Wie geht meine Stiftung Auswege mit Patienten um, deren Erkrankung unerbittlich fortschreitet, aus ärztlicher Sicht dem sicheren Ende entgegen? Retten wir sie? Verschaffen wir ihnen zumindest einen Zeitgewinn? Gelingt es uns, ihnen die Angst vor dem Tod zu nehmen?
Natürlich hoffte Alexander noch, als er im Oktober 2012 in ein „Auswege“-Camp im Schwarzwald kam. Dabei war die Krebserkrankung, die bei dem 42-jährigen Architekten schon ein Jahrzehnt zuvor ausgebrochen war, inzwischen weit fortgeschritten. Der linke Unterschenkel hatte ihm bereits amputiert werden müssen. 2008 wurden in beiden Lungen Metastasen festgestellt, die er weder operieren noch bestrahlen noch chemotherapieren ließ; er hatte sich auf einen spirituellen Weg begeben, der ihn zu alternativen Heilweisen führte – und damit hatte er die bösartigen Wucherungen erstaunlich lange in Schach gehalten. Doch seit Frühjahr 2012 quälten ihn unentwegt heftige Rückenschmerzen. Er ahnte, dass sie von Metastasen herrührten – und der Tod näherrückt.
Mit Erkrankungen, die Mediziner „letal“ nennen (lat. letum: Tod, letalis: tödlich), bekommen wir in den „Auswege“-Camps nur selten zu tun; unter drei Prozent der Teilnehmer bringen sie zu uns mit. Neben Fällen von Krebs zählen dazu vor allem die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die ihr promintestes Opfer, der Physiker Stephen Hawking, ins öffentliche Bewusstsein rückte, und andere Motoneuronen-Erkrankungen, bei denen Nerven und ihre Verbindungen zu Muskeln schrittweise vollständig zerstört werden. Erfasst dieser Zerfall am stärksten die Atemmuskulatur, ersticken die Betroffenen; betrifft er vor allem das Herz, bleibt es irgendwann stehen.
Was können wir für Betroffene tun? Sie von ihrer Sterblichkeit zu erlösen, schaffen auch wir beim besten Willen nicht. Fast immer gelingt es uns aber, das Fortschreiten ihrer Erkrankung zu verlangsamen, womit wir ihnen einen Zeitgewinn verschaffen; Schmerzen und andere Begleitsymptome lassen bei uns nach; medikamentöse Therapien werden besser vertragen, Nebenwirkungen fallen geringer aus; selbst in fortgeschrittensten Stadien und „infauster“, absehbar hoffnungsloser Arztprognose verbessern sich in unserer Obhut Allgemeinbefinden und Lebensqualität deutlich. Bei Alexander beobachteten wir das ebenso wie vier Jahre zuvor bei der vierjährigen Ida, bei der ein Rhabdomyosarkom am Gallenausgang festgestellt worden war: eine bösartige Geschwulst, die von der Skelettmuskulatur ausgeht und bei dem tapferen kleinen Mädchen inzwischen in Leber und Knochen metastasiert war; ebenso bei Ruth, einer 59jährigen Bankkauffrau, bei der Ende 2003 ein Plasmozytom entdeckt wurde: eine bösartige Tumorerkrankung aus der Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome.
Oder bei Hildegard* (66): Nachdem sich 1991 in ihrer rechten Brust ein Karzinom gebildet hatte, das operiert und bestrahlt worden war, schien der Krebs besiegt; doch im Januar 2013 wurden Metastasen in Knochen, Lunge und Haut festgestellt. Nach über einem Dutzend Therapiesitzungen und Beratungsgesprächen während eines „Auswege“-Camps im Mai 2014, einschließlich Akupunktur, Lichttherapie und Geistigem Heilen, ließen ihre chronischen Schmerzen so weit nach, dass sie Analgetika niedriger dosieren und besser schlafen konnte. Ferner besserten sich bei ihr: eine Migräne, an der sie seit ihrer Jugend litt; Rückenbeschwerden seit siebzehn Jahren, verursacht durch ein Hals- und Lendenwirbelsyndrom; Schmerzen im rechten Arm seit einem Sturz im Sommer 2012 und anschließender missglückter OP. Doch was wurde aus ihrem Krebs? Ein halbes Jahr später, im Dezember 2014, ergab eine Kontrolluntersuchung beim Radiologen: weniger und kleinere Metastasen, kein neuer Befall, weniger Wasser in der Lunge. „Diese tollen Ergebnisse“, so schrieb Hildegard uns kurz darauf, führe sie auf zwei Faktoren zurück: zum einen auf die Selbstbehandlung mit Präparaten, die der „Übersäuerung“ des Organismus entgegenwirken – diese waren ihr im Camp von einer Heilpraktikerin empfohlen worden -, zum anderen auf die dort erhaltenen Denkanstöße, die ihr „die Augen geöffnet haben: Meine Krankheit ist ein Zeichen – es macht mich darauf aufmerksam, dass ich meiner Seele zuviel zumute. Ich muss mehr auf mein ‚Inneres’ hören und viel mehr für mich da sein statt nur für Andere. Mir wurden Wege gezeigt, mit meinen ‚Altlasten’ fertig zu werden und diese über Bord zu werfen. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt.“
Auch Joachim* profitierte, ein 50jähriger Versicherungskaufmann mit ALS, der sich uns, wie Alexander und Ruth, im Oktober-Camp 2012 anvertraut hatte: Lähmungserscheinungen in Gliedmaßen ließen zeitweilig etwas nach; auf die Heilsitzungen reagierten sie mit deutlichen Bewegungen und heftigen Zuckungen. Schon am ersten Behandlungstag hatte Joachim nach eigenen Angaben „im tauben Arm erstmals wieder Gefühl“, er empfand darin starke Wärme und einen regelrechten „Muskelkater“; gegen Campende spürte er seinen Arm wieder voll und ganz und war imstande, ihn selbstständig zu halten. Voll neuer Zuversicht verließ er uns: „Ich habe mich hier einfach gut gefühlt. Neue Wege! Neue Ziele! Neue Welt!“ Auch Alexander sprach am Ende von einem „unermesslich großen Erkenntnisgewinn“, nach täglich vier Heilsitzungen hatten seine Schmerzen zeitweilig nachgelassen.
Aber wie kommen wir jener Belastung bei, die viele Betroffene weitaus stärker quält als die Erkrankung selbst: ihrer Angst vor dem nahen Tod?
Ars moriendi – Die Kunst des Sterbens stirbt aus
In den Camps selbst werden wir damit kaum je konfrontiert. Wer schon fest damit rechnet, dass sich die fatalen Prognosen von Schulmedizinern unweigerlich bewahrheiten werden, kommt erst gar nicht mehr zu uns. Wer teilnimmt, hofft noch, ist zuversichtlich, glaubt an seine Chance. Aber nicht alle sind innerlich so gefasst wie Alexander und Joachim, die verblüffenderweise ausgeglichener, lebensfroher und dankbarer wirkten als die meisten übrigen Campteilnehmer, denen es gesundheitlich weitaus besser ging. Denn auch ausgeprägter Optimismus schützt nicht zuverlässig davor, zwischendurch in ein depressives Loch zu fallen, in dem existentielle Angst durchbricht. Oft überkommt sie dann Unvorbereitete, die sich mit dem Tod nicht eher befasst haben als er mit ihnen.
Was ihnen abgeht, ist die ars bene moriendi, die Kunst des guten Sterbens. Mit ihr wurden Christen seit dem späten Mittelalter durch vielerlei erbauliche Fibeln vertraut gemacht. Inzwischen gerät sie mehr und mehr in Vergessenheit. Einst ein soziales Ereignis wie Geburt, Taufe oder Hochzeit, hat sich das Lebensende allmählich aus dem Fokus kultureller Aufmerksamkeit entfernt, es ist zum individuellen Unglücksfall geraten. So gründlich verbannt wurde es aus dem Alltag, dass inzwischen viele Erwachsene noch nie eine Leiche gesehen haben. Der Tod, wenn er sich technisch nicht länger zähmen lässt, wird vorzugsweise verdrängt, versteckt und zur einsamen Privatsache. Obwohl die Sehnsucht nach menschlicher Nähe kaum je größer ist als am Lebensende, sterben heutzutage 800'000 Deutsche pro Jahr vornehmlich allein, aus der Geborgenheit der vertrauten Umgebung ausgelagert in Krankenhäuser, Palliativstationen, Pflegeheime und Hospize; und wo Verstorbene einst häuslich aufgebahrt wurden, frei zugänglich für Verwandte, Freunde und Nachbarn, werden sie heute diskret abgeholt, vorzugsweise bei Dunkelheit.
Und immer mehr Menschen empfinden den Tod nicht als natürlichen Abschluss, sondern als Ärgernis, als sadistische, geradezu teuflische Frechheit, als größtmögliche Katatrophe, als unsichtbarer Mörder, der verflucht und verachtet werden muss - ein finaler Schicksalshieb, der sich rücksichtslos über das Grundrecht auf Selbstbestimmung hinwegsetzt. Sterben wäre für sie ja grundsätzlich okay, aber nur unter Umständen, für die sie sich selbst entschieden haben. „Meine Einstellung zum Tod“, spricht der Regisseur und Schauspieler Woody Allen vielen aus der Seele, „hat sich nie geändert: Ich bin vehement dagegen.“ (1)
Falls die Angst dem Sterben gilt, vor allem einem qualvollen Dahinsiechen, können wir Campteilnehmer beruhigen, sofern dies nicht schon behandelnden Ärzten gelungen ist: Dank moderner Palliativmedizin braucht im 21. Jahrhundert niemand mehr seinem Ende unter entsetzlichen Schmerzen entgegenzugehen.
Doch wenn es um den Tod selbst geht: die vollständige physische Vernichtung?
Einen geliebten Menschen verlieren
Gelegentlich bekommen wir mit Campteilnehmern zu tun, die kürzlich von einer nahestehenden Person Abschied nahmen – dem eigenen Kind, dem Lebensgefährten, dem besten Freund – oder darauf gefasst sein müssen, eine solche bald zu verlieren. In einer derartigen Situation quält Betroffene zweierlei:
- Was bedeutet der Tod des Anderen für sie? Er kann sich finanziell auswirken, er kann den Sozialstatus drastisch ändern. Meist überwiegt bei Verlusttrauer aber eine andere Art von Pein: Je emotional bedeutsamer der Tote im Leben von Hinterbliebenen war, desto schwerer fällt es ihnen, sich damit abzufinden und darüber hinwegzukommen; sie fühlen sich einsam, sie klagen über einen Verlust an Sinn, sie leiden an tiefstem psychischen Schmerz. Unsere Hilfe bei der Trauerarbeit kann darin bestehen, ihnen bewusst zu machen, dass es Anderes gibt, wofür es sich zu leben lohnt – wichtige Aufgaben, die sie bereits haben oder künftig übernehmen könnten; dass es mehr als einen Menschen gibt, der es verdient, geliebt zu werden, und erfüllende Liebe schenken kann; dass jeder Abschied die Möglichkeit zum Neubeginn in sich birgt; dass sie selbst es in der Hand haben, ihrer Einsamkeit zu entkommen, statt apathisch in unentwegter Trübsal und Selbstmitleid zu verharren.
- Was bedeutet der Tod für den Toten selbst? Ist es schlimm für ihn, nicht mehr da zu sein? Viele Hinterbliebene bedauern Verstorbene dafür, dass sie so vieles, was sie erfüllt und glücklich gemacht hat und an Erfreulichem noch auf sie zugekommen wäre, nun nicht mehr erleben können. Aber wie schrecklich ist das für den Betroffenen? Wie wir darauf antworten, hängt davon ab, was uns der eigene Tod bedeutet.
Ist es schlimm, nicht mehr da zu sein?
Zumeist gelten Todesängste nicht bloß dem eigenen Schicksal, sondern auch den Folgen für Hinterbliebene. Ein universelles Beruhigungsmittel hiergegen gibt es nicht. Mancher Verblichene würde staunen, wenn er noch miterleben könnte, wie leicht und rasch sein Verlust zu verkraften war; in anderen Fällen reißt ein Tod bei Anderen Wunden, die nie verheilen.
Aber was bedeutet der Tod für uns selbst? Welche Einstellung sollten wir zu ihm haben? Wie sehen wir ihm am besten entgegen: mit Schrecken, mit Sorge, mit Gleichgültigkeit, mit Erleichterung, mit Vorfreude? Das hängt davon ab, was der Tod für uns ist: der Moment, in dem wir den Körper ablegen, um anders weiterzuleben – oder die vollständige und endgültige Auslöschung, ineins mit ihm?
Unter unseren Campteilnehmern, wie innerhalb des Therapeutenteams, überwiegt ein besonderer Typ von Dualisten: Sie glauben nicht nur, dass sie zusätzlich zu ihrem Körper etwas besitzen, das sie als „Seele“ oder „Geist“ bezeichnen – nennen wir es im Folgenden zusammenfassend „mental“, nach einem in der philosophischen Psychologie gebräuchlichen Terminus - , sondern auch, dass dieses Etwas ihr physisches Ende überdauern und fortexistieren kann. Wie kommen sie darauf?
