblich „nur schwer“ oder überhaupt nicht zur Verfügung stehen? Am „kritischsten“, warnt die DGE, sei eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B12. Stimmt das?
Vitamin B12 wirkt entscheidend daran mit, dass Zellen sich teilen und wachsen. Es beteiligt sich daran, Blut zu bilden und die Erbsubstanz DNA zu synthetisieren. Auch für das Nervensystem ist es außerordentlich wichtig, weil es mithilft, dass sich Nervenfaserhüllen bilden und erneuern. Gemeinsam mit Vitamin B6 und Folsäure baut es das giftige Homocystein, ein Abfallprodukt des Proteinstoffwechsels, zu einem nichttoxischen Stoff ab; Homocystein schädigt die Blutgefäßwände, woraufhin der Körper Reparaturprozesse einleitet, die ihrerseits zu arteriosklerotischen Ablagerungen führen können. Deshalb gelten hohe Homocysteinwerte als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Entsprechend fatal kann sich ein anhaltender Vitamin-B12-Mangel auswirken: von Taubheitsgefühlen auf der Haut, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, brennender Zunge, eingerissenen Mundwinkeln, Koordinationsstörungen und Gangunsicherheit über ernsthafte Entwicklungsstörungen bis hin Perniziöser Anämie, einer besonderen Form der Blutarmut. Auch massive psychische Probleme können sich einstellen. Bei Depressiven und Dementen, bei Autisten und Schizophrenen maßen Mediziner äußerst niedrige Vitamin-B-12-Spiegel.
Den Tagesbedarf an B12 schätzen Ernährungswissenschaftler auf 3 bis 4 Mikrogramm (µg). Alle tierischen Lebensmittel enthalten es: Fleisch 2 bis 5 µg, je nach Tierart und Körperteil; Fisch 1 bis 9 µg, je nach Fischart; Käse 1 bis 3 µg, je nach Sorte; Eier 1 bis 1,5 µg, besonders das Eigelb; Milch, Buttermilch und Joghurt 0,2 bis 0,4 µg. Allerdings nimmt der Körper es unterschiedlich gut auf: Während er aus Fleisch zu 60 bis 90 % resorbieren kann, sind es bei Fisch bloß rund 40 %, bei Eiern sogar nur 10 %.
Wie stellen Veganer eine ausreichende B12-Versorgung sicher? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Immer wieder melden sich in Internetforen überzeugte Pflanzenköstler zu Wort, die sich seit vielen Jahren vegan ernähren, keinerlei B12-Zusatzpräparate einnehmen, unauffällige B12-Spiegel aufweisen – und sich fit und leistungsfähig fühlen, allem Anschein nach bei bester Gesundheit. Offenbar machen sie alles richtig. In der Szene kursieren vielerlei beruhigende Erklärungen dafür: Verspeiste Algen, Pilze, Gräser, ungewaschenes Gemüse liefern hochwertiges, ausreichend aktives B12; Veganer haben von vornherein einen niedrigeren B12-Bedarf als Allesesser; eine gesunde Mund- und Darmflora bildet von sich aus schon genug davon.
Bei Anderen hingegen scheint es nicht zu klappen. Vielleicht braucht ihr Organismus besonders viel B12. Oder sie machen Fehler beim Auswählen und Zubereiten ihrer Nahrungsmittel. Wer auf Nummer Sicher gehen will, nimmt ein Vitamin-B-12-Präparat als Tabletten, Kapseln oder Tropfen ein – möglichst ein hochwertiges, das Hydroxocobalamin enthält, die körpereigene Speicherform von B12, das jederzeit bei Bedarf in aktives B12 umgewandelt werden kann. Das ist einfach, sicher und, bei einem Preis von unter 20 Cent pro Tag, zudem erschwinglich.
Von wegen Nährstoffmangel
Wie steht es mit all den übrigen Nährstoffen, an denen es Veganern angeblich mangelt? Für Veganer „potentiell kritisch“ findet die DGE die Versorgung mit weiteren Vitaminen – namentlich nennt sie Riboflavin (B2) und Vitamin D -, ferner mit Protein, unentbehrlichen Aminosäuren, langkettigen Omega-3-Fettsäuren sowie Mineralstoffen wie Calcium, Eisen, Jod, Zink, Selen. (4) Stimmt das?
Vitamin B2 (Riboflavin) nimmt im Eiweiß-, Energie- und Eisenstoffwechsel in der Tat eine zentrale Rolle ein. Unser Körper benötigt es unter anderem, um Glukose oder Fettsäuren in Energie umzuwandeln. Auch für spezielle Eiweiße in der Augenlinse ist es wichtig.
Ein B2-Mangel macht müde und lustlos, er führt zu Augen- und Hautproblemen wie Rötungen, Juckreiz und eingerissenen Mundwinkeln.
Die DGE empfiehlt Erwachsenen, täglich 1 bis 1,4 Milligramm B2 zuzuführen. Gute Lieferanten dafür sind Milch und Milchprodukte, Fleisch und Fisch. Reichlich B2 enthalten allerdings auch vielerlei Nüsse, Samen, Hülsenfrüchte, Pilze sowie – in deutlich geringeren Mengen – verschiedene Gemüsesorten und Kräuter. Besonders reich an B2 sind Mandeln, frische Champignons, Dill, Austernpilze, Kürbiskerne und Petersilie, Linsen, Cashewkerne, Brokkoli, Spinat und Maroni, Erdnüsse, Sonnenblumenkerne und Kichererbsen, Hanfsamen und Trockenfrüchte.
