Die grassierende Angst vor einer Coronavirus-Epidemie bietet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine weitere Gelegenheit, seinem Ruf als Pharmalobbyist gerecht zu werden.
Während nach einhelliger Expertenmeinung ein geeigneter Impfstoff frühestens in der zweiten Jahreshälfte entwickelt sein wird, weiß zumindest der gelernte Bankkaufmann schon seit Mitte Februar, wie wir uns schützen können: Über „Händewaschen und Desinfizieren“ hinaus „kann ich alle nur ermuntern, die Grippeimpfung zu machen“, so verkündete der Chef-Immunologe der Nation allen Ernstes. (1) Dabei fehlt bislang jeglicher wissenschaftliche Beleg dafür, dass sich Sars-Cov-2 durch einen handelsüblichen Influenza-Impfstoff im geringsten beeindrucken lässt.
Zumindest nütze eine Grippeimpfung aber indirekt, so lässt sich Tropenmediziner Emil Reisinger, Dekan der Universitätsmedizin Rostock, vom „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ zitieren: Die Symptome einer Grippe und einer Coronaviruserkrankung ähneln sich stark. Wer über einen „ausreichenden Grippeschutz“ verfüge, könne somit für sich selbst, Ärzte und Behörden ausschließen, wegen einer Grippe zu einem Verdachtsfall zu werden und so allen Beteiligten Arbeit und Sorge ersparen. „Die ähnlichen Symptome beider Infektionskrankheiten könnten dazu führen, dass ein mit Influenzaviren infizierter Patient irrtümlicherweise in einer Isolationsstation aufgenommen wird“, so Reisinger. Diese Art der notwendigen Vorsichtsmaßnahme sei teuer. Die Kosten könnten durch eine Grippeschutzimpfung eingespart werden. (2)
Reisingers Empfehlung teilt Jeremy Farrar, Chef des britischen Wellcome Trust, der mit 27 Milliarden britischen Pfund (3) weltweit reichsten Stiftung zur Förderung medizinischer Forschung. Schon Ende Januar 2020, als der Corona-Hype gerade erst eingesetzt hatte, twitterte er flugs: "Eine Sache, die helfen würde, ist, sich gegen Grippe impfen zu lassen." (4)
„Grippeimpfung schützt“: regierungsamtliche Fake News
Doch schon bei gewöhnlichen saisonalen Grippewellen ist der Nutzen von Influenza-Vakzinen in Wahrheit äußerst fraglich. Im Jahr 1997 waren erst 7 zugelassene Grippe-Impfstoffe auf dem Markt; bis 2004 verdoppelte sich ihre Zahl auf 14. Während des Winters 1992/1993 wurden noch 2,5 Millionen Dosen verimpft, im Winter 2003/2004 waren es 14,9 Millionen Dosen, also fast sechs Mal so viele. Gingen im selben Zeitraum die Erkrankungs- und Todesfälle bei Influenza zurück? Das statistische Bundesamt liefert für laborbestätigte Influenza-Todesfälle die Zahlen erst ab 1998. In jenem Jahr waren es 11, dann 34 (1999), 22 (2000), 9 (2001) und 2002 waren es 10 erfasste Fälle. Meldezahlen über Influenzaerkrankungen liegen ab 2001 vor, nachdem das Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Kraft getreten war. Im Jahr 2001 waren es 2487; 2002 wurden 2574 Fälle gemeldet, 2003 sogar 8473. Herstellerunabhängige Statistiken liefern demnach keinerlei Hinweis, dass die wachsende Anzahl von Impfstoffen und verimpften Dosen tatsächlich die jährlichen Influenza-Epidemien verringert. (5)