Trost im Glauben
„Wer den Tod fürchtet, der liebt Gott nicht“, befand der Kirchenvater Augustinus (354-430 n. Chr.). Also macht Glaube furchtlos?
Tatsächlich bringen Patienten mit einem gefestigten religiösen Weltbild Antworten, die ihnen Trost und Hoffnung spenden, bereits zu uns mit, daran können wir anknüpfen. Ängste nimmt ihnen die Vorstellung, ein unsterbliches Etwas in ihnen, das den Wesenskern ihrer Persönlichkeit ausmacht, überdaure irgendwie den Tod des Körpers, verlasse ihn, gehe in eine höhere Seinsform über – sei es der christliche Himmel oder die paradiesische Sphäre einer anderen Glaubensrichtungen -, kehre womöglich irgendwann in einem neuen Körper zurück, entwickle sich jedenfalls zum eigenen Besten weiter, weise geregelt durch ein göttliches Prinzip. Vielen hilft die Vorstellung, im „Jenseits“ von Engeln und anderen Lichtwesen empfangen und begleitet zu werden – und denen wiederzubegegnen, die ihnen zu Lebzeiten am nächsten standen. (Auf die endlosen, bei Honig, Milch und Wein genossenen Liebesdienste jener 72 schwellbrüstigen Jungfrauen, zu denen sich dschihadistische Selbstmordattentäter hinüberzubomben trachten, dürften die meisten Campteilnehmer indes mit Gleichmut verzichten können, zumal die weiblichen.)
Die Bilder, mit denen sie ihre Todesfurcht bannen, hat schon der griechische Philosoph Platon (427-347 v. Chr.) in treffende Worte gefasst: „Nach dem Tode geht die Seele, die sich aus dem Leibe zurückzieht, wenn sie heilig gelebt hat, zu einem Wesen hin, das ihr ähnlich ist, zu einem göttlichen Wesen, das unsterblich und voll Weisheit ist, bei welchem sie sich eines wunderbaren Glückes erfreut, befreit von ihren Irrtümern und ihrer Unwissenheit und von jeder Tyrannei der Furcht wie der Liebe, sowie von allen anderen mit der menschlichen Natur verknüpften Übeln. Sie bringt in Wahrheit mit den Göttern die ganze Ewigkeit zu.“ Mein Ende wird mein Anfang sein: Daraus scheint zuverlässig jene zuversichtliche Gelassenheit zu erwachsen, die Goethe (1749-1832) sich zuschrieb: „Mich lässt der Gedanke an den Tod in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Überzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist von ganz unzerstörbarer Natur: es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloß unseren irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.“
Doch auch wenn tiefer Glaube im allgemeinen unerschütterlicher ist als bestbestätigtes Wissen, immunisiert er nicht gegen jegliche Unsicherheiten, Zweifel und Befürchtungen. Wird alles genau so sein, wie ein gläubiges Elternhaus, der örtliche Pfarrer, der Religionslehrer versicherten; wie Kirchenobere, heilige Schriften und religiöse Kunst es ausmalen? Alles Neue ist unheimlich. Wie habe ich mir ein immaterielles Sein vorzustellen? Was werde ich sein, so ganz ohne meinen Körper? Wie ist es, körperlos fortzubestehen - wie fühlt sich das an, sofern ich dann überhaupt noch fühle? Wie sehe ich ohne Augen, höre ohne Ohren, verständige mich ohne Sprechorgane, handle ohne Gliedmaßen? Was erwartet mich „drüben“? Wird mir ein verheißener ewiger Müßiggang, eine fortwährende Betrachtung und Lobpreisung des Allerhöchsten, endlose Harmonie auf die Dauer zusagen? Wie und wo existiere ich dort? Gemeinsam mit wem? Was nehme ich von alledem mit, was ich mir als wesentlich zuschreibe: Erinnerungen? (Nur an mich?) Fähigkeiten? (Kann der Schriftsteller weiterschreiben, der Künstler malen? Falls nicht, wäre das für sie nicht eine alles andere als himmlische Höchststrafe?) Fähigkeiten? Charakterzüge? Selbstbewusstsein? Ängste und Sehnsüchte? Werde ich noch wahrnehmen, empfinden, denken, wollen können? Werde ich anderen Wesen begegnen? Unter welchen Umständen? Werden solche Begegnungen immer angenehm sein? Wie kommen sie zustande, wie entwickeln sie sich? Oder geht ihnen jegliche Beziehungsdynamik ab, und wie spannend fände ich das? Werde ich all jene treffen, die ich geschätzt und geliebt habe - und nur sie, oder auch solche, denen ich hier mit Gleichgültigkeit, Verachtung, Furcht und Hass begegnet bin? Was werde ich dann überhaupt noch tun, auf welche Ziele hin? Oder bin ich einfach nur, und wie wäre das für mich?
Wenn hüben die Wirklichkeit Gottes mit so viel Schlimmem vereinbar ist – woher soll ich wissen, ob drüben seine Allmacht, Allwissenheit und All-Liebe deutlicher zum Vorschein kommt? Wenn hüben, wie Theologen versichern, alles Übel bloß vom Gottesgeschenk des freien Willens herrührt – ist es drüben dann vorbei mit meiner Willensfreiheit? Wie wäre es für mich, nichts mehr wollen zu können? Sind unterschiedliche körperlose Seinsweisen möglich, vorübergehend oder gar für immer, und wenn das so ist, habe ich Einfluss darauf, in welche ich hinüberwechseln werde?
Kann ich sicher sein, überhaupt dorthin zu gelangen – oder blüht mir, zeitweilig oder auf ewig, ein Horrorszenario jener Art, wie es christliche Kirchen als „Hölle“ und „Fegefeuer“ an die Wand gemalt haben? Werde ich für Missetaten büßen müssen? Wovon hängt das ab, wer oder was entscheidet darüber? Worin könnte die Strafe bestehen? Angenommen, dereinst findet die verheißene leibliche „Auferstehung“ statt (2): Welche Rolle spielt dabei mein begrabener Leichnam, der bis dahin längst verwest ist? Oder gesetzt der Fall, ich werde wiedergeboren: Beschert mir das üble Karma, das ich mir in einem eher schweinischen Vorleben aufgehalst haben könnte, womöglich eine Reinkarnation als Schwein, wie Hindus keineswegs ausschließen wollen? Was kann, was muss ich hier, zu Lebzeiten, dafür tun, was unterlassen?
Ist es nicht sonderbar, dass der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod stets mit der Überzeugung einhergeht, zumindest für den Rechtschaffenen und Gottesfürchtigen sei im “Jenseits” alles friedlicher, sicherer, schöner, edler, glücklicher, gerechter, geordneter, jedenfalls viel, viel besser, und das auf sehr lange Zeit, wenn nicht gar ewig? Je eingehender wir uns eine „jenseitige“ Zukunft als pure Geistseele auszumalen versuchen, desto mulmiger wird uns zumute.
Im übrigen muss Körperlosigkeit nicht mit Unvergänglichkeit einhergehen. Könnte es nicht sein, dass jene mysteriösen Etwasse, die toten Leibern entschweben, als Energiewölkchen eine Weile durch die Weiten des Kosmos wabern, ehe sie von ungeahnten Naturkräften verweht, bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt oder miteinander verschmolzen werden? Erfüllt sich die Sehnsucht des Feuers, niemals auszugehen, im Schicksal des Rauchs, der ihm entsteigt?
Von derlei Unwägbarkeiten verunsichert, wäre unsereins dankbar für erhellenden theologischen Rat. Doch im angestrengten Bemühen, ihre Verheißungen mit naturwissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt kompatibel zu machen, haben viele Religionen inzwischen ursprüngliche Überzeugungen uminterpretiert, jahrhundertealte Positionen geräumt, Tatsachenbehauptungen zu Sinnbildern erklärt – und dabei eine für Laien kaum noch überschaubare Vielfalt von Denkrichtungen hervorgebracht, die in wichtigen Punkten zu krass gegenläufigen Sichtweisen führen - und bei vielen Gläubigen dadurch mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.
Jahrtausendelang konnten sich Christen das Paradies mühelos als unvergleichlich schöne Landschaft ausmalen, in der sie eine „grüne Aue“ mit „frischem Wasser“ vorfinden werden (3), ein gläsernes Meer, das wie Kristall schimmert (4), und eine heilige Stadt aus reinem Gold, das „neue Jerusalem“, mit Mauern aus Edelsteinen, Toren aus Perlen und einem Baum, der jeden Monat seine Frucht wechselt (5). Nunmehr sollen sie auf einen nebulösen „zeitlosen“ Zustand gefasst sein, „in dem uns das Ganze umfängt und wir das Ganze umfangen“ (6).
Einst galt das „Fegefeuer“ als ein sinnliche Qualen bereitender Ort der Reinigung und Läuterung, in dem jede Menschenseele nach dem Tod Zwischenstation macht, sofern sie nicht als heilig unmittelbar in den Himmel aufgenommen wird; nun soll es sich um etwas Psychointernes handeln, einen „von innen her notwendigen Prozess der Umwandlung des Menschen, in dem er christusfähig, gottfähig und so fähig zur Einheit mit der ganzen Communio sanctorum wird.“ (7)
Einst war die Hölle ein vom Teufel und Dämonen regiertes, äußerste Schmerzen bereitendes pyrotechnisches Inferno – neuerdings wird sie zum Abstraktum, welche sich durch „Ferne von Gott“ umschreiben lasse, „die Situation, in der sich jener wiederfinden wird, der sich freiwillig und endgültig von Gott, Quelle des Lebens und der Freude, entfernt“ (8), zum „Moment der Begegnung eines sterbenden, unvollkommenen Menschen mit dem heiligen, unendlichen, liebevollen Gott“, die „zutiefst beschämend, schmerzhaft und deswegen reinigend“ sei (9).
Vollends ratlos macht die meisten Gläubigen die „Ganztod-Theorie“, die seit dem vorigen Jahrhundert vor allem von protestantischen Theologen vertreten wird (10): Ihr zufolge wird im Tod der ganze Mensch ausgelöscht, Leib samt Seele; bei der Auferstehung wird er als Ganzes neu erschaffen. Die Trennung von Physis und Psyche, so erfährt der staunende Kirchgänger, wurzle eher in bibelfernen Konzepten griechischer Philosophen wie Platon als im Alten und Neuen Testament; dort sei keineswegs die Unsterblichkeit der Seele verheißen, sondern lediglich eine Auferstehung; und wäre diese nicht überflüssig, wenn die Seele ihrer eigenen Natur nach fortbestehen würde?
Abgesehen vom Problem der personalen Identität – wie kann einer, den wir heute als vollständig ausgelöschten „Ganztoten“ zu Grabe tragen, ein und derselbe sein wie einer, der in ferner Zukunft „ganz“ zusammengesetzt auftaucht? – verstört bibelfeste Gläubige, dass etliche Stellen der Heiligen Schrift durchaus zwischen Leib und Seele unterscheiden (11), im Einklang mit dem, was sie von Eltern, Pfarrern und Lehrern in ihrer Kindheit erzählt bekamen.
Und wie hat man sich eine „Auferstehung“ denn vorzustellen? Einst bedeutete sie unmissverständlich, dass verweste Leichen „wiedererweckt“ (12) ihren Gräbern entsteigen, in denen sie lediglich besonders tief „geschlafen“ (13) haben, woraufhin sie mit ihrer leibfreien Seele vereint werden. Der Peinlichkeit ausweichend, an solch märchenhaften Prophezeiungen zwei Jahrtausende später immer noch festhalten zu müssen, haben christliche Kirchen die Auferstehung entkonkretisiert zu einer bloß „metaphorisch“ gemeinten „Verwandlung zu einem neuen, unvergänglichen Leben“. (14) Aber was verwandelt sich da eigentlich? Wie? Durch Psalmengesang, Lesung und Gebet? In was? Noch das Beste, was sich zugunsten dieser Deutung vorbringen lässt, ist der Umstand, dass alternative Theologien ebensowenig einleuchten. So meinen manche jüdischen Schriftgelehrten zu wissen, dass im Tod die unsterbliche Seele, „unbefleckt“ durch ihr irdisches Dasein, unabhängig vom Körper weiterlebt und wieder „rein“ zu Gott zurückkehrt. (15) Wer oder was ist dann der Träger all ihrer diesseitigen „Flecken“, was wird aus ihm, und was hat die weißwestige Seele mit ihm zu schaffen? Bin ich er oder sie?
Die Allegorisierung ursprünglicher Glaubensinhalte, das Abrücken von traditionellen Standpunkten, das Ersetzen von eindeutigen Bildern durch Uneigentliches, die spitzfindigen Verrenkungen unter dem Erkenntnisdruck der modernen Wissenschaft, die Flucht ins Abstrakte haben viele Gläubige eher befremdet als erhellt: Einst war Christen chronisch angst und bange, zumindest wussten sie aber, wo sie dran waren. Und diese Irritation bringen manche von ihnen in unsere Therapiecamps mit. Bietet die Aussicht auf ein Weiterleben nach dem Tode nicht derart reichlich Anlass zu Verunsicherung, Sorge und bangem Erwarten, dass die wahre Gnade Gottes darin bestünde, es uns zu ersparen?
Erbauliches aus Parawissenschaften?