Vitamin D kommt eine Schlüsselfunktion für unsere Gesundheit zu. An Abertausenden von Regulierungsprozessen in unseren Zellen ist es beteiligt. Es wirkt im Immunsystem mit, lindert Entzündungen, hebt die Stimmung und beugt etlichen chronischen Krankheiten vor. Unter Sonneneinwirkung bildet unser Körper es zu 90 Prozent selbst. Zu ersten Symptomen eines Vitamin-D-Mangels zählen häufige Infekte, verzögerte Wundheilung, Müdigkeit, Knochen- und Rückenschmerzen, anhaltende miese Laune, Schlafstörungen, nachlassende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, ein schlechtes Hautbild. Dauert die Unterversorgung an, so erhöht sich erheblich das Risiko für Übergewicht, chronische Entzündungen, Diabetes, Herz-Kreislauf- und Autoimmunerkrankungen, Herzinfarkt und Krebs, aber auch für Depressionen oder Demenz.
Beim Tagesbedarf sind sich Ernährungsexperten uneinig. Während manche von 20 Mikrogramm (= 800 IE) pro Tag ausgehen, nennen andere einen erheblich höheren Wert, nämlich 175 Mikrogramm (=7000 IE).
Normalesser lassen sich von der offiziellen Zusicherung beruhigen, Milch und Milchprodukte seien gute Vitamin-D-Quellen. Kaum einer weiß, dass Vollmilch und Joghurt gerade mal 1 µg pro 100 Gramm liefern, manche Hartkäsesorten um die 3 µg. Ergiebiger ist Fisch, mit 2 bis 22 µg je nach Art. Aber wer isst schon täglich einen Teller voll Hering, Aal oder Sprotten?
Neben Sonnenbädern steht Veganern eine hervorragende Alternative zur Verfügung: sonnengetrocknete Pilze. Fast alle Arten eignen sich dazu. Denn von Natur aus enthalten sie den Vitamin-D-Vorläufer Ergisterol; unter UVB-Strahlung entsteht daraus Ergocalciferol – auch Vitamin D2 genannt. Dazu legt man die Pilze ungewaschen, mit den Lamellen nach oben, zwei Tage lang in die Sonne. Danach enthalten sie bereits über 40.000 IE Vitamin D. Es verbleibt in den Pilzen mindestens ein Jahr lang, so dass sie uns auch im Winter reichlich D2 liefern. Wer täglich 2 bis 15 Gramm Pilze isst, hat seinen Vitamin-D-Spiegel bereits auf ein gesundes Level angehoben. (5)
Protein nennen Allesesser in Umfragen regelmäßig als Hauptgrund, Fleisch zu essen. Dabei liefert beinahe jede Pflanze sämtliche wichtigen Eiweiße. Besonders üppig enthalten sind sie in Nüssen (Mandeln, Walnüsse, Paranüsse, Haselnüsse), in Hülsenfrüchten (Erdnüsse und Erdnussmus, Bohnen, Linsen, Erbsen, Kichererbsen usw.), in Samen (Kürbiskerne, Leinsamen, Sonnenblumenkerne, Pistazien, Mohn, Sesam), Vollkornprodukte (insbesondere Quinoa und Amaranth), in Sojaprodukten, Reis, Hanf und Lupinen. Zu den proteinreichsten Gemüsearten zählen Kohl (besonders Rosenkohl, Grünkohl und Wirsing), aber auch Gartenkresse, Kräuter, Wildpflanzen und Pilze.
Ein Proteinproblem haben in den Industrieländern eher die Allesesser: Sie bekommen zuviel davon – in den USA etwa das Doppelte der Menge, die der menschliche Organismus bräuchte.
Essentielle, also lebensnotwendige Aminosäuren sind unabdingbare Bausteine der Proteine. Außerdem dienen sie als Ausgangsmaterial für vielerlei Verbindungen, die im Körper entscheidende Stoffwechselfunktionen übernehmen. Weil unser Körper sie nicht in ausreichenden Mengen selbst synthetisieren kann, müssen wir sie mit der Nahrung aufnehmen, In Rindfleisch, Wurst, Fisch, Milchprodukten und Eiern kommen sie besonders üppig vor. Dass Veganer damit Probleme haben, ist aber ein haltloses Gerücht. Reichlich enthalten ist Histidin in Sojabohnen und Weizenkeimen; Isoleucin in Cashewkernen, Erdnüssen, Linsen, Erbsen; Leucin in Hülsenfrüchten wie Sojabohnen, Erbsen, weißen und Mungobohnen, Linsen, Kichererbsen; Lysin in Bohnen, Orangen, Mandarinen sowie Sellerie; Methionin in Paranüssen, Sesamkörnern, getrockneten Sojabohnen, grünen Gemüsen wie Brokkoli, Rosenkohl und Spinat; Phenylalanin: in Soja und Kürbiskernen; Threonin in Papaya, Karotten, Blattspinat; Tryptophan in Sojabohnen, Kakaopulver ohne Zucker, Cashewkernen, trockenen Erbsen, Haferflocken, Walnüssen und Weizenmehl; Valin in Dinkelmehl und Haferflocken. Omega-3-Fettsäuren sind mehrfach ungesättigt, wie Biochemiker sagen: Es handelt sich um langkettige Moleküle – Kohlenwasserstoffketten - mit mehreren Doppelbindungen. Ihre wichtigsten Vertreter sind Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA). Unser Körper benötigt sie unter anderem, um Zellwände aufzubauen, insbesondere in Auge und Gehirn. Dort sorgen sie dafür, dass die Membranen elastisch bleiben, und übernehmen wichtige Aufgaben bei Enzymen, Rezeptoren und Transportproteinen. Darüber hinaus dienen sie als Ausgangssubstanz für Eicosanoide: Gewebshormone, die für verschiedene Immunfunktionen bedeutsam sind. Sie senken das Herzinfarkt-Risiko, wirken Herzrhythmusstörungen entgegen und positiv bei entzündlichen Erkrankungen wie Arthritis, Psoriasis und Morbus Crohn, sowie bei Krebs und Hauterkrankungen. Sie hemmen das Zusammenkleben der Blutplättchen, wirken gefäßerweiternd, entzündungshemmend, blutdrucksenkend und verbessern die Fließeigenschaften des Blutes. Bei hoher Aufnahme - 3-4 g pro Tag – senken sie den Triglyzerid- und möglicherweise auch den Cholesterinspiegel.