Ausgerechnet das Robert-Koch-Institut (RKI), Deutschlands oberste Gesundheitsbehörde für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, musste Ende 2004, nachdem in einem Seniorenwohnheim eine Virusgrippe ausgebrochen war, kleinlaut einräumen: „Bewohner mit einer zeitgerechten Grippeschutzimpfung hatten die gleiche Wahrscheinlichkeit zu erkranken wie ungeimpfte Bewohner." (6) Im September 2003 veröffentlichte die renommierte medizinische Fachzeitschrift JAMA eine Studie zur Frage, ob die Grippeimpfung bei Kindern einen zusätzlichen Schutz gegen Mittelohrentzündung bietet. Das Ergebnis erbrachte nicht nur den Nachweis, dass dies nicht der Fall ist, sondern auch, dass die geimpften Kinder insgesamt häufiger und länger krank waren als die ungeimpfte Kontrollgruppe. (7) Die WDR-Sendung "rundum gesund" zitierte am 20. September 2004 das Ergebnis einer weiteren Studie, die den Gesundheitszustand von Grippegeimpften und nur mit einem Placebo geimpften Belegschaftsmitglieder der Ford-Werke miteinander verglich: "Dabei zeigte sich, dass der tatsächlich gegen Grippe geimpfte Teil der Belegschaft im folgenden Winter deutlich öfter zum Arzt ging, mehr Tage an Erkältungsbeschwerden litt und sich häufiger krank melden musste, als der nur mit Placebo geimpfte Teil der Belegschaft." (8)
Auch Cochrane, ein weltweites Netz von Wissenschaftlern und Ärzten, muss Impfbefürworter enttäuschen: In mehreren Metaanalysen, die Hunderte von Impfstudien systematisch einbezogen, fand es keine Anhaltspunkte dafür, dass Grippeimpfungen für weniger Todesfälle und Einweisungen ins Krankenhaus sorgen. (9)
Fragwürdigem "Nutzen" stehen Impfkomplikationen mit unbekannter Dunkelziffer gegenüber. Entsprechende Bedenken scheinen gerade unter medizinischem und pflegendem Personal weit verbreitet zu sein: Warum wohl liegt in diesen Berufsgruppen die Grippe-Durchimpfungsrate mit geschätzten 10 bis 15 Prozent besonders niedrig? (10)
Das Problem beginnt bereits bei den Zulassungsstudien. Ob Impfstoffe nützen, misst die zuständige Zulassungsbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), nicht etwa an ihrer tatsächlichen Fähigkeit, den Ausbruch einer Krankheit zu verhindern, sondern daran, ob sie die Menge der spezifischen Antikörper im Blut erhöhen. Eine systematische Nachkontrolle nach der Zulassung, die den tatsächlichen Wirkungsgrad erfasst, hält man für überflüssig, was auch bei vielen Ärzten Kopfschütteln auslöst. (11) Wir wissen also nicht mit letzter Sicherheit, ob der bei der Zulassung festgestellte erhöhte Antikörpertiter auch tatsächlich immun gegen eine spezifische Krankheit macht. Wie das RKI selbst einräumt, handelt es sich bei der Titerhöhe bloß um eine Ersatzmessgröße; nicht sie allein entscheidet über den Grad der Immunität. (12) Tatsächlich schwankt der Wirkungsgrad selbst nach offiziellen Schätzungen zwischen 30 und 90 Prozent. (13)
Fragwürdige Experten
Zitierter Emil Reisinger versichert in Publikationen übrigens regelmäßig, bei ihm lägen „keine Interessenkonflikte“ vor. Mit etwas Recherche hätte das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ allerdings darauf stoßen können, dass etliche Pharmariesen mehrere Lehrstühle der Rostocker Universitätsmedizin mitfinanzieren, der Reisinger vorsteht; dortige „Stiftungsprofessuren“ sind Pascoe, Shire, Bayer, CSL Behring, Roche und Octapharma zu verdanken – sowie zweien der weltweit umsatzstärksten Impfstoffhersteller: GlaxoSmithKline und Sanofi-Aventis. (14)
Und was ist von Impfempfehlungen des Wellcome Trust zu halten? 1936 aus dem Nachlass des Pharma-Magnaten Sir Henry Wellcome in die Welt gesetzt, ging aus ihm 1995 GlaxoWellcome hervor, das fünf Jahre später mit SmithKlineBeecham zum größten Impfstoffhersteller der Welt verschmolz: GlaxoSmithKline. (15) Laut Financial Times (16) ist diese Stiftung Großbritanniens größter nichtstaatlicher Geldgeber für wissenschaftliche Forschung. Welche Art von „Wissenschaft“ erscheint einem solchen Sponsor wohl förderungswürdig?