Theologische Unterweisungen sind in „Auswege“-Camps nicht vorgesehen. Aber was sonst haben wir dort zu bieten?
Halten wir uns strikt an das, was Neurologen inzwischen über den Zusammenhang von Psyche und Physis herausgefunden haben, scheint nullkommanichts an dem Schluss vorbeizuführen: Kein Geist, keine Seele ohne Gehirn. Werden bestimmte Teile unseres Gehirns verletzt, dann setzen entsprechende Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkvermögen aus, verschwinden Charakterzüge. Werden sie elektrisch gereizt, erzeugt dies künstlich gewisse Antriebe, Gefühle, Stimmungen, Eindrücke, Erinnerungen. Entwickeln sie sich gar nicht erst - wie bei gewissen genetischen Defekten - oder degenerieren, wie bei Alzheimer und anderen Formen von Demenz, kommen sie bei Betroffenen nicht (mehr) zum Vorschein. Wird die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn nur kurz unterbunden, so treten irreparable Schäden auf, von denen offenbar nichts ausgenommen bleibt, was wir einem Menschen an seelischen und geistigen Eigenschaften zuschreiben; wird sie ganz unterbrochen, so stirbt das Gehirn – und mit ihm anscheinend alles, was eine Person ausmacht. Beweist all dies nicht: Bewusstsein ist untrennbar mit Hirntätigkeit verbunden – und erlischt mit dieser? (16)
All diese Befunde bestätigen indes nur, dass unser Ich vor unserem Tod aufs innigste mit einem funktionierenden Nervensystem verbunden ist. Ist völlig auszuschließen, dass sich daran nachtodlich etwas Grundlegendes ändert? Könnte es nicht sein, dass es irgendein physikalisches Etwas gibt, auf welches das Ich überwechselt, wenn sein Leib stirbt? Oder vielleicht ist dieses Etwas schon zu Lebzeiten des Körpers der eigentliche Träger des Ich – bloß zeitweilig korreliert mit neuronalen Vorgängen?
Undenkbar wäre das nur, wenn als materielles Substrat des Geistes ausschließlich das menschliche Gehirn in Frage käme. Doch könnte sich das Ich zu seinem Nervensystem nicht ähnlich verhalten wie die Software eines Computers zu seiner Hardware? (17) Das physikalische Substrat von Computerfunktionen besteht bis heute aus Siliziumchips. Doch längst arbeiten Informatiker an weitaus schnelleren, leichteren, kleineren, zuverlässigeren, robusteren Datenträgern neuer Art: an Rechnern aus photochromen Molekülen, die tausende Male flinker schalten, wenn UV-Licht darauf fällt; aus „Wetware“ wie der Erbsubstanz DNA, Enzymen, Bacteriorhodopsin – einem natürlichen Farbstoff, der an der pflanzlichen Photosynthese beteiligt ist - und anderen Biomolekülen; aus Escherichia-coli-Bakterien; an „Neuro-Computern“, für die lebende Nervenzellen verwendet werden; an „optischen Computern“, in denen Photonen die Rolle der Informationsträger übernehmen, Lichtleiter Transistoren und Leiterbahnen ersetzen; mit dem nur eine Atomlage dünnen Werkstoff Graphen; mit „Ionenfallen“, die durch elektrische Felder geladene Atome festhalten und isolieren, so dass sie als Träger von „Qubits“ (Quantenbytes) fungieren können, mit Laserpulsen beschrieben und ausgelesen werden können – und so zu Quantenrechnern werden. Computer könnten also ein anderes Substrat erhalten, und sie werden es in Kürze; warum nicht auch der menschliche Geist?
Was käme als postmortaler „Ich“-Träger in Betracht? Handelt es sich um jenen „Astralkörper“ bzw. „Ätherleib“, den Sensitive außersinnlich wahrzunehmen behaupten, einschließlich mancher Heiler in unseren Camps? Auf den physischen Leib zielt deren Bemühen im allgemeinen eher indirekt: Was sie zu „sehen“ und zu beeinflussen meinen, sind ihres Erachtens eher „feinstoffliche“ Aspekte eines oder mehrerer „Energiekörper“. Selbst wenn dies ein geeigneter Kandidat dafür wäre, wüssten wir allerdings noch nichts über seine Lebensdauer. Vielleicht verflüchtigt sich ein solcher „Ätherleib“ nachtodlich ähnlich rasch wie eine Rauchwolke, nachdem sie dem Schornstein entstiegen ist. Und selbst wenn er persistiert, bliebe offen, ob seine Beschaffenheit ihn überhaupt dazu geeignet macht, in paradiesischen Sphären oder neue Leiber überzuwechseln. Was auch immer wir hierüber glauben mögen: Wir begeben uns zurück ins Religiöse.
Welche Veranlassung hätten wir überhaupt, einen unphysiologischen Zweitträger mentaler Vorgänge zur Fahndung auszuschreiben? In unseren Camps erfahren Patienten von empirischen Befunden, die ihre dualistischen Überzeugungen anscheinend untermauern und konkretisieren. Dankbar angenommen werden solche Hinweise von Teilnehmern, die religiösen Versicherungen allein nicht recht trauen mögen.
Was Parapsychologen seit über einem Jahrhundert an rätselhaften Vorkommnissen beobachtet und dokumentiert haben, gilt zusammengenommen als starkes Indiz dafür, dass Menschen ihr physisches Ende überdauern, in einer Weise, die eher Zuversicht und Vorfreude zu begründen scheint als Bangen und Verzagen: von außerkörperlichen Erfahrungen und Nahtodeserlebnissen über Mediumismus, Materialisationen, geisterhaften Erscheinungen und Spuk, instrumentelle Transkommunikation (ITK) - anscheinende Lebenszeichen von Verstorbenen auf Tonbändern, Monitoren, Anrufbeantwortern und anderen technischen Geräten - bis hin zu überprüften und bestätigten Erinnerungen an frühere Leben. (18)
Zwar lässt sich keines dieser Phänomene nach naturwissenschaftlichen Standards absichern, weil sie flüchtig und unberechenbar, weder experimentell reproduzierbar noch sonstwie intersubjektiv nachprüfbar sind. Doch neben unzähligen Pseudo“beweisen“, die auf esoterischem Wunschdenken, Wichtigtuerei und dreisten Tricks und Lügen, Wahrnehmungstäuschungen und Halluzinationen beruhen könnten, bleibt ein harter Kern von Fakten, die so vorbildlich dokumentiert worden sind, dass Restzweifel zweifelhaft werden. Zusammengenommen schenken sie Todesängstlichen reichlich Grund für Zuversicht, so scheint es – zumal schon eine einzige unbestreitbare Evidenz ausreichen würde, sie zu rechtfertigen, unabhängig von der Glaubhaftigkeit des ganzen Rests.
Eine Analogie: Sprechen die Abertausende von kolportierten Ufo-Sichtungen, Begegnungen mit Aliens und Entführungen in deren Raumschiffe wirklich für Besucher aus dem All? Alles zähe, mühselige Recherchieren in jedem einzelnen Fall, jegliches aufwändige Ausschließen alternativer Erklärungsmöglichkeiten würde sich mit einem Schlag erübrigen, sobald sich ETs endlich dazu entschließen könnten, auch den hartgesottensten terrestrischen Skeptikern endlich einen zweifelsfreien Beweis ihrer Existenz abzuliefern, wenigstens einen – etwa indem sie sich während einer live übertragenen Bundestagsdebatte ans Rednerpult oder während der „Tagesschau“ auf den Platz des Nachrichtensprechers beamen. Ein einziger unstrittiger, wasserdichter Fall würde schon genügen, in der Ufologie wie überhaupt im Bereich des Paranormalen.
Vielleicht gab es solche unzweifelhaften Fälle schon längst zuhauf, werden aber verheimlicht oder von jenen akademischen Fachkreisen, deren Expertise über den Realitätsstatus eines Phänomens entscheidet, zu Unrecht ignoriert oder fehlinterpretiert. Vielleicht gibt es bisher keinen einzigen derartigen Fall, und alle gegenteiligen Behauptungen beruhen samt und sonders auf Sinnestäuschungen, Halluzinationen, dreisten Lügen, Gerüchten oder durchaus diesseitigen, physikalischen Ursachen. Im zweiten Fall käme uns, sofern wir keiner Religion vertrauen, eines der wichtigsten verbleibenden Argumente für ein Weiterleben nach dem Tode abhanden. Im ersten Fall lautet die entscheidende Frage: Folgt aus der Realität von Psi-Phänomenen tatsächlich, dass es eine vom Körper unabhängige, ihn überdauernde Seele gibt?
Der Schluss mutet plausibel an, logisch zwingend ist er aber mitnichten, nicht einmal innerhalb eines esoterischen Weltbilds. Ein böser Geist, Dämonen oder Satan persönlich könnten uns all diese Phänomene vorgaukeln; vielleicht tun es auch Außerirdische, im Rahmen eines globalen Feldversuchs mit einer fremden Spezies - abwegige Vermutungen, aber nicht mit absoluter Gewissheit auszuschließen.
Mit Quantenphysik zu Gott und Seele?
Den meisten Physikern kommen Psi-Phänomene ungefähr so real vor wie die Blaue Fee, das Krümelmonster und die Sieben Zwerge. Nur wenige nehmen zumindest ein Mikrogramm davon ernst und sehen Erklärungsbedarf.
Eine kleine, aber wachsende Zahl von Wissenschaftlern, echter wie sogenannter, fühlt sich hingegen zum Dualismus hingezogen. Die meisten berufen sich dabei neuerdings auf die Quantenmechanik, vornehmlich auf das bizarre Phänomen der „Verschränkung“: Zwei Teilchen, die einer gemeinsamen Quelle entstammen, bleiben verbunden; unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind, benehmen sich wie telepathisch begabte Zwillinge: Sie ändern ihre Eigenschaften synchron, obwohl keinerlei kausale Verbindung zwischen ihnen besteht – so als gäbe es zwischen ihnen eine „spukhafte Fernwirkung“, wie Einstein sie nannte. Diese mysteriöse Geselligkeit und weitere Kapriolen der Quantenwelt, so wird versichert, deuten auf ein zugrunde liegendes, alles ordnendes „Feld“ außerhalb von Raum und Zeit hin, in dem Energie und Materie zu Erscheinungsformen eines universellen Geistes werden, an dem der unsrige teilhat – zu Lebzeiten, möglicherweise aber auch nachtodlich. Bekanntester deutscher Verfechter dieses Standpunkts, dem der österreichische Physiker Fritjof Capra 1977 mit seinem Bestseller Das Tao der Physik zu enormer Popularität verhalf (19), war der im Mai 2014 verstorbene Hans-Peter Duerr, 19 Jahre lang Leiter des Münchner Max-Planck-Instituts für Physik: Ihm zufolge beeinflussen sich Quanten seit dem Urknall im gesamten Universum wechselseitig, und weil auch wir letztlich aus ihnen bestehen, nimmt jeder von uns an diesem Dialog teil. Alles, was ist, werde von einem „Quantencode“ dirigiert, seit je her und bis ans Ende aller Tage.
Dass eine Quantenwelt allerdings nicht zwingend unsterbliche Menschenseelen einschließt, erweist sich an der Uneinigkeit der Propagandisten in dieser Frage. In manchen Modellen findet Psi durchaus Platz, ohne dadurch auf einen Dualismus festgelegt zu sein. (20) Andere meinen zwar, die Seele sei nicht auf Vorgänge im Gehirn reduzierbar, sondern existiere parallel oder in Interaktion mit diesen, beschränken deren „Unsterblichkeit“ aber darauf, dass sie zu Lebzeiten unauslöschliche Spuren im „universellen Feld“ hinterlässt. (21) Mit einem immateriellen Ich, das seinem Leib entschweben kann, können auch sie in der Regel nichts anfangen. Nur wenige gehen insofern weiter. (22)
Als Schnittstelle von Quantenwelt, Gehirn und Bewusstsein macht der englische Mathematiker und Physiker Roger Penrose die Mikrotubuli aus: winzige Proteinröhrchen, die in allen Zellkernen vorkommen, wo sie als „molekulare Computer“ fungieren. Laut Penrose weisen sie die typische Größenordnung für Quanteneffekte auf. Seines Erachtens kann sich eine gigantische Vielzahl von Mikrotubuli gleichsam zu einem einzigen selbstinszenierten Quantenzustand „verschränken“, dessen Kollaps dann als ein „Bing“ registriert wird: ein elementares Ereignis in Gehirnzellen, das, gleichgeschaltet mit vielen derartigen Ereignissen, irgendwie unser bewusstes Handeln steuert. (23)
In der Esoterikszene finden solcherlei Konstrukte enormen Anklang. Durch hyperkreative Wortschöpfungen mit der Silbe „Quant“, die Insider ähnlich andächtig erschaudern lässt wie das heilige „OM“-Mantra, vermitteln ihre Printmedien, Websites und Veranstaltungen den Eindruck, in ihr wimmle es von quantenmechanisch Erleuchteten, denen glasklar ist, dass „alles Information ist“ und „wir nicht aus fester Materie, sondern aus Energie bestehen“; „alles ist mit allem verbunden“, „das Universum ist Geist“, und „der Geist schafft die Wirklichkeit“. Haarsträubende Buchtitel wie „Die geheime Physik des Zufalls“ (24) und cineastische Machwerke wie „What the Bleep Do We Know?“ (25) suggerieren, hier werde ein bislang streng gehütetes „Geheimnis“ gelüftet. (Ungelüftet bleibt hingegen das gemeinsame Motiv, das angeblich mystikaffine Quantenforscher seit einem Jahrhundert daran hindern soll, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken.)