Ein Mangel beschwört zahlreiche Gesundheitsbeschwerden herauf, darunter Herz-Kreislauf-Probleme, Nervenstörungen, entzündliche Reaktionen und Autoimmunerkrankungen.
Als Tagesbedarf gelten 250 mg. Fetter Seefisch enthält diese wertvollen Fettsäuren reichlich – für Veganer allerdings kein Grund zur Verzweiflung, sofern sie sich ein wenig in Nahrungsmittelkunde schlau machen. EPA und DHA kann der Körper nämlich selbst aufbauen: aus der kurzkettigen Alpha-Linolensäure (ALA), Stattliche Mengen davon liefern Chia- und Leinsamen, Hanfsaat, Lein- und Hanföl. (6)
Einen etwaigen Omega-3-Mangel ausgleichen helfen hochwertige Algenpräparate, insbesondere aus Schizochytrium, Chlorella und Spirulina.
Calcium ist das Lieblingsmineral aller treuen Kunden der Milchwirtschaft. Normalesser nennen es am häufigsten als Grund, viel Milch zu trinken und Milchprodukte zu sich zu nehmen – das führe zu gesunden Knochen, im Alter schütze es vor Brüchen, so meinen sie.
Offizielle Richtlinien setzen den tatsächlichen Calciumbedarf viel zu hoch an. Ihn zu decken, gelingt mit einer rein veganen Ernährung nicht nur mühelos, sondern eher noch besser. Zuviel Calcium begünstigt einen Magnesiummangel. Um beides optimal zu verwerten, muss der Körper sie im Verhältnis 2 zu 1 aufnehmen. Mit Milchprodukten ist das unmöglich, mit pflanzlichen Lebensmitteln gelingt es ohne weiteres. Ein ideales Calcium-Magnesium-Verhältnis bieten etwa Sesam, Mandeln, Haselnüsse und Leinsamen, grünes und Wildgemüse wie zum Beispiel Grünkohl, Löwenzahn, Kresse, Brokkoli, Fenchel, Mangold und Karotten. Ebenfalls reich an Calcium sind Mohn, getrocknete Kräuter und Küchengewürze, Spirulina-Algen, Brennesseln, Kichererbsen und weitere Hülsenfrüchte, Trockenfrüchte wie Feigen und Aprikosen, Soja-, Reis- und Hanfmilch, Tofu und Tempeh, ein traditionelles Fermentationsprodukt aus Indonesien, das aus gelben Sojabohnen hergestellt wird.
Eisen ist in unserem Körper für den Sauerstofftransport mitverantwortlich. Darüber hinaus ist es ein unentbehrlicher Bestandteil verschiedener Enzyme, die für den Energiestoffwechsel verantwortlich sind.
Der Großteil befindet sich in den roten Blutkörperchen, als wesentlicher Bestandteil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Dort erfüllt Eisen die Aufgabe, Sauerstoff an sich zu binden, mit dem über das Blut alle Körperzellen versorgt werden. Fehlt es, tritt Anämie, Blutarmut auf. Der Sauerstoffmangel beeinträchtigt umgehend das körperliche und geistige Leistungsvermögen – man fühlt sich schlapp, ist unentwegt müde und rasch erschöpft. Man fängt sich öfter Erkältungen ein, die Haare fallen aus, die Zunge entzündet sich, die Fingernägel wölben sich nach oben.
Den Tagesbedarf von ungefähr 15 mg Eisen kann unser Körper nicht selber herstellen, er muss es mit der Nahrung aufnehmen. Besonders hochwertiges Eisen liefern Fleischprodukte, am reichlichsten Leber und Blutwurst: sogenanntes Häm-Eisen – Eisen in Verbindung mit Hämoglobin -, das unser Organismus besonders leicht verwerten kann.
Aber auch Pflanzenkost kann stattliche Eisenmengen liefern. Den Spitzenplatz belegt Kurkuma (40 mg pro 100 Gramm), gefolgt von Kürbiskernen (12,5 mg), Sesam (10), Amaranth (9), Quinoa (8), Hirse (7), Mohn, Leinsamen, Pfifferlingen, Basilikum, Sonnenblumenkernen und getrockneten Pfirsichen. Ebenfalls eisenreich sind grüne Blattgemüse – vor allem Spinat, neben Mangold und Löwenzahn -, grüne Blattsalate, viele Kräuter, Hülsenfrüchte und Gemüse.
Belesene Veganer achten darauf, sich gleichzeitig ausreichend Vitamin C zuzuführen, etwa mit Zitronen- oder Orangensaft, Kiwi, roter Paprika, Brokkoli, Rot- oder Weißkohl: Es erleichtert dem Körper, Eisen zu verwerten. Kaffee, Schwarztee, phosphatreiche Fertignahrung, Softdrinks und calciumreiche Milchprodukte hingegen hemmen die Eisenaufnahme. Im übrigen hängt es vom Zustand des Verdauungssystems ab, wie gut unser Körper Eisen resorbiert: etwa vom pH-Wert im Darm und der Magensäureproduktion.