Wozu überhaupt all die Corona-Panik, die an die schrillste Hochphase der unsäglichen Vogel- und Schweinegrippenhysterie erinnert? „Was wir gerade mit dem Coronavirus erleben, erleben wir jedes Jahr mit der Grippe“, beruhigt der Würzburger Tropenmediziner Professor August Stich dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Grippevirus sei nach derzeitiger Faktenlage viel gefährlicher. (17) Und ausgerechnet aus dem rheinländischen Heinsberg, wo der erste deutsche Corona-Infizierte auffiel, meldet sich ein Apotheker zu Wort, der Spahns PR-wirksame Epidemiewarnungen als „unverantwortliche“ Bangemache einstuft: Der betreffende Patient sei durch eine Lungenerkrankung vorbelastet gewesen. "In so einem gesundheitlichen Zustand ist jeder Infekt gefährlich, egal ob Coronavirus oder nicht." Wer allerdings nicht unter einem geschwächten Immunsystem leide, müsse sich zunächst keine größeren Sorgen machen, so Apotheker Lutz Steinfurth. (18)
Dass die Apokalypse wohl auch diesmal ausbleiben wird, lehren Zahlenvergleiche mit der „echten“ Grippe. Nach WHO-Schätzungen sorgen Influenzaviren pro Jahr für bis zu 650.000 Tote – wo bleibt da die Panik? Wieso verwandelt sich die Republik nicht ab jedem Herbst für ein paar Monate in einen gesundheitsbehördlich überwachten Hochsicherheitstrakt? Laut Robert-Koch-Institut stecken sich alljährlich 2 bis 14 Millionen Bundesdeutsche mit Influenza an; demgegenüber stehen bislang unter 100.000 Corona-Infizierte, von denen ein Großteil schon wieder gesund ist. Bei den unter 40-Jährigen liegt die Sterberate weit unter 1 Prozent, in Ländern mit guter medizinischer Versorgung weitaus niedriger als in China oder Nordkorea.
Doch solche Hinweise dringen momentan kaum durch, Besonnenheit ist kaum gefragt. Wer will sich von gelassenen Beruhigern schon die schauerlich-schöne Angstlust verderben lassen? Wer will schon hören, dass das Coronavirus, wie alle sogenannten Erreger, überhaupt erst gefährlich werden kann, wenn andere Faktoren vorliegen: etwa eine Immunschwäche, Vorerkrankungen, Stress? Warum gibt es bei ausnahmslos jeder Infektionskrankheit Menschen, die sie völlig beschwerdefrei durchmachen, beispielsweise bei den Masern als "stille Feiung"? Bei Polio verlaufen 90 Prozent der Infektionen symptomlos, bei HPV 99 Prozent, selbst bei Ebola bis zu 20 Prozent. Auch unter HIV-Infizierten kommen symptomlose Langzeitüberlebende vor. Stets ist es ein Zusammenspiel mehrerer ungünstiger Faktoren, das schließlich zur Krankheit führt - kaum je eine einzige, klar eingrenzbare Ursache. Statt bloß auf Virusbekämpfung aus zu sein, täte ein ganzheitlicher Ansatz not; auf ihn würde ein weiser Bevölkerungsschutz vorrangig setzen.
Angst ansteckender als das Virus - Wem nützt die Panikmache?