Darauf gestützt, werden mysteriöse Produkte und Dienstleistungen vermarktet, deren imposante Markennamen suggerieren, von einem Physik-TÜV abgesegnet worden zu sein. Die Angebotspalette reicht von einem „quantenfeldtechnologischen Biopol“, einem „Quanteninformationstransformer“, dem „Raum-Quanten-Motor“, einem Radionikgerät mit „HighTech-Lichtquanteneffekt“ und dem „kybernetischen Quanten-Bioresonanzsystem Ingenium“ über „Quantenhologramme“ und „Quantenmusik“ bis zu „Tachopunktur mit überlichtschnellen Tachyonen“, „Quantenpositronischer Informationsmedizin“ und „Quantenheilung“, ja „Quanten-Erotik-Heilung“.
Bei Urhebern, Anwendern und Abnehmern solch bombastischen Wortgeklingels, die viel lieber voneinander als aus physikalischen Lehrbüchern abschreiben, handelt es sich in Wahrheit zu schätzungsweise 99 Prozent um physikalische Laien, die sich von wissenschaftsferner Quantenmystik benebeln lassen, in die Welt gesetzt von gefeierten Leitfiguren, deren Begrifflichkeit („Vakuumfeld“, „Nullpunktenergie“, „Omega-Punkt“) und Argumentation sie weder vollauf kapieren noch am tatsächlichen Forschungsstand messen können, denn der ist ihnen so fremd wie der Biene die industrielle Honigproduktion.
Bei ihren spekulativen Drahtseilakten kommt esoterischen Nebelwerfern entgegen, dass sich die subatomaren Teilchen, mit denen sich die Quantenphysik befasst, nicht anschaulich darstellen lassen, ihr bisweilen exotisches Verhalten widerspricht zumeist der Alltagserfahrung und überstrapaziert die Vorstellungskraft; manche Größen, wie z.B. der Spin eines Elektrons, haben keinerlei Entsprechung in der klassischen Physik. Würde im Berliner Olympiastadion und der Münchner Allianz-Arena zeitgleich mit zwei identischen, quantenverschränkten Fußbällen gespielt, so würde die Beobachtung eines Berliners, dass der Ball einen Rechtsdrall hat, augenblicklich den entsprechenden Effet des Zwillingsballs in München festlegen – wem will das schon in den Kopf? Wer sich keine soliden Grundkenntnisse in Mathematik und Physik angeeignet hat, ist außerstande, tiefer in die Quantenwelt einzudringen; erst recht fehlt ihm jegliches Rüstzeug, mutmaßliche „Weiterentwicklungen“ der Quantenmechanik daraufhin zu beurteilen, ob sie widerspruchsfrei sind, Erklärungskraft besitzen, für Prognosen taugen – und überhaupt nötig sind. (Welche Neurophysiologen erwägen ernsthaft, quantensensible Mikrotubuli-Ensembles in ihre Standardmodelle einzubeziehen, solange Nervenzellen, Dendriten, Synapsen, Transmitter und andere bekanntermaßen an der neuronalen Informationsverarbeitung Beteiligte vollauf genügen, um zu erklären, was im Gehirn vor sich geht?)
Unhinterfragt lassen muss der Laie deshalb, ob die vermeintlichen Koryphäen die quantenphysikalischen Schlüsselexperimente, von denen sie ausgehen, tatsächlich richtig interpretieren, Fachbegriffe wie „Energie“, „Welle“, „Kraft“, „Schwingung“, „Wechselwirkung“, „Feld“, „Vakuum“ definitionsgemäß verwenden, mathematische Formeln korrekt ableiten, logisch zwingend folgern. Sich ihrem Reiz zu entziehen, fällt einem Nichtphysiker schwer: Beeindruckt, ja andächtig folgt er ihren fachchinesischen Ausführungen, bis eher früher als später der Punkt erreicht ist, an dem er nicht mehr folgen kann. Von da an bleibt ihm nichts anderes übrig, entweder das Vorgesetzte gutgläubig zu schlucken, im Vertrauen auf fremden Sachverstand – oder sich auszuklinken, im unguten Gefühl, man sträube sich gegen tiefere Einsichten, deren Brillianz man nicht ermessen kann; kaum einer erwägt, sich schleunigst als Gasthörer an der Uni zu immatrikulieren, um ein paar Semester Physik zu studieren, die Vertrauen durch Verstehen ersetzen könnten. Allzuviele folgen lieber bequemerweise der Intuition, bestimmt dächte man wie ein Capra, Laszlo, Duerr, König, Niemz, Tipler, Sarfatti und Penrose, sofern man bloß ebenso viel Ahnung hätte wie sie.
Doch diese Form von blinder Gefolgschaft wäre voreilig. Denn gegen die kleine Fraktion von metaphysischen Andersdenkern steht eine große Mehrheit von Physikern, die sich eher befremdet bis entsetzt abwenden: keineswegs bloß ignorante, betonköpfige Materialisten, die sich mit Klauen und Zähnen dagegen wehren, dass ihre Festung von einem neuen, revolutionären „Paradigma“ geschleift wird, sondern auch aufgeschlossene Geister, die „Psi“-Phänomene durchaus nicht von vornherein ausschließen. (26) Ihr Urteil über die populäre Quantenesoterik lautet einhellig: Hier werden aus unvollständig und verzerrt dargestellten Forschungsergebnissen voreilige Schlüsse gezogen, nicht genehme Fakten ausgeblendet; es werden Begrifflichkeiten missbraucht, nicht vorhandene Theoriedefizite behauptet, überflüssige Pseudo-Erklärungen vorgelegt, irrige und unüberprüfbare Behauptungen aufgestellt, elektromagnetische und Materiewellen miteinander verwechselt, von Gegebenheiten der Quantenwelt auf das Verhalten makroskopischer Objekte kurzgeschlossen. (27) Geist und Seele werden aus Modellen abgeleitet, deren vornehmlicher Daseinszweck darin zu bestehen scheint, sie ableitbar zu machen. (28)
Zugunsten entlegener Lieblingshypothesen werden naheliegende Erklärungen übersehen: Wenn etwa für den Heidelberger Physiker Markolf Niemz aus dem eigentümlichen „Lichttunnel“-Erlebnis bei Nahtoderfahrungen alternativlos folgt, dass die Seele nachtodlich „auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt“ wird (29), fragt sich mancher Leser nicht bloß fassungslos, wohin sie sich denn so geschwind aus dem Staub machen muss, schneller als ein geölter Blitz – ist ihr transzendentes Reiseziel denn Lichtjahre entfernt? Ihn irritiert, dass dabei bekannte neurophysiologische Erkenntnisse, die weitaus weniger exotische Erklärungen nahelegen, außer acht bleiben: Tunnelvisionen und außerkörperliche Erfahrungen stellen sich auch bei Sauerstoffmangel im Gehirn, unter Drogeneinfluss, bei bestimmten Formen von Schizophrenie und Epilepsie ein; mittels Elektrostimulation einer bestimmten Hirnregion, des parietalen Kortex, lassen sie sich sogar künstlich auslösen – was darauf hindeutet, dass sie Produkte biochemischer Hirnvorgänge sind. (30)
Weithin verkannt wird, dass die Neigung zur Mystik keineswegs streng proportional zur wissenschaftlichen Brillianz zunehmen muss. Vehement angeprangert wird die Quantenmystik unter anderem von dem US-Physiker Murray Gell-Mann, der 1969 für seine Entdeckungen zur Klassifizierung der Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen den Nobelpreis für Physik erhielt. Sein Buch Das Quark und der Jaguar (31), darin vor allem das Kapitel über „Quantenmechanik und unsinnige Behauptungen“ mit einem Abschnitt über „Die Verdrehung der Tatsachen“, sollte zur Pflichtlektüre für Quantenesoteriker werden, zusammen mit den Quantum Questions (32) des US-amerikanischen Psychologen, Philosophen und Mystikers Ken Wilber, eines Hauptvertreters einer „Transpersonalen“ Psychologie und Psychotherapie, welche ihre klassischen Vorgänger um religiöse und spirituelle Erfahrungen zu erweitern versucht. Eines ahnungslosen Antispiritualismus ist wohl kaum jemand unverdächtiger als er. Um so überraschter dürften Quantenesoteriker zur Kenntnis nehmen, was er von ihrem Treiben hält: „Aus den letzten dreißig Jahren kenne ich nichts, wo die Verwirrung größer wäre als in dem, was aus Quantenphysik gemacht wird. Es ist ein Alptraum.“ (33) Dreizehn Begründer und Pioniere der Quantenphysik, unter ihnen Bohr, Heisenberg, de Broglie und Schrödinger, suchte Wilber persönlich auf: „Kein einziger, wirklich nicht einer von ihnen war der Meinung, dass Quantenmechanik irgendetwas mit spirituellen Wirklichkeiten oder Mystik zu tun hat.“ Aber waren sie nicht alle Mystiker? In der Tat – „aber nicht wegen, sondern trotz Physik. Das Versagen der Quantenphysik, auch nur irgendetwas Spirituelles zu erklären, half ihnen dabei, zu Mystikern zu werden, im Sinne von Meta-Physik.“ (34)
Von Physik versteht auf diesem Planeten vermutlich kaum jemand mehr als der weltbekannte Physiker und Kosmologe Stephen Hawking. Mit den esoterischen Höhenflügen einzelner Kollegen hat er sich in mehreren Schriften auseinandergesetzt. Ihnen hält er einen naiven Realismus vor, der als wirklich ansieht, was immer sich theoretisch darstellen lässt: „Physikalische Theorien sind lediglich von uns konstruierte mathematische Modelle. Es ist sinnlos, danach zu fragen, ob sie der Wirklichkeit entsprechen.“ (35) Damit verweist Hawking auf einen Diskussionsstrang, der uns schnurstracks in die Philosophie der Mathematik führt, des unentbehrlichen Instruments physikalischer Theorienbildung – und zur offenen Frage nach der Wirklichkeit der Zahlenwelt. Auch Quantenphysiker rechnen reichlich; wenn ihr Mikrokosmos voller Merkwürdigkeiten steckt, dann nicht nur wegen befremdlicher Eigenheiten ihrer subatomaren Forschungsobjekte, sondern auch wegen der schweißtreibenden Komplexität ihrer Rechenoperationen, die Fachleute im selben Maße in Verzückung versetzt, wie sie Fachfremde in Verzweiflung stürzt. Sind die mathematisch abgeleiteten Besonderheiten der Quantenwelt real? Sind es andere mathematische Objekte wie die Primzahl Pi, unendliche Mengen, vierdimensionale Würfel oder so hochabstrakte Gebilde wie die „nicht erreichbaren überabzählbaren Zahlen“, die größer sind als unendlich mal unendlich? Mathematiker sind eher Erfinder als Entdecker, stellt Hawking klar. (36) Mathematische Darstellbarkeit bürgt mitnichten für Existenz.
Von Animalgeistern zu Psychonen – Aus dem Kuriositätenkabinett des Leib/Seele-Interaktionismus
Um eine zweite Stütze des Dualismus bemühen sich neuerdings Neurobiologen und Physiologen, allen voran der zum „Sir“ geadelte Australier John Eccles (1903-1997), 1963 mit dem Nobelpreis für Medizin bedacht. Nach Eccles´ Überzeugung ist es der „Geist Gottes“, der unser Selbst hervorbringt. Dessen Bewusstsein werde von einem Ensemble von immateriellen „Psychonen“ gebildet; diese steuern das Gehirn, indem sie auf die sogenannten Pyramidenzellen der Großhirnrinde einwirken – genauer gesagt, in den Dendriten. Jede einzelne Nervenzelle besitzt bis zu 10'000 solcher fein verästelter Fortsätze, die Kontaktstellen, „Synapsen“, zu anderen Zellen bilden. Diese Synapsen enthalten winzige Säckchen, „Vesikel“, gefüllt mit Botenstoffen, den Neurotransmittern. Erreicht ein Nervenreiz die Zelle, öffnen sich die Vesikel und setzen Neurotransmitter frei; diese durchqueren den Spalt, der die Synapsen zweier Nachbarzellen trennt, und leiten so den Reiz weiter. Bei der riesigen Zahl der Synapsen löst dieser Prozess sehr komplexe Gehirnaktivitäten aus.
Nach Eccles´ Überzeugung wird dieses Nervengeflecht von Psychonen durchdrungen; sie beeinflussen die Synapsen, umgekehrt gehen von den Dendriten Gedanken und Erfahrungen in sie über. Die Kopplung dieser Prozesse mit Quantenfeldern verbinde unser Bewusstsein mit dem „Weltgeist“, der das ganze Universum durchdringe. (37)
Dazu angeregt hatten ihn Ideen des deutschen Physikers und Philosophen Henry Margenau, aus denen Eccles schloss, ein energie- und masseloser Geist könne auf das Gehirn einwirken, indem er die quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitsfelder beeinflusst.