Jod benötigt die Schilddrüse: Nur mit seiner Hilfe kann sie ihre Hormone produzieren. Fehlen sie, so gerät der gesamte Stoffwechsel ins Stocken – es stellen sich die Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion ein. Als Tagesbedarf von Kindern gelten laut DGE 100 bis 200 μg/Tag, 180 bis 200 μg/Tag benötigen Jugendliche und Erwachsene. Eine erstklassige Jodquelle für Pflanzenesser bieten Meeresalgen. Kelp, eine Braunalge mit über 30 Unterarten, enthält sage und schreibe 3000 bis 11000 µg Jod pro Gramm, die Rotalge Dulse und die Braunalge Hijiki jeweils 500, Wakame 100 bis 350, der Meersalat – eine Grünalge bis zu 240. Aber auch grüne Blattgemüse, Kohl, Pilze, Feldsalat, Champignons, Brokkoli, Erbsen und Spinat, Erdnüsse, Leinsaat, Kürbis- und Cashewkerne tragen zur Jodversorgung nennenswert bei.
Zink zählt, wie Eisen, zu den essentiellen Spurenelementen: Einerseits lebenswichtig, benötigt unser Organismus es nur in kleinen Mengen, „Spuren“. Es belebt den Stoffwechsel – bis zu 300 Enzyme haben Zink als Bestandteil -, fördert den Muskelaufbau, die Hautgesundheit und Heilungsprozesse aller Art, hilft beim Entgiften, steigert die Abwehrkräfte. Und es hebt die Stimmung: Denn Zink ist in einem Enzym namens Aromatische L-Aminosäure-Decarboxylase enthalten, das beim Aufbau des „Glücksbotenstoffs“ Serotonin mithilft. Für Männer gilt ein Bedarf von 10 mg pro Tag, für Frauen 7 mg. Zinkmangel zeigt sich an gestörter Geschmacksempfindung der Mundschleimhaut, Durchfall, Dermatitis und Akne. Er macht stressempfindlich, infektanfällig, müde und leistungsschwach, verzögert die Wundheilung, lässt Haare ausfallen. Sogar mit unerfülltem Kinderwunsch kann er in Zusammenhang stehen, wie vermutlich auch mit altersbedingter Sehschwäche.
Fleisch, Käse und Austern liefern reichlich Zink, 2 bis 9 mg pro 100 Gramm. Haben Veganer folglich ein Problem? Unsinn. Zink befindet sich normalerweise in proteinreichen Lebensmitteln; diese sorgen dafür, dass unser Körper das Spurenelement leicht aufnehmen kann. Hohe Zinkwerte finden sich auch bei Ölsaaten wie beispielsweise Kürbiskernen (7 mg pro 100 g), Leinsaat und Mohn. Hülsenfrüchte liefern 2 bis 3,5 mg. Allerdings sollten wir Hülsenfrüchte und Ölsaaten vor dem Verzehr ein paar Stunden lang in Wasser einweichen, so dass sie ankeimen. Dabei wird im Samen das Enzym Phytase aktiviert; es baut Phytinsäure ab, welche das Zink und andere Mineralstoffe an sich bindet.
Früchte und Gemüse hingegen liefern recht wenig Zink (0,1 bis 1 mg). Weil Veganer aber größere Mengen davon verzehren, erschließen sie sich damit eine weitere wichtige Zinkquelle. Außerdem erspart ihnen ihre Ernährungsweise Milchprodukte, in den Casein sowie viel Calcium und Phosphat die Zinkaufnahme hemmen. Selen, ein weiteres lebensnotwendiges Spurenelement, zeichnen mehrere grundlegende Vorzüge aus. Zum einen wirkt es hervorragend als Antioxidans: Es verlangsamt oder verhindert, dass andere Substanzen oxidieren, d.h. sich mit Sauerstoff verbinden – und dadurch im Organismus für sogenannten „oxidativen Stress“ sorgen, eine Stoffwechsellage, bei der vermehrt schädigende freie Radikale anfallen. „Freie Radikale“: so könnte eine extremistische Splitterpartei heißen. Der Name ist aber schon für einen physikalischen Sachverhalt reserviert: für Atome oder Moleküle, die ein freies, ungepaartes Elektron aufweisen, weshalb sie besonders reaktionsfreudig sind. Nehmen freie Radikale überhand, beeinträchtigt das die Immunabwehr. Dann neigen wir verstärkt zu Infekten. Das Risiko von chronischen Gesundheitsproblemen wächst, etwa für Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Arteriosklerose, Augenerkrankungen, zu chronisch entzündlichen Prozessen wie bei Arthritis, Colitis ulcerosa und Hashimoto-Thyreoditis, zu Multipler Sklerose, Parkinson, bösartigen Tumoren und Alzheimer. Auch altern wir vorzeitig. Selen spielt eine wichtige Rolle dabei, all das zu verhindern. Als unerlässlicher Bestandteil des Enzyms Glutathionperoxidase, eines besonders wirkungsvollen Antioxidans, schützt es beispielsweise vor Krebs.
Zum zweiten schafft es Selen, Schwermetalle wie Aluminium Arsen, Blei, Cadmium und Quecksilber an sich zu binden. In schwer löslichen Selen-Komplexen gefangen, können sie im Körper keinen Schaden mehr anrichten.
Darüber hinaus regt Selen das Immunsystem dazu an, Antikörper gegen Krankheitserreger und andere Schadstoffe zu bilden.
Ferner trägt Selen dazu bei, dass der Organismus ausgewogen mit Schilddrüsenhormonen versorgt wird; es steuert deren Aktivierung und Deaktivierung.