Wem, wenn nicht der Volksgesundheit, nutzen so drastische Maßnahmen wie Einreiseverbote, Polizeikontrollen in Zügen, an Flughäfen und Grenzübergängen, Sperrzonen, Quarantänelager, Zwangsinternierungen, Isolierstationen, Krisenstäbe, Kontaktsperren, Hausarreste, abgeriegelte Hotels, geschlossene Schulen und Betriebe, Verbote von Großveranstaltungen, überall Atemschutzmaskierte? „Bis zu 70 Prozent der deutschen Bevölkerung könnten sich infizieren“ (19), schwant einem Virologen der Berliner Charité, von dem der NDR versichert, er habe „SARS-CoV-2 so gut erforscht wie kaum ein anderer, alle Welt fragt jetzt um seinen Rat“. (20) Siebzig! Prozent! Weiß! Der! Experte! Massenmedien bietet eine derartige Entwicklung ein gefundenes Fressen, denn sie sorgt für die fabelhaft telegene Dramaturgie einer sich schrittweise zuspitzenden Katastrophe – endlich mal wieder haarsträubender Stoff für Sondersendungen auf allen Kanälen, für minütlich aktualisierte Newsblogs und Live-Ticker mit jüngsten Schreckensmeldungen, für alarmistisches Palaver in Talkrunden. Zudem fördert der Horror die weiteren Karrierepläne eines von Ehrgeiz strotzenden Gesundheitsministers, der sich einmal mehr als tatkräftig zupackender Kümmerer profilieren kann. Und er erhöht die Impfbereitschaft der verunsicherten Bevölkerung: Je ärger das Gruseln, desto schwächer die Widerstände.
Ein solches Szenario folgt einer Marketingstrategie, mit der sich Vakzinproduzenten immer schon Goldgruben zu erschließen wussten. Im Jahr 2018 bescherte ihnen das Impfstoffbusiness einen Umsatz von 49 Milliarden US-Dollar weltweit; bis 2024 soll er auf 60 Milliarden ansteigen. Würden die Impfempfehlungen der berüchtigt industrienahen STIKO auf alle Bewohner dieses Planeten angewandt, so brächte allein diese Produktsparte über eine Billion Dollar ein – annähernd so viel, wie die Branche inzwischen insgesamt umsetzt. Erst dann wäre der Markt wahrlich „gesättigt“, vorher gibt Big Pharma schwerlich Ruhe. Und erst dann ließe sich nicht mehr herausfinden, ob Ungeimpfte womöglich gesünder sind – diese lästige Kontrollgruppe wäre erfolgreich weggespritzt.
Anmerkungen
2 RND: „Ärzte raten wegen Coronavirus zu Grippeschutzimpfung“, https://www.rnd.de/gesundheit/arzte-raten-wegen-coronavirus-zu-grippeschutzimpfung-6YRHUB73YFAATATC72GVU3HOEE.html
4 www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-01/impfungen-grippe-coronavirus-gesundheit-praevention-infektion
6 Robert-Koch-Institut: Epidemiologisches Bulletin Bull Nr. 12/2005
7 Journal of the American Medical Association (JAMA) 290 (12) 2003
9 Joseph Mercola: „Cochrane Founder Warns Flu Vaccine Research Is Corrupted“, 25.2.2020, mercola.com. (Inzwischen gelöscht.)
10 RKI/PEI-Presseerklärung vom 22. September 2003
11 "impf-report" Newsletter Nr. 14/2005 12 Email der RKI-Pressestelle vom 2.2.2005 an Tolzin 13 Focus 47/2004, S. 12
16 "Wellcome Trust extends Seeding Drug Discovery initiative", AngelNews, 14.5.2010, https://web.archive.org/web/20150114231852/http://www.angelnews.co.uk/article.jsf?articleId=9796#
17 Frankfurter Rundschau: „Grippe ist ‚nach derzeitiger Faktenlage‘ gefährlicher als Coronavirus - Tropenmediziner warnt vor Panik“, 5.2.2020, www.fr.de/ratgeber/gesundheit/grippewelle-grippe-grippeimpfung-krankheit-impfen-impfung-influenza-krank-13053034.html
Titelfoto: DoroT Schenk/Pixabay
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