Damit wird das Erklärungsproblem des Interaktionismus aber nur verlagert, weil nun die Art der Wechselwirkung zwischen Geist und Wahrscheinlichkeitsfeld ungeklärt ist. (38) Selbst wenn es ausgerechnet die neuronalen Synapsen wären, an denen unser Gehirn mit universellen Quantenfeldern kommuniziert, bliebe schleierhaft, ob es dies nicht auch ohne die Vermittlungsdienste irgendwelcher immaterieller Geisterteilchen zustande brächte; gelänge ihm das, hätten wir eine Quantenneurologie, die ebensowenig eine Seele benötigt wie die klassische Hirnphysik. Und was aus den „Psychonen“ wird, wenn das Hirn abstirbt, lässt Eccles im Dunkeln. Außerdem weisen Quantenphysiker darauf hin: Unser Gehirn ist so hochgradig vernetzt, dass Wechselwirkungen des Gehirns mit der Umgebung die typischen quantenmechanischen Effekte, wie sie in isolierten Laborsystemen beobachtet werden, rasch zunichte machen – insbesondere die hyperinstabilen „Verschränkungen“. Zwar kommunizieren Neuronen untereinander atemberaubend schnell, in Bruchteilen von milliardstel Milliarden Sekunden. Aber quantenmechanische Überlagerungen verschwinden noch sehr viel schneller (39), weshalb sich die Funktionsweise unseres Gehirns durchaus mit klassischer Physik verstehen lässt. Eccles´ Position zum Leib/Seele-Problem verdeutlicht, wie stark das Denken vieler Hirnforscher von religiösen Überzeugungen und einem philosophischen Dualismus geprägt ist (40); beides scheint eher Ausgangspunkt und Sehnsuchtsziel ihrer Studien als deren Ergebnis.
Eccles´ Psychonentheorie und ähnliche Konstrukte führen eine Tradition fort, die auf den geistigen Vater des neuzeitlichen Leib/Seele-Dualismus, dem französischen Philosophen René Descartes (1596-1650) zurückgeht: die Suche nach einer Physiologie des Geistes. Wie, fragte sich Descartes, stellt es die immaterielle res cogitans bloß an, in kausale Beziehungen zu Materie, res extensa, zu treten? Als Ort der Wechselwirkung vermutete er die „aus sehr weicher Materie“ gebildete Zirbeldrüse, die an wenigen feinen Arterien aufgehängt sei. Wie ein Körper, der an dünnen Fäden in einem Kamin befestigt wurde, von aufsteigendem Rauch bewegt werden kann, so wirken „Animalgeister“, welche die Nervenzellen durchströmen, auf die Zirbeldrüse ein. Mein Körper vermittelt meinem Geist Sinneseindrücke, indem er ihm Bilder vorhält, welche die Animalgeister im Drüseninneren herstellen; umgekehrt steuert mein Geist meinen Körper, indem sich die Zirbeldrüse auf bestimmte motorische Nervenendungen neigt, wodurch einige der im Gehirn befindlichen „Animalgeister“ durch neuronale Röhren in den jeweiligen Muskel geleitet werden. (41)
Zwar ist Eccles´ Physiologie der cartesianischen ungefähr so weit voraus wie die moderne Raumfahrt Peterchens Reise zum Mond. Der Lösung des Hauptproblems jeder Form von Interaktionismus kommt sie aber keinen Millimeter näher: Auch sie ist unvereinbar mit einem der grundlegendsten Axiome wissenschaftlicher Forschung und Theorienbildung, der kausalen Geschlossenheit der Welt. (42) Was immer im Universum ist und geschieht, lässt sich demnach durch Ereignisse, Vorgänge, Zustände innerhalb seiner Grenzen vollständig erklären. Wenngleich letztlich ein seinerseits unbeweisbarer Glaubenssatz, hat sich dieses Prinzip des „methodologischen Physikalismus“ seit Jahrhunderten bestens bewährt, an so unterschiedlichen Phänomenen wie Wetterveränderungen, Epilepsie, Tsunamis, Blitzen, dem Lauf der Gestirne und der biologischen Evolution. Folglich hat Wissenschaft grundsätzlich keinen Bedarf an nichtphysischen, von außen einwirkenden Faktoren, zumal diese ihrerseits erklärungsbedürftig wären, weshalb sie Erkenntnisprobleme nie lösen, sondern bloß verlagern. (Wenn es die Welt nur gibt, weil Gott sie geschaffen hat – warum gibt es Gott?) Deshalb ist jeglicher Dualismus zutiefst unwissenschaftlich, und dieses Merkmal disqualifiziert ihn am allermeisten. „Wer den Dualismus akzeptiert“, stellt der Philosoph Daniel Dennett klar, „hat die wissenschaftliche Annäherung an das Bewusstsein aufgegeben.“ (43)
Wie nützt Quantenmystik?
Was macht die geradezu magische Anziehungskraft aus, welche die Quantenmystik auf eine wachsende Zahl von Therapeuten und Patienten ausübt? Den einen verhilft sie zu gesteigerter Bedeutsamkeit: Sie dürfen sich als Vollzugsorgane des Weltgeists wähnen und sich privilegierte Einsichten zuschreiben, dank derer sie mehr Ahnung vom Wesen alles Seienden haben als das Gros professioneller Physiker, welche den spirituellen Kern ihrer eigenen Forschungsobjekte entweder nicht wahrhaben wollen oder gemeinerweise geheim halten. Darüber hinaus liefert sie ihnen werbewirksame Etiketten, die ihnen vorerst einen Wettbewerbsvorteil auf dem Gesundheitsmarkt verschaffen – zumindest solange nicht allzu viele Konkurrenten auf denselben Zug springen. Patienten verschafft Quantenmystik das gute Gefühl, sich auf eine Heilweise einzulassen, die auf neuesten Forschungsergebnissen beruht. Und bei beiden Zielgruppen befriedigt sie religiöse Bedürfnisse, zumal bei überdurchschnittlich Gebildeten, die ihren Glauben gerne auf ein vermeintlich wissenschaftliches Fundament stellen.
Trunken vom „Becher der Naturwissenschaften“?
Dem Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg wird der Ausspruch zugeschrieben: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bodens wartet Gott.“ Wie hochprozentig der Becherinhalt ist, ließ er im Dunkeln. Mitunter verneben metaphysische Bedürfnisse auch den brilliantesten Forscherkopf. Weder Professorentitel noch Nobelpreise machen zuverlässig immun dagegen, sich dem eigenen Will to Believe zu fügen, in dem der amerikanische Philosoph William James einen der mächtigsten Antriebe des Menschen sah.
Alles in allem steht die vielfach behauptete „wissenschaftliche Untermauerung“ des Dualismus bislang auf derart tönernen Füßen, dass er vom Status des Bewiesenseins Lichtjahre entfernt ist. So jedenfalls sieht das der weltbekannte Physiker und Kosmologe Stephen Hawking: „Ich betrachte das Gehirn als einen Computer, der aufhört zu funktionieren, wenn seine Bestandteile versagen. Es gibt keinen Himmel und kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer. Dies ist ein Märchen für Leute, die Angst vor der Dunkelheit haben.“ (44) Dass die Existenz von Psi-Phänomenen, einer unsterblichen Seele, eines alles durchdringenden und ordnenden Gottes mit der Quantenmechanik, der Relativitätstheorie oder irgendeinem anderen physikalischen Erklärungsmodell grundsätzlich vereinbar wäre, bedeutet noch lange nicht, dass es sie gibt. Auch mit einer siebenbeinigen, dreischwänzigen grünen Katze hätten Quantenmechaniker kein grundsätzliches Problem.
Also müssen wir bis auf weiteres darauf gefasst sein, dass unsere Existenz vollständig, ein für allemal mit dem Tod unseres Körpers endet.
Wäre das schlimm?
Vollständig vernichtet werden: ein Alptraum?
Was können wir psi-skeptischen Materialisten, Atheisten und Nihilisten mitgeben – Zeitgenossen, die ihr Dasein als unbedeutendes biochemisches Experiment betrachten, nichts weiter als eine flüchtige Verbindung von Atomen im unendlichen Raum? Illusionslos sehen sie einem allerletzten Tag entgegen, einer letzten Stunde, einer letzten Minute, einem letzten Atemzug. Und das wird es dann für sie gewesen sein. Aus und vorbei, „der Rest ist Schweigen“. (45)
Religiös Gesonnene unterstellen solchen Leuten gerne, eine derart trostlose Perspektive müsse letztlich doch auch für sie ganz furchtbar sein, was bestimmt daher rühre, dass sie, ob sie das nun zugeben oder nicht, im tiefsten Inneren unter ihrer Glaubensleere leiden, an fehlendem letzten Sinn, der schließlich nur von Gott kommen könne. Aber es leidet beileibe nicht jeder. Manchen genügt die Zuversicht, nach ihrem Tod in einem metaphysikfreien Sinne weiterzuleben: sei es in den Erinnerungen Anderer, denn „der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt“ (Bertolt Brecht); sei es in Dingen, die sie zu Lebzeiten geschaffen haben und der Nachwelt hinterlassen; sei es in den sozialen Rollen, die sie ausfüllen und in die Andere schlüpfen werden; sei es in den Myriaden von Hinsichten, in denen ihre Existenz den Lauf der Dinge beeinflusst und verändert hat. Durch unsere Worte, unsere Taten, unsere äußere Erscheinung, unsere schiere Präsenz verändern wir in jedem Augenblick unseres Daseins das Weltgeschehen; wir veranlassen Andere, sich auf eine Weise zu verhalten, wie sie es nicht tun würden, wenn es uns nie gegeben hätte – was sich wiederum in deren Umgebung auswirkt. Bei näherem Hinsehen gleicht jede unserer Handlungen, selbst die unscheinbarste, einem Steinwurf ins Wasser, der Wellen schlägt, die sich über alle Weltmeere fortpflanzen. (Zum Beispiel: Unterbräche ich jetzt die Arbeit an diesem Manuskript, um beim Bahnhofsbäcker ein Stück Kuchen zu holen, so würde ich auf dem Bahnhofsvorplatz vielleicht den letzten freien Parkplatz belegen, woraufhin jemand anders sein Auto weiter entfernt abstellen muss, weshalb er knapp den Zug verpasst, in dem er womöglich seinen künftigen Lebensgefährten kennenlernen würde, der sich daraufhin vom bisherigen Ehepartner scheiden ließe, was sich auf das Schicksal der gemeinsamen Kinder, auf den geplanten Hausbau, auf Urlaubspläne, auf ihre beruflichen Karrieren auswirken würde usw.) Jeder von uns, vom Penner bis zum Präsidenten, zieht eine einmalige, folgenschwere Spur durch die Zeitgeschichte des gesamten Planeten. Durch sein schieres Da-Sein verändert er den Weltenlauf für immer, weit über seinen Tod hinaus.
Doch nicht jedem Materialisten gelingt es, sich mit solchen eher metaphorischen Varianten von Unsterblichkeit gleichmütig abzufinden. Manchen quält durchaus die Aussicht, vor welcher ihren religiösen Mitmenschen erst recht graut: das vollständige, endgültige Ausgelöschtwerden. Die Vernichtung. Während es für Christen nicht schlimmer kommen kann, als nach dem letzten Atemzug zur Hölle zu fahren, schwante bereits den alten Ägyptern noch Übleres: Wer in der unterweltlichen Justizhalle bei der Prüfung vor dem Totengericht durchfällt, dem blüht als größtmögliche Strafe die endgültige Nichtexistenz. Noch fünf Jahrtausende später bleibt dieses Grauen nachvollziehbar. Gibt es Schrecklicheres, als zu nichts zu werden?
Wie können wir einem Campteilnehmer helfen, der unter der Befürchtung leidet, dass nichts von alledem eintreten wird, was Religion und Esoterik für den Todesfall in Aussicht stellen? Immerhin jeder zweite Bundesbürger mag sich nicht damit abfinden, dass mit seinem Tod "alles aus" sein soll; unter den 18 bis 29 Jahre alten Deutschen sind es sogar 64 Prozent. (46)
Objektiv betrachtet, scheint der eigene Tod ein Ereignis, mit dem man sich nicht nur wohl oder übel abzufinden hat, sondern das sich aus Einsicht akzeptieren lässt. Reichlich Gründe dafür werden bei Grabreden erwähnt, wir lesen sie in Kondolenzschreiben und Todesanzeigen; wir hören sie in Beileidsbekundungen von Freunden und Bekannten des Verstorbenen, die damit die nächsten Hinterbliebenen aufrichten wollen; Seelsorger und Therapeuten bedienen sich ihrer, um bei der „Trauerarbeit“ behilflich zu sein. Über religiösen Trost hinaus („Gottes unergründlicher Ratschluss“, „ … hat XY zu sich geholt“) heißt es dann:
- Der Tod sei etwas „Normales“ und „ganz natürlich“. Alle Menschen sind sterblich; du bist ein Mensch; also stirbst auch du irgendwann. Logisch. Das gehöre nun mal zum Kreislauf der biologischen Erneuerung, untrennbar verbunden mit allem organischen Leben. So gesehen, ist unser Verschwinden aus der Welt nicht erheblicher als unser hochgradig zufallsbedingtes Auftauchen in ihr. „Tod ist Ziel der Natur, nicht Strafe“, befand Cicero (106 - 43 v. Chr.). Und „wer darüber klagt, dass jemand gestorben ist, klagt darüber, dass er ein Mensch gewesen ist“, meinte der römische Philosoph und Dichter Seneca (4 v. Chr. - 65 n. Chr.).