Kurzum, Selen ist für unsere Gesundheit unverzichtbar, ein andauernder Mangel hat fatale Folgen. Muss das Veganer beunruhigen? Eher nicht. Eine Handvoll Paranüsse pro Tag genügt, um sich wegen Selen keine Sorgen machen zu müssen. In Kokosnüssen, Kokosflocken, Sesam und Steinpilzen ist Selen ebenfalls reichlich enthalten, in kleineren Mengen auch in Champignons, Sojabohnen, Hafer, Mais, Hirse und Vollkornreis. Hülsenfrüchte, Knoblauch und Sonnenblumenkerne sind weitere gute Selenlieferanten.
Wo also, bitteschön, wird es „kritisch“, vegan zu sein? Die Panikmache der DGE, ihre nachdrückliche Empfehlung von Mischkost mit Fleisch, Fleischerzeugnissen und Fisch setzt sich über den aktuellen Stand der Ernährungsforschung eher hinweg, als ihn widerzuspiegeln.
„Unsympathische Zeitgenossen“ - Das Charakter-Argument
„Körnerfresser“, „Müsliheini“, „Sprossenlutscher“: Eine stattliche Ansammlung von Schimpfwörtern zeigt an, dass vielen Mitmenschen ein Großteil der bekennenden Fleischverächter mächtig auf den Keks geht. Zum Essen eingeladen, brüskieren manche ihre Gastgeber mit bohrenden Nachfragen, ob und welche tierischen Leichenteile und Ausscheidungen sich im servierten Mahl verstecken. In Supermärkten sieht man sie minutenlang stirnrunzelnd Zutatenlisten auf Verpackungen unter die Lupe nehmen, ehe sie das meiste mit verächtlicher Miene wieder in die Auslage zurückbefördern. Kaltblütig sprengen sie gesellige Runden mit miesepetrigen, besserwisserischen Belehrungen, wie viel auf dem Tisch eher wertloses, medizinisch bedenkliches und ethisch unvertretbares Zeug sei. Mit missionarischem Eifer, unerträglicher Arroganz und dem erigierten Zeigefinger des Moralisten bedrängen sie bei jeder Gelegenheit Normalesser, endlich den rechten Ernährungsweg einzuschlagen. So einer könnte Hoeneß´ Siebzigsten, der am 5. Januar ansteht, übelst sabotieren.
Keine Frage, solche Zeitgenossen kommen in der alternativen Essszene durchaus vor. In ihrer Aufsässigkeit, ihrer Streitbarkeit erinnern sie an fanatische Anti-Nikotin-Kreuzzügler unter Exrauchern, an trocken gewordene Exalkoholiker. Mit nervtötenden Auftritten verletzen sie häufig nicht nur die Grenzen des Anstands – sie entlarven sich als miserable Psychologen und Sozialpädagogen. Noch so viele schlaue Worte, noch so reichlich zitierte wissenschaftliche Studien veranlassen einen Normalesser jemals dazu, spontan reumütig eine diätetische Kehrtwendung zu vollziehen. Je eingefleischter Überzeugungen und Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen sind, je selbstverständlicher sie zum bisherigen Alltag gehören, desto schwerer erodieren sie unter dem Druck irgendwelcher Argumente. Gerade die eifrigsten Prediger der Veggie-Szene scheinen oft ihre eigene Biografie außer acht zu lassen: die wenigsten veranlasste ein rhetorisch noch so glänzender Vortrag, ein noch so faktenreiches Sachbuch dazu, plötzlich anders zu essen. Oft sind es einschneidende Lebensereignisse oder allmähliche innere Reifungsprozesse, die den Ausschlag geben: sei es eine schwere Krankheit, sei es tiefe Unzufriedenheit mit der eigenen körperlichen Verfassung. Vegetarier oder Veganer wird man am häufigsten auf dem Weg der Selbstbekehrung. Denkanstöße von außen helfen dabei umso weniger, je mehr sie als Bevormundung, als Zwang empfunden werden.
Andererseits treiben nicht jeden, der mit Normalessern über gesunde Ernährung zu diskutieren beginnt, lediglich ein aufgeblähtes Ego, Rechthaberei und Wichtigtuerei. Viele bewegt aufrichtige, tiefe Sorge um das Wohlergehen Anderer. Versuchen wir nicht, dem geliebten Partner, den über alles geliebten Kindern und Eltern, dem besten Freund zu helfen, wenn es ihnen schlecht geht? Und falls eine anhaltend miserable Ernährung daran schuld sein könnte: Dürfen, müssen wir das ihnen gegenüber nicht zur Sprache bringen? Stattdessen zu schweigen, aus Taktgefühl oder Resignation, wäre verantwortungslos.