- Der Tod mag am Ende eines „erfüllten Lebens“ stehen. Kann man vorher nicht alles erreicht haben, was man sich zum Ziel gesetzt hat, und dafür Dankbarkeit, Liebe und Anerkennung ernten? Gibt es keinen Punkt, an dem man voller Stolz auf sein Lebenswerk zurückblicken kann, im Gefühl, es sei mehr als genug? „Meine Arbeit ist getan“, sollen Einsteins letzte Worte gewesen sein.
- Der Tod kann eine „Erlösung“ sein: von unerträglichen Schmerzen und anderen furchtbaren Lebensumständen. Oftmals beendet er ein Dasein, von dem es heißt, es sei „nicht mehr lebenswert“.
Müssen wir es fertigbringen, im Hinblick auf unsere eigene Vernichtung eine solche Perspektive einnehmen? Verflüchtigt sich dann jegliche Angst vor dem Ausgelöschtwerden?
Es gelingt nicht. Denn aus einer anderen Perspektive, die jedem von uns näher liegt, nämlich unserer eigenen, ist der Tod weitaus mehr als bloß ein übliches Ereignis im Lauf der Dinge, und dieses „Mehr“ macht seine erschütternde Tragik aus. Auch wenn es völlig normal ist, dass Katzen Mäuse fressen, und dieser Umstand insofern nicht sinnvoll beklagt werden kann, tröstet das die Maus nicht im geringsten.
Wird der Tod für den, der ihn vor Augen hat, dadurch zum Horror, dass er zu nichts wird – dass alles, was ihn ausmacht, erloschen sein wird wie eine ausgeblasene Flamme? Aber was schert es die Flamme, wenn sie ausgegangen ist?
In Wahrheit ist es eher das Sein im Nichts, vor dem vielen graut, als das Nichtsein. Nach der Beerdigung eines Verwandten meinte meine damals fünfjährige Tochter sichtlich erschüttert zu mir: „Ich will nie, nie, nie tot sein. Sonst wäre ich ja für immer unter der Erde in so einem Sarg eingesperrt, alles um mich herum wäre schwarz, und niemand würde sich mehr um mich kümmern.“ Diese Furcht geistert keineswegs nur durch die Vorstellungswelt von Kleinkindern. (47)
Auch vielen Erwachsenen erscheint der Tod als eine endlose Isolationshaft in stockdunkler Stille, verbunden mit völliger Regungslosigkeit und sensorischer Deprivation in ihrer grausamsten Form, schlimmer noch als die Camera silens, berüchtigter Bestandteil von CIA-Foltermethoden. (48)
Doch dieses Grauen vor der schlechthinnigen Vernichtung im Tod rührt von verqueren Vorstellungen her. (49) Gleicht der Tod der finstersten Nacht? Der Vergleich hinkt: Im Dunkeln bin ich es, der sich in ihr fürchtet, in ihr nichts mehr sieht, in ihr friert. Tot hingegen bin ich nicht mehr. Wenn ich mich davor fürchte wie vor dem Dunkel, so male ich mir einen Zustand aus, in dem ich noch bin, während ich nicht mehr bin - sozusagen als Zeuge meiner eigenen Nichtexistenz. So verstanden, ist Todesangst grundsätzlich absurd. Falls nach dem Tod nichts mehr kommt, dann auch nichts, wovor man sich fürchten müsste. Manch einer glaubt sich auf seinen Tod zuzubewegen wie auf den Eingang einer Höhle. Und nun grübelt er, was ihn erwartet, nachdem er sie betreten hat. Wird er dann für immer im Finsteren sein? Oder wird er ein Licht gewahren, das ihn zu einem Ausgang führt, hinter dem sich ihm eine andere Welt eröffnet? Er rechnet nicht damit, dass diese Höhle im selben Augenblick verschwindet wie er selbst. Dass sie nur ist, indem sie in ihm ist.
Ebensowenig ist die subjektive Todesangst dadurch ausreichend erklärt, dass sie dem Faktum der eigenen Nichtexistenz gilt. Es gab mich nicht, ehe ich geboren wurde. Es hätte sein können, dass es mich niemals gegeben hätte. Trotzdem erschüttert mich die Möglichkeit des praehumen Nichtseins, oder gar des Nie-Gewesenseins, weitaus weniger als des posthumen. (50) Zwar mag ich bedauern, nicht schon als römischer Tribun oder als mittelalterlicher Burgherr gelebt zu haben, und falls irgendwann Zeitreisen möglich sind, würde ich womöglich ein Ticket kaufen. Aber das Wissen, in der Vergangenheit noch nicht gewesen zu sein, berührt mich nicht annähernd so stark wie die Aussicht auf mein Nichtsein in der Zukunft. Eine ähnlich eigentümliche Asymmetrie besteht bei anderen Ereignissen und Zuständen: Der Schmerz, den ich durchlitten habe, ist für mich weniger schlimm als der, den ich auf mich zukommen sehe.
Ängstigt der eigene Tod, weil er einem Koma zu gleichen scheint: nichts mehr wahrnehmen, denken, fühlen, handeln können? Aber käme er mir dann nicht weitaus weniger schlimm vor, als er es tatsächlich tut? „Ist der Tod nur ein Schlaf, wie kann dich das Sterben erschrecken? Hast du es je noch gespürt, wenn du des Abends entschliefst?“, fragte der deutsche Dichter Friedrich Hebbel (1813-1863). Bewusstlosigkeit hindert mich an allem, was mir möglich wäre – doch immerhin bleiben es weiterhin Möglichkeiten des Tuns und Erlebens, die ich andernfalls realisieren könnte (und es täte, falls ich wieder zu Bewusstsein komme). Zum Schlaf, wie lange auch immer er währt, gehört die Chance, irgendwann aufzuwachen, wie gering sie auch sein mag. Der Konjunktiv passt noch: Weiterhin könnte ich. Insofern ist mein Tod viel einschneidender: Er zerstört all meine Möglichkeiten ein für allemal, indem er ihr Subjekt vernichtet. Daher hinkt der Vergleich.
Was den Tod, subjektiv betrachtet, grauenvoll macht, sind zwei andere Besonderheiten. (51) Die eine hat mit Erwartung zu tun. Mein Tod gehört zu meiner Zukunft, und meine Einstellung dazu, was diese mir bringen wird, schließt immer auch eine Vorausschau ein. Wie wird es sein, nächsten Sommer Urlaub in der Karibik zu machen? In eine andere Stadt umzuziehen? Ein Vermögen zu besitzen? Enkelkinder zu haben? Was hingegen mein Ableben betrifft, gibt es nichts, dessen ich noch harren könnte – das schiere Nichts als solches ist kein möglicher Erwartungsinhalt. Und dieses Hemmnis verstört zutiefst.
Zum anderen schließt mein Tod ein, dass ein Parallelismus endet, der für mich zum Allerselbstverständlichsten gehört, seit es mich gibt. Auch wenn es geradezu grotesk banal klingt, stimmt es trotzdem: An mein eigenes Dasein habe ich mich sehr gewöhnt. So weit ich zurückdenken kann, gibt es mich. Objektive und subjektive Zeit liefen immer parallel. Im Tod driften beide auseinander, nicht bloß insofern, dass die Welt da draußen ihren Fortgang nimmt, ohne dass ich noch in ihr vorkomme. Mein Tod als Ereignis in der Welt ist leicht zu begreifen – ganz im Gegensatz zum Ende meiner Welt.
Das ist es, was mich bei der Vorstellung meines künftigen Nichtseins alarmiert, beängstigt und fassungslos macht, sobald ich mich darauf einlasse, sie in mir heraufzubeschwören. Nichts kann dieses Grauen bannen, und deshalb verdient es mein Tod, dass ich ihn verfluche.
Aber ist es nicht zumindest unter bestimmten Umständen gut, dass ein Leben zwangsläufig endet? Oftmals erlöst er von einem erbärmlichen Dasein in Armut, Unfreiheit, Lieblosigkeit, Schmerz und Angst. „Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allen Übeln, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus“, so bemühte sich der römische Philosoph und Schriftsteller Seneca (ca. 4 v. Chr - 65 n. Chr.) um tröstliche Worte. Aber selbst dann bleibt der Tod schrecklich: Denn er beraubt sein Opfer ein für allemal jeglicher Möglichkeit, zumindest in Zukunft mehr Gutes als Schlechtes zu erleben.
Manche Philosophen bemühen sich, uns das Sterbenmüssen unter allen Umständen schmackhaft zu machen, indem sie uns die „Langeweile der Unsterblichkeit“ ausmalen. (52) Könnte es sein, dass sich solche Leute einfach schneller langweilen lassen als ich? Und würde ihnen dieser Wesenszug jenseits nicht früher oder später den gleichen Frust bescheren wie diesseits? Durchaus vorstellen kann ich mir, dass ich irgendwann jedes bestimmten Lebens überdrüssig werde – aber des Lebens an sich? Nicht, solange ich frei bin, die Umstände meines Daseins so zu verändern, dass sie mir Neues zu bieten haben, und meine Phantasie reicht bei weitem nicht aus, mir alle erdenklichen Optionen auszumalen, die ich dabei ernsthaft in Betracht ziehen würde. Antoine de Saint-Exupery (1900-1944), dem großen französischen Schriftsteller, widerspreche ich heftig, wenn er behauptet: „Das, was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn.“ (53) Je mehr mich mein Leben befriedigt und erfüllt, desto lieber hätte ich noch mehr davon. In meinen Exitus würde ich, falls ich wählen könnte, nur in zwei Fällen einwilligen: wenn mein jetziges Leben unerträglich wäre – zum Beispiel aufgrund ständiger starker Schmerzen -, ohne die geringste Aussicht auf Besserung; oder wenn ich sicher wäre, dass etwas Schreckliches unabwendbar auf mich zukommt, sei es ein alles vernichtender Kometeneinschlag, eine Zombie-Invasion, eine Pandemie ohne Gegenmittel, eine weltweite radioaktive Verseuchung oder irgendein anderes apokalyptisches Szenario. Ansonsten würde ich mich vor der Wahl, entweder in wenigen Minuten tot oder noch eine Woche länger da zu sein, immer fürs Weiterleben entscheiden; daraus schließe ich mit induktiver Logik, dass ich niemals sterben möchte. (54)
Lieber diesseits unsterblich
Der Tod ist schrecklich, und Angst davor hätte ich, mit Woody Allens köstlichem Bonmot, bloß dann nicht, wenn ich nicht dabei sein müsste, wenn er eintritt. (55) Weil ich vermute, dass die meisten Menschen ähnlich empfinden, steht für mich außer Frage, dass jede Technik, die unsereins physisch unsterblich machen kann, auf reißende Nachfrage stieße, sobald sie einigermaßen zuverlässig und erschwinglich wäre.
Dazu werden wir weder nach mythischen Jungbrunnen noch nach Dukateneseln suchen müssen, mit denen wir uns den Anti-Aging-Wucher mit Kosmetika, Nahrungsergänzungsmitteln und ästhetischer Chirurgie leisten können. Vielmehr könnte Gentechnik den vorprogrammierten Zelltod aufhalten, indem sie gezielt einzelne Bausteine unserer Erbinformation ausschaltet und neue einfügt, somit den Alterungsprozess stoppen – unser Körper würde dann ebenso potenziell unsterblich wie bestimmte Quallen, Pilze, Seegurken und Polypen. Nanomaschinen könnten dauerhaft im menschlichen Körper eingesetzt werden, um Pathogene unschädlich zu machen, Krebs in Schach zu halten und Reparaturarbeiten durchzuführen. Mit „therapeutischem Klonen“ könnten neue Zellen, Gewebe, ganze Organe aus unserem eigenen Erbgut nachgezüchtet und eingesetzt werden. Weitere technische Implantate, über künstliche Herzen hinaus, könnten den anfälligen menschlichen Organismus erhalten, verbessern - und zum unverwüstlichen Cyborg umwandeln. Bewusstseinsrelevante Teile des Gehirns könnten in digitale Medien ausgelagert werden („Mind-Uploading“).
Manche dieser Techniken schweben noch in der Sphäre von Gedankenexperimenten, andere befinden sich schon in der Erprobungsphase, vereinzelt sind sie bereits Praxis. Wer weitere Fortschritte abwarten will, jedoch befürchtet, dass er sie nicht mehr erleben wird, könnte sich auf die Kryonik einlassen (von griech. kryos: Kälte): Mit flüssigem Stickstoff wird sein Organismus auf minus 196 Grad tiefgekühlt; dadurch kommt jegliche Bioaktivität in ihm zum Erliegen, womit einem weiteren Verfall seines Gewebes Einhalt geboten wird. (Zur Konservierung wird neuerdings ein „Vitrifizierung“ genanntes Verfahren eingesetzt, das verhindert, dass Eiskristalle Zellen schädigen.) Zu einem Zeitpunkt eigener Wahl würde er, hoffentlich körperlich unversehrt und mental heil, wieder aufgetaut. (56)
Auf die eine oder andere Weise gelänge es den „Auswege“-Camps des 22. Jahrhunderts bestimmt, Teilnehmern Todesangst zu nehmen: nicht durch religiöse Vertröstungen, spiritualistische Versicherungen, unsichere Parapsychologie oder nebulöse Quantenmystik, sondern durch eine Adressenliste der seriösesten, erfolgreichsten biotechnischen Lebensverlängerer. Sinnigerweise würde sich somit schließlich ein uneingelöstes Versprechen mancher Religionen erfüllen: Manche Strömungen des Taoismus, der bis ins 4. Jahrhundert vor Christus zurückreicht, stellten physisches Immerwähren durch Kultivierung von Geist und Körper zum Xian („Unsterblicher“) in Aussicht; demselben Ziel widmete sich jahrhundertelang die chinesische Alchemie. (Ihr Wahn, Hauptbestandteil des Lebenselixiers sei das quecksilberhaltige Zinnober, kostete vielen Gutgläubigen das Leben.) Auch vereinzelte Bibelpassagen stellen nicht bloß außergewöhnliche Langlebigkeit in Aussicht, wie bei Methusalem und den Erzvätern, sondern physische Unsterblichkeit, wenngleich nur kraft eines göttlichen Willensakts: „Einige von euch werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes sehen“ (Lukas 9,27). (57)
Wem er ganz und gar nicht schmeckt, kann neuerdings hoffen: Der Tod scheint bloß noch ein ungelöstes technisches Problem. Grundsätzliche Zweifel daran, dass sich der Mensch dereinst biologisch unsterblich machen kann, scheinen mir von Unkenntnis der längst stattfindenden, ungeheuer dynamischen Forschungsaktivitäten zu diesem Ziel herzurühren.
Sobald solche Mittel verfügbar sind, wird die Mortalitätsrate weltweit zwar drastisch sinken (und alle Probleme der Bevölkerungsexplosion vervielfachen, sofern nicht zusätzlicher Lebensraum erschlossen, die Geburtenrate drastisch gesenkt oder gnadenlos Euthanasie betrieben werden kann). Bestimmt wird sie aber niemals gegen Null gehen. Zum einen dürften in noch so ferner Zukunft stets äußere Umstände eintreten, unter denen Menschen gegen ihren Willen umkommen, auch in größerer Zahl: sei es durch Unfälle, die irreparable Schäden zur Folge haben; durch Umweltkatastrophen, soweit sie weiterhin weder präzise vorhersehbar noch beherrschbar sind; durch Seuchen, gegen die nicht rechtzeitig ein Impfstoff gefunden wird; durch brutale Unterdrückungsregimes; oder durch Kriege, ob nun gegen Artgenossen, Maschinen oder Aliens. Zum anderen könnten Menschen auch künftig aus freien Stücken ihren Tod vorziehen, aus unterschiedlichen Erwägungen: Sie könnten jedes erdenklichen Daseins, des Lebens an sich, überdrüssig werden. (Kryonik macht diese Möglichkeit allerdings noch unwahrscheinlicher, als sie schon heute ist: Wen sein momentanes Dasein anödet, der könnte sich tiefgefroren eine Weile schlafen legen, bis die Welt voraussichtlich eine andere geworden ist – im Vertrauen darauf, dass die soziokulturelle Entwicklung auf diesem Planeten ähnlich dynamisch voranschreitet wie bisher. Hätte die Kryostase-Technik schon Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Verfügung gestanden, so hätte eine Tiefkühlphase von wenigen Jahrzehnten genügt, um in einer drastisch veränderten Welt aufzuwachen.) Sie könnten sich von einer schweren psychischen Last befreien wollen, die sie anders nicht loswerden (es sei denn, solche Zustände können mit künftiger Neurotechnik ebenso mühelos gelöscht werden wie überflüssige Dateien und Programme von der Festplatte eines Computers); sie könnten ihr Leben opfern – für Werte, für eine gute Sache, für andere Menschen. Oder sie entschließen sich zum Freitod aus reiner Neugier: nicht auf das Nichtsein, sondern auf die mögliche nachtodliche Alternative, das Weiterexistieren in einer radikal anderen, körperlosen Seinsform.
Solange der Tod unausweichlich auf uns zukommt – nach wenigen Jahrzehnten, was ein Großteil der Heutigen als zu kurz empfindet -, sondern zur frei wählbaren, zu einem beliebigen Zeitpunkt wahrnehmbaren Option wird, könnte bei vielen Menschen irgendwann schiere Abenteuerlust über die Furcht vor dem ungewissen Danach obsiegen. Sie beschlössen aus einem vergleichbaren Motiv zu sterben, das 200’000 Zeitgenossen aus 140 Ländern veranlasst hat, sich für einen Platz in der ersten Marskolonie 2025 zu bewerben, wohlwissend, dass sie von dort nie mehr zurückkehren werden.58 Also waltet zwar in jeder vorstellbaren menschlichen Zukunft wohl weiterhin der Tod – doch seinen Schrecken hätte er verloren. Es gehört durchaus keine überbordende Science-Fiction-Fantasie zu der Prophezeiung, dass sich bei Teilnehmern des 200. bis 300. „Auswege“-Camps (bei weiterhin vier pro Jahr) das Problem der Todesangst vor diesem Hintergrund nicht mehr stellen würde.
So mancher Campteilnehmer, der sich den Kopf über ein mögliches Leben nach dem Tode zerbricht, versäumt es nach unseren Eindrücken im übrigen sicherzustellen, dass es für ihn ein Leben vor dem Tode gibt. Wenn dein Leben endet, solltest du sagen können, dass du gelebt hast. (59)
Ist jeder Todesfall ein therapeutischer Misserfolg?
„Wann folgt die Ursache der Wirkung? Wenn ein Arzt hinter dem Sarg seines Patienten hergeht." Damit die Pointe ankommt, muss Zuhörern einleuchten: Ein Arzt, dessen Patient stirbt, hat versagt. Eine Therapie, die den Behandelten nicht retten kann, war nutzlos, zumindest in seinem Fall; nun steht der Therapeut blamiert da.
Mit derselben Erwartung sehen sich unkonventionell Heilende unentwegt konfrontiert. Deren "Erfolg" messen Hilfesuchende und ihre Angehörigen zumeist daran, wie rasch und vollständig Symptome verschwinden oder zumindest nachlassen, ein Leiden "besiegt" oder wenigstens erträglicher gemacht wird. Doch wenn eine Erkrankung allen therapeutischen Bemühungen zum Trotz unaufhaltsam voranschreitet - taugt dann der Heiler nichts? Alexander, Ida, Joachim: Sie alle sind inzwischen tot. Also sind wir gescheitert?
Wer derart richtet, begreift nicht, worum es geht. Ganzheitliches Heilen ist in erster Linie eine besondere Form, in der Menschen, ganze Personen, in einer therapeutischen Beziehung miteinander umgehen: eine Form von spiritueller Genesungshilfe, in der Anteilnahme, Vertrauen, liebevolle Zuwendung und sinnorientierte Wegbegleitung eine Schlüsselrolle spielen. Dabei sollten wir das Wort "Heilen" ganz wörtlich nehmen: Einen Menschen zu heilen bedeutet eigentlich, ihn "heil", das heißt "ganz" zu machen, und dazu gehört weitaus mehr, als nur gewisse defekte Teile seines Körpers zu reparieren.
Ein Krebspatient beispielsweise mag als kuriert gelten, wenn seine Tumoren verschwunden sind und mehrere Jahre nicht wiederkehren; aber ihn zu heilen erfordert, die ganze Vielfalt von äußeren und inneren Bedingungen zu erkunden und zu beseitigen, die ihn überhaupt erst krank werden ließen: zum Beispiel belastende soziale Beziehungen, unausgewogene Ernährung und andere ungesunde Lebensgewohnheiten, mancherlei Ängste, Komplexe und Zwänge, sein Hadern mit dem Schicksal, vielleicht auch verlorene Werte und Sinnleere60, oder irgendein erlittenes Un-Heil, eine krankmachende Kränkung, mit der er nicht fertig wird. Was ein guter Heiler tut, steht der Seelsorge des Priesters insofern viel näher als der therapeutischen Intervention des Schulmediziners. Heiler betreiben sozusagen Heilsorge, in Sorge um das Heil ihrer Klienten.
Und heil werden kann ein Mensch durchaus, ohne symptomfrei zu werden. Einen Krebskranken zu heilen, kann auch bedeuten, ihn mit seinem Schicksal auszusöhnen; ihm Angst und Verzweiflung zu nehmen; ihn auszusöhnen mit dem Unausweichlichen, gegen das er sich vergeblich aufbäumt; ihn darauf vorzubereiten, es gefasst anzunehmen; es ihm leichter zu machen, Abschied zu nehmen – von seinen Liebsten wie von allem, was ihm wichtig war -, ohne Bitterkeit loszulassen; nicht länger damit zu hadern, was er im Lebensrückblick bereut: "Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben"; "Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet"; "Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken"; "Ich wünschte mir, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrechterhalten"; "Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein". (61) Und vergeben zu können. Zwei Dinge, so betonte schon Martin Luther (62), seien am Lebensende wichtig: Wen möchte ich noch um Verzeihung bitten? Und wem muss ich noch etwas verzeihen?
So war es bei Sonja Jost. (63) Sie war erst 45. Aber sie hatte Krebs im Endstadium, mit Metastasen im ganzen Körper. Mit unsäglichen Schmerzen und Atemnot lag die Lehrerin in einer südostbayerischen Klinik. Ihre Ärzte erwarteten, dass sie jede Minute sterben würde. Doch Sonja gab nicht auf. Sie rief einen Heiler aus dem „Auswege“-Netzwerk zu sich, der sie fortan täglich eine Stunde lang behandelte. Die Stationsleitung hatte nichts dagegen: Der Fall schien ihr ohnehin "hoffnungslos".
Doch seit der Heiler zu ihr kam, konnte sie sich entspannen und besser schlafen. Die Schmerzen wurden erträglicher, das Atmen fiel ihr leichter, das Wasser in ihren Lungen wurde weniger. "Sie konnte wieder lächeln", erinnert sich der Heiler, "und hatte tiefe Einsichten über ihr Leben und ihre Haltung gegenüber sich selbst." Nach zehn Tagen starb sie friedlich und schmerzfrei: nicht kuriert, aber heil.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Buch von Harald Wiesendanger: Auswege – Kranken anders helfen (2015).
Anmerkungen
1 zit. in Spiegel Wissen 4/2012, S. 85.
2 An die biblische Verheißung, am Ende aller Tage finde eine Auferstehung des Fleisches statt, glauben nur noch 35 Prozent der Deutschen, 59 Prozent zweifeln daran, wie 2007 eine Repräsentativumfrage im Auftrag des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (Nr.15/ 2007) ergab.
3 So verheißt der 23. Psalm.
4 Johannes-Offenbarung, Vers 6
5 Offenbarung 21: 16-23, 22:2
6 Nach Spe salvi (lat. „Auf Hoffnung hin sind wir gerettet“), der zweiten Enzyklika von Papst Benedikt XVI., veröffentlicht im November 2007.
7 Joseph Ratzinger: „Fegefeuer“, aus ders.: Eschatologie – Tod und ewiges Leben (= Kleine Katholische Dogmatik 9), Regensburg 1977, S. 188, 189 f., in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Der Glaube der Kirche. Ein theologisches Lesebuch aus Texten Joseph Ratzingers, Bonn, 2011 (Arbeitshilfen; Nr. 248), S. 54 f.
8 So Papst Johannes Paul II. in „Das Leben nach dem Tod. Drei Ansprachen bei Generalaudienzen im Sommer 1999 über Himmel, Hölle und Fegefeuer, www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/audiences/1999/documents/hf_jp-ii_aud_28071999_ge.html.
9 so Hans Küng, Rudolf Bultmann, Uta Ranke Heinemann.
10 Paul Althaus: Die letzten Dinge, 111ff. u.a.; Karl Barth: Dogmatik im Grundriss, Zürich, 7. Aufl. 1987, S. 138 u.a.; Karl Barth: Die Kirchliche Dogmatik, Bd. III/2, Zollikon-Zürich 1948, S. 524ff u.a.; Paul Tillich: Systematische Theologie, Bd. 3, Stuttgart 1966, S. 450ff., 459ff. Carl Stange: Die Unsterblichkeit der Seele, Studien des apologetischen Seminars 12, Gütersloh 1925. Ganztod-Konzepte finden sich auch bei einigen Religionsgemeinschaften wie den Gemeinden Christi, den Siebenten-Tags-Adventisten, der Bibelforscherbewegung und den Christadelphians.
11 siehe z.B. Matthäus 10,28; Apg 20,10. Auch Matthäus 25,46 legt eine ewige Existenz der Seele nahe.
12 Unmissverständlich heißt es in der Jesaja-Apokalypse (Jes 26,10): „Ihre Leichen werden auferweckt werden.“ Nach Ezechiel 37,1-4 werden alle verwesten Israeliten für ein neues leibliches Leben wiederhergestellt, was das Leerwerden ihrer Gräber einschließt.