Wer sich dabei als „Besserwisser“ unsympathisch macht, muss sich nicht dafür entschuldigen, dass er es tatsächlich häufig besser weiß – allein dadurch sorgt er beim Gegenüber leicht für Unbehagen, für Minderwertigkeitsgefühle, für Abwehrreflexe. Wer gibt schon gerne zu, dass er sich bei einem Gesprächsthema zuwenig auskennt? Dass ihm das Wissen fehlt, kompetent mitzureden? Etliche Umfragen deuten darauf hin, dass ihm der typische Vegetarier und Veganer vielerlei voraus hat. (7) Besonders fundiert und aussagekräftig ist hierzu eine 2017 veröffentlichte Studie zweier Psychologen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. (8) Sie analysierten Daten von über 5000 Personen, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) drei Jahre zuvor in eine repräsentative Langzeitstudie einbezogen hatte. Demnach ist der typische Pflanzenesser intelligenter als der Durchschnittsbürger und verfügt über einen höheren Bildungsabschluss. Er ist gesundheitsbewusster – und gesünder. Er hat sich gründlicher über Lebensmittel informiert, seine Konsum- und Ernährungsgewohnheiten selbstkritisch auf den Prüfstand gestellt, logische Schlüsse gezogen. Er ist offener für neue Erfahrungen, politisch interessierter und liberaler. Sich all das einzugestehen, nervt und kränkt so manchen Normalesser. Indem er den Vegetarier, den Veganer für unsympathisch erklärt, erspart er sich die Mühsal, sich mit dessen Standpunkten inhaltlich auseinandersetzen zu müssen – er stellt sich selbst einen unbewussten „Freifahrtschein“ aus, „um die faktenbasierte Reflektion des eigenen Verhaltens zu vermeiden“, mutmaßt das Infoportal Vegpool. „Verdrängung ist wohl der wichtigste Grund, warum Fleischesser Veganismus ablehnen.“
Da ist viel dran. „Wer die Wahrheit kennt, braucht ein schnelles Pferd“, lehrt ein chinesisches Sprichwort. Den Überbringer unangenehmer Botschaften abzulehnen, entspricht einem tiefverwurzelten menschlichen Bedürfnis.
„Lauter Trauerklöße“ - Das Depressionsargument
Eine vegetarische Lebensweise, und erst recht eine vegane, muss auf die Dauer doch gewaltig auf die Stimmung schlagen, so mutmaßen Normalesser: „Da hockst du beim Grillfest in fröhlicher Runde, womöglich sogar bei Uli Hoeneß am Tegernsee – und guckst salatkauend den Anderen beim Schlemmen zu. Bei der Geburtstagsfeier, beim Hochzeitsfest musst du die leckersten Sahnetorten links liegen lassen. Im Restaurant bleibt dir nichts anderes übrig, als mindestens vier Fünftel der Speisekarte zu ignorieren. Was ist das für ein Leben? Ständig verzichten, sich immerzu zusammenreißen, während es sich die Mitmenschen unbeschwert gutgehen lassen: das muss doch irgendwann depressiv machen.“
Diese Unterstellung sollen einzelne Forscherteams sogar empirisch bestätigt haben. In der oben zitierten österreichischen Studie litten Vegetarier deutlich häufiger an Angststörungen und Depressionen als Viel-Fleischesser (9,4 zu 4,5 Prozent). (9)
Diese Zusammenhänge bestätigte 2012 eine Studie der Universitäten Hildesheim und Bochum, der Psychologischen Hochschule Berlin und der TU Dresden, darüber hinaus noch für Essstörungen und psychosomatische Beschwerden. (10) Fleischverzicht sei mit einem deutlich höheren Risiko für depressive Symptome verbunden, wie sich angeblich auch aus einer Studie ergibt, welche das US-Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism gemeinsam mit der Universität Bristol durchführte. Daran nahmen knapp 10.000 Männer teil, von denen sich 311 vegetarisch und 39 vegan ernährten. Beide Untergruppen, so ergab sich aus Fragen zur psychischen Gesundheit, neigten eher zu Depressionen – umso stärker, je länger sie sich bereits fleischlos ernährten. (11) Zu ähnlichen Ergebnissen waren bereits frühere Studien gelangt.
Woran das liegen könnte, wusste zumindest das Nachrichtenmagazin Focus genau: Schuld sei, dass „eine fleischlose Ernährung gewöhnlich zu einem Vitamin-B-12-Mangel führt“. Außerdem würden Veganer „häufig zu Nüssen greifen, die die Omega-6-Fettsäure-Werte erhöhen.“ Dieser Überschuss könne „zu vermehrten Entzündungen im Körper führen und zusammen mit einem Vitamin-B-12-Mangel die Produktion von Botenstoffen im Gehirn beeinflussen“, was sich „auf das Wohlbefinden und unser Glückgefühl“ auswirke. (12)
Für die Nahrungsmittelindustrie sind solche „Erkenntnisse“ ein gefundenes Fressen. Aber treffen sie auch zu? Zum einen ist jedem halbwegs informierten Vegetarier und Veganer klar, wie er möglichen Mangelerscheinungen vorbeugen bzw. sie beheben kann, und die allermeisten tun es. Ihre Selbstbeobachtungen, wie auch Einschätzungen seitens ihres sozialen Umfelds, stehen überwiegend in krassem Widerspruch zu den sonderbaren Studienergebnissen: Kaum haben sie ihre Ernährung umgestellt, da hellt sich ihre Stimmung auf, psychische Tiefs werden seltener und geringer ausgeprägt, die Lebenseinstellung wird optimistischer. (13)
Unerwähnt ließ Focus, dass genügend Studien inzwischen bestätigen: Veganer sind psychisch gesünder, insbesondere weniger depressiv. Noch ausgeprägter als Vegetarier unterliegen sie geringeren Stimmungsschwankungen, sind weniger ängstlich, leisen weniger unter Stress als Fleischesser. (14) Hingegen erhöht eine entzündungssteigernd wirkende Ernährung - mit hohen Anteilen von Fleisch und Fisch, Limonade und raffiniertem Mehl - das Depressionsrisiko bei Frauen um 41 Prozent. (15) Fischkonsum erhöht das Risiko für Depressionen und Suizid, womöglich aufgrund des hohen Quecksilberanteils. (16)
Im übrigen ist nichts unwissenschaftlicher, als von Korrelation auf Kausalität kurzzuschließen. Rühren die höheren Depressionswerte tatsächlich von der pflanzlichen Ernährung her, mit der sie einhergehen? Könnte es nicht umgekehrt sein: Menschen, die zu Depressionen neigen, ernähren sich eher vegan oder vegetarisch? (17)
Aber weshalb sollten sie das tun? Menschen, denen die psychiatrische Etikettierungsmaschinerie immer rascher, immer früher, immer häufiger die Diagnose einer „depressiven Störung“ verpasst (18), sind überdurchschnittlich oft hochsensibel, nachdenklich, empathisch, verantwortungsbewusst, selbstkritisch – alles Charaktereigenschaften, die dazu prädestinieren, mit Tieren besonders stark mitzufühlen, dünnhäutiger auf empfundenes Unrecht zu reagieren, eigene Gewohnheiten ebenso zu hinterfragen wie vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Kultur und Gesellschaft. Je mehr sie sich mit bestehenden Missständen wie Tierleid und Welthunger, Umweltzerstörung und Massenvergiftung durch Industriechemikalien beschäftigen, desto stärker quält es sie. Daraus kann sich durchaus eine Gemütsverfassung entwickeln, die Ärzte mit einem pathologischen Zustand verwechseln. Woran Betroffene leiden, zurecht und vollauf rational, ist eine Welt, die krank ist und krank macht.
Woher kommt die Verachtung gegenüber Pflanzenköstlern?
Es gibt Angenehmeres, als in Gesellschaft offen und ehrlich zu einer vegetarischen oder gar veganen Ernährungsweise zu stehen. Wer es wagt, dem schlägt allzu oft eine geradezu aggressive Ablehnung entgegen. Kaum jemand will hören, was er zu sagen hat, und sich sachlich damit auseinandersetzen. Stattdessen riskiert er, verspottet und beschimpft zu werden. Wie jeder Mensch ist er viel mehr als seine Essgewohnheiten. Aber sobald er in der Schublade „Fleischverächter“ gelandet ist, greifen Stereotype. Sie drängen alles in den Hintergrund, was ihn sonst noch ausmacht. Nun gilt er als Radikaler, als Esoteriker, als Spinner.
Wieso mag keiner vernünftig mit ihm sprechen, auf seine Argumente eingehen? Das gäbe ihm Gelegenheit, in aller Ruhe vorzutragen: Sein Fleischverzicht ist eine logische Konsequenz der Tatsache, dass Menschen heutzutage keine Tierprodukte mehr verzehren müssen, um satt zu werden. Inzwischen stehen fatale Folgen des Fleischkonsums in krassem Missverhältnis zum Nutzen, medizinisch wie ökologisch. Aber eben dies – logisch zu sein - ist gerade das Problem: Es führt dem Fleischesser vor Augen, dass er entweder schlecht informiert ist, über vorhandene Informationen zuwenig nachgedacht hat oder den Gedanken keine Taten folgen ließ. Wer gesteht sich das gerne ein? Dazu sachlich genötigt zu werden, erlebt er als emotionale Bedrohung. Es verletzt seinen Stolz, es zieht seine Integrität in Zweifel, es wertet seine Einstellungen ab. Davor hat er Angst. Wenn sich diese Angst verselbstständigt, wird sie zur Ideologie. Und Ideologien sind resistent gegen Fakten.
Daran zu arbeiten, fällt Fleischessern hoffentlich leichter, wenn sie sich klarmachen: Der Vegetarier, der Veganer, über den sie gerade verständnislos den Kopf schütteln, war höchstwahrscheinlich selber einmal einer von ihnen. Auch in seinem Leben gab es eine mehr oder minder lange Phase, in denen er Tatsachen verdrängte, fällige Entscheidungen vor sich herschob, Kritik auswich. Überzeugungsarbeit gelingt Pflanzenköstlern am ehesten, wenn sie ehrlicherweise deutlich machen: Die Angst ihres Gegenübers war allzu lange ihre eigene.
Wie gesund isst der Wurstfabrikant?
Hoeneß´ Vegan-Bashing hat seine Popularitätswerte nicht unbedingt erhöht. In sozialen Medien überwiegen Kopfschütteln und Ironie über einen, dessen barocke Leibesfülle mit seinem blähsüchtigen Ego ohne weiteres mithält. Eine „Julia Sabrina“ etwa findet es „amüsant, dass gerade Menschen mit einer derartigen Freshness im Gesicht solch wilde Aussagen treffen. Meist sind sie dann selbst noch sportlich gebaut und man sieht ihnen förmlich an, dass sie auf ihre Ernährung achten.“ Und „Yvonne K.“ wundert sich: „Komisch nur, dass wir so viele kranke Menschen haben, wo doch die Mehrheit der Menschen omnivor lebt.“
Auch bei der Tierrechtsorganisation PETA kam Hoeneß´ Tirade nicht gut an. „Mit solchen Aussagen schießt er sich selbst ins Abseits“, erklärte PETA-Fachleiter Peter Höffken. „Mittlerweile ist ja bekannt, dass der ganze Fleischkonsum den Planeten zerstört, die Tierquälerei ist präsent in den Nachrichten. Und auch für die eigene Gesundheit ist diese Kost schädlich. Ich glaube, er hat einfach Angst, dass er Umsätze verliert und dass die Fabrik vielleicht irgendwann Verluste schreiben muss. Er versucht eben den Trend zu einer pflanzlichen Ernährung mit solchen verzweifelten Aussagen irgendwie aufzuhalten. Die Menschen wissen inzwischen, dass eine pflanzliche Ernährung gesünder ist als die herkömmliche Ernährung. Ich denke mal, er hat hier ein klassisches Eigentor geschossen."