13 Buch Daniel 12,2f.
14 Artikel „Auferstehung“ im „Glaubens-ABC“ der Evangelischen Kirche in Deutschland, s. www.ekd.de/glauben/abc/index.html
15 Schabbat 152b, mit Bezug auf die „Sprüche Salomos“ 12,28.
16 s. Harald Wiesendanger: Zurück in frühere Leben – Möglichkeiten der Reinkarnationstherapie, München 1991, S. 147.
17 Diese Analogie zieht der philosophische Funktionalismus, s. Zurück in frühere Leben, a.a.O., 147f., und Harald Wiesendanger (Hrsg.): Wiedergeburt – Herausforderung für das westliche Denken, Frankfurt a.M. 1989, S. 34.
18 Siehe dazu Harald Wiesendanger: Die Jagd nach Psi, Braunschweig 1989; ders.: Zurück in frühere Leben, a.a.O.; ders. (Hrsg.): Wiedergeburt, a.a.O., sowie die dort angegebene weiterführende Literatur.
19 Quintessenz: Die alte Hindumystik ist metaphysisch verpackte Quantentheorie.
20 Unter Parapsychologen haben Walter von Lucadous „Modell der Pragmatischen Information“ sowie die „Generalisierte Quantentheorie“ von Harald Atmanspacher, Hartmann Römer und unserem „Auswege“-Beiratsmitglied Harald Walach Beachtung gefunden; s. Walter von Lucadou: Psi-Phänomene – Neue Ergebnisse der Psychokineseforschung, Main/ Leipzig 1997; H. Atmanspacher, H. Römer, H. Walach: “Weak quantum theory: Complementarity and entanglement in physics and beyond”, Foundations of Physics 32/2002, S. 379–406. Andere Konstrukte beschreiben eine supra-physikalische Wirklichkeit mit vielen weiteren Dimensionen bzw. Energien, in die unsere raum-zeitliche Realität eingebettet ist. Beispiele dafür sind die 12-Dimensionen-Physik von Burkhard Heim (1925-2001) und Klaus Volkamer sowie die Theorie von Johannes Matthaei, die von zwölf zusätzlichen Energiearten ausgeht. Burkhard Heim: Elementarstrukturen der Materie: Einheitliche strukturelle Quantenfeldtheorie der Materie und Gravitation, 2 Bände, Innsbruck, 3. Aufl.1998; Klaus Volkamer: Feinstoffliche Erweiterung der Naturwissenschaften. Weißensee, 2007.
21 In der „Psi-Feld“-Theorie des Ungarn Ervin Laszlo beispielsweise erschöpft sich meine „Unsterblichkeit“ darin, dass ich zu Lebzeiten Spuren in einem holografisch angelegten „Feld“ hinterlasse, das als „kosmisches Gedächtnis“ und Ordnungsprinzip fungiert: Das fünfte Feld (2000), Holos - Die Welt der neuen Wissenschaften (2002).)
22 Zu ihnen zählt Burkhard Heim (1925-2001): Postmortale Zustände? Die televariante Area integraler Weltstrukturen, Innsbruck 2. Aufl. 1988
23 Roger Penrose: The Large, the Small and the Human Mind, Cambridge 1997, dt.: Das Große, das Kleine und der menschliche Geist, Heidelberg/Berlin 2002; ders.: Shadows of the Mind. A Search for the Missing Science of Consciousness, Oxford 1994; dt.: Schatten des Geistes. Wege zu einer neuen Physik des Bewusstseins, Heidelberg/Berlin/ Oxford 1995.
24 Rolf Froböse: Die geheime Physik des Zufalls – Quantenphänomene und Schicksal, Norderstedt 2008.
25 What the Bleep Do We Know (2004) versucht in der Machart einer „Dokumentation“, Verbindungen von Quantenphysik und Neurologie mit Spiritualität und Mystik „aufzudecken“ – sensationell erfolgreich zumindest, was seine Resonanz betrifft: Mit über einer Million Kinobesuchern in den USA und 270'000 in Deutschland schaffte er es in die Top 25 der meistgesehenen Dokumentarfilme aller Zeiten.
26 Ein vorbildliches Beispiel bietet die Auseinandersetzung des theoretischen Physikers Christian Sämann mit Laszlos „Psi-Feld“-Theorie, s. www.christiansaemann. de/files/holos.pdf: „Anmerkungen zu Ervin Laszlos ‚HOLOS – die Welt der neuen Wissenschaften’“, 21 S.
27 s. Eduard Kaeser, „Von der Quantenphysik zur Quantenreligion – Wie mit einer mysteriösen Theorie alles Mysteriöse erklärt wird“, Neue Zürcher Zeitung, 16.5. 2012; Martin Lambeck, „Die Deutungen der Quantenphysik durch F. Capra und seine Nachfolger“, Praxis der Naturwissenschaften/Physik 2/42, 1993, S. 17-24; ders.: „Physik und New Age (I) – Können sich New Age, Parawissenschaften und Esoterik auf die moderne Physik stützen?“, Berliner Dialog 1995, S. 51-53; ders.: „Können Paraphänomene durch die Quantentheorie erklärt werden?“, Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 39 (1/2) 1997, S. 103-115; Victor J. Stenger: „Quanum Quackery“, Skeptical Inquirer, Jan/ Feb 1997).
28 Typisch dafür ein Werbetext zu Burkhard Heims Buch „Postmortale Zustände“: „Ist es möglich, dass (…) der Persönlichkeitskern den Tod des materiellen Körpers überlebt (…), mit einem neu entstehenden biologischen Körper Kontakt aufnimmt und sich mit diesem verkoppelt? Heim untersuchte unter anderem die Frage, welche Eigenschaften materielle Strukturen besitzen müssen, damit solche Ankopplungen stattfinden können.“ Nach www.engon.de/protosimplex/books/b12.htm.
29 Markolf Niemz: Lucy mit c: Mit Lichtgeschwindigkeit ins Jenseits, Norderstedt 2005; Lucy im Licht: Dem Jenseits auf der Spur, München 2007; Lucys Vermächtnis: Der Schlüssel zur Ewigkeit, München 2009; Bin ich, wenn ich nicht mehr bin? Ein Physiker entschlüsselt die Ewigkeit, Freiburg 2011.
30 Darauf weist der Leipziger Neurologe Birk Engmann hin: „Nahtoderfahrungen. Eine Gratwanderung zwischen Wissen und Glauben, aus historischer Perspektive betrachtet“, Internationale Zeitschrift für Philosophie und Psychosomatik 1/2012; ders.: Mythos Nahtoderfahrung, Stuttgart 2011.
31 Das Quark und der Jaguar, München 1994, S. 246-257, ib. S. 254 ff.
32 Ken Wilber: Quantum Questions: Mystical Writings of the World's Great Physicists (1984)
33 Im Interview mit dem Online-Magazin Integrales Leben, s. http://integralesleben.org/de/il-home/il-integrales-leben/anwendungen/wissenschaft/quantenwirklichkeit-mystik)
34 a.a.O.
35 In einem kritischen Kommentar zu Roger Penroses Buch Das Große, das Kleine und der menschliche Geist.
36 Zur Kritik des Realismus in der Mathematik, den unter anderem Kurt Gödel und Paul Erdos vertreten haben – ihm zufolge werden Zahlen, geometrische Figuren, Strukturen und andere mathematische Gegenstände nicht erfunden, sondern entdeckt - s. das Buch Zahlensinn des Mathematikers und Hirnforschers Stanislas Dehaene vom Collège de France in Paris: La Bosse des maths, Paris 1997; deutsch: Der Zahlensinn oder Warum wir rechnen können, Basel 1999.
37 John Eccles/Karl Popper: Das Ich und sein Gehirn, München 1982; Eccles: Wie das Selbst sein Gehirn steuert, Berlin 1994; ders.: Die Evolution des Gehirns – die Erschaffung des Selbst, München 2002.
38 Rafael Ferber: Philosophische Grundbegriffe, 2003, S. 108f.
39 s. Stephen Hawking/Leonard Mlodinow: Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums, Reinbek 2010.
40 Kritik: M. R. Bennett und P. M. S. Hacker: Philosophical Foundations of Neuroscience, 2003, S. 49–57
41 Siehe die Descartes-Gesamtausgabe (Adam/Tannery), Band XI, 180 und III, 666. Die Idee der „Animalgeister“ (spiritus animalis) lässt sich bis zum griechischen Arzt Galen (2. Jh. n. Chr.) zurückverfolgen. Mit ihr versuchte Galen zu erklären, wie das Gehirn mit Sinnes- und Bewegungsorganen in Verbindung treten kann: In den Hirnkammern (Ventrikel) werde ein „psychisches Oneuma“ (pneuma psychikon) erzeugt und in die röhrenartigen Nervenbahnen gepumpt, geradeso wie Blut aus dem Herzen in die Arterien.
42 Näheres in Harald Wiesendanger: Mit Leib und Seele – Ursprung, Entwicklung und Auflösung eines philosophischen Problems, Frankfurt/Berlin/New York 1987, S. 55-59.
43 Daniel Dennett: Philosophie des menschlichen Bewusstseins, Hamburg 1994, S. 58.
44 Im Interview mit der britischen Zeitung The Guardian, 15. Mai 2011, anlässlich der Vorstellung seines Buchs Der Große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums, 2010.
45 William Shakespeare, Hamlet V, 2. (Hamlet)
46 Nach einer vom Spiegel in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid Ende März 2007.
47 „Die Menschen fürchten den Tod, wie Kinder sich fürchten, im Dunkeln zu gehen“, verglich Francis Bacon (1561-1626), englischer Philosoph, Essayist und Staatsmann.
48 Bei der Camera silens (lat. „schweigender Raum“) handelt es sich um einen vollständig dunklen und schallisolierten Raum. Bei Häftlingen werden darin alle Sinnesorgane - Augen, Ohren, Mund, Nase, Hände, Füße, Haut – bestmöglich von jeglichen Außenreizen abgeschirmt.
49 Siehe hierzu Harald Wiesendanger: Auf der Suche nach Sinn. Allerletzte Antworten auf letzte Fragen, Schönbrunn 2005, S. 37 ff.
50 Insofern irrte Seneca, als er beides gleichsetzte: "Wenn einer die Toten bemitleidet, so muß er auch die noch nicht Geborenen bemitleiden. Seneca: Vom glückseligen Leben, 14. Aufl. Stuttgart: Kröner, 1978, S. 146, Trostschrift an Marcia 19. Denselben hinkenden Vergleich bemühte 1800 Jahre später der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer; „Wenn, was uns den Tod so schrecklich erscheinen läßt, der Gedanke des Nichtseyns wäre; so müßten wir mit dem gleichen Schauder der Zeit gedenken, da wir noch nicht waren. Denn es ist unumstößlich gewiß, daß das Nichtseyn nach dem Tod nicht verschieden seyn kann von dem vor der Geburt, folglich auch nicht beklagenswerther.“ Arthur Schopenhauer (1788 - 1860), deutscher Philosoph.
51 Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo, a.a.O., S. 386-398; ders.: Was bedeutet das alles?, Stuttgart 1990, S. 88-94.
52 So beispielsweise Bernard Williams, „Die Sache Makropulos: Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit“, in: Probleme des Selbst, Stuttgart 1978, S. 133-162.
53 in Wind, Sand und Sterne; frz.: "Ce qui donne un sens à la vie donne un sens à la mort“, in Terre des hommes, 1939, S. 234.
54 Darin folge ich dem amerikanischen Philosophen Thomas Nagel: Der Blick nach nirgendwo, a.a.O., S. 386 f.
55 Woody Allen: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte bloß nicht dabeisein, wenn es passiert.“
56 Bis Januar 2013 sollen in den USA und Russland bereits knapp 300 Menschen in flüssigen Stickstoff eingelagert worden sein, zu Preisen zwischen 50’000 und 175'000 Euro, bei manchen Anbietern zuzüglich Beiträgen für Mitgliedschaft und Risikolebensversicherung. Siehe den Artikel „Kryonik“ bei Wikipedia.de, Abschnitt „Umsetzung“.
57 vgl. Markus 9,1; Johannes 21,22
58 Der Spiegel 34/2014: „Neue Heimat auf dem Mars“; "’Mars One’ wählt 1058 Teilnehmer für Mission zum Roten Planeten aus“, www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/mars-one-waehlt-die-ersten-1058-teilnehmer-fuer-mars-mission-aus-a-941603.html.
59 Marcus Aurelius: „Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.“
60 Näheres im Beitrag „Auf der Suche nach Sinn“, S. 206 ff.
61 Aus vielen Gesprächen mit Sterbenden zog die australische Palliativpflegerin Bronnie Ware den Schluss, dies seien die „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bedauern“ – so betitelte sie daraufhin ein Buch, das zum Bestseller wurde (11. Aufl. 2013; Or.: The Top Five Regrets of the Dying).
62 In seinem „Sermon von der Bereitung zum Sterben“ von 1519.
63 Ein Pseudonym
Dieser Beitrag erschien zuerst im Buch von Harald Wiesendanger: Auswege – Kranken anders helfen (2015).
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