Der Schauspieler Ralf Moeller, ehemaliger Bodybuilder und Mr. Universum, sandte aus seiner Wahlheimat Kalifornien sonnige Grüße an den Tegernsee: „Happy Birthday, Uli Hoeneß. Ich verstehe natürlich, dass Sie als Wurstfabrikant die Veganer nicht mögen. Aber ich persönlich bin aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen Veganer und weil ich die größten Zweifel an der Massentierhaltung habe. Mit meiner veganen Kost fühle ich mich noch fitter und bin gesünder. Wenn wir uns besser kennen würden, wäre mein Geburtstagsgeschenk für Sie ein veganer Koch für ein Wochenende. Aber damit Sie noch viele Geburtstage gesund feiern, empfehle ich Ihnen, einmal die Woche vegan und 50 Prozent weniger Fleisch zu essen."
Anmerkungen
(1) Nathalie T. Burkert u.a.: „Nutrition and Health – The Association between Eating Behavior and Various Health Parameters: A Matched Sample Study“, PLoS One 9(2) 2014: e88278, doi:10.1371/journal.pone.0088278, http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0088278
(2) „Vegetarismus: ‚Gesundessen‘ als Glaubensbekenntnis“, Novo Argumente, Uwe Knop, 30.10.2013.
(3) Zit. nach Süddeutsche Zeitung, 23.1.2014, http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/krebs-und-ernaehrung-die-angst-isst-mit-1.1869774-2.
(4) Margrit Richter, Heiner Boeing, Dorle Grünewald-Funk, Helmut Heseker, Anja Kroke, Eva Leschik-Bonnet, Helmut Oberritter, Daniela Strohm, Bernhard Watzl für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE): Vegane Ernährung – Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), Ernaehrungs Umschau international 63 (4) 2016, S. 92–102, doi:10.4455/eu.2016.021.
(5) Paul Stamets: "Place Mushrooms in Sunlight to Get Your Vitamin D: Part One", Huffington Post Healthy Living, Februar 2012, http://www.huffingtonpost.com/paul-stamets/mushrooms-vitamin-d_b_1635941.html
(6) Siehe A. A. Welch u.a.: „Dietary intake and status of n–3 polyunsaturated fatty acids in a population of fish-eating and non-fish-eating meat-eaters, vegetarians, and vegans and the precursor-product ratio of {alpha}-linolenic acid to long-chain n–3 polyunsaturated fatty acids: results from the EPIC-Norfolk cohort“, November 2010, American Journal of Clinical Nutrition, http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20861171.
(7) Vegpool: „Sind Veganer intelligenter?“, https://www.vegpool.de/wissen/veganer-intelligenz.html; Der Standard.de, 4.11.2017: „Die Persönlichkeit von Vegetariern und Veganern“, https://www.derstandard.de/story/2000067108147/persoenlichkeit-wie-sich-vegetarier-von-fleischessern-unterscheiden; abgerufen am 19.12.2017
(8) Tamara M. Pfeiler/Boris Egloff: „Examining the "Veggie" personality: Results from a representative German sample“ Appetite, 7. September 2017, DOI:10.1016/j.appet.2017.09.005
(9) N. T. Burkert u.a.: „Nutrition and Health – The Association between Eating Behavior and Various Health Parameters: A Matched Sample Study“, PLoS ONE 9(2) 2014: e88278. doi:10.1371/journal.pone.0088278http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0088278
(10) Johannes Michalak/Xiao Chi Zhang/Frank Jacobi: „Vegetarian diet and mental disorders: results from a representative community survey; International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity 2012, 9:67, https://ijbnpa.biomedcentral.com/track/pdf/10.1186/1479-5868-9-67?site=ijbnpa.biomedcentral.com.
(11) Joseph R. Hibbeln/Kate Northstone: „Vegetarian diets and depressive symptoms among men“, Journal of Affective Disorders 225 (1) 2017, S. 13-17, http://dx.doi.org/10.1016/j.jad.2017.07.051 )
(12) Focus.de, 12.11.2017: „Kein Fleisch kann unglücklich machen - Veganer erkranken eher an psychischem Leiden als Fleischesser“, www.focus.de/gesundheit/videos/kein-fleisch-kann-ungluecklich-machen-studie-beweist-veganer-erkranken-eher-an-psychischem-leiden-als-fleischesser_id_7449436.html.
(13) Siehe Harald Wiesendanger (Hg.): Tiere essen? Warum AUSWEGE-Mitwirkende ihre Ernährung umstellten (2018), https://stiftung-auswege-shop.gambiocloud.com/tiere-essen-warum-auswege-mitwirkende-ihre-ernaehrung-umstellten-pdf.html
(14) Bonnie Beezhold u.a.: „Vegans report less stress and anxiety than omnivores“, Nutritional Neuroscience 18 (7) 2014, S. 289-296, DOI: 10.1179/1476830514Y.0000000164.
(15) M. Lucas u.a.: „Inflammatory dietary pattern and risk of depression among women“, Brain, Behavior, and Immunity 36/2013, S. 46-53, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3947176/
(16) Michael Greger: „Fish Consumption & Suicide“, NutritionFacts 25/2015, https://nutritionfacts.org/video/fish-consumption-and-suicide/.
(17) Nina Röller: „Wird man als Veganer wirklich depressiv?“, 28.8.2017, http://www.erdbeerlounge.de/diaet/gesunde-ernaehrung/wird-man-als-veganer-wirklich-depressiv/, abgerufen am 19.12.2017.
(18) Harald Wiesendanger: Das Märchen von der Psycho-Seuche, Schönbrunn 2017, https://stiftung-auswege-shop.gambiocloud.com/das-maerchen-von-der-psycho-seuche-profis-erkennen-nicht-besser-was-uns-fehlt-auswege-schriftenreihe-psycholuegen-band-2-printausgabe.html